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Warum Transparenz im Fall von Microtargeting so wichtig ist
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Warum Transparenz im Fall von Microtargeting so wichtig ist

Personalisierte politische Werbung auf digitalen Plattformen

Gesellschaftliche Debatten, politische Meinungsbildung, Wahlkampf – das alles findet zunehmend im Internet statt. In diesem Zusammenhang gewinnt auch personalisierte politische Werbung in sozialen Medien an Bedeutung. Denn Microtargeting ermöglicht die daten­gestützte, zielgruppenspezifische Ansprache. Was ist hier erlaubt? Wo liegen Gefahren?

Text Nele Heins

Was ist politische Werbung?

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist elementar. Es gilt für alle – auch für Influencerinnen und Influencer auf Instagram und Videoblogs auf YouTube. Aber wo verläuft die Grenze zwischen Meinung und Werbung, insbesondere im politischen Kontext?
Werden Influencerinnen und Influencer von einer politischen Partei dafür bezahlt, im Wahlkampf für sie Position zu beziehen und im Rahmen von Posts oder Tweets das Parteiprogramm zu loben, handelt es sich um politische Werbung. Auch „klassische“ Anzeigen oder Wahlwerbespots von Parteien, die Plattformen wie Google, Facebook und Co. gegen Entgelt ausspielen, fallen in diese Kategorie.
Auftraggeber politischer Werbung müssen aber nicht zwingend Parteien sein. Finanzieren Unternehmen oder Privatpersonen Kampagnen mit dem Ziel, die öffentliche Meinungsbildung zu gesellschaftspolitischen Fragen oder Entscheidungen im Politikbetrieb zu beeinflussen, gilt das ebenfalls als politische Werbung.

Wann ist politische Werbung im Internet zulässig?

Ob politische Werbung im Internet erlaubt ist, hängt zunächst einmal davon ab, wo sie veröffentlicht wird. In Online-Angeboten, die im Wesentlichen aus statischen Bildern und Text bestehen (Websites, Blogs, statische Instagram-Beiträge u.a.) ist politische Werbung gestattet. Dies gilt seit Inkrafttreten des Medienstaatsvertrags (MStV), der im November 2020 den bis dahin geltenden Rundfunkstaatsvertrag ablöste.
In so genannten rundfunkähnlichen Angeboten, die sich aus Video- und/oder Audio-Inhalten zusammensetzen (On-Demand-Videos in Mediatheken, YouTube-Videos, Podcasts u.a.), ist politische Werbung hingegen unzulässig. Hintergrund ist die Suggestivkraft, die Rundfunkangeboten zugeschrieben wird. Deshalb ist in Deutschland politische Werbung in Radio und Fernsehen ebenfalls verboten.
Um Transparenz für Nutzende herzustellen, sieht der Medienstaatsvertrag die eindeutige Kennzeichnung von politischer Werbung vor. So muss gleich zu Beginn eines entsprechenden Beitrags deutlich auf den Werbetreibenden hingewiesen werden, etwa mit Formulierungen wie „finanziert durch die Stiftung X“ oder „Anzeige von Partei Y“. Damit sollen Medienuser erkennen können, wann sie mit bezahlten Meinungsäußerungen konfrontiert werden und wer sie zu beeinflussen versucht.
Weitere Informationen zur Kennzeichnung von politischer und Wirtschaftswerbung bieten das von den Landesmedienanstalten herausgegebene Merkblatt „Politische Werbung in Rundfunk und Telemedien“ sowie der Leitfaden zur „Werbekennzeichnung bei Online-Medien“ (vgl. Infokasten, S. 30).

Microtargeting: Herausforderung für die Medienaufsicht

Das Transparenzgebot bei der Regulierung politischer Werbung im Medienstaatsvertrag war ein wichtiger Schritt. Aufgrund der wachsenden Bedeutung von Online- und insbesondere sozialen Medien auf die Meinungsbildung der Bevölkerung bestand dringender Handlungsbedarf. Allerdings erfordern fortlaufende technische Entwicklungen und neue Formen der Kommunikation die ständige Überprüfung bestehender Regeln. Eine neue Herausforderung für die Medienaufsicht stellt das Microtargeting dar – eine datengestützte Kommunikations- bzw. Marketingstrategie, die den Einflus auf das Kaufverhalten und die politische Meinungsbildung zum Ziel hat.
Dahinter steht die Idee, dass durch gezielte Ansprache kleiner Gruppen eine höhere Akzeptanz von Botschaften erreicht werden kann. Die Auswertung von Daten, die beim Besuch einer Website oder der Verwendung einer App hinterlassen werden, ermöglichen eine Gruppenzuordnung der Nutzerinnen und Nutzer – nach demografischen, religiösen, politischen oder sonstigen Kriterien.
Wirtschaftsunternehmen nutzen diese Informationen dazu, Werbung gezielt einem Personenkreis anzuzeigen, der aus potenziellen Kaufinteressierten besteht. Also Menschen, die vielleicht in der Vergangenheit bereits bestimmte Produkte erworben haben oder die im Einzugsgebiet eines Geschäfts leben. Während User die Ausspielung adressierter Werbung unter Umständen als Mehrwert empfinden, solange es um Produkte oder Dienstleistungen geht, kann Microtargeting im demokratischen Diskurs eine Gefahr darstellen.

Welche Auswirkungen hat Micro­targeting auf das Wahlverhalten?

