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Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien

Auf dem Weg zum Level Playing Field
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Auf dem Weg zum Level Playing Field

Die EU-Medienpolitik steht ganz im Zeichen des europäischen Binnenmarktes. Das Spektrum entsprechender Regulierungen reicht von Richtlinien für audiovisuelle Mediendienste oder den elektronischen Geschäftsverkehr bis zu Verordnungen für Datenschutz und Netzneutralität. Das alles ist das Resultat komplexer und vielschichtiger Entscheidungsprozesse.
Text Anja Bundschuh, iLLUSTRATIONEN cHRISTOPH kIENZLE

Gehören Sie zu der Generation, die sich vor mehr als 35 Jahren dienstags darauf gefreut hat, am Abend endlich die Fortsetzung der fiesen Machenschaften und amourösen Verstrickungen von JR Ewing und seiner Family & Friends auf der Southfolk Ranch vor dem TV-Schirm miterleben zu können? Dann kennen Sie noch aus eigenem Erleben die Fernsehwelt, in der es in Deutschland drei analoge Programme gab: ARD, ZDF und die jeweils regionalen dritten Programme.

Die ersten Gesetzesvorhaben zur Zulassung des privatwirtschaftlichen Rundfunks wurden gerade diskutiert, da gab das Europäische Parlament im März 1982 bereits einen Arbeitsauftrag an die Europäische Kommission, die Grenzen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (EG) für nationale Fernsehprogramme zu öffnen. Mit dem technologischen Fortschritt in der Kabel- und Satellitentechnik und einem immer dynamischer werdenden Dienstleistungssektor wurde Fernsehen zum erwünschten Kanal und die Technologie dahinter zum Instrument europäischer Integrationspolitik. Es wundert also nicht, dass die amerikanische Serie „Dallas“ explizite Erwähnung in dem 1984 veröffentlichen Grünbuch „Fernsehen ohne Grenzen“ fand. Die zunehmende Dominanz der amerikanischen Produktionsgesellschaften und der damit beobachtete Rückgang der Filmproduktion in der Europäischen Gemeinschaft sollten abgeschwächt werden. So wurde der Grundstein für die Harmonisierung der Medienordnungen der damals zehn EG-Mitgliedstaaten gelegt.

Nach fünf Jahren intensiver (Kompetenz-)Diskussionen zwischen Brüssel und den Mitgliedstaaten wurde 1989 die EU-Fernsehrichtlinie als zentraler Bestandteil des neuen europäischen Politikfeldes „Medien“ verabschiedet. Mit der Einführung des Sendestaatsprinzips bei Einhaltung bestimmter programmlicher Standards wie Mindestquoten für europäische Werke und Bestimmungen zu Werbung, Sponsoring, Teleshopping und Jugendschutz waren die Leitplanken für einen Medienbinnenmarkt durch Mindestharmonisierung gesetzt. Das finanziell vergleichsweise mäßig ausgestattete Förderprogramm MEDIA zur Kreation europäischen Contents wurde aufgelegt. Im Technologiebereich sollten – gegen die Konkurrenz aus Japan und USA – Standards wie das hochauflösende Fernsehen (HDTV) oder D2-MAC entwickelt und marktfähig gemacht werden.
 
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DIGITALER BINNENMARKT FÜR AUDIOVISUELLEN CONTENT

17 neue Mitgliedstaaten und drei Revisionen der Fernsehrichtlinie später ist aus dem anfangs noch recht überschaubaren Regulierungsansatz eine hochkomplexe Struktur geworden. Die Fernsehrichtlinie wurde zur Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) weiterentwickelt. Für linearen Rundfunk und nicht-lineare Video-on-Demand-Dienste verfolgt sie einen Zwei-Stufen-Ansatz mit abgestufter Regulierungsintensität. Angetrieben durch „das Internet und die digitalen Technologien“ hat die Europäische Kommission im Mai 2015 die „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa“ präsentiert. 16 Maßnahmen stellen neben der Industrie den Verbraucher als Konsumenten in einer gestärkten Rolle ins Zentrum.

Die EU-Kommission hat mit ihrer Strategie für einen gemeinsamen digitalen Markt (#DigitalSingleMarket, DSM) eine recht ambitionierte Agenda und den Takt für den politischen Prozess zur Erreichung des digitalen Binnenmarktes bis 2019 vorgegeben. Viele der Aktionen beruhen auf bestehenden Regelungswerken, die modernisiert und vereinfacht werden sollen. Dabei geht es im Zugangsbereich um das Urheberrecht, Geoblocking und die Kabel- und Satellitenrichtlinie, im Bereich Rahmenbedingungen um die Frequenzpolitik, die AVMD-Richtlinie und den Datenschutz, aber auch um neue Instrumente im Bereich Online-Plattformen (Suchmaschinen, soziale Online-Netze, App-Stores etc.).

