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Tendenz

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Fein ausbalanciertes Gleichgewicht
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Fein ausbalanciertes Gleichgewicht

Die EU-Kommission hat am 25. Mai ihren Entwurf für eine Überarbeitung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) vorgelegt. Jetzt ist das Europäische Parlament am Zug. Federführend ist dort der Kultur- und Medienausschuss. Petra Kammerevert ist eine der zuständigen Berichterstatterinnen dieses Ausschusses.

INTERVIEW Matthias kurp

Tendenz: Als 1989 die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ verabschiedet wurde, sollte ein grenzüberschreitender Kulturraum geschaffen werden, um zu einer europäischen Identität beizutragen. Heute aber überwiegen bei der AVMD-Richtlinie wirtschaftliche Aspekte. Hat der Primat der Ökonomie gesiegt?

Petra Kammerevert: Von Beginn an standen wirtschaftliche und kulturelle Aspekte gleichermaßen im Blickpunkt der Richtlinie. Im Kern geht es immer um die Frage, europäische Fernsehprogramme im gemeinsamen EU-Binnenmarkt möglichst frei zu verbreiten. Dafür braucht es ein fein ausbalanciertes Gleichgewicht der kulturellen und wirtschaftlichen Interessen einerseits und einen Minimalkonsens über Schutzstandards für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Minderjährige andererseits. Insbesondere das Europäische Parlament hat immer wieder Wert darauf gelegt, den Doppelcharakter der Medien als Kultur- und Wirtschaftsgut in besonderer Weise zu berücksichtigen.

Was halten Sie von der Flexibilisierung der Werbezeiten, wie sie die EU-Kommission vorgeschlagen hat? Droht damit nicht künftig, dass in der Prime Time außer Werbespots kaum noch etwas zu sehen sein wird?

Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Zuschauers, sowohl beim Programm und erst recht bei der Werbung, ist enorm gestiegen. Insoweit verstehe ich den Wunsch nach größerer Flexibilität. Wenn man will, dass auch private Veranstalter gutes Programm anbieten, muss man ihnen auch gestatten, das Geld zu verdienen, um solche Programme erstellen und ausstrahlen zu können. Trotzdem schlagen wir in unserem Bericht vor, dass in der Primetime, also im Zeitraum von 20 bis 23 Uhr, der Anteil von Werbung 20 Prozent der gesamten Sendezeit, also 36 Minuten, nicht überschreiten darf.

Die neue Richtlinie soll auch mehr Flexibilität beim Einsatz von Produktplatzierung und Sponsoring ermöglichen …

Bei der Reform müssen wir uns an den Sehgewohnheiten der heute um die 30-Jährigen orientieren. In deren Medienkonsum sind Produktplatzierung und Sponsoring neben sehr viel sublimeren Werbeformen in Social Media absolute Realität. Das mag uns nicht gefallen, darf uns aber auch nicht zu dem Irrglauben verleiten, man könne durch Gesetzgebung quasi erzieherisch entgegenwirken. Ein Verbot ist in Zeiten des Internets undenkbar. Wir fordern, dass der Rezipient klar erkennen kann, ob Produktplatzierung und Sponsoring vorhanden ist. Das sollte auch jeder Dienst leisten können.

Über das Nebeneinander von Online-Angeboten und TV-Inhalten auf Smart-TV-Geräten ist im Richtlinien-Entwurf nichts zu lesen – oder? Könnte es nicht künftig immer häufiger vorkommen, dass Fernsehprogramme von Online-Werbung überlagert werden?

Die Gefahr ist tatsächlich gegeben, auch wenn die Kommission dies in ihrem Vorschlag nicht berücksichtigt. Daher schlagen wir vor, die Signalintegrität eindeutig gesetzlich abzusichern. Das bedeutet, Dritten ist es verboten, das Sendesignal zu überblenden oder anderweitig zu verändern, solange der Signalersteller dazu nicht eingewilligt hat.

Der EU-Kommissionsvorschlag zur Reform der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie unterscheidet weiterhin zwischen linearen und non-linearen Angeboten. Macht das im Internetzeitalter noch Sinn?

In Zeiten konvergenter Medien ist es in der Tat zunehmend irrelevant, über welchen Verbreitungsweg ein Inhalt bereitgestellt wird. Daher schlagen wir im Gegensatz zur Kommission eine weitergehende strukturelle Reform vor: Indem wir Regelungen gegen Hass und Aufstachelung zur Gewalt sowie Jugendschutzanforderungen vor die Klammer ziehen, machen wir deutlich, dass sie auf jegliche audiovisuelle Inhalte angewendet werden sollen, unabhängig davon, ob es sich um einen audiovisuellen Mediendienst, einen Fernsehdienst, einen Mediendienst auf Abruf, ein Video-Sharing-Angebot oder ein User-Generated-Video handelt. Gleiches gilt für Mindestanforderungen an Werbung, Sponsoring und Produktplatzierung sowie Informationsverpflichtungen der Anbieter.

Ist eine Unterscheidung zwischen Internet und Rundfunk in der Online-Welt überhaupt noch praktikabel?

Teilweise ja – zumindest im Moment noch. Wenngleich die Online-Nutzung kontinuierlich zunimmt, bleibt die Nutzung des linear verbreiteten Fernsehens auf hohem Niveau. Solange ein beachtlicher Anteil an nur linearer Nutzung bestehen bleibt, wird es hierfür auch ein Regelungssystem geben müssen, da Verbreitung und Nutzung der Inhalte anders erfolgen als im nicht-linearen Bereich und zumindest noch eine andere Wirkmächtigkeit entfalten. Zudem haben – zumindest im deutschen dualen System – lineare Angebote und insbesondere öffentlich-rechtliche Angebote einen gesetzlichen Programmauftrag zu erfüllen. Dies rechtfertigt nach meiner Auffassung zumindest auf Sicht, für lineare Programme striktere Regelungen vorzusehen.

Reicht die von der EU-Kommission vorgeschlagene Quotenregelung, die Streaming-Dienste dazu verpflichtet, dass 20 Prozent ihrer Angebote europäische Produktionen sein müssen, aus, um heimische Produzenten angemessen zu stärken?

Jüngste Untersuchungen sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Anteil europäischer Werke bei den in der Europäischen Union am weitesten verbreiteten On-Demand-Anbietern bei durchschnittlich 27 Prozent liegt. Um dahinter nicht zurückzufallen, schlagen wir eine Quote von 30 Prozent vor. Gleichwohl glaube ich nicht, dass die Quote einen unmittelbaren Anreiz zur Neuproduktion europäischer Werke bietet. Sie ist aber ein wichtiges Sicherheitsnetz. Wichtig ist mir zudem der Erhalt einer Regelung, die erlaubt, dass On-Demand-Anbieter, auch außereuropäische, zur Einzahlung in nationale Filmfonds herangezogen werden können, wenn sie in Deutschland Dienste anbieten.

Foto: margie/photocase

Bild Dr. Matthias Kurp
Dr. Matthias Kurp ist Professor im Fachbereich Journalismus/Kommunikation der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln. Zuvor arbeitete er freiberuflich als Medienforscher und Journalist (Print, Online, TV, Hörfunk).
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