Cookie Hinweis

Suche

Tendenz

Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien

Der Mensch wird auch künftig die zentrale Rolle im Leben spielen
zur Übersicht aller ArtikelAlle Artikel zur Übersicht aller AusgabenAlle Ausgaben

Der Mensch wird auch künftig die zentrale Rolle im Leben spielen

Der Informatiker Prof. Dr. Albrecht Schmidt sieht Künstliche Intelligenz als „bahnbrechende Entwicklung“. Er vergleicht ihr Potenzial mit der Erfindung der Schrift, warnt aber auch deutlich vor Verklärung oder apokalyptischen Szenarien. KI werde alle Wirtschaftszweige und gesellschaftlichen Bereiche verändern. Eine wesentliche Rolle spielt für ihn die Frage nach der Wahrnehmung von Realität. Vertrauen werde für die Medien eine der größten Herausforderungen sein.

Text Bettina Pregel

Tendenz: Haben Sie heute schon ein Problem oder eine Aufgabe mit Künstlicher Intelligenz gelöst? Wenn ja, welche?

Prof. Dr. Albrecht Schmidt: Klar, schon mehrere. Während ich diesen Text tippe, schlägt mir Office eine Wortvervollständigung vor. Manchmal erspare ich mir das Schreiben und nehme den Vorschlag an, und das ist natürlich KI. Zuvor hatten wir eine Diskussion über ein Produktlogo und haben uns durch das Bildprogramm midjourney inspirieren lassen und dann mit ChatGPT eine einfache HTML-Seite zum Testen erstellt. Hier zeigt die generative Künstliche Intelligenz Bilder zu einem „Prompt“, also einer Texteingabe. Bei jeder WhatsApp-Nachricht, die ich heute schreibe, ist eine KI im Hintergrund, die meine Tastendrücke auf der Bildschirmtastatur erkennt und Wortvorschläge macht. KI ist mittlerweile in so vielen digitalen Alltagsprodukten enthalten, dass es sehr schwierig wird, an alle zu denken.

KI ermöglicht einen Entwicklungssprung so wie die Erfindung der Schrift

Die Diskussion über KI bewegt sich in Deutschland zwischen Verklärung (bahnbrechende Revolution) und apokalyptischen Szenarien (Bedrohung der Menschheit). Wo stehen Sie auf dieser Skala?

Ich sehe eher die Möglichkeiten und Chancen, die sich ergeben. Es ist wirklich bahnbrechend, was da gerade passiert. Wir sollten das nicht verklären und es ist aus meiner Sicht auch keine Revolution. Es ist eine extrem schnelle Entwicklung, die in kurzer Zeit viele digitale Produkte grundlegend verändern wird. Für die Bedrohung der Menschheit und für apokalyptische Szenarien brauchen wir keine KI – dafür reichen Menschen.
KI wird uns ermöglichen, Dinge zu tun, die bisher nicht möglich waren, und Dinge zu verstehen, die bisher zu komplex waren. Ohne es zu verklären, würde ich es mit der Erfindung der Schrift vergleichen. Bevor die Menschen Dinge aufschreiben konnten, war das Merken von Dingen von zentraler Bedeutung. Nachdem man Dinge aufschreiben konnte, verlor diese Fähigkeit an Wert. Schreiben, Lesen sowie die Synthese und Interpretation von Wissen traten in den Vordergrund. Das hat zu einem Entwicklungssprung der Menschheit geführt. Mit großen Sprachmodellen, wie wir sie in ChatGPT sehen, verlieren nun einige dieser Fähigkeiten an Wert. Wir haben die Chance, uns weiterzuentwickeln, neue Fähigkeiten zu erwerben. Wir wissen nur noch nicht welche.

Wie wird diese Technologie die Realität verändern? Und vor allem: Welche Auswirkungen wird sie auf die Medienwelt haben?

Was ist Realität und wie nehmen wir sie wahr? Diese Frage wird an Bedeutung gewinnen. Bereits jetzt ist die Realität extrem stark durch Medien geprägt. Ob Ukrainekrieg, Lehrermangel oder die Molekülstruktur von Methan, nur wenige haben eine persönliche Erfahrung damit.
Bisher waren wir es gewohnt, Sachen, die wir sehen, als real zu akzeptieren. Mit generativer KI werden wir uns schnell umstellen. Wir werden davon ausgehen, dass das, was wir sehen, nicht der Realität entspricht. Wenn wir ein Bild sehen oder ein Video, werden wir in der sehr nahen Zukunft davon ausgehen, dass es künstlich erzeugt ist. Wir werden lernen, dass Bilder und Videoaufnahmen eben nicht die Wirklichkeit abbilden. Die Umstellung wird vermutlich nicht einfach sein, aber sehr schnell vonstattengehen. Wir werden verstehen müssen, dass Medien immer nur eine Interpretation der Realität sind und dass Bilder an Wert verlieren.
Das Spannende daran ist, dass der Wert der nicht digitalen Realität für Menschen wieder mehr Raum einnimmt. Echte Wirklichkeit – die wirklich real ist – wird man nur in der echten physischen Welt erleben können. Wer Realität will, muss dann rausgehen – in den Wald, in den See oder auf den Berg.

