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Tendenz

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Abheben statt abwarten
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Abheben statt abwarten

Spätestens nach einem Interview über Flugtaxis weiß fast jeder, dass es seit dem Frühjahr auf Bundesebene erstmals eine Ministerin für Digitalisierung gibt. Tendenz sprach mit Dorothee Bär (CSU) über Enthusiasmus, Engagement und Ethik.

INTERVIEW Stefanie Reger

Tendenz: Frau Staatsministerin, Sie haben im Sommer das Media Lab Bayern besucht. Das Media Lab hilft jungen Gründerinnen und Gründern, ihre Ideen rund um Innovationen in der Medienbranche umzusetzen. Was haben Sie von dort mitgenommen?

Dorothee Bär: Obwohl ich nur kurz dort war, habe ich eine interessante Mischung von Start-ups kennenlernen dürfen, die zahlreiche neue Ideen für die Zukunft der Medien haben. Das war eine erfreuliche Erfahrung und hat deutlich bessere Perspektiven als das Ziehen von Brandmauern, um alte Geschäftsmodelle noch ein paar Jahre zu schützen, bis die heutigen Chefs in Rente sind.

So viel Enthusiasmus in Sachen Digitalisierung ist in Deutschland nicht selbstverständlich. Warum ist das so? 

So hart es klingt: Vielleicht sind wir manchmal einfach zu satt. Die Wirtschaft brummt, in vielen Regionen herrscht Vollbeschäftigung und die Auftragsbücher sind mehr als voll. Dass der demographische Wandel die Unternehmen bald zu Innovationen zwingt und dass disruptive Technologien die heutigen Geschäftsmodelle in kürzester Zeit über den Haufen werfen können, wird in vielen Branchen leider verdrängt.

Bei uns steht schon länger ein Buch des Tech-Gurus Jaron Lanier auf den Bestsellerlisten. Er empfiehlt, mit Social Media Schluss zu machen, weil Social Media der Demokratie schade, Armut, Hass und Entfremdung fördere… Was erwidern Sie, die Sie gerade die 27.000-Tweet-Marke auf Twitter knacken, darauf? 

Jaron Lanier ist ein interessanter Denker und manche Aspekte seiner Social-Media-Kritik sind durchaus berechtigt. Da waren die US-Präsidentschaftswahlen ein Menetekel. Allerdings vernachlässigt er in meinen Augen, welche Bereicherung Social Media für das eigene Leben darstellen können. Mein Vertrauen in die Bürgerinnen und Bürger ist da größer als das von Lanier. Ich meine, dass wir mit entsprechender Medienkompetenz Demokratie und Social Media vereinbaren können. 

Für Ihre positive Sichtweise haben Sie viel Spott abbekommen, als Sie in einem Ihrer ersten Interviews als Staatsministerin für Digitalisierung über Flugtaxis gesprochen haben. Wird das Ausmaß, in dem die Digitalisierung unsere Zukunft beeinflusst, hier nach wie vor unterschätzt? 

Das glaube ich schon. Es fällt natürlich schwer, sich vorzustellen, wie das Leben in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen wird. Sicher ist nur: Die Änderungen werden gravierend sein – und bringen viele Chancen mit sich: vom autonomen Fahren und Fliegen – viel effizienter und sicherer als heute – über Smart Homes, in denen man mehr Zeit für sich und seine Familie hat, bis hin zur digitalisierten Fabrik mit vielen neuen Berufsbildern.

Wie erklären Sie älteren Menschen auf dem Land, die Angst davor haben, in ein Flugtaxi zu steigen, was ihnen die Digitalisierung bringt? 

Ich sage ihnen zum Beispiel, dass die Digitalisierung bedeutet, dass sie künftig länger in den eigenen vier Wänden leben können, weil es immer mehr digitale Unterstützung gibt: Digitale Sensoren, die im Notfall automatisch ärztliche Hilfe holen. Intelligente Kühlschränke, die fehlende Lebensmittel ordern. Selbstfahrende Autos, mit denen man bis ins hohe Alter hinein mobil bleibt. Oder digitale Verwaltungen, die ihnen den Weg aufs Amt ersparen. 

Die digitale Gegenwart ist das Silicon Valley, die digitale Zukunft jedoch entsteht gerade in China. Die Medientage München haben heuer deshalb ein China-Special auf dem Programm. Was kann sich Deutschland vom Land der Mitte in Sachen Digitalisierung abschauen? 

