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Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien

Fit und gesund oder medienabhängig und krank?
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Fit und gesund oder medienabhängig und krank?

Das „Always on“ der Generation Z bleibt nicht ohne Folgen für soziales Miteinander, Körper und Psyche. Auch wenn gesundheitliche Risiken wie veränderte Körperbilder, Lernstörungen oder Mediensucht mehr Aufmerksamkeit in der öffentlichen Diskussion finden: Der digitale Medieneinsatz bietet genauso Chancen im Sinne des Nutzerschutzes, zum Beispiel die Ent­wicklung von Gesundheits­­kompetenz durch Aufklärung.

Text Bettina Pregel

Sind junge Mediennutzerinnen und –nutzer zu häufig „#OnlineAmLimit“? Und wenn ja, welche Gegenstrategien gibt es, um Grenzen zu setzen? Das Motto für den diesjährigen Safer Internet Day Anfang Februar griff die Fragen auf, die gerade Eltern, pädagogisch Tätige und Betroffene umtreiben. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag von Klicksafe denken 47 Prozent der Kinder und 53 Prozent der befragten Eltern, dass der Nachwuchs weniger Zeit mit digitalen Medien verbringen sollte.

Kein Wunder: Fast fünf Stunden Online-Nutzung pro Tag fressen bei den 12- bis 19-Jährigen (JIM-Studie 2022) nicht nur viel Zeit. Das veränderte Mediennutzungsverhalten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat individuelle und gesellschaftliche Auswirkungen. In der Debatte darüber gibt es Positionen wie die des Psychiaters Prof. Dr. Manfred Spitzer, der eher ein Horrorszenario skizziert, und andere, die auch Chancen der digitalen Mediennutzung, z.B. durch Gesundheits-Apps, thematisieren.

Zwischen digitaler Demenz und Aufklärung

Mit Publikationen wie „Digitale Demenz“, „Die Smartphone-Epidemie“ oder „Cyberkrank“ verbreitet Spitzer öffentlichkeitswirksam Alarmstimmung. Chancen und Risiken aufzuzeigen, ist dagegen das Ziel der diesjährigen Fachtagung Jugendschutz und Nutzerkompetenz in der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), die Antworten auf die Frage: „Fit, gesund und aufgeklärt durch Social Media?“ geben möchte.

Die Interaktion der Generation Z auf Social Media kann sich auch positiv auf das digitale Wohlbefinden auswirken. Das Schließen von Freundschaften und die Stärkung sozialer Kompetenzen gehören genauso zu den Chancen digitaler Mediennutzung wie die Möglichkeit von Beratung und Aufklärung. So gründete der Diplom-Psychologe und Sexualtherapeut Umut C. Özdemir während der Corona-Pandemie 2020 den ersten deutschen TikTok-Kanal für sexuelle Aufklärung. Das zeitgemäße „Dr. Sommer“-Format erreichte in nur drei Monaten 50.000 Fans. Warum er gerade TikTok gewählt hat, erklärt Özdemir in einem Interview mit dem Qiio-Magazin so: „Der Altersdurchschnitt ist jünger als auf anderen Plattformen. Das sind Teenager*innen und junge Erwachsene, da ist das ein Riesenthema. Gleichzeitig fehlt vielen Menschen eine Person, mit der man schamfrei reden kann. Diese räumliche Trennung hilft dabei. Wenn sie mir eine Nachricht schreiben, die ich dann mit einem Video beantworte, ist die Hemmschwelle niedriger, da sie mir dabei nicht ins Gesicht schauen müssen.“

Deshalb gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Online-Beratungsangeboten für Menschen aller Altersgruppen. Genauso wie Gesundheits- und Fitness-Anwendungen: Sie zählen Schritte, geben Tipps zu gesunder Ernährung und Fitness oder erinnern ans Trinken. Der Markt dafür ist rasant gewachsen. Medizinische Apps sind teilweise auch von der Krankenkasse zugelassen. Aber es gibt auch viele „schwarze Schafe“ auf dem Markt, die für Kinder und Jugendliche nicht geeignet sind. Auf was die User achten sollen, hat die Verbraucherzentrale Bayern auf ihrem Online-Portal zusammengefasst.

Gesunde Körperbilder?

Fitness-Influencer mit trainiertem Body und makellose, durch Filter bearbeitete Instagram-Gesichter haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Körperbild von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Durch Social Media haben sich die Möglichkeiten des Vergleichens vervielfacht. Jugendliche vergleichen sich mit Models und Fitness-Stars, die Schönheitsideale bedienen, denen nur wenige Menschen entsprechen. Der Einfluss der Botschaften aus den Sozialen Medien sei noch größer, wenn die Nutzenden ein fragiles Selbstwertgefühl oder eine Körperbildstörung hätten, warnt die Psychologin Silja Vocks. Ihr Forschungsschwerpunkt sind Mädchen mit Essstörungen.

