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Tendenz

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Mission Mehrwert

Sagen, „was ist“ und was für alle relevant sein soll – Ellen Heinrichs hält es für notwendig, dieses Selbstverständnis von Journalismus im digitalen Zeitalter kritisch zu hinterfragen. Die Gründerin des Bonn Institute plädiert dafür, eine Dienstleistungshaltung zu entwickeln und die Bedürfnisse der Mediennutzenden ernst zu nehmen. Tendenz hat die Medientage-München-Speakerin gebeten, zu skizzieren, was konstruktiver Journalismus leisten sollte.

Text Ellen Heinrichs

„Wenn ich rein nach den Klicks gehen würde“, sagte mir schon Ende März der Chefredakteur einer großen Regionalzeitung, „könnte ich die Ukraineberichterstattung auch gleich wieder lassen“. Krieg klicke einfach auf Dauer nicht.

Ähnlich verhält es sich mit einem anderen bedrohlichen Thema – der Klimakrise. Bis auf wenige Ausnahmen sei damit keine Reichweite zu machen, höre ich immer wieder aus den Redaktionen. Das in Umfragen oft belegte, große Interesse der Bevölkerung an Klimathemen schlage in der digitalen Mediennutzung zumeist nicht durch.

Die Frage ist – wer hat hier eigentlich ein Problem? Die Mediennutzenden, die einfach nicht wissen, was sie wollen, oder der Journalismus, dem es nicht gelingt, Nutzerinteressen angemessen zu bedienen?

Vertrauen in Nachrichten groß, aber Trend zur News-Vermeidung

Lassen Sie uns zusammentragen, was wir bereits wissen: Das Vertrauen der Deutschen in Nachrichten ist im internationalen Vergleich weiterhin sehr groß. Der überwiegende Teil der Bevölkerung gibt auch an, sich regelmäßig zu informieren. Das ist eine gute Nachricht.

Allerdings: Viele fühlen sich nach dem Nachrichtenkonsum miserabel – was ein Grund dafür ist, dass fast zwei Drittel der Erwachsenen in Deutschland zumindest gelegentlich aktiv Nachrichten vermeiden. Das war kürzlich nachzulesen im jährlich erscheinenden Digital News Report des Reuters Institute an der Universität Oxford. Als weiteren Grund für diese so genannte „News Avoi­dance“ führt die Studie eine aus Sicht der Nutzenden übermäßige Berichterstattung über Themen wie Politik und Corona an.

Zudem haben auffällig viele jüngere Menschen den Eindruck, dass Nachrichteninhalte häufig zu Streitigkeiten führen
(21 Prozent). Manche können zudem mit den Informationen nicht wirklich etwas anfangen (16 Prozent), oder verstehen sie erst gar nicht (10 Prozent). Viele Jüngere informieren sich daher lieber bei Freunden, Familie oder Influencern über das Weltgeschehen. Eine Entwicklung, die für Medienunternehmen genauso problematisch ist wie für unsere Demokratie: Den einen gehen womöglich die zahlenden Kundinnen und Kunden aus, unserer Gesellschaft dann Wählerinnen und Wähler, die gut informierte Entscheidungen über unser aller Zukunft treffen können.

Journalistenhandwerk kritisch hinterfragen

Zeit also, den Journalismus im digitalen Zeitalter kritisch zu überdenken. Doch was für die einen eine ganz normale und zwangsläufige Konsequenz der Digitalisierung und der damit einhergehenden unbegrenzten Verfügbarkeit von Informationen ist, liegt anderen fern: Viele Journalistinnen und Journalisten lehnen es derzeit noch ab, das eigene Handwerk kritisch zu hinterfragen. Nach wie vor fußt ihr professionelles Selbstverständnis darauf, aus einer vermeintlich objektiven Sicht täglich sagen zu können, „was ist“ – und was für alle relevant sein soll.

Allein – so funktioniert das in einer digitalen Welt nicht mehr. Denn die Zielgruppe hat sich emanzipiert und ist es aus anderen Branchen gewohnt, aus einer Vielzahl von Produkten die für sie passenden selbst herauszusuchen. Und sie sind ohnehin nur bereit für Angebote zu zahlen, die einen echten Mehrwert bieten. Was also ist der Mehrwert journalistischer Produkte in einer Welt, die voll ist von kostenlosen, digitalen Inhalten – 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche?

Nochmals: Die gute Nachricht ist, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in unserem Land ein grundlegendes Interesse an Nachrichten hat und ein Großteil den Medien weitgehend vertraut. Allerdings: Viele wünschen sich vom Journalismus, dass er die Interessen und Bedürfnisse der Menschen stärker in den Mittelpunkt stellt und sich selbst weniger wichtig nimmt.

Bedürfnisse der Menschen ernst nehmen

Gerade in krisenhaften Zeiten brauchen Menschen Erklärungen, Einordnungen und Kontext. Sie brauchen einen Journalismus, der auf Lösungsansätze mit dem gleichen professionellen Interesse schaut wie auf die drängenden Probleme. Und sie brauchen einen Journalismus, der reich an Perspektiven ist, der auch die Perspektiven derer in den Blick nimmt, die in den Redaktionen weiterhin unterrepräsentiert sind.

Immer wieder hören wir am Bonn Institute: Die Menschen wünschen sich einen Journalismus, der den Aufgeregtheiten der Sozialen Netzwerke solide Fakten, fundierte Einordnung und Glaubwürdigkeit entgegensetzt. Der sich mit Meinungen zurückhält und auf Zuspitzungen in ohnehin schwierigen Zeiten möglichst verzichtet – und einen Journalismus, der Komplexität und Grautöne sichtbar macht.

Es ist höchste Zeit, die Bedürfnisse der Mediennutzenden ernst zu nehmen und unseren Journalismus fit für die Zukunft zu machen. In Zeiten voller Krisen und der existen­tiellen Herausforderung der Klimakrise können wir nicht einfach weitermachen wie bisher. Wir müssen eine Dienstleistungshaltung entwickeln und empathisch fragen: Welche Informationen brauchen die Menschen in diesen schwierigen Zeiten? Wie müssen Informationsangebote – nicht nur über Kriege oder die Klimakrise – aufbereitet sein, damit Menschen sich mit den Inhalten beschäftigen – und eben nicht resignieren oder sich gar vollkommen vom Medienkonsum zurückziehen? Und wir müssen überlegen, mit welchen Metriken wir künftig den Erfolg von Journalismus messen wollen – jenseits von Klicks.  

Das Ziel muss ein Journalismus sein, der sich lohnt – für die Menschen und auch für die Medien.


Portrait Ellen Heinrichs: Florian Görner
Illustration: rosepistola.de

Bild Ellen Heinrichs
Ellen Heinrichs ist Gründerin und Geschäftsführerin des Bonn Institute für Journalismus und konstruktiven Dialog. Sie begann bei der Rheinischen Post und wechselte nach Stationen bei internationalen Organisationen 2001 zur Deutschen Welle. 2022 erschien ihr Buch „Journalismus auf der Couch“ (mit Astrid Prange de Oliveira).
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