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Zwischen Klick-Maximierung und medienpolitischer Chance
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Zwischen Klick-Maximierung und medienpolitischer Chance

Empfehlungssysteme im Internet

Algorithmen in Form von Empfehlungssystemen strukturieren die digitale Öffentlichkeit, ohne einen eigenen inhaltlichen Beitrag für öffentliche Diskurse zu leisten. Ihre Funktion ist es, aus der unüberschaubaren Menge an Inhalten im Internet diejenigen zu selektieren, die den Usern unmittelbar vor ihrer Rezeptionsentscheidung präsentiert werden. Kommerzielle Anbieter zielen damit auf Klickmaximierung ab. Bedeuten demokratische Algorithmen, die eine selektierte Vielfalt bedienen, also eine medien­politische Chance?  

Text Valerie Rhein

Empfehlungssysteme werden u.a. von Intermediären wie Suchmaschinen und sozialen Netzwerken oder Medienplattformen eingesetzt. Die Inhalteselektion ist das Ergebnis einer häufig individualisierten, algorithmischen Kuratierung. Sie basiert eben gerade nicht auf journalistisch-redaktionellen Entscheidungen entlang eines Programmschemas. Aufgrund ihrer Selektionsfunktion sind algorithmische Empfehlungssysteme der wesentliche Meilenstein auf dem Weg von der Online-Inhaltebereitstellung hin zur Online-Inhaltenutzung. Sie haben also wesentlichen Einfluss darauf, welche Inhalte dem Netzpublikum überhaupt unterbreitet werden und spielen damit eine wichtige Rolle für den demokratischen Diskurs.

In medienpolitischen und kommunikationswissenschaftlichen Diskussionen wird deshalb häufig der Einfluss möglicherweise einseitig ausgerichteter algorithmischer Empfehlungssysteme thematisiert. Mangels Transparenz und offener Standards sei deren Wirkungsweise weder einsehbar noch nachzuvollziehen. Die Konsequenz: Zwischen Intermediären und der zunehmenden politischen Polarisierung wird ein Zusammenhang vermutet, der zu einer gesellschaftlichen Spaltung führen kann.

Eine Vermutung betrifft das Phänomen Filterblasen und Echokammern (vgl. S. 18-19). Auf Klick-Maximierung ausgerichtete Empfehlungssysteme, so die Annahme, schlagen vor allem solche Inhalte zur weiteren Rezeption vor, die zunächst besonders fesselnd sind. Wenn diese zugespitzten Inhalte bei den Usern auf fruchtbaren Boden fallen, könnten sie im nächsten Schritt radikalisierend wirken.

Demokratische Algorithmen präsentieren selektierte Vielfalt

Was kann der Gefährdung des demokratischen Diskurses durch einseitige kommerziell ausgerichtete algorithmische Empfehlungssysteme künftig entgegengesetzt werden? Zum Beispiel Empfehlungssysteme, die eine selektierte Vielfalt präsentieren und sich am Gemeinwohl orientieren. Kurz gesagt: demokratische Algorithmen, die nicht nur das bedienen, was die Rezipientinnen und Rezipienten ohnehin schon vorher dachten, kannten oder wussten. So beschäftigt sich zum Beispiel das Forschungsteam des Projektes „Coding Public Value“ mit der Frage, ob es möglich ist, eine gemeinwohlorientierte Software für öffentlich-rechtliche Medienplattformen zu entwickeln.

Sind die präsentierten Inhalte diversifiziert, bekommen die User auch solche Inhalte vorgeschlagen, die nicht ohnehin Teil ihres privaten-politischen Umfeldes sind. Solche Empfehlungssysteme können den demokratischen Diskurs sogar fördern, indem radikalisierende Inhaltsschleifen nicht mehr stattfinden. Wo also liegt das Potenzial solcher demokratischen Algorithmen und wo liegen die Grenzen bei der Umsetzung?

Algorithmische Empfehlungssysteme können unterschiedlich ausgestaltet sein. Im Einsatzbereich von Medienhäusern arbeiten sie häufig metadatenbasiert. Das heißt: Die im Content-Management-System vorhandenen Inhalte werden gekennzeichnet und vernetzt. In einem weiteren Schritt erfolgt – abhängig von den ausschlaggebenden Nutzungsdaten – die automatisierte Selektion passgenauer Inhalte, die dann personalisiert präsentiert werden.

Kommerzielle Anbieter setzen Empfehlungssysteme in der Regel ein, um die Verweildauer der Rezipienten zu erhöhen und auf diese Weise ihre Werbeeinnahmen zu maximieren. Da sie annehmen, dass die Verweildauer vor allem durch polarisierende und zuspitzende Inhalte erreicht wird, sind ihre Empfehlungssysteme entsprechend konzipiert. Sie bedienen das bereits vorhandene Meinungsspektrum innerhalb der weiteren Vorschläge und präsentieren in der Folge sogar noch spitzere Varianten. Der Erfolg von Intermediären wie YouTube und Facebook soll zum Teil auf genau diese Praxis zurückzuführen sein.

