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Vorfahrt für gesellschaftlichen Mehrwert
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Vorfahrt für gesellschaftlichen Mehrwert

Private Rundfunk- und Telemedienangebote, die besonders zur Meinungsbildung und Angebotsvielfalt beitragen, sollen künftig auf Benutzeroberflächen von digitalen Plattformen und Endgeräten leicht auffindbar sein. Das sogenannte Public-Value-Modell setzt Vorgaben des seit November 2020 geltenden Medienstaatsvertrages um.

Text Matthias Kurp

Der Begriff Public Value stammt aus dem Englischen und bezeichnet als öffentlicher Wert die Leistung oder den Nutzen, den eine Organisation für eine Gesellschaft erbringt. Während der Shareholder Value den Markt- oder Aktienwert von Unternehmen für die Anteilseigner (Shareholder) bezeichnet, soll der Public Value den Wert unternehmerischer Aktivitäten für die Gesellschaft wiedergeben. Schließlich sind Medien sowohl Wirtschafts- als auch Kulturgut, also zugleich gewinn- und gemeinwohlorientiert. Gerade die Gemeinwohlorientierung spielt eine wichtige Rolle für die Relevanz der Medien in der Gesellschaft.

Lässt sich der Shareholder Value direkt an Börsenkursen ablesen, ist die Angelegenheit in puncto Gemeinwohl und Kulturgut wesentlich schwieriger: Versucht man, Public Value als öffentlichen Wert – ähnlich wie beim Aktienwert – in konkreten Zahlen auszudrücken, ergibt sich das Problem der Messbarkeit. Lässt sich gesellschaftlicher Mehrwert überhaupt anhand mathematischer Daten ausdrücken – und falls ja, wie lautet dann ein geeigneter Maßstab?

Beispiel BBC

In die öffentliche Diskussion über Medienqualität gelangte der Begriff Public Value, als die BBC 2004 mit ihrem Dokument „Building Public Value“ eine Positionsbestimmung für die digitale Zukunft publizierte. Die theoretische Fundierung aber reicht weiter zurück: Bereits 1995 setzte sich der Wirtschaftswissenschaftler Mark H. Moore im Rahmen seiner Studie „Creating Public Value“ mit Managementstrategien und der Effizienz öffentlicher Einrichtungen auseinander. Moore bezeichnete Public-Value-Management als einen Prozess, bei dem Nutzende und Anbieter öffentlicher Leistungen gemeinsam daran arbeiten, zuvor festgelegte Ziele möglichst effizient zu erreichen.

Aus diesem Public-Value-Ansatz resultierte schließlich die BBC-Charta, die 2007 in Kraft trat. Angestrebt war ein „Mehrwert für alle“, um gesellschaftliche Ziele wie demokratische Meinungsvielfalt, Partizipation oder die Vermittlung von Kultur und Bildung zu erreichen. Hinzu kamen regelmäßige Evaluationen, bei denen Reichweite, Relevanz, Qualität und monetärer Mehrwert der Programme – auch durch Publikumsbefragung – kontrolliert wurden. Bis zu seiner Auflösung 2017 übernahm der BBC Trust entsprechende Public-Value-Tests. Inzwischen ist das Office of Communications (Ofcom) dafür zuständig, die Tests aber wurden deutlich „verschlankt“.

Drei-Stufen-Test als Ausgangspunkt

In Deutschland führte die Public-Value-Debatte dazu, dass 2009 der sogenannte Drei-Stufen-Test für öffentlich-rechtliche Telemedienangebote eingeführt wurde. Seitdem müssen ARD, ZDF und Deutschlandradio nachweisen, dass neue oder wesentlich veränderte digitale Angebote dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsprechen. Das dreistufige Verfahren des Public-Value-Tests für öffentlich-rechtliche Online-Inhalte sieht gemäß Paragraf 32 Abs. 4 Medienstaatsvertrag (MStV) wie folgt aus: Erstens müssen die Aufsichtsgremien prüfen, ob neue Telemedienangebote den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechen. Zweitens muss belegt werden, in welchem Umfang diese Angebote qualitativ zu publizistischem Wettbewerb beitragen, und drittens geht es um die Darstellung der daraus resultierenden Kosten.

Mit dem  im November 2020 in Kraft getretenen Medienstaatsvertrag hat die Ordnungspolitik den Public-Value-Gedanken auch für privatwirtschaftliche Medienangebote aufgegriffen. So wurde in Paragraf 84 MStV festgelegt, dass privatwirtschaftliche Programme, „die in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt im Bundesgebiet leisten“, ebenso wie öffentlich-rechtliche Inhalte künftig auf digitalen Geräten oder Plattformen „leicht auffindbar“ sein müssen.

Das bedeutet: Egal ob bei Smart-TV-Geräten, digitalen Apps oder anderen Benutzer­oberflächen, die Anbieter und Publikum über digitale Plattformen verbinden: Wer künftig ein Public-Value-Siegel besitzt, dessen Inhalte dürfen nicht auf schlecht sichtbaren Plätzen der Benutzeroberfläche oder Menüführung versteckt werden, sondern sie müssen prominenter als andere Inhalte präsentiert werden. Entsprechend klassifizierte Angebote legen die Landesmedienanstalten jeweils für die Dauer von drei Jahren fest.

Pudding an der Wand?