„Ein auf Sexyness getuntes Babyface“ ist laut SZ-Magazin das Idealgesicht, das die US-Autorin Jia Tolentino in ihrem Essay „The age of Instagram face“ beschrieben hat. Wenn der Körper zum Schaufenster wird, wie die Soziologin Anja Röcke es formuliert, versuchen gerade junge Menschen sich selbst zu optimieren, um ihren perfekten TV- Vorbildern in „Germanys Next Top Model“ oder auf Instagram möglichst nahe zu kommen. Magersucht und Botox-Spritzen schon bei 14-Jährigen können die Folge sein – entsprechende Anleitungen zum Hungern sind im World Wide Web genügend zu finden.

Allerdings: Es gibt im Netz eine Gegenbewegung, die „Body Positivity“. Mit den Hashtags #nofilter und #nomakeup wird auf Natürlichkeit und die Akzeptanz des eigenen Körpers gesetzt.

Cybermobbing und aggressiver Ton im Netz

Das Aussehen und „Anderssein“ von Menschen spielt auch beim Cybermobbing eine große Rolle. Mit unvorteilhaften Fotoaufnahmen, die über Klassenchats verbreitet werden, kann es beginnen, durch Hasskommentare noch gesteigert werden und mit Gewaltandrohung enden. Der Cyberkriminologe Thomas-Rüdiger Gabriel sagt: „Fast alle Heranwachsenden haben Erfahrungen mit digitaler, oft auch sexueller Gewalt“ und hält mehr Medienkompetenz-Vermittlung für absolut notwendig (vgl. Interview S. 20-22).

Der zunehmend aggressive Ton im Internet, vor allem in sozialen Netzwerken, ist ein Phänomen, das gerade die Generation Z nun häufiger an einen Rückzug aus dem virtuellen Raum denken lässt. Psychotherapeutin Dr. Deniz Kirschbaum weiß warum: Die Mehrheit der jüngeren Erwachsenen sei mit sozialen Medien aufgewachsen. Inhalte wie Hass, Mobbing oder auch sexualisierte unerwünschte Inhalte würden von jungen Erwachsenen in Teilen als „normal“ betrachtet“. Das Ausmaß dieser Inhalte werde oft unterschätzt. Erst eine höhere Potenzierung werde überhaupt wahrgenommen. So sei es nur logisch, dass diese Generation den Wunsch verspüre, sich auch einmal vom Social Web zu entfernen.

Kirschbaum kommentiert mit dieser Einschätzung eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov unter mehr als 2000 Personen ab 18 Jahren. Danach denken 20 Prozent der Befragten an „Digital Detox“. Rund die Hälfte haben schon einmal überlegt, sich aus den sozialen Medien zurückzuziehen.

Exzessive Mediennutzung und Suchtverhalten

Doch wie lässt sich das digitale Wohlbefinden bzw. die digitale Balance am besten finden? Dazu gibt es Tipps von Initiativen wie Klicksafe sowie eine Reihe von Servicematerialien der Medienanstalten. Denn eine selbstreflektierte Mediennutzung kann sich positiv auf die Gesundheit auswirken.

Die exzessive Mediennutzung durch Heranwachsende ist dennoch ein Problem, das Eltern, Pädagogisch Tätige sowie Kinder- und Jugendärzte zunehmend beschäftigt. Sorgen bereiten ihnen nicht nur körperliche Folgen wie Bewegungsmangel, Übergewicht oder Kurzsichtigkeit, sondern auch Auswirkungen auf die Psyche wie Depression oder Suchtverhalten mit Blick auf Gaming und exzessive Social Media-Nutzung.

Mediensucht-Ambulanzen wie die am Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf oder in Mainz bieten Hilfe. Doch exzessive Nutzung ist nur eines von mehreren Problemfeldern. Psychisches Unwohlsein und Ängste können zum Beispiel auch durch Krisen- und Kriegssituationen ausgelöst werden. Bei vielen Menschen führe das zu News-Müdigkeit und digitalem Burnout hat die neue Grundlagenstudie „Digitale Resilienz in der Mediennutzung“ ergeben (vgl. Interview). Die Autoren, Leif Kramp (Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen) und Stephan Weichert (Vocer Institut für Digitale Resilienz), empfehlen u.a. folgende Resilienz-Tipps zum individuellen Stressabbau: die Kontrolle der Bildschirmzeit, die Löschung überflüssiger Apps, Ruhepausen und eine Social-Media-Diät.