Automatisierung bedeutet nicht, dass Berufe verschwinden

In welchen Bereichen – von Medien über Mobilität bis zur Medizin – sehen Sie das größte Potenzial für KI-Anwendungen?

Ich glaube, es wird alle Wirtschaftszweige und gesellschaftlichen Bereiche verändern. Alles, was heute als „Wissensarbeit“ bezeichnet wird, profitiert vom KI-Einsatz. Überall, wo Menschen Daten und Texte mit Maus und Tastatur am Bildschirm verarbeiten, bestehen Chancen zur teilweisen Automatisierung. Journalismus, Management, Consulting, Software-Entwicklung oder medizinische Diagnostik sind nur einige Bereiche, in denen Aufgaben von KI übernommen oder beschleunigt werden. Das bedeutet nicht, dass diese Berufe verschwinden. Sie werden sich aber verändern. Aufgaben, die eine physische Interaktion benötigen (z.B. einen Küchenabfluss zu reparieren), sind für Menschen bisher viel einfacher als für KI. Roboter sind einfach noch nicht so weit.

Die generative KI wie ChatGPT ist derzeit in aller Munde. Warum ist Artificial Intelligence mehr als nur ChatGPT?
Sprachmodelle, wie sie in ChatGPT stecken, sind nur eine Form von KI. Bilderkennung, wie sie in der Medizin oder beim autonomen Fahren eingesetzt wird, ist nicht weniger spannend. Die Generierung von Bildern und Filmen bekommt aktuell auch viel Aufmerksamkeit. Wenn es möglich wird, ganze Sendungen zu generieren (Tagesschau mit einer generierten Sprecherin oder eine Talkshow, in der die Personen und Dialoge mit KI erzeugt werden), könnten sich Abläufe und Formate massiv verändern.
Die aktuellen Ansätze in der generativen KI können aus einer großen Menge bestehender Daten neue Dinge „kreativ“ erzeugen. Das hat großes Potenzial. Gleichzeitig ist das auch die Schwäche – wo nicht viele Daten vorliegen, da hat es generative KI (noch) schwer. Für Menschen ist das hingegen kein Problem. 

KI wird den Lebens- und Arbeitsalltag massiv verändern. Bitte nennen Sie uns doch ein paar Beispiele.
 

Wir werden bei der Erstellung von Texten Werkzeuge verwenden, die sowohl das Schreiben beschleunigen (z.B. Satzvervollständigung und individualisierte Textvorlagen) als auch die grammatikalische und orthografische Qualität erhöhen. Schreiben, Lesen und Kommunizieren in Sprachen, deren wir nicht mächtig sind, wird für die meisten Anwendungsfälle mit KI möglich sein. Bei der Erstellung von Software und der Gestaltung von Webseiten und Apps werden wir die „Programmierung“ – also das Beschreiben, was wir möchten – auf einer höheren Abstraktionsebene durchführen. Dokumente, die heute mit großem Aufwand erstellt werden (Anträge, Steuererklärungen, Anklageschriften, Widersprüche, Geschäftsberichte), können in Zukunft zu großen Teilen automatisiert werden. Lerninhalte werden individuell auf die Interessen, Bedürfnisse und das Vorwissen der Lernenden abgestimmt, und es wird individualisiertes Feedback erzeugt (vgl. S. 26 – 28).

Wir werden wieder stärker dem direkten Umfeld vertrauen

Damit verbunden ist auch ein gesellschaftlicher Wandel, vor allem, was die Information betrifft.