Dass alle DSM-Initiativen unter dem Dach der neu geschaffenen Generaldirektion für Kommunikationsnetzwerke, Inhalte und Technologie (DG Connect) in der EU-Kommission zusammengefasst wurden, ist nicht nur in organisatorischer Hinsicht ein längst überfälliges Novum. In der Verantwortung des EU-Kommissars für den digitalen Binnenmarkt, Andrus Ansip, liegt auch die Koordinierung des Projektteams Digitaler Binnenmarkt, das aus elf Kommissaren besteht. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem deutschen Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther H. Oettinger, zu. Bislang bestehende „Silos“ und die aufwendige Abstimmung zwischen unterschiedlichen Generaldirektionen sollen durch Bündelung entfallen.

AUDIOVISUELLER CONTENT: WIRTSCHAFT UND KULTUR

Auch in Deutschland wurde 2014 mit der Schaffung der Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz darauf reagiert, dass die Schnittmenge zwischen den Bereichen Netz- und Medienpolitik immer größer wird. Unverrückbar bleibt, dass der Bund stärker netz- und wirtschaftsbezogene, die Länder stärker inhaltebezogene Regulierungsziele in den jeweiligen Zuständigkeiten verfolgen.

Eine ausdrückliche Ermächtigung zur Schaffung eines europäischen Medienrechts ist im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaft nicht vorgesehen. Seit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ist die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes und damit eines freien Zugangs für Produkte, Dienstleistungen und Personen zu den Märkten der anderen Mitgliedstaaten wesentliches Anliegen. Die Verbreitung von Medieninhalten wird als Dienstleistung im Sinne des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angesehen. Aus Gründen des Allgemeinwohls kann diese Dienstleistungsfreiheit beschränkt werden. Dies wird auch im Bekenntnis zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Vielfalt auf europarechtlicher Ebene des Artikels 167 AEUV deutlich.
Gesetzgebungsverfahren in der EU
Infografik: rose pistola Vorlage: ORF.at

WER UND WAS SOLL REGULIERT WERDEN?

Wichtigste Frage ist, wer und was reguliert werden soll. Wie schon Ende der 1980er-Jahre geht es auch heute um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen mit Sitz in den 28 EU-Mitgliedstaaten. Mittlerweile soll die Technologie keine regulierungsqualifizierende Rolle mehr spielen, wenn es um die Verbreitung von Content geht. Gleichzeitig sollen historisch gewachsene Geschäftsmodelle von Rundfunkveranstaltern, die auf dem Prinzip der Territorialität beruhen, geschützt und Unternehmen Raum gegeben werden, neue Geschäftsmodelle zu realisieren. Die „alten“ Regulierungsmodelle für Informations- und Content-Kuratoren des traditionellen Rundfunks passen plötzlich nicht mehr. Diverse Plattformmodelle von (internetbasierten) Over-the-Top-Plattformen, Smart-TV-Geräten und Apps sowie erweiterte Angebote von Infrastrukturanbietern übernehmen Such- und Empfehlungsfunktionen und präsentieren Inhalte. Neue globale Informationsvermittler stellen klassische Medienanbieter vor wettbewerbliche Herausforderungen, wenn beispielsweise Suchmaschinen mit skalierbaren Geschäftsmodellen und neuester Technologie uneinholbare Größenvorteile realisieren können. Eine umfassende europäische Medienordnung muss daher mit erweiterter Perspektive alle diese Bereiche berücksichtigen.

WIE KANN REGULIERT WERDEN?

Bislang ist das 1992 mit dem Vertrag von Maastricht eingeführte Mitentscheidungsverfahren das am häufigsten angewandte Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene: Erst mit Zustimmung des Europäischen Parlaments kann ein Rechtsakt – ganz gleich ob Richtlinie oder Verordnung – in Kraft treten. Die EU-Kommission hat das Initiativrecht und leitet mit der Vorlage eines Entwurfes das Gesetzgebungsverfahren ein. Sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat der Europäischen Union, in dem die Vertreter der Mitgliedstaaten sitzen, können die EU-Kommission zur Vorlage eines Rechtsaktentwurfs auffordern.