Weder Plattformen noch politische Parteien geben bisher detailliert Auskunft da­rüber, welche Targeting-Kriterien bei der Ausspielung von adressierter politischer Werbung herangezogen werden. Dass Parteien personenbezogene Online-Daten nutzen, um gezielt Wähler und Wählerinnen mit ihren Kampagnen zu erreichen, konnten Simon Hegelich und Juan Carlos Medina Serrano in der Studie „Microtargeting in Deutschland bei der Europawahl 2019“ nachweisen, die u.a. von der BLM beauftragt wurde. Die Forscher hatten Zugang zu den Werbearchiven von Facebook und Google und untersuchten, welche Parteien zwischen dem 15. März 2019 und dem 02. Juni 2019 auf Facebook, Instagram, in der Google-Suche und auf YouTube Werbung geschaltet hatten und nach welchen Kriterien die Anzeigen den Nutzenden ausgespielt wurden. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass der Einfluss von Microtargeting in Deutschland 2019 zwar noch relativ gering war, diese Art der Werbung aber das Potenzial hat, das Wahlverhalten bestimmter Bevölkerungsgruppen zu beeinflussen.
Zwei Jahre später folgte das Forschungsprojekt „Politische Werbung und koordiniertes Verhalten in sozialen Medien im Vorfeld der Bundestagswahl 2021“, zu dessen Auftraggebern auch die BLM gehörte. Das Ziel: die Targeting-Strategien deutscher Parteien im Wahlkampf zu analysieren. Ein zentrales Ergebnis: Microtargeting wird immer noch sehr begrenzt eingesetzt und auch nicht immer unbedingt zielgruppenspezifisch aufbereitet – aber: Mehr Einsicht in Targeting-Kriterien wäre wünschenswert.
Generell lässt sich also feststellen: Die Möglichkeit, in sozialen Medien zielgerichtet politische Informa­tionen zu übermitteln, kann dazu führen, dass Themen einseitig und verzerrt wahrgenommen werden. Im Wahlkampf besteht die Gefahr, dass Politikerinnen und Politiker oder Parteien widersprüchliche Positionen verbreiten und ihr wahres politisches Programm verschleiern. Im schlimmsten Fall kann die Bildung unterschied­licher Teilöffentlichkeiten im Internet dazu führen, die Spaltung der Gesellschaft zu fördern (vgl. S. 18-19). Da diese Art der Kommunikation direkt und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, ist es auch für die Forschung und Aufsichtsbehörden schwierig, hier Irreführung zu erkennen und einzuschreiten.
Nutzende müssen laut gesetzlichen Vorgaben erkennen können, bei welchen Online-Inhalten es sich um politische Werbung handelt und in wessen Auftrag sie geschaltet wurde (auch bei der Weiterleitung durch Dritte). Es gibt aber keine Vorgaben offen­zu­legen, warum jemand einen bestimmten Inhalt angezeigt bekommt. Dass die bestehenden Regelungen nicht ausreichen, um Microtargeting für Mediennutzende sowie für Aufsichtsbehörden transparent zu machen, hat auch die Europäische Union (EU) erkannt.  

Forderung nach Transparenz

Bereits 2019 hatte sich das EU-Parlament mit Facebook, Google und Twitter auf den „Code of Conduct“ verständigt, in dem die Anbieter sich verpflichtet haben, die auf ihren Plattformen geschaltete Werbung zu archivieren und über Schnittstellen zugänglich zu machen. Die Daten zur Verbreitung politischer Werbung, die so gewonnen werden können, lassen aber lediglich Rückschlüsse über Targetingstrategien von Werbepostings zu.
Der „Digital Services Act“ der EU, der die Plattformen zu mehr Transparenz verpflichten will, enthält neue Regelungen in Bezug auf Microtargeting. Demnach sollen sensible Daten – wie Informationen zur sexuellen Orientierung, der politischen Einstellung oder religiösen Überzeugung – nur noch sehr begrenzt herangezogen werden dürfen, um personalisierte Werbung auszuspielen.
Die von der EU für 2023 geplante „Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung“ sieht vor, dass Plattformen es den Usern anzeigen müssen, wenn sie personalisierte politische Werbung ausgespielt bekommen. Außerdem soll erkennbar sein, auf welchen Algorithmen diese Zuspielung basiert.
​​​​​​​Den Ansatz, Microtargeting für Nutzende und Aufsicht kenntlich zu machen, begrüßen auch die Landesmedienanstalten. So forderte der Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), Dr. Thorsten Schmiege, bereits auf den Medientagen 2021 in München: „Wir brauchen klare Regeln für den digitalen Wahlkampf. […] Deshalb muss Microtargeting bei politischer Werbung gekennzeichnet werden. Transparenz statt Verbote ist dabei die Leitlinie.“ Die geplanten EU-Vorhaben mit nationalen Regeln, etwa denen des Medienstaatsvertrags, zusammenzuführen, stellt eine Herausforderung für die nahe Zukunft dar. Es geht darum, einheitliche Definitionen von Schlüsselbegriffen zu formulieren, sich darauf zu verständigen, wie die Kennzeichnung von Microtargeting genau aussehen soll und wer die Einhaltung der Bestimmungen künftig kontrolliert. 

Bild Bettina Pregel
Dr. Nele Heins ist Fachreferentin für Werbung in der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). Sie hat Geschichte und Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert.
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