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Eine Frage der Glaubwürdigkeit
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Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Der Einfluss von Social Media ist groß – und das trotz oder gerade wegen Phänomenen wie Fake News oder Hatespeech. Der klassische Nachrichtenjournalismus dagegen hat in Teilen der Gesellschaft ein echtes Imageproblem. Wie hängen Relevanz, Vertrauen und Glaubwürdigkeit von journalis­tischen und sozialen Medien zusammen?

Text Wolfgang Schweiger

Die Negativmeldungen über Social Media und Algorithmen nehmen kein Ende: Fake News, Hass, Populismus, russische Propaganda, Bots, Filterblasen, Extremisierung, Gewaltverherrlichung, Kinderpornographie – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Doch diese Negativmeldungen ändern nichts daran, dass Soziale Medien für uns alle und für unsere Gesellschaft relevant geworden sind – obwohl sie die Relevanz journalistischer Medien immer öfter zu unterminieren scheinen. Ein wichtiger Aspekt ist hier der Vertrauensverlust, den gerade der Nachrichtenjournalismus in Teilen der Bevölkerung erlebt. Hierzu einige Überlegungen.

Zunächst ermittelt sich die Relevanz von Medien auf zwei Ebenen: Auf der Ebene der Öffentlichkeit geht es um die Beachtung und Reputation eines Mediums, also wie und wie häufig seine Inhalte in öffentlichen Debatten aufgegriffen werden. Auf der Publikumsebene dagegen bemisst sich die Relevanz eines Mediums an der Größe seines Publikums und dessen Nutzungsmenge. Je mehr Menschen ein Medium intensiv nutzen, desto relevanter ist es. Öffentlichkeits- und Publikumsrelevanz beeinflussen sich gegenseitig. Sie hängen seit jeher mit der Glaubwürdigkeit von Nachrichtenmedien zusammen, sprich mit dem Vertrauen, das ein Medium in der Öffentlichkeit und bei seinem Publikum genießt. Denn Nachrichten sind Vertrauensgüter in dem Sinne, dass die Rezipientinnen und Rezipienten den Wahrheitsgehalt einer politischen Nachricht nur selten direkt überprüfen können. Insofern ist die Nutzung eines Nachrichtenmediums nur sinnvoll, wenn man diesem Medium auch vertraut.

Verständlichkeit wichtiger als Vertrauen

Die enge Verknüpfung von Vertrauen und Publikumsrelevanz klingt logisch, doch es gab schon immer Ausnahmen. So berichten viele Nutzerinnen und Nutzer von Bild-Zeitung und Bild.de in Publikumsumfragen, dass ihnen der fragwürdige Umgang des Mediums mit der Wahrheit und sonstigen ethischen Normen durchaus bewusst ist. Sie schätzen Bild aber trotzdem, etwa weil die Berichterstattung kurzweilig und leicht verständlich ist sowie die Positionen „kleiner Leute“ vertritt. Mit anderen Worten: Menschen nutzen durchaus Nachrichtenmedien, denen sie nicht vertrauen, wenn diese mehr als ein reines Informationsbedürfnis befriedigen.

Das gilt ebenfalls für Soziale Medien, Messenger und andere algorithmisch personalisierte Plattformen: Auch hier äußern in Umfragen viele ein geringes Vertrauen in Facebook, Instagram, TikTok, Twitter oder Telegram, nutzen sie aber trotzdem intensiv – aus mindestens zwei Gründen: Erstens dienen diese Angebote einer Fülle von Nutzungsmotiven; gesellschaftsrelevante Information steht hier unmittelbar neben persönlichen, unterhaltenden, emotionalisierenden oder sonst wie attraktiven Inhalten. Zweitens: Die Plattformen präsentieren den Nutzenden überwiegend Inhalte, die ihren Interessen, Meinungen und Weltbildern entsprechen. Ob sie auch noch faktisch wahr sind, ist da oft zweitrangig. Das erklärt, warum Plattformen trotz Vertrauensdefiziten erhebliche (Publikums-)Relevanz aufweisen.

Wem und warum vertrauen wir eigentlich?

Allerdings ist bei Plattformen, die als Intermediäre fungieren, die pauschale Frage nach dem Vertrauen schwierig. Denn was soll damit gemeint sein? Das Vertrauen in die Nachrichtenmedien, Influencer, Unternehmen und sonstigen Quellen, die man dort täglich sieht? Das Vertrauen in die Betreiber der Plattformen selbst und ihre Bereitschaft und Fähigkeit, problematische Inhalte zu löschen und sonstige Gesetze wie z.B. die Transparenz-Vorgaben im Medienstaatsvertrag einzuhalten? Das – gemeinwohlorientierte – Vertrauen in die Algorithmen der Plattformen, gesellschaftliche Probleme wie Filterblasen, Echokammern oder das Ziel, die Extremisierung von Bevölkerungsgruppen nicht weiter zu verstärken? Oder aber das nutzenorientierte Vertrauen, dass die Algorithmen für einen selber so funktionieren wie gewünscht und möglichst passende Inhalte präsentieren? Wir müssen klären, welche Perspektive wir einnehmen und welches Objekt des Vertrauens wir betrachten.

