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Das Virtuelle wird nicht mehr verschwinden
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Das Virtuelle wird nicht mehr verschwinden

Schon in zehn Jahren werden wir nicht mehr erkennen können, ob es sich bei Bewegtbildern um echte Video-Sequenzen oder um vom Computer generierte virtuelle Inhalte handelt. So lautet die Prognose des VR-Experten Frank Steinicke.
INTERVIEW Matthias kurp

Tendenz:  Ist der Boom in Sachen Virtuell Reality auf seinem Höhepunkt oder vielleicht schon wieder vorbei?

Frank Steinicke: Der Hype, den wir im vergangenen Jahr erlebt haben, war einfach ein bisschen übertrieben. Aber es wird weitergehen. Vom iPhone sind im ersten Jahr auch nicht viel mehr Exemplare abgesetzt worden als von der Playstation VR, von der eine Million Displays verkauft wurden. Der Hype ist also noch da, hat aber ein wenig an Realismus gewonnen. Die Technologie wird nicht mehr verschwinden.

Was ist denn eigentlich das Neue an den Datenbrillen?

Bei dem ersten Hype Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre war die Technologie längst noch nicht so weit. Die aktuellen Head-Mounted Displays profitieren massiv vom Smartphone-Bereich, zum Beispiel bei Hochleistungs-Displays, Beschleunigungssensoren oder CPU-Rechenpower.

Werden wir denn auch in Zukunft auf die riesigen Headsets angewiesen bleiben?

Die im Moment zugegebenermaßen noch recht klobigen Datenbrillen machen es uns am einfachsten, digitale Informationen über die reale Welt überzublenden. Die nächste Generation wird kleiner. Google Glass war dafür ein erster Ansatz. In etwa zwanzig Jahren wird diese Brille so klein werden, dass sie die Form einer Kontaktlinse haben wird. Dann werden wir gar nicht mehr erkennen können, ob eine Person eine solche Datenbrille hat und ob diese in Funktion ist.

Wo sehen Sie derzeit denn eigentlich noch die größten Barrieren auf dem Weg zum VR-Massenmarkt und für Anwendungen, die wir alle täglich nutzen können?

Die Hardware muss besser werden. Die aktuell vorhandenen Datenbrillen möchte ich nicht den ganzen Tag lang tragen. Wenn es wirklich gelingt, diese Technologie auf die Größe einer Kontaktlinse zu bringen, dann möchte sich niemand mehr VR-Anwendungen entziehen. Einheitliche Standards müssen VR-Applikationen außerdem noch benutzerfreundlicher machen.

Motor des Virtuell-Reality-Booms ist ja zurzeit vor allem die Games-Branche. Wird das so bleiben?

Dass viele, die auf VR-Technologien setzen, vor allem im Games-Bereich aktiv sind, liegt daran, dass in diesem Bereich die für Virtual Reality notwendigen leistungsstarken Rechner bereits vorhanden sind. Außerdem ist es gerade bei vielen Shooter- oder Adventure-Spielen wichtig, dass sich die Spieler möglichst stark mit den virtuellen Akteuren identifizieren. Da hilft natürlich der hohe VR-Immersionsgrad. Deshalb macht es Sinn, das erste Geld im Games-Sektor einzusetzen. Aber es gibt weitere Anwendungen, die bevorstehen: etwa alles, was mit dreidimensionalen Daten zu tun hat, zum Beispiel bei Architektur und Immobilien. Mit einer Datenbrille sieht man mehr als auf zweidimensionalen Plänen.

Das grenzt dann schon an Augmented Reality – oder?

Augmented Reality macht immer dann Sinn, wenn ich einen Echt-Welt-Bezug brauche. Ich kann so reale Dinge mit digitalen Informationen ergänzen, etwa wenn ich mir neue Möbel für mein Wohnzimmer aussuche. Dann kann meine Datenbrille beispielsweise einen Tisch in einen Raum projizieren, um zu zeigen, wie das aussehen könnte.

Was aber macht diese Technologie mit uns, wenn sie – ähnlich wie zurzeit die Smartphones – immer mehr zum Teil unseres Selbst wird?

Das ist eine spannende Frage. Über mögliche Folgen etwa für unser Gehirn gibt es noch keine Erkenntnisse. Solche Prozesse sind oft evolutionär, das heißt, das dauert eben mitunter mehrere tausend Jahre. Ein echter Einfluss von Internet oder Smartphones hat deshalb noch kaum stattgefunden. Wie jede Technologie hat auch Virtual Reality Gefahren und Nachteile. Am Ende wird sich aber immer nur das durchsetzen, was für die Mehrzahl der Menschen den größten Vorteil bedeutet, zum Beispiel weil wir noch schneller und besser kommunizieren oder an Informationen herankommen können.

Und was ist mit der Virtual Reality Sickness? Ist das nur ein vorübergehendes Symptom?

Schwierig wird es immer, wenn meine Sensoren sich im Konflikt befinden. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Körper weiß, dass er sich nicht bewegt, die visuelle Wahrnehmung jedoch Bewegung signalisiert. Es gibt aber auch schon Bewegungssimulatoren, die sämtliche innere Körpersinne mit kohärenten virtuellen Informationen versorgen. Stimmen die physikalischen Bewegungen, die ich wahrnehme, mit den visuellen Bewegungen überein, lassen sich Sickness-Symptome vermeiden. Außerdem kann man den Konflikt zwischen den unterschiedlichen Wahrnehmungen auch trainieren und sich daran gewöhnen. Ähnliches passiert etwa auch bei der Seefahrt.

Wenn virtuelle Realität zunehmend zu täuschend echt wirkender Konstruktion von Wirklichkeit wird, drohen dann nicht auch ethische Konflikte?

Solche Probleme haben wir ja jetzt schon. Wir können zum Beispiel bei computergenerierten Bildern nicht mehr feststellen, ob sie die Wirklichkeit abbilden. Auch bei Kinofilmen lässt sich kaum erkennen, was von Computern generiert wurde. Noch aber lassen sich solche Produktionsprozesse nicht in Echtzeit herstellen. In zehn Jahren aber werden wir selbst bei bewegten Bildern nicht mehr identifizieren können, ob es Sequenzen eines Computerspiels sind oder eine Videoaufnahme. Dann stellt sich natürlich die ethische Frage, ob ich bei digitalen Informationen immer mitteilen muss, ob diese real oder virtuell sind. Darauf muss die Gesellschaft Antworten finden.

Brauchen wir deshalb nicht einen ethischen Kodex für den Umgang mit Virtual Reality?

Darüber kann man sicher nachdenken. Wer aber soll darüber entscheiden? Dürfen wir jemandem das Recht absprechen, sich bewusst mit einer virtuellen Realität zu umgeben, wenn er diese gegen eine für ihn sonst oft triste „echte“ Realität tauschen will? Andererseits gilt es zu prüfen, ob solche Illusionswelten nicht negative Auswirkungen auf uns haben. Das alles müsste noch wissenschaftlich untersucht werden.


Fotos: jock+scott/photocase.de, rose pistola; Autoren: privat
 
 
Bild Dr. Matthias Kurp
Dr. Matthias Kurp ist Professor im Fachbereich Journalismus/Kommunikation der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln. Zuvor arbeitete er freiberuflich als Medienforscher und Journalist (Print, Online, TV, Hörfunk).
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