Abschauen können wir uns von den Chinesen den Optimismus und die Zuversicht bei der Beurteilung der Digitalisierung. Während man in China eher die Chancen sieht, stehen bei uns oft eher die Risiken im Vordergrund. Wir kommen aber nicht ausreichend schnell voran, wenn wir immer warten, bis eine Lösung zu hundert Prozent funktioniert und komplett ausgetestet ist. Wir sollten uns öfter trauen, mit der Beta-Version rauszugehen und dann aus dem zu lernen, was vielleicht noch nicht so optimal funktioniert. Aber natürlich müssen wir das nach unseren eigenen Wertvorstellungen gestalten, denn da gibt es doch Unterschiede zu China.

Eines der wichtigsten Themen auf der Digitalagenda ist die Künstliche Intelligenz. Hightech-Firmen wie Amazon, Alibaba, Alphabet oder Apple sind weit vorn, was ihren Einsatz angeht. Wie können deutsche Firmen hier mithalten? 

Die Bundesregierung will Deutschland zum führenden Standort für Künstliche Intelligenz machen. Wir haben gerade im Kabinett ein Eckpunktepapier beschlossen und wollen die Strategie bis November fertig haben. Neben mehr anwendungsorientierter Forschung in diesem Bereich brauchen wir etwa mehr öffentliche Ressourcen, um privates Wagniskapital zu mobilisieren und die Gründung von Start-ups zu fördern.

Sie plädieren in dem Zusammenhang für weniger Datenschutz und mehr Datensouveränität. Was meinen Sie damit? 

Ich bin nicht für weniger Datenschutz, sondern für einen „smarten“ Datenschutz. Das bedeutet für mich vor allem, den Bürgerinnen und Bürgern die Informationen an die Hand zu geben, wer ihre Daten nutzt und zu welchem Zweck. Dann haben sie nämlich künftig die Möglichkeit, diese Datennutzung zu unterbinden. Mehr Datensouveränität bringt auch die seit Mai geltende EU-Datenschutzgrundverordnung. So wird etwa das „Recht auf Vergessen“ auch bei sozialen Netzwerken gesetzlich verankert. 

Das heißt, jeder sollte selbst bereit sein, Verantwortung für sein Handeln in der digitalen Welt zu übernehmen. Brauchen wir also eine neue digitale Ethik? 

Ein Stückweit sicher. Die Bundesregierung hat die Datenethikkommission eingesetzt, die den Auftrag hat, bis zum Sommer nächsten Jahres einen Entwicklungsrahmen für Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, Künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen vorzuschlagen.

„Engage! Shaping Media Tech Society“ heißt das Motto der diesjährigen Medientage München. Was kann jeder Einzelne tun, um die Digitalisierung im Sinne der Gesellschaft mitzugestalten? 

Jeder kann zum Beispiel seine Ideen einbringen. Ich verstehe mich auch als erste Ansprechpartnerin in der Bundesregierung für Anregungen und Vorschläge. Und jede Bürgerin, jeder Bürger ist eingeladen, den neuen digitalen Möglichkeiten offen gegenüberzutreten, sie auszuprobieren und sich mit anderen darüber auszutauschen.

Sie sind Staatsministerin und dreifache Mutter, haben sich für das Betreuungsgeld genauso ausgesprochen wie für die Frauenquote in Aufsichtsräten. Deshalb zum Schluss eine persönliche Frage: Wird der Spagat zwischen Karriere und Familie für unsere Töchter einfacher sein?

Das bleibt immer eine Herausforderung und betrifft übrigens unsere Söhne genauso wie unsere Töchter. Die Digitalisierung bietet aber viele Möglichkeiten, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leichter wird: Mobiles Arbeiten und Home-Office sind heute schon in vielen Bereichen möglich und an der Tagesordnung. Und man kann sich jederzeit per Skype, ICQ oder Facetime sehen und sprechen, wenn man möchte. Aber trotzdem wird der Spagat zwischen Beruf und Familie auch in Zukunft schwierig sein. Denn Kinder brauchen ihre Eltern nicht nur digital, sondern möglichst oft und möglichst lang ganz analog.


Illustration: iStock.com/peshkov
Porträt Dorothee Bär: Tobias Koch
Porträt Stefanie Reger: privat

 

Bild Stefanie Reger
Stefanie Reger ist die Pressesprecherin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. Davor war die Journalistin die Pressesprecherin der Gemeinschaft der Landesmedienanstalten. Ihr Handwerk hat sie unter anderem bei der Abendzeitung gelernt.
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