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Ethik des Anstands im Umgang mit KI entwickeln
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Ethik des Anstands im Umgang mit KI entwickeln

Ein Kommentar von BLM-Medienrätin Johanna Haberer

Von „Achsenzeiten“ sprach der Philosoph Karl Jaspers. Er meinte damit jene Wendepunkte in der Geschichte der Menschheit, in denen sich alles für immer verändert und nichts mehr sein wird wie zuvor. Wir leben wieder in einer Achsenzeit, und ihr Name ist: die Künstliche Intelligenz. Wir sind Zeugen eines technischen Fortschritts, der sich in nie dagewesener Geschwindigkeit vollzieht. Viele in den 1940, -50er und auch -60ziger Jahren Geborene fühlen sich, als seien sie ältliche Komparsen in einem Sciencefiction-Film. Die sogenannte KI – übrigens ein gelungenes Marketing-Schlagwort – durchzieht inzwischen unser Leben in allen Dimensionen.

Künstliche Intelligenzen organisieren die Arbeit in der Produktion von Autos oder Landmaschinen, sie errechnen die Kaufkraft von Kunden bei Käufen im Netz, sie wählen Mitarbeitende aus und errechnen die Perspektiven von Freigängern unter den Gefängnisinsassen. Sie regeln den Verkehr, fahren Straßenbahnen und Busse. Sie dringen Stück für Stück vor in die letzten Rückzugsorte der menschlichen Seele: Sie besorgen Partnerinnen und Partner und kennen unsere Gesundheitsdaten.

Computer beginnen mit uns zu sprechen, Maschinen begegnen uns mit freundlicher Einfühlsamkeit, ja scheinbarer Zuneigung. Sie revolutionieren das Lernen und die Bildung. Sie konzipieren Texte, malen Bilder und dichten. Sie haben die Fähigkeit, nicht nur unsere Bewegungen im Blick zu behalten. Nein, sie wissen auch, womit wir uns beschäftigen, was wir denken, und sie sagen voraus, was wir uns wünschen und demnächst vorhaben werden. Kurz: Sie verändern unsere Gesellschaft.

Zwischen der Vision einer besseren Welt und Furcht

Der frühere CEO von Google, Eric Schmid, schrieb vor einigen Jahren: „Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen mehr oder weniger, worüber du nachdenkst.“ Und er fährt fort: „Ich denke, wenn wir es richtig angehen, können wir alle Probleme der Welt lösen.“

Diese „Lösung aller Probleme“ waren für Schmid damals Algorithmen, die unterschiedliche Funktionen erledigen und unsere ganz Welt durchdringen, wie die Elektrizität. Damals war KI der Stolz der Entwickler, sie eröffnete die Vision einer besseren Welt. Perfekt und fehlerlos. Befreit vom menschlichen Makel. Heute löst KI eine Menge Furcht aus.

Kürzlich haben die wichtigsten Tech-Experten der westlichen Welt in einem gemeinsamen „Aufschrei“ ein Moratorium bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz gefordert. Der Grund: Künstliche Intelligenz sei mittlerweile sehr weit gediehen und nunmehr in der Lage, sich selbst auf undurchschaubare Weise und nach eigenen Regeln weiter fortzuentwickeln, so dass sie unkontrollierbar wird und womöglich bald die Fähigkeit erlangen könnte, die Menschheit zu dominieren oder gar zu zerstören.

Menschliche Letztverantwortung notwendig

KI dient in China dazu Menschen zu domestizieren, in Russland sie zu überwachen. Sie ist ein wichtiger Teil moderner Kriegsführung und kann die Lebensadern ganzer Kontinente lahmlegen. Es steht außer Frage, dass die KI-Systeme Gesetze benötigen – landesweite und europäische, die ihren Einsatz kontrollieren und die menschliche Letztverantwortung festschreiben. Einiges ist auch schon geschehen. Und diejenigen, die beispielsweise unter Datenschutzverordnungen stöhnen, sollten sich erstmal kundig machen, wie nackt und gläsern die Nutzerinnen und Nutzer im Netz dastünden, ohne entsprechende Regelungen.

Denn die Welt des Internets, organisiert durch KI, droht ein einziges Kaufhaus für unsere Daten zu werden. Dabei werden Werte wie der Schutz unserer Privatsphäre allerorts unterhöhlt. Das Wichtigste jedoch ist, dass die Nutzenden selbst gebildet und ermächtigt werden, sich vor Übergriffen zu schützen und zugleich eine Ethik des Anstands im Umgang mit den künstlichen Intelligenzen entwickeln. Zum Schutz einer menschenwürdigen Kultur des vernetzten Umgangs ist es deshalb nötig, spätestens bei den Elfjährigen breite Bildungs- und später Weiterbildungsoffensiven zu starten: zum Erhalt unserer politischen und gesellschaftlichen Kultur.

Abbildung: 

Bild Johanna Haberer
Johanna Haberer vertritt im Medienrat der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien die evangelische Kirche. Die Theologin und Journalistin war von 2001 bis 2022 Professorin für Christliche Publizistik am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
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