Seit 2012 können auch die Bürger Europas über den Weg einer Europäischen Bürgerinitiative die Kommission zur Aktion anregen. Dafür müssen binnen Jahresfrist eine Million Unterschriften in einem Viertel aller 28 EU-Mitgliedstaaten gesammelt werden. Ein bisher formal erfolgloser Versuch im Medienbereich wurde 2013 initiiert, um den Medienpluralismus durch eine Teilharmonisierung der nationalen Vorschriften über Medieneigentum und die Unabhängigkeit der Medienaufsicht zu schützen. Inhaltlich fand ein Teil der vorgebrachten Belange im Vorschlag der EU-Kommission zur Revision der AVMD-Richtlinie Berücksichtigung. So fordert etwa der vorgeschlagene Artikel 30 die rechtliche und funktionale Trennung unabhängiger nationaler Regulierungsstellen von anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen. Nicht nur mit Blick auf osteuropäische Staaten birgt dieser Vorschlag Sprengstoff.

PERMANENTES RINGEN UM KOMPETENZEN

Grundsätzlich darf die Europäische Union (EU) entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität nur dann tätig werden, wenn ein Handeln auf EU-Ebene wirkungsvoller ist als auf nationaler Ebene. Seit dem 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon gibt dieser Grundsatz den nationalen Parlamenten ein vorfristiges Einspruchsrecht (Subsidiaritätsrüge), falls sie die Kompetenzordnung zu ihren Lasten verletzt sehen.

Jüngst haben die Bundesländer die genannten Vorschläge der EU-Kommission zur Medienaufsicht hinterfragt. Sie sehen in dem Reformentwurf einen unzulässigen Eingriff in die föderalistische Struktur Deutschlands sowie die mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten. Von der Einreichung einer Subsidiaritätsrüge hat der Bundesrat im Juli 2016 jedoch abgesehen. Nun wird der Weg über die Ebene des Bundesrats und des EU-Rats zu gehen sein, um die Wahrung der nationalen Verfassungs- und Rundfunkordnung in Deutschland im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens in Brüssel einzufordern. Die deutschen Ministerpräsidenten haben bereits weiteren Diskussionsbedarf angekündigt. Sie stützen sich unter anderem auf die Stellungnahme, die von der Bund-Länder-Kommission im November 2015 nach Brüssel geschickt wurde. Koalitionsvertraglich von der Großen Koalition gestützt, haben sich Bund und Länder vorgenommen, sich auf eine gemeinsame Medienpolitik zu einigen und die gesetzliche Ungleichbehandlung von Online- und Offline-Medien zu beseitigen.

Als Kernpunkte für die Revision der AVMD-Richtlinie sind grundlegende Bestimmungen auf hohem Niveau für Jugendschutz, Hassrede und Verbraucherschutz vorgesehen, die außer für redaktionelle auch für nicht-redaktionelle, aber geschäftsmäßig erbrachte Dienstleistungen gelten. Unverändert hält der Entwurf der AVMD-Richtlinie allerdings an der Unterscheidung zwischen linearer und nicht-linearer Vermittlung von Bewegtbildern fest.
 
Grafik BLM-TENDENZ zur EU-Medienpolitik


INTERMEDIÄRE ALS HERAUSFORDERUNG

Über die AVMD-Richtlinie hinaus bezog die Bund-Länder-Kommission auch zum Bereich Intermediäre Stellung, der in das EU-Konsultationsverfahren zu Online-Plattformen Eingang fand. Einflusspotenziale von Informationsvermittlern im Sinne des Zugangs und der Auffindbarkeit von meinungsrelevanten Inhalten stehen dabei im Vordergrund. Zur Gewährleistung der gewünschten Transparenzerfordernisse für Kriterien der Aggregation, Selektion und Präsentation durch Suchmaschinen will die Bund-Länder-Kommission zunächst auf die EU Ebene einwirken. Bleibt dies erfolglos, sollen entsprechende Regelungen auf nationaler Ebene geprüft werden.