An welchen Kriterien aber können sich die Landesmedienanstalten orientieren, um herauszufinden, welche Inhalte als Public Value identifiziert und privilegiert werden sollen? Woran lässt sich Gemeinwohl erkennen und woran publizistische Qualität? „Qualität im Journalismus definieren zu wollen, gleicht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln“, lautet ein bekanntes Zitat des Medienforschers Stephan Russ-Mohl aus einem Aufsatz zum Thema Qualitätssicherung, der 1992 in der Fachzeitschrift Publizistik erschien.

Drei Jahrzehnte später existiert zwar eine Fülle neuer Forschungsprojekte und Studien, ein Index zur Bewertung von Qualität aber lässt sich kaum ableiten. Es geht um Aktualität und Relevanz, um Vielfalt und Verständlichkeit, um Transparenz und Richtigkeit, um Unabhängigkeit und Nachprüfbarkeit, aber auch um Nutzwert und Orientierung, um Akzeptanz und Optionen zum Dialog. Was die Sache besonders kompliziert macht, ist die Tatsache, dass sich viele der genannten Kriterien überschneiden oder teilweise sogar widersprechen. So stehen etwa der Zeitdruck der Aktualität und die Richtigkeit ebenso in einem Spannungsverhältnis wie Richtigkeit und Verständlichkeit.

Hinzu kommt das Problem, dass staatliche Beurteilungen von Medienqualität das Risiko mit sich bringen, die Medienfreiheit einzuschränken. Zu dieser Erkenntnis kam beispielsweise auch eine vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ins Leben gerufene Kommission, die sich deshalb schließlich gegen eine „Stiftung Medientest“ aussprach.

Gemeinwohl kann nicht von oben verordnet werden

Public Value als gesellschaftlichen Mehrwert zu verstehen, bedeutet zugleich, Medienqualität im Zentrum eines Spannungsfeldes zwischen normativen Ansprüchen eines Mediensystems und den Ansprüchen der Mediennutzerinnen und -nutzer diskutieren zu müssen. Zu den normativen Funktionen von Massenmedien in einer offenen, pluralen und demokratischen Gesellschaft gehören vor allem: Information und Meinungsbildung, Medienvielfalt, Kritik und Kontrolle, Artikulation und Partizipation, Sozialisation und Integration, Bildung und Rekreation sowie Orientierung und die Herstellung von Öffentlichkeit. Das Publikum jedoch hat häufig ganz andere Bedürfnisse: zum Beispiel Ablenkung, Spaß oder Entertainment.

Gemeinwohl und Public Value können also nicht „von oben verordnet“, sondern müssen gesellschaftlich ständig von neuem ausgehandelt werden. Dabei geht es sowohl um demokratische Werte und Diversität als auch um Maßstäbe für eine allgemeine Moral einer pluralen Gesellschaft. Umso schwieriger ist die Aufgabe der staatsfern organisierten Landesmedienanstalten, eine Liste zu erstellen für Medienangebote, die besonders zu Public Value, Gemeinwohl und Meinungsvielfalt beitragen.

Grundlage für die im Sommer 2022 von allen Medienanstalten erstellte Liste der Public-Value-Angebote, die online über die Website www.die-medienanstalten.de abgerufen werden kann, ist die bereits im September 2021 verabschiedete Public-Value-Satzung.
Als Kriterien führen die Medien­anstalten darin journalistisch-redaktionell gestaltete Inhalte auf, die „einen möglichst vollständigen Querschnitt der für die öffentliche Meinungsbildung relevanten Teilbereiche des politischen und zeitgeschichtlichen Gesellschaftsgeschehens abbilden“. Konkret genannt werden lokale und regionale Informationen, barrierefreie Angebote, gut ausgebildetes journalistisches oder medientechnisches Personal, europäische Produktionen sowie Angebote für junge Zielgruppen.  

In Bayern haben mehr als 70 Anbieter Public-Value-Status

Nach Veröffentlichung der Public-Value-Satzung gingen bei der Landesanstalt für Medien NRW, die das Verfahren koordiniert, rund 300 Anträge ein. Nach Entscheidungen der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Medienanstalten wurden schließlich am 1. Juni entsprechende Bescheide an die Antragsteller verschickt.

Allein in Bayern dürfen sich nun Anbieter von mehr als siebzig privatwirtschaftlichen Audio- und Bewegtbildangeboten über den Public-Value-Status freuen. Den bundesweiten Dialog mit den Anbietern von Benutzeroberflächen führte BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege in seiner Funktion als Koordinator des Fachausschusses Infrastruktur und Innovation der Medienanstalten. Er fordert zu raschem Handeln auf: „Ein Viertel der Public-Value-Angebote kommt aus Bayern – ein Beweis für die hohe Qualität unserer privaten Rundfunk- und Telemedienangebote. Meine Erwartung ist, dass mit der Umsetzung der leichten Auffindbarkeit auf den einzelnen Benutzeroberflächen nun auch zeitnah begonnen wird.“

Die nächste große Herausforderung besteht also darin zu konkretisieren, was es heißt, dass Public-Value-Inhalte auf digitalen Benutzeroberflächen leichter als andere Angebote auffindbar sein sollen.


Portrait Dr. Matthias Kurp: Werner Siess/HMKW
Illustration: rosepistola.de

Bild Matthias Kurp
Dr. Matthias Kurp ist Professor im Fachbereich Journalismus/Kommunikation der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Zuvor arbeitete er freiberuflich als Medienforscher und Journalist (Print, Online,TV, Hörfunk).
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