Zunächst sind Kommunikationskanäle und -quellen zu unterscheiden. Kommunikationskanäle sind alle Techniken und Infrastrukturen, die Inhalte und Nutzende zusammenbringen. Das sind häufig Intermediäre, zu denen auch YouTube, die Google-Suche, Google News (alle drei übrigens aus dem Hause Alphabet) und andere Nachrichten-Aggregatoren zählen. Kommunikationsquellen sind die Urheber von Inhalten. Während früher die Öffentlichkeit nahezu ausschließlich von journalistischen Quellen dominiert wurde, die man deshalb Gatekeeper nannte, stehen in den heutigen Intermediären alle nur erdenklichen Quellen gleichberechtigt nebeneinander. Dabei müssen wir zwei Typen von Quellen auseinanderhalten: Primärquellen initiieren, produzieren und verbreiten Inhalte auf Plattformen. Sekundärquellen leiten diese Inhalte dort weiter, zitieren, empfehlen oder kommentieren sie. Diese Unterscheidungen haben erhebliche Implikationen:

Verloren im Labyrinth der Medien-Quellen

Online-Nutzende sehen in ihren Feeds und Trefferlisten kontinuierlich eine unüberschaubare Menge und Vielfalt an primären und sekundären Quellen. Viele davon kennen sie nicht und können deshalb kaum beurteilen, welche Interessen sie vertreten und wie vertrauenswürdig sie sind. Damit geht auch die Fähigkeit zurück, journalistische Medien von interessengeleiteten Quellen zu unterscheiden. Das machen sich besonders Desinformations-Kampagnen zunutze (Flüchtlings-, Klima- Corona- und Ukraine-Krise usw.). Die Inhalte sind oft optisch von journalistischen Angeboten nicht zu unterscheiden (z.B. EpochTimes). Häufig treten unbekannte Aktivistinnen und Aktivisten auf – als Primärquellen auf TikTok, auf Facebook häufig als Sekundärquellen, also Kommentarschreibende. Viele dieser Quellen greifen die von ihnen so bezeichneten Mainstream-Medien an, werfen ihnen politische und wirtschaftliche Abhängigkeit und die Manipulation der Bevölkerung vor. Vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht in der Kritik. Ob die Vorwürfe erfunden oder völlig überzogen sind, ist für Nutzende schwer zu beurteilen. Es bleibt bei vielen ein Gefühl, dass man alle diese Medien kaum mehr unterscheiden und ihnen generell nicht mehr trauen kann. Oder noch schlimmer: Dass die Mainstream-Medien alle dasselbe schreiben und nur „frei denkende“ Akteure vertrauenswürdig sind.

An die Stelle des Vertrauens in die Unabhängigkeit, Qualität und Wahrheit der journalistischen Berichterstattung tritt bei manchen Menschen eine andere Art von Vertrauen: das Vertrauen in (Primär-)Quellen, genau die Themen, Argumente, Meinungen und Weltbilder zu bringen, die man persönlich relevant und gut findet. Das macht alternative Medien und Influencer attraktiv. Wer sie nutzt, kann sicher sein, dort kaum wie im Nachrichtenjournalismus der ‚Zumutung‘ gegnerischer Argumente und Meinungen zu begegnen, sondern unter Gleichgesinnten zu sein.

Wenn Desinformation mit falschem Vertrauen aufgeladen wird

Hierzu passen Studienergebnisse, denen zufolge Social-Media-Nutzende Beiträge weniger danach beurteilen, von welcher Primärquelle sie stammen, sondern von wem sie diese weitergeleitet bekommen haben. Das hat durchaus eine gewisse Rationalität: Wenn man die Primärquellen nicht mehr wirklich kennt, verlässt man sich am besten auf die Sekundärquellen, also beispielsweise auf Facebook-Freunde, die man kennt, denen man vertraut und die oft ähnliche Interessen und Meinungen haben. Ob diese Freunde jedoch die Herkunft und den Wahrheitsgehalt einer Nachricht besser beurteilen können, ist fraglich. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist das besorgniserregend, denn auf diese Weise wird Desinformation mit falschem Vertrauen aufgeladen.

Ein ähnlicher, wenn auch schwächerer Effekt ist für Nutzerkommentare zu Medienbeiträgen belegt, etwa auf Facebook oder auf Nachrichten-Webseiten: Die Aussagen anderer Nutzender haben einen deutlichen Einfluss darauf, wie Rezipierende einen Nachrichtenbeitrag und die Medienmarke, von der sie stammen, beurteilen und ob sie ihn für glaubwürdig halten. Das gilt vor allem dann, wenn die Kommentierenden ähnliche Meinungen vertreten.

Fazit: Das Vertrauen in Nachrichtenmedien hängt von zahlreichen Faktoren ab. Im Umfeld Sozialer Medien und algorithmischer Plattformen erscheinen aber drei Aspekte besonders relevant: Überforderung, Konformität und Konsonanz. Überforderung meint, dass viele Bürgerinnen und Bürger die Glaubwürdigkeit und Qualität primärer Quellen kaum beurteilen können und deshalb leicht Opfer von Desinformation werden. Konformität bedeutet, dass sie sich stark an Sekundärquellen in ihrem sozialen Umfeld und den dortigen Meinungen orientieren. Je lauter dort die Kritik am Journalismus ist, desto eher werden sich Menschen diese zu eigen machen und umgekehrt. Konsonanz heißt, dass Menschen bevorzugt Kanälen und Quellen vertrauen und diese nutzen, in denen ihre eigenen Meinungen und Weltbilder dominieren. Vermutlich bedeutet das – wie in den USA – für Teile des deutschen Journalismus eine Entwicklung in Richtung Zielgruppenorientierung und Parteilichkeit. Hier passt wieder die Bild-Familie mit ihrem jüngsten Spross Bild.tv als Beispiel.


Portrait Dr. Wolfgang Schweiger: Universität Hohenheim
Illustration: rosepistola.de

Bild Wolfgang Schweiger
Dr. Wolfgang Schweiger ist Professor des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft und Onlinekommunikation an der Universität Hohenheim. Er forscht unter anderem zur Meinungsbildung im Internet.
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