Ziel der Überlegungen der EU-Kommission zu Online-Plattformen ist es auch, dass Plattformen, die Zugang zu großen Mengen an Videos bieten, Minderjährige vor schädlichen Inhalten (Pornografie, Gewalt etc.) sowie alle Bürger vor Aufstachelung zum Hass schützen müssen. Die Kommission hat das Instrument der Industrie-Allianz gewählt, um mit Anbietern von Videoplattformen weltweit an einem Verhaltenskodex für die Branche zu arbeiten. Angestrebt werden einheitliche Altersüberprüfungssysteme bzw. Systeme zur elterlichen Kontrolle sowie Mechanismen, mit deren Hilfe die Nutzer schädliche Inhalte melden oder anzeigen können. Anstelle einfacher Selbstregulierung sollen die für audiovisuelle Medien zuständigen nationalen Regulierungsstellen die Befugnis zur Durchsetzung der Vorschriften erhalten. Diese sollen – je nach den nationalen Rechtsvorschriften – auch Sanktionierungen mit Geldstrafen vorsehen.

SCHWIEIRIGE ZIELVEREINBARUNGEN

Das Drängen der Länder nach Mitbestimmung bei der Infrastruktur, um im zweiten Schritt Inhalte effektiver zu regulieren, wird besonders deutlich bei der Netzneutralität. Die EU hat für diesen Bereich das Instrument der maximalharmonisierenden Verordnung gewählt. Im Gegensatz zu einer Richtlinie, die von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss, gilt eine EU-Verordnung direkt und hat Vorrang gegenüber nationalem Recht. Die seit dem 30. April 2016 geltende Verordnung über Maßnahmen für den Zugang zum offenen Internet betrifft die Freiheit der Endnutzer, aus einem breiten und vielfältigen Inhalteangebot wählen zu können. Der Spielraum für die Sicherung von Meinungsvielfalt, die Thüringen und Nordrhein-Westfalen per Landesmediengesetz erreichen wollen, ist dabei zunächst gering.

Die EU-Verordnung zur Netzneutralität ist in zentralen Bereichen wie Zero-Rating, Verkehrsmanagement oder Spezialdienste offen formuliert worden, nachdem entsprechende Kontroversen auch in mehreren Verhandlungsjahren nicht ausgeräumt werden konnten. Die Konkretisierung überlässt die EU der Europäischen Dachorganisation der Regulierer: der GEREK (Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation), in der für Deutschland die Bundesnetzagentur (BNetzA) vertreten ist. Die GEREK-Leitlinien sollen europäische Unternehmen chancengleich gegenüber globalen Playern aus Asien und den USA positionieren. Darüber hinaus müssen die Leitlinien eine einheitliche Anwendung innerhalb der EU sicherstellen. Der zugewiesene Spielraum, auf „unpolitischem“ Wege einen Ausgleich der Interessen der Stakeholder herzustellen, ist enorm groß. Die Landesmedienanstalten, die sich für Transparenz, Chancengleichheit und Anbietervielfalt einsetzen, und die Länder haben zu den Leitlinien Position bezogen. Zur Überwachung und Durchsetzung der Netzneutralität wird es einer Klärung der Rollen der BNetzA und Landesmedienanstalten bedürfen. Dies gilt vor allem hinsichtlich von Ex-post-Sanktionsmechanismen.

Die mobile Nutzung von nicht-linearen Online-Inhalten ist mittlerweile gerade für die jüngeren Generationen Normalität. Außer internationalem, außereuropäischem Content füllen zunehmend auch heimische (Serien-)Produktionen die Kataloge von Videoportalen. Sind audiovisuelle Mediendienste aus dem im Mai 2016 vorgeschlagenen Verordnungsentwurf zum Geoblocking für internetbasierte Dienste des Online-Handels ausgenommen, soll die Portabilität von Streaming-Inhalten auf Reisen ins Ausland nun rechtlich möglich sein. Die Ausnahme für die territoriale Rechteverwertung als Kern einer erfolgreichen audiovisuellen Wirtschaft könnte nun aber in dem für das zweite Halbjahr 2016 erwarteten Vorschlag zu einer möglichen Revision der seit 1993 geltenden Kabel- und Satellitenrichtlinie (CabSat-Richtlinie) „durch die Hintertür“ verschwinden. Würden Online-Dienste (Catch-up-TV und Video on Demand) in den Anwendungsbereich aufgenommen, könnte die Sperrung von Internetinhalten in einzelnen Ländern oder Regionen de facto abgeschafft werden. Ein ähnlicher Konflikt zeichnet sich für die Revision des Urheberrechts ab. Auch bei dieser Novelle muss eine Balance gewahrt werden zwischen den wirtschaftlichen Interessen auf Investitionsrentabilität für den Zugang zu Inhalten und der Sicherung der Medienvielfalt für die Nutzer.

