Cookie Hinweis

Suche

Tendenz

Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien

Und es hat RUMS gemacht
zur Übersicht aller ArtikelAlle Artikel zur Übersicht aller AusgabenAlle Ausgaben

Und es hat RUMS gemacht

Der Lokaljournalismus steckt in einer Vertrauenskrise – zugleich beweist die Corona-Pandemie, wie sich der Journalismus auch in Krisenzeiten immer wieder neu erfinden kann. Für Startups in Ballungsräumen könnte das Lokale zur einmaligen Chance werden.

Text Stephan Weichert

Wenn es um die Zukunft der Branche geht, wollen in diesen rauen Zeiten möglichst viele Leute mitreden: Akademisch Gebildete, die dem Journalismus seine Systemrelevanz wahlweise absprechen oder zuweisen; Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, die letzte Claims abstecken; Beratungsfirmen, die das Ende journalistischer Geschäftsmodelle ausrufen – und journalistisch Tätige, die das eigene Metier verbessern wollen.

Jüngst hat sich auch das Lifestyle-Magazin „wmn“ für junge Frauen zu Wort gemeldet. Unter der Überschrift „Aussterbende Berufe: Hoffentlich wird es diese Jobs in 10 Jahren noch geben“ erklärt der neue Millennial-Ableger der Funke-Lokalzeitungsgruppe den Reporter-Beruf kurzerhand für nicht zukunftsfähig. Das liege nicht nur daran, dass der Journalismus „von Print auf die digitale Schiene verlegt“ werde: „Ein anderer wichtiger Faktor ist, dass der Beruf der Journalisten nicht geschützt ist. Auf Social Media kann jede:r eine rasende Reporter:in sein. Jeder Mensch kann seinen eigenen Blog starten und News bzw. Meinungen verbreiten (…) “, so die Autorin von „wmn“.

Diese Erkenntnis ist weder bahnbrechend noch neu. Sie ist in ihrer Schlichtheit aber erkenntnisleitend um zu verstehen, wo gerade im Lokalen die Grabenkämpfe verlaufen, wenn „jede:r eine rasende Reporter:in sein“ kann. Das Resultat lässt sich täglich in sozialen Netzwerken bestaunen und ist am ehesten mit einer Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses bei gleichzeitiger politischer Polarisierung zu beschreiben. Ausgerechnet diejenigen, auf die wir im zweiten Jahr der Pandemie dringend angewiesen sind, blicken demnach harten Zeiten entgegen.

Lokaljournalismus hat momentan eine Durstrecke zu bewältigen, die nicht nur kräftezehrend ist, sondern viele an ihrem Metier zweifeln lässt, weil ihnen Hass und Misstrauen entgegenschlagen: Corona erscheint wie ein Teilchenbeschleuniger der digitalen Kommunikation mit dem Publikum, der Lokaljournalistinnen und –journalisten in Ballungsräumen und ländlichen Regionen in puncto Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit vor die Bewährungsprobe stellt.

Vor Ort zu sein, also dort, wo die Menschen leben, gehört zu den unschlagbaren Stärken des Lokaljournalismus: „Menschen haben doch eine Sehnsucht danach, nicht nur digital unterwegs zu sein. Sie wollen Zoom (Anm. d. Red. das Videokonferenzsytem) zumachen und im echten Leben anderen begegnen“, sagt etwa die Lüneburger Dialogjournalistin und Startup-Gründerin Astrid Csuraji im Interview mit dem Medienmagazin „journalist:in“. Für Csuraji birgt die Post-Corona-Zeit „eine echte Chance fürs Lokale“. Auch wenn viele ihr Produkt immer noch als Einbahnstraße begreifen würden, hofft sie, dass Lokaljournalismus wieder echte Begegnungen ermöglichen und für die Bevölkerung erlebbar machen kann: „Lokaljournalist:innen können Menschen zusammenbringen, können Picknicke veranstalten, den Bürgermeister zum Grillen einladen, können am Ort des Geschehens und gemeinsam mit ihrem Publikum Fragen stellen.“

Trotz Durststrecke: „eine echte Chance fürs Lokale"

Startup-Unternehmerinnen wie Csuraji erkennen den steigenden Bedarf nach authentischer Begegnung nicht nur als einmalige Gelegenheit für Lokaljournalismus, die Gesellschaft nach Corona ein Stück besser zu machen und seine angeschlagene Reputation zu stärken. Sie wollen ihn auch beleben und zugleich neu erfinden: mit öffentlichen  Diskurs- und Erlebnisformaten, Publikumsbeteiligung bei lösungsorientierten Recherchen, technologischen Experimenten mit Daten und nutzerbasierten Geschäftsmodellen, die vor allem über Teilhabe statt Abschottung durch Paywalls funktionieren sollen.

Dass der Community-Gedanke zentraler Schlüssel im Local News Business ist, zeigen die jüngeren Bemühungen in unterschiedlichen Ballungsräumen Deutschlands, digitale Lokalprojekte anzuschieben. Die neuen Platzhirsche heißen Rums (Münster), Viernull (Düsseldorf), Im Süden (Augsburg), Report K (Köln) oder Relevanzreporter (Nürnberg). Solche Lokalangebote müssen in der Gründungsphase auf den Zusammenhalt ihres Teams und die Marktfähigkeit ihrer Geschäftsidee vertrauen – und sei letztere in Krisenzeiten wie diesen noch so fern.

