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Verwandt oder verschwägert?
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Verwandt oder verschwägert?

Podcasts bieten über das Internet abonnierbare Audio-Dateien, die sich auf unterschiedlichen Endgeräten speichern und abspielen lassen. Seit Podcasts bequem mit Hilfe von Smartphones abgerufen werden können, nimmt ihre Nutzung kontinuierlich zu. Sind Podcasts das neue Radio?

Text Hans Knobloch und Bernt von zur Mühlen

Faking Hitler war einer der meistgehörten Podcasts zu Beginn des Jahres in Deutschland – eine Dokumentation vom Magazin Stern, das die Veröffentlichungen der gefälschten Hitler-Tagebücher im eigenen Haus aufarbeitet. Bemerkenswert daran ist, dass sich damit ein Printhaus weit ab vom bisherigen Kerngeschäft sehr erfolgreich im Audio-Markt behaupten konnte. Auch anderen Verlagshäusern gelingt das. Der Podcast Verbrechen von Zeit Online, das Morning Briefing von Ex-Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart oder der SZ-Podcast Das Thema sind journalistische Formate, die als Podcast reüssieren.

Ein Grund für solche Erfolge ist die Konvergenz der klassischen Medien, aber der wichtigste ist die mittlerweile sehr niedrige Eintrittsschwelle sowohl für Nutzer als auch für Produzenten. Denn ein beträchtlicher Teil des heutigen Podcast-Angebots stammt nicht von klassischen Medien. So etwa der erfolgreichste Polit-Podcast Lage der Nation aus Berlin: Wöchentlich tragen der Journalist Philip Banse und der Richter am Landgericht Berlin Ulf Buermeyer in einem Live-Zwiegespräch – das einer Talmud Auslegung gleicht – die wichtigsten Politikthemen aus deutscher Sicht zusammen. Wenn die beiden Mitvierziger nicht gerade irgendwo in der Republik ihre „Lage live“ dem Fanpublikum in Shows nahebringen, wird die Sendung im „Küchenstudio“, einer Art Pop-up-Radiostudio in Berlin Pankow, aufgenommen. Und zu jeder Sendung werden vorab die Shownotes mit Quellenangaben per Mail-Newsletter herumgeschickt.

Alle reden, aber keiner redet rein

Kein Chefredakteur, kein Herausgeber und kein Intendant werden den beiden je die Frage stellen: Was habt ihr denn da schon wieder gesendet? Für Podcasts gilt archetypisch: absolute Freiheit und Autonomie über Inhalt und Gestaltung – im schroffen Gegensatz zu den klassischen Medien, wo Content-Hierarchien den Kreativitätsprozess lenken. Die akzeptierte Länge einer Podcast-Produktion hängt alleine vom Aufmerksamkeitsbudget der Nutzer ab. Podcasts haben dadurch mitunter den Charme des Provisorischen und klingen zuweilen wie der kleine Bruder, der es auch mal versuchen will. Aber der Gewinn ist ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und Authentizität.

Die Nutzer danken es mit Fandom. Solches „Fantum“ kennt man von Indie-Bands. Folgerichtig lädt die neue Generation von Podcast-Machern ihre Fans zu Live-Aufnahmen. Und hinterher kann man ein T-Shirt kaufen. Der Podcast Gemischtes Hack von Felix Lobrecht und Tommi Schmitt füllte unlängst das Gloria Theater in Köln. Der „Chatcast“ der beiden Comedians ist eine ziellose Plauderei und Blödelei. Daher die Bezeichnung „Chatcast“. Dramaturgische Gesetzmäßigkeiten werden gekonnt ignoriert und der Nerv der Nutzer so genau getroffen, dass es den Machern regelmäßig Spitzenplatzierungen in den iTunesCharts einbringt.

Podcasts punkten bei Millennials

Podcasts und Social Media sind auf dem Smartphone symbiotisch miteinander verwoben. Für die Millennials wirken Podcasts wie die auditive Verlängerung von Social Media, ohne deren Flüchtigkeit zu reproduzieren. Werden Videos auf Facebook im Durchschnitt 23 Sekunden genutzt, hören 87 Prozent der Nutzer vollständig oder nahezu vollständig ihre Podcasts, wie Edison Research belegt – und das bei einer Podcast-Länge von oftmals mehr als einer Stunde.

Beim Angebot und der Verbreitung von Podcasts ist es wie mit den Fahrradwegen: Je mehr davon gebaut werden, desto mehr werden sie genutzt. Zahlreiche Apps ebnen den Weg durch den Audiodschungel und vor allem machen die Großen mit: Apple als „First-to-the-market“ mit iTunes, Google als „Late-to-the-market“ mit seiner Podcast App und das immer wichtiger werdende Spotify als eine Art Netflix für Audio. Mit Original-Podcasts wollen sich die Schweden unabhängiger von den Lizenzgebühren der Musik-Labels machen.

Millennials sind der eigentliche Motor für den Boom von Podcasts. Heute nutzen in Deutschland 22 Prozent „hin und wieder Podcasts“ (Bitkom Research 2018, 14+). Waren es vor Jahren noch vor allem Männer der Zielgruppe „50+“, so sind nun die mittleren und jungen Generationen dabei, die Podcast-Nutzung zu dominieren. Der Online-Audio-Monitor 2018 zeigt, dass von den 20- bis 29-Jährigen 24,6 Prozent „zumindest gelegentlich“ Podcasts und Radiosendungen auf Abruf nutzen.