Öffentlich-rechtliche Medienplattformen als Einsatzort

Wenn von dieser Praxis abgewichen werden soll, braucht es externe positive Anreize durch Regulierung oder unternehmensinterne Motivationen. Eine konkrete Perspektive zum Einsatz demokratischer Algorithmen bieten die Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf Medienplattformen. Er ist bei all seinen Aktivitäten verfassungsrechtlich dazu verpflichtet, sich am Vielfaltsgebot auszurichten und dem demokratischen Gesamtgefüge zu dienen.

Alle gesellschaftlichen Gruppen und Meinungen sollten innerhalb des Programms und der Inhalte repräsentiert sein, damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Beitrag zur freien öffentlichen und individuellen Meinungs- und Willensbildung leisten kann. Diskutiert wird zur Zeit, ob er aufgrund seiner besonderen Funktion auch zum Einsatz demokratischer Algorithmen verpflichtet ist.

Auch wenn das nach herrschender Verfassungsinterpretation noch nicht der Fall ist, enthält der aktuell diskutierte Novellierungsentwurf des Medienstaatsvertrags (MStV-E) bereits einen Passus zur Einführung „demokratischer Algorithmen“. In § 30 Abs. 4 S. 2 MStV-E wird vorgeschlagen: Soweit in öffentlich-rechtlichen Telemedienangeboten Empfehlungssysteme genutzt oder angeboten werden, sollen diese einen offenen Meinungsbildungsprozess und breiten inhaltlichen Diskurs ermöglichen. Ein Einsatz algorithmischer Empfehlungssysteme wird dann begrüßt, wenn sie diskursfördernd sind – also gerade nicht so konzipiert werden wie von kommerziellen Anbietern.

Sollte der MStV-E entsprechend oder ähnlich umgesetzt werden, könnte schon bald die Einführung demokratischerer Standards innerhalb öffentlich-rechtlicher Medienplattformen erfolgen. Damit wäre ein Grundstein für den Weg in eine gemeinwohlorientierte, öffentlich-rechtliche digitale Öffentlichkeit gelegt.

Forschungsprojekt „Coding Public Value“

Zwischenergebnisse des interdisziplinären Forschungsprojektes „Coding Public Value“ belegen: Eine Veränderung algorithmischer Systeme ist kein simples Unterfangen. Es fehlen Standards, um vergleichbare algorithmische Systeme auf den Weg zu bringen, die die Generierung einer präsentierten Vielfalt zum Ergebnis haben könnten. Das liegt auch daran, dass unklar ist, welches Modell von Demokratie und damit auch von Vielfalt überhaupt umzusetzen wäre.

Außerdem zeigen Befragungen im öffentlich-rechtlichen Bereich, dass zwar längst ein Bewusstsein für die Problematik besteht, die Umsetzung eines wertebasierten Software-Engineerings allerdings komplex ist. Es sind häufig normativ nicht geschulte Einzelpersonen bzw. kleine Teams, die ein wertebasiertes Design umsetzen sollen – ohne dass sie bei der Interpretations- wie Übersetzungsleistung abstrakter Konzepte in mathematische Standards ausreichend unterstützt würden.

Demokratische Algorithmen werden also, unabhängig von ihrem konkreten Einsatzort, nicht bloß durch leichte Verschiebungen innerhalb von Programmierungen entstehen. Damit sich der medienpolitische Wunsch zu einer wirklichen Perspektive entwickeln kann, bedarf es eines erheblichen Mehraufwands. Der Weg in eine freiere digitale Öffentlichkeit muss erst noch gebahnt werden.

Auch wenn private Anbieter zunehmend öffentlich-rechtliche Standards nutzen, ist zu betonen, dass die Umgestaltung algorithmischer Systeme nur eine Stellschraube ist, an der weiter für eine diskursfördernde, digitale Öffentlichkeit gedreht werden muss. Sie ist eingebettet in eine Vielzahl notwendiger Veränderungen, die Teil aktueller Regulierungsbestrebungen sind. Dafür sind aber neben dem Einsatz demokratischer Algorithmen noch weitere Veränderungen im Online-Ökosystem notwendig: beispielsweise die Identifizierung von Akteuren und Wirkungsmechanismen, die der Meinungsvielfalt entgegenstehen. 

Bild Christian Strohmeier
Valerie Rhein ist als Doktorandin im Projekt „Coding Public Value“ tätig und am Leibniz-Institut für Medienforschung assoziiert. Sie studierte Medien und Kommunikation und im Anschluss Rechtswissenschaften. Ihr Interesse gilt insbesondere den rechtlichen Herausforderungen einer sich wandelnden Medienlandschaft.
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