Selbst der etablierte Merkurist aus Mainz stand wegen der Corona-Krise schon vor dem finanziellen Aus, hat sich aber durch eine Crowdfunding-Rettungskampagne in letzter Sekunde wieder gefangen. Es geht weiter. Zum Glück – vorerst für Mainz. Das Beispiel zeigt, wie fragil diese Jungunternehmen wirtschaftlich allesamt sind, obwohl ihre Relevanz so groß sein mag wie nie. Es gibt Szenarien wie die Anerkennung der Gemeinnützigkeit des Journalismus, was vielen nicht die Rettung bringen dürfte, aber womöglich neue Spielwiesen für Großspender, Unternehmensstiftungen und Mäzene eröffnet.

Fest steht schon jetzt, dass Lokaljournalismus aufgrund des radikal veränderten Nutzungsverhaltens und der steigenden Einnahmeverluste infolge der weltweiten Corona-Pandemie vor extremen Herausforderungen steht. Gerade Projekte wie das lokaljournalistische Digitalangebot „Rums“ aus Münster könnten die deutsche Medienlandschaft nachhaltig bereichern, indem sie global denken und lokal berichten: „RUMS kann durch den Fokus auf ein klar umrissenes Aufgabengebiet dazu beitragen, Demokratie zu stärken und beweist, wie sich Journalismus auch in Krisenzeiten immer wieder neu erfinden kann“, befand die Jury zur Vergabe des #Netzwende Awards 2020. Ein Award, den der Kommentator mit ins Leben gerufen hat. Kein anderes journalistisches Start-up habe vergangenes Jahr einen so fulminanten Start hingelegt. Das junge Projekt zeichneten vor allem „die konsequente Ausrichtung auf das Lokale, das Arbeiten in der Nische, die Unabhängigkeit von der Werbeindustrie“ aus. „Rums“ habe das Potenzial, „große Strahlkraft für die Medienbranche und darüber hinaus zu entwickeln und andere Medienmacher*innen zu ermutigen, ähnliche lokaljournalistische Unternehmungen zu wagen“.

Global denken, lokal berichten

Für die Aus- und Weiterbildung heißt das, noch stärker als bisher die Community und ihr konkretes Entwicklungspotenzial in den Blick zu nehmen, Format- und Produktentwicklungen für spezielle Zielgruppen zu trainieren sowie Journalistinnen und Journalisten intensiver auf die Realitäten von Unternehmensgründungen vorzubereiten, sich also mit den nackten Tatsachen der unsicheren Finanzierung zu befassen. Denn in der Regel sind die vielfältigen Anschubfinanzierungen über Akzeleratoren, Media­labs, staatliche Innovationsprogramme und Crowdfunding oft nicht die entscheidende Hürde; hier werden meist mehrere tausend Euro verteilt.

Ernst wird es erst, wenn nach der Anschubphase die wahren Probleme auftreten, bis es dem Gründungsteam gelingt, sich am Markt zu behaupten. Hier braucht es Durchhaltevermögen über viele Jahre, einen langen Atem und eine ausgeprägte Resilienz, bis sich die Projekte etablieren. Wer hier nicht vorzeitig aufgibt, hat gute Chancen – Beispiele sind die „Krautreporter“ oder „Perspective Daily“, die es bereits seit mehreren Jahren gibt, deren Durchbruch aber eine ganze Weile gedauert hat.

An dieser Stelle ein Zwischenfazit – ohne Garantie: Noch nie war die Nachfrage nach Lokaljournalismus größer, nie waren Fakten vor Ort gefragter. In der Corona-Pandemie zeigt sich, wie notwendig und existenziell das Nachrichtengeschehen vor der eigenen Haustür ist. Das Lokale kann somit zur großen Chance für lokaljournalistische Start­ups werden, allerdings nur, wenn sie unabhängigen, konstruktiven Lokaljournalismus machen, der digital und hundertprozentig von den Nutzerinnen und Nutzern her gedacht wird.


Artwork: rosepistola.de


Bild Dr. Stephan Weichert
Dr. Stephan Weichert  ist Kommunikationswissenschaftler und Innovationscoach in Hamburg. Er arbeitet in der akademischen Aus- und Weiterbildung für das Berufsfeld Journalismus und hat mit VOCER über 50 Startup-Projekte gefördert. Weichert ist Mitinitiator des #Netzwende Awards für nachhaltige Innovationen im Journalismus. Diesen Preis hat 2020 das lokaljournalistische Digital­angebot „RUMS“ gewonnen.
zur Übersicht aller AusgabenAlle Ausgaben zur Übersicht aller ArtikelAlle Artikel

Artikel teilen

E-Paper 1/21

TENDENZ als PDF

  • TENDENZ 1/21
  • (PDF, 8 MB)

Info

Bildnachweis 1/21