Auditive Immersion

Medien aus dem „Ökosystem Smartphone“ zu beziehen, ist für Millennials so selbstverständlich wie für ihre Elterngeneration das „Lagerfeuer“ Tagesschau. Mediensozialisiert sind deren Kinder eher mit „Benjamin Blümchen“ und „TKKG“ als mit dem klassischen Hörspiel aus dem Radio. Das lässt sich aus zahlreichen populären Podcasts wie Herrengedeck, Drei Väter – ein Podcast oder Beste Freundinnen heraushören. Ein exemplarisches Hineinhören bei letzterem verdeutlicht die „Distanz“ des Millennial-Podcastings zu den klassischen Medien. Im „ultra ehrlichen Männerpodcast“, so die Eigenwerbung, führen Max und Jakob „Gespräche unter der Gürtellinie“ (Der Tagesspiegel). Einmal wird die Menschheit eingeteilt in „Lover“ und „Fucker“, ein andermal wird verraten, wie man seine Ex zurückgewinnt. Das Prinzip der Sendung ist mehr als ein Sex-Ratgeber, weil die Erfahrungswelt der Hörer und die der Macher kurzgeschlossen werden. Die dadurch entstehende Nähe und Intimität sind kennzeichnend für diese jungen Podcasts. Vom Geist der beinahe hundertjährigen Radiotradition ist nur noch wenig zu spüren. An die Stelle des deklamatorischen Tons von Radio ist ein dialogisch, immersives Hineinwirken und Miteinbeziehen der Nutzer getreten.

Slowfood der Medien

Verstärkt und vielleicht erst richtig ermöglicht wird diese Immersion durch die Art und Weise, wie der Großteil der Podcasts gehört wird: mit zwei Stöpseln, die buchstäblich in die Ohrmuschel eindringen. Privater und intimer kommt nur der Arzt mit seinem Stethoskop dem menschlichen Körper nahe. Hinzukommt, dass der Akt des Hörens von Natur aus eine andere Tiefe und Aufmerksamkeit erlaubt als das flüchtige Sehen. Hören schafft Vertrauen, Sehen Distanz, heißt es bei Immanuel Kant (vgl. Artikel Audible Turn). Podcasts werden daher bereits als die „Slowfood Bewegung der Medien“ (Jake Shapiro) bezeichnet. Kopfhörer schotten den Lärm der modernen und dauernd erregten Welt ab. Sie würden einen privaten, geschützten Raum herstellen, während man sich durch eine potenziell bedrohliche und unangenehme Stadtlandschaft bewege, schlussfolgerte der britische Medientheoretiker Michael Bull bereits 2007.

Schwierige Verwandtschaft

Möglicherweise denkt die Radio-Branche, sie sei der legitime Stammvater von Podcast, glaubt daher zu wissen, wie es funktioniert, so wie ein Franzose glaubt, Spanisch wie von selbst lernen zu können. Vielleicht tut sich der Hörfunk gerade deshalb schwerer mit Podcasts als ein Medium wie Print, das sich die neue Grammatik und das Vokabular erstmal anzueignen hat. Das mag in Radio-Redaktionen zu einer Unterschätzung des Mediums Podcast führen, weshalb sich noch immer das Missverständnis hält, die in Mediatheken abrufbaren, ursprünglich im Radio ausgestrahlten Sendungen seien Podcasts.

Hörfunk ist das endlose Aneinanderreihen von einzelnen Sendungen: ein steter Fluss, der sich beharrlich gegen schreiende Kinder, Plauderei im Büro oder Gehupe vom Hintermann zu behaupten trachtet. Beim Podcasting ist die Hörsituation exklusiv, die Aufmerksamkeit maximal und die Kontrolle auf der Seite des Nutzers. Der startet, unterbricht, spult den Podcast vor, wann er will. Daher unterscheiden sich Hörsituation, Konzeption und Produktion von Podcasts heute grundsätzlich vom Medium Radio.

Die Grenzen von Podcasts sind kulturell oder sprachlich, während Hörfunk in Deutschland trotz IP-Verbreitung im Kern regional geblieben ist. Das schränkt auch die Verbreitung und Vermarktung von genuinen Radio-Podcasts ein. Bisher verirren sich in den von nationalen Podcast-Brands dominierten iTunes Charts nur wenige Produktionen regionaler Radioprogramme: Im Namen der Hose als Podcast der BR-Jugendwelle Puls, Tagesticket – der Früh-Podcast von BR2 oder die Geheimakte: Peggy von Antenne Bayern, wo die Programmmacher auf die regionale Einschränkung mit dem Aufbau des nationalen Podcast-Labels lautgut reagiert haben. Noch einen Schritt weiter geht RTL Radio Deutschland mit dem Start der nationalen Audio-Plattform Audio now. Unter diesem Dach finden sich seit dem 21. März nicht nur Podcasts, sondern sämtliche Audio-Angebote des Bertelsmann-Konzerns. Zum Sortiment gehört natürlich auch Faking Hitler.

Grafik: rosepistola.de unter Verwendung von Public Domain-Bildmaterial:
Gemälde von Augustus Leopold Egg, »The Travelling Companions« (1862)
Porträts Hans Knobloch & Bernt von zur Mühlen: privat

Bild Hans Knobloch
Hans Knobloch arbeitet als freier Medienberater in Berlin. Zuvor leitete der erfahrene Hörfunk-Experte die internationalen Programme von Nouvelle Radio Jeunesse (Radio Energy, NRJ-Gruppe) in Paris.
Bild Bernt von zur Mühlen
Bernd von zur Mühlen ist Inhaber der Medien Kultur Medien GmbH in Luxemburg, war Direktor von Radio Luxemburg, Geschäftsführer von 104.6 RTL in Berlin und der Holding RTL Radio Deutschland.
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