Kinder müssen souveränen und resilienten Umgang mit Medien erlernen

Kurz-Interview mit Dr. Stephan Weichert, Vocer Institut für Digitale Resilienz

Tendenz: Der digitale (Nachrichten) Konsum verursacht – insbesondere in Krisensituationen – bei vielen Menschen „alarmierende Symptome eines psychischen Unwohlseins“, so ein zentrales Ergebnis Ihrer Studie zur digitalen Resilienz in der Mediennutzung. News-Müdigkeit und digitaler Burnout sind die Folge. Inwiefern trifft das auch auf Kinder und Jugendliche zu?

Stephan Weichert: Unsere Befragung bezieht sich auf Menschen ab 18 Jahren. Aber durch unsere unzähligen Gespräche mit vielen Eltern ergibt sich folgendes Bild: Die Krisen bedeuten eine Belastungssituation für die ganze Familie. Väter und Mütter, auch Freunde und Verwandte sind teilweise so sehr mit der aktuellen Krisen- und Kriegslage überfordert, dass kaum noch Zeit bleibt, sich mit der Resilienz ihrer Kinder zu beschäftigen. Das kann zum Teufelskreis für die mentale Gesundheit werden, der die gesamte Familie betrifft. Denn Kinder fühlen sich oftmals alleine gelassen mit ihren Ängsten und Sorgen, die durch die allgemeine Nachrichtenlage in journalistischen und in sozialen Medien zusätzlich getriggert werden. Internationale Studien bestätigen diesen Gesamteindruck in Bezug auf Kinder und Jugendliche.

Gerade Social Media-Dienste wie Instagram oder TikTok verstärken laut der Studie digitale Abhängigkeiten und Suchtverhalten. Wie lässt sich denn mit Blick auf junge Menschen die digitale Resilienz in der Mediennutzung stärken??

Wir glauben: Die elterliche Kontroll- und Ratgeberfunktion ist ausschlaggebend dafür, dass Kinder einen souveränen und resilienten Umgang mit digitalen Medien erlernen. Dabei geht es immer um Verständnis und Empathie. Reine Verbote bewirken unserer Beobachtung nach sehr wenig. Sich also gemeinsam mit den eigenen Kindern hinzusetzen, die Dinge in Ruhe zu erklären, so dass die Kinder die schädlichen Folgen ihres digitalen Medienkonsums selbst erkennen können, betrachten wir als zielführend. Um diese Selbstwirksamkeit zu gewährleisten, brauchen Eltern und Lehrkräfte an Schulen ein Grundverständnis dafür, wie soziale Medien funktionieren. Die digitale Resilienz sollte für die Gesellschaft im Vordergrund stehen.

Die Studie hat hauptsächlich die Risiken des digitalen Medienkonsums im Blick. Welche positiven Veränderungen gibt es in Bezug auf die Generation Z?

Die Generation Z ist in Bezug auf Medien sehr selbstbewusst und betrachtet Medienkonsum als selbstverständlichen Teil ihres Lebens. Das kann man durchaus positiv auslegen. Allerdings kann dabei auch eine Menge verloren gehen - etwa soziale Kontakte, die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben, sportliche Aktivitäten, der Sinn für das "Leben da draußen". Kognitionswissenschaftler gehen davon aus, dass sich die Gehirne der Jugendlichen und Kinder evolutionär weiterentwickeln. Allerdings steigen auch die Bequemlichkeit und Passivität. Die Folgeschäden der stundenlangen Bildschirmarbeit und -freizeit werden vermutlich erst in einigen Jahren absehbar. Das kann physische und psychische Leiden wie Schlaflosigkeit, Rückenschmerzen oder Depression auslösen. Ein weiterer Superfaktor wird die Entwicklung von Systemen der Künstlichen Intelligenz sein, die Kindern und Jugendlichen schon jetzt den Eindruck vermittelt, dass sich Denkarbeit algorithmisch vollzieht: Das hemmt die Lust zur Kreativität ungemein.


Illustration: rosepistola.de / midjourney
Interview: Martin Kunze

Bild Stephan Weichert
Dr. Stephan Weichert ist Medien- und Kommunikations-Wissenschaftler, Publizist, Filmemacher und Social Entrepreneur. Gemeinsam mit Alexander von Streit leitet er das unabhängige VOCER Institut für Digital Resilienz und das mit Bundesmitteln geförderte Datenbank-Projekt NPJ.news.
Weichert arbeitet seit 20 Jahren als Lehrbeauftragter und hat verschiedene Studiengänge und Ausbildungsprogramme im Bereich Digitaler Journalismus geleitet. Er engagiert sich in zahlreichen Verbänden und Jurys, zuletzt war er stellvertretender Vorsitzender des Beirats des Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Gesellschaft in Berlin. Außerdem ist er Gründungsmitglied des gemeinnützigen Forums für Nonprofit-Journalismus.

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