Information wird sehr viel mit Vertrauen zu tun haben. Denn es kommt auf die Auswahl der Information an – ich kann mit wahren und nachprüfbaren Informationen trotzdem Desinformation betreiben. Informationsmonopole wird es vermutlich weniger geben. Wir werden als Gesellschaft vermutlich wieder stärker dem direkten Umfeld vertrauen, in dem wir unsere eigenen Erfahrungen machen. Wir werden über Netzwerke anderen vertrauen – nicht, weil wir es im Bild oder im Video sehen – sondern, weil wir bestimmten Personen vertrauen. Das birgt Risiken (wie man aktuell bei Influencern sieht), aber auch das Potenzial, dass wir Vertrauensketten aufbauen können.

Wenn die digitale Informationsflut auch durch Algorithmen selektiert wird, was bedeutet das für das Informationsverhalten der Menschen?

Die Informationsmengen werden weiter steigen. Wenn wir zulassen, dass jeder mit jedem kommunizieren kann, brauchen wir zwangsläufig Algorithmen, die die Auswahl treffen. Aber wir entscheiden, nach welchen Regeln diese Algorithmen selektieren. Diese Regeln werden von Unternehmen oder Regulierungsbehörden aufgestellt. Wir haben hier Spielraum, wir können gestalten! Ich gehe davon aus, dass die Auswahl individueller wird. Die Medienmacher werden erklären, wie ihre Auswahl zustande kommt. Mehr Transparenz über die Parameter, welche die Auswahl steuern, halte ich grundsätzlich für eine sehr gute Sache. Eine neutrale Berichterstattung gab und gibt es selten. Daher können Transparenz und der Personalisierungsgrad, die vom Medienkonsumenten selbst – und nicht von Unternehmen oder einer Behörde – bestimmt werden, eine positive Entwicklung bringen.

Kennzeichnung ist schwierig und langfristig keine Lösung

Und wie lässt sich Vertrauen der Rezipienten in Medien herstellen, wenn nicht gekennzeichnet ist, ob der Inhalt mit Hilfe von KI erstellt wurde?

Ich glaube, dass die Kennzeichnung schwierig ist. Dann müsste mittelfristig fast alles gekennzeichnet werden. Wenn KI heute zur Bildverbesserung eingesetzt wird, muss ich ein solches Bild markieren? Wenn ich mit automatischer Rechtschreibprüfung und Wortvervollständigung schreibe, muss ich das markieren?

Ich denke, mittelfristig brauchen wir andere Mechanismen, um Vertrauen zu schaffen. Die Intention und die Einstellung desjenigen, der den Text erstellt, ist zentral und sollte mit dem Text veröffentlicht werden.

Insgesamt denke ich, dass Vertrauen die zentrale Herausforderung für die Medien ist. Ein wesentlicher Aspekt ist aus meiner Sicht, dass die erlebte Realität mit der medialen Erfahrung übereinstimmen muss. Sonst schwindet das Vertrauen. Wenn ich auf einer Demonstration war, die ich als friedlich erlebt habe und diese im Fernsehen als bedrohlich dargestellt wird, verliere ich Vertrauen. Und damit sind wir wieder bei der Intention der Berichtenden.

Mensch und Maschine – welchen Anteil wird der Faktor Mensch im Verhältnis zur Maschine in Zukunft haben?

Der Mensch wird auch in Zukunft die zentrale Rolle im Leben spielen. Wir werden bestimmte Aufgaben vereinfachen, KI als Werkzeug einsetzen und einige Tätigkeiten beschleunigen. Ich denke, wir werden neue Ideen haben und die Gesellschaft positiv weiterentwickeln. Vielleicht schaffen wir es durch die Effizienzsteigerung mittels KI, dass wir weniger und sinnvoller arbeiten, also mehr in der physischen Realität interagieren

Zur Person:
Der Informatiker Prof. Dr. Albrecht Schmidt beschäftigt sich an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit Fragen der Interaktion von Mensch und Computer. Weitere Forschungsschwerpunkte sind ubiquitäre Computersysteme und Medientechnologien. In seinen Arbeiten geht es darum, den menschlichen Verstand durch digitale Technologien zu erweitern. Aktuell erarbeitet sein Team Lösungsansätze für die menschzentrierte Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI).
 

Illustration: rosepistola.de / midjourney
 

Bild Bettina Pregel
Bettina Pregel ist stv. Pressesprecherin und Redakteurin der Tendenz in der Gruppe Kommunikation der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. Die Pressereferentin arbeitete zuvor bei Tageszeitungen und Fachzeitschriften.
 
zur Übersicht aller AusgabenAlle Ausgaben zur Übersicht aller ArtikelAlle Artikel

Artikel teilen

Aufnahme in den Verteiler

TENDENZ als pdf

  • TENDENZ 2/23
  • (PDF, 5 MB)

Info

Bildnachweis 1/23