NEUE REGULIERUNGSFORMEN GESUCHT

Die Schnittmenge von Netz- und Inhalte-Regulierung wird immer größer, die Bedeutung der auf Frequenzknappheit basierenden Sonderregulierung des klassischen Rundfunks immer kleiner. Die Anforderungen an eine vielfaltssichernde Medienregulierung müssen deshalb grundsätzlich überdacht werden. Die europäische Medienpolitik ist heute an einem Punkt angekommen, wo sie komplexer denn je ist. Doch wie soll die Regulierung der Zukunft aussehen? Wie können Regulierungskompetenzen klar voneinander abgegrenzt werden? Wie können sich Entstehung und Umsetzung von Regulierung vereinfachen lassen?

Der Kommissionsvorschlag für die neue AVMD-Richtlinie lief durch das Programm der Kommission zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT) im Rahmen der sogenannten Better Regulation Agenda. Herausgekommen ist ein Vorschlag, der nicht wirklich zukunftsweisend im Sinne einer „Better Regulation“ ist. Er wird auch deshalb in den kommenden Monaten kontrovers diskutiert werden. Zuständige Berichterstatterinnen im federführenden EP-Kulturausschuss sind die beiden deutschen Abgeordneten Petra Kammerevert (SPD) und Sabine Verheyen (CDU). Bis Anfang 2017 werden sie ihren Bericht dem Plenum des Europäischen Parlaments vorlegen. Es ist absehbar, dass sie eine Vielzahl von Änderungsanträgen von Verbänden, Industrie und Institutionen aus Deutschland und den weiteren 27 Mitgliedstaaten erhalten. So wie in Deutschland Bundesländer und Bund die Diskussionen in der Ratsgruppe Audiovisuelles der Mitgliedstaaten sehr intensiv verfolgen und sich einbringen werden, werden dies die Regierungen der übrigen Mitgliedstaaten tun. Mit einer Umsetzung der neuen AVMD-Richtlinie ist deshalb nicht vor 2019 zu rechnen. Und dann wird eine neue EU-Kommission ernannt.

Es bleibt zu hoffen, dass sich Initiativen wie die 2013 auf EU-Ebene im Rahmen der Agenda des Digitalen Binnenmarktes eingerichtete Community of Practise for Better Self- and Coregulation zukünftig mehr Gehör verschaffen können. Auch wird ein Blick in andere Länder helfen, Anregungen für neue Regulierungsformen zu erhalten. So ist etwa für Video-on-Demand-Dienste in Finnland eine Form der Ko-Regulierung und in Irland der Selbstregulierung entstanden. Interessanterweise hat die britische Ofcom die für fünf Jahre mit der Ko-Regulierung von On-Demand-Diensten betraute Association for Television-on-Demand (ATVOD) ihrer Aufgabe entbunden und die Ex-post-Regulierung wieder an sich genommen.

Letztlich wird es darauf ankommen, wann die EU den Mut hat, Detailregelungen zugunsten eines Rahmens aus inhaltlichen und operativen Zielformulierungen aufzugeben und die Überwachung der Einhaltung an Institutionen abzugeben, die adäquat mit Kompetenzen und Instrumenten ausgestattet sind. Erste Schritte in diese Richtung sind gemacht. Das Vermächtnis aus fast 35 Jahren europäischer Medienpolitik fit für die Zukunft zu machen, wird viele Mitgliedstaaten weiterhin vor große Herausforderungen stellen. Ob die notwendige Vereinfachung in Zeiten des Brexit mit großer Verve verfolgt werden wird, mag bezweifelt werden. Noch einmal ein Drittel Jahrhundert lang müssen wir aber mit Sicherheit nicht warten, bis wir ein völlig neues Konstrukt vor uns haben, das auf Chancen und Risiken einer wie auch immer sich entwickelnden Medienlandschaft flexibel reagieren kann. Dies ist auch dringend erforderlich: Die fortschreitende Digitalisierung und Konvergenz von Angeboten sowie der zunehmende Wettbewerbsdruck vor allem durch US-amerikanische Konzerne machen für die europäische audiovisuelle Medienindustrie einen zeitnahen, verlässlichen und zukunftstauglichen Regulierungsrahmen wichtiger denn je.

Infografik Vorlage: ORF.at
Grafik unter Verwendung von i.stockphoto.com/incomible

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Dr. Anja Bundschuh ist Partnerin der Hartmut Schultz Kommunikation GmbH in Bern/Schweiz. Sie studierte in München Kommunikationswissenschaften und berät in den Bereichen Kommunikation, Public Affairs und Organisationsentwicklung.
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