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Aus digitalen Konsumenten mündige Bürger der Zukunft machen
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Aus digitalen Konsumenten mündige Bürger der Zukunft machen

Taskforces, die Maßnahmen zur digitalen Bildung umsetzen, fordert Verena Pausder, Vorständin des Vereins »Digitale Bildung für alle«. Die Homeschooling-Maßnahmen während des coronabedingten Lockdowns hätten gezeigt, dass mehr Mut notwendig ist, die Digitalisierung als Chance für alle Schülerinnen und Schüler zu begreifen, damit aus digitalen Konsumenten mündige Bürger der Zukunft werden.

INTERVIEW Bettina Pregel

Tendenz: Homeschooling während des coronabedingten Lockdowns hatte viele Gesichter: Es reichte von Telefonanrufen über Videokonferenz-Tools bis zu einer Schulcloud. Wie sieht ihr bisheriges Fazit mit Blick auf Digitalisierung und Bildung aus?

Verena Pausder: Mein Fazit ist, dass wir nicht wirklich vorbereitet waren darauf, dass Digitalisierung an den Schulen plötzlich so eine große Rolle spielen würde. Und das ist eigentlich schon lange klar gewesen. Wir haben sehr flickenteppichmäßig in jedem Bundesland an einer eigenen Schulcloud gearbeitet, sehr zögerlich die finanziellen Mittel aus dem Digitalpakt abgerufen  – von den fünf Milliarden sind bis heute nur 140 Millionen abgerufen  – und wir haben vor allem die Lehrerinnen und Lehrer nicht ausreichend fortgebildet für diesen digitalen Unterricht. Die Quittung dafür haben wir nun in Corona- Zeiten bekommen. Es haben sich zwar alle sehr viel Mühe gegeben, aber es gab eben auch sehr viele Einzellösungen und Orientierungslosigkeit, was man jetzt wirklich nutzen darf.

Mehr Mut in der Bildungspolitik, fordern Sie als Vorständin des Vereins »Digitale Bildung für alle«. In welchen Punkten sollte denn mehr Mut gezeigt werden?

Digitale Bildung muss einfach ausgetestet werden. Wir werden nicht die Antwort auf alle Fragen vorher haben. Es wird keine Langzeitstudien geben können, wie der Unterricht aussehen muss, damit er zu maximalem Erfolg führt. Und wir müssen auch ein Stück weit den Lehrern zutrauen, dass sie mal Dinge ausprobieren dürfen, ohne sofort dafür verantwortlich gemacht zu werden, wenn ein Experiment schief läuft. Das meine ich mit »mehr Mut zeigen«. Wir brauchen mehr Mut, die Mittel aus dem Digitalpakt unbürokratisch auszuschütten, mehr Mut, unseren Lehrern das Lernen dieser neuen Form von Unterricht zu ermöglichen. Und wir brauchen mehr Mut als Gesamtgesellschaft: Wir dürfen die Digitalisierung nicht immer nur als Risiko begreifen, sondern sollten sie auch als Chance sehen, unsere Kinder zu Gestaltern der Zukunft zu machen. Denn, wenn wir ihnen das in der Schule nicht beibringen, werden sie eher digitale Konsumenten sein.

Wer soll diese Forderungen angesichts der Kulturhoheit der Länder politisch durchsetzen?

Zum Beispiel die Länder in der Kultusministerkonferenz (KMK), die eine 17. Behörde ist neben den 16 Bundesländern. Die KMK könnte viel stärker Themen bündeln, vordenken, Think Tank werden für Themen, mit denen sich alle 16 Länder sowieso gerade beschäftigen müssen, wie zum Beispiel eine Schulcloud. Die haben wir jetzt 16mal entwickelt. Generell gilt es, mehr zu bündeln und in der Lehrerfortbildung zentral zu überlegen, welche Webinare brauchen wir eigentlich gerade für die Lehrerinnen und Lehrer. Diese Webinare  könnten alle auf einer zentralen Plattform bereitgestellt werden – kurz: Wir brauchen mehr Kooperation und weniger »Jeder kocht sein eigenes Süppchen«.

Wo sehen Sie also die größten Hindernisse, wenn es um die Realisierung entsprechender Bildungsmaßnahmen geht?

Wir müssen mehr umsetzen, statt die Erkenntnis zu feiern. Wir brauchen Taskforces, die folgende Fragen beantworten: Wie bringen wir die Schulen möglichst schnell ans Netz? Wie können wir die heimische Wirtschaft mit einbinden, die z.B. in Form von Next Cloud, Ionos oder Moodle schon sehr gute Lösungen hat? Und: Wenn es schon Best Practice-Beispiele gibt, dann sollten wir da alle genau hinschauen statt wegzuschauen und alles neu zu entwickeln, weil es nicht von uns kommt.

Welche Chancen bieten Online-Lernen und digitalgestützter Unterricht für Schülerinnen und Schüler?

Aktuell sind unsere Kinder qua Prägung und Sozialisierung eher digitale Konsumenten. Sie nutzen ihre Geräte für Kommunikation oder für digitales Spielen. Wir bilden sie aber bisher nicht zu mündigen Bürgern der Zukunft aus, indem wir ihnen Medienkompetenz vermitteln oder digitales Gestalten wie das Programmieren oder das Schneiden eines Films beibringen. Zur digitalen Mündigkeit gehört es natürlich auch zu differenzieren, welche Quelle richtig und echt ist, wie ich diese verifizieren kann, wie ich mit Hassrede im Internet umgehe und wie ich ungewünschte Kommentare melde. All das ist Teil der Lebensrealität unserer Kinder. Und wenn wir ihnen das nicht in der Schule beibringen, ist das eine Frage des Elternhauses. Das ist dann eine große soziale Ungerechtigkeit, wenn es nur die einen lernen und die anderen nicht.

Stichwort Medienkompetenz – wer sollte diese vermitteln? Es gibt ja bereits einige Maßnahmen der Medienanstalten wie z.B. den Medienführerschein Bayern für Kitas und Schulen.

Aus meiner Sicht muss das an den Schulen stattfinden und schon in den Grundschulen beginnen, wo noch die ganze Breite der Gesellschaft vertreten ist. Es gibt ja schon tolle Maßnahmen und einzelne Leuchttürme wie das von Ihnen genannte Beispiel. Viele Lehrerinnen und Lehrer gehen bereits mit großen Schritten voran. Aber es darf eben nicht Zufall oder Glück sein, ob es die Schülerinnen und Schüler erreicht. Es darf eben nicht davon abhängen, auf welche Schule ich gehe oder welche Lehrer ich habe. Wichtig ist ein flächendeckender Anspruch, alle Kinder gleichermaßen auszubilden. Denn das hat Corona gezeigt: Wer in diesen Zeiten keine digitalen Geräte oder Drucker zuhause hatte, den erreichte das Lernen nicht. Und diese Chancenungleichheit darf nicht tief im System verwurzelt sein.

Plädieren Sie also für ein Pflichtfach Medienkompetenz an den Schulen?

Medienkompetenz muss ein fest verankertes Fach sein. Die  digitalen Fähigkeiten dagegen müssen fächerübergreifend vermittelt werden. Wenn Schüler z.B. ein Gedicht vortragen, können sie das Gedicht als Video aufnehmen, dieses schneiden und mit Musik hinterlegen. Es ist dann zwar immer noch ein Gedicht im Deutschunterricht, aber gleichzeitig sind die Schüler kreativ geworden. Das meine ich mit fächerübergreifender Vermittlung statt festgelegten Stunden dreimal in der Woche. So wird auch die Lebens- und Arbeitsrealität der Kinder später nicht aussehen. Dieses »neu Denken« von analogem und digitalem Unterricht – das müssen wir uns trauen!

Nun haben Sie bereits einige Visionen geschildert. Welche davon könnten die Corona-Pandemie überdauern?

Was vielfach von Lehrern gefordert wird, ist mehr Freiheit im Lehrplan. Wenn ich in jedem Fach kaum Freiräume habe, um eben diese Projekte durchzuführen, über die wir gerade geredet haben, dann werden sie immer nur dann stattfinden, wenn gerade noch Zeit ist. Langfristig müssen wir also das Curriculum freier und flexibler gestalten, damit z.B. ein coronaoptimiertes Klassenzimmer in einem 3D-Programm entstehen kann: Man baut es im Kunstunterricht, vermisst es im Mathematikunterricht und schreibt im Deutsch-Unterricht einen Aufsatz darüber. Das ist eine echte fächerübergreifende Aufgabenstellung. Das Curriculum freier zu machen und die Lehrkräfte fortzubilden, sind zwei ganz wesentliche Aufgaben, die wir angehen müssen und die eigentlich nichts mit Corona zu tun haben. Denn wir müssen ganze Studiengänge auf den aktuellen Stand bringen und die Landesfortbildungsinstitute entsprechend ausstatten. Wir sollten jetzt den Lehrern kurzfristig Soforthilfe geben, sie aber langfristig richtig dafür ausbilden. Meine drei Forderungen lauten also: Wir müssen den Unterricht für digitale Inhalte öffnen, die Lehrkräfte dafür ausbilden und den Digitalpakt unbürokratisch abrufen. Das darf nicht in dem Tempo passieren wie bisher. Dann sind die Schulen in fünf Jahren noch nicht ausgestattet, und die Zeit haben wir nicht mehr!

Welche Vorbilder fallen Ihnen dazu im internationalen Vergleich ein?

Dänemark hat zum Beispiel sehr gut abgeschnitten in der 2018 veröffentlichten ICILS-Studie (International Computer and Information Literacy Study). Die nennen digitale Bildung einfach E-Learning, das ist für die Dänen ein Normalzustand. In Corona-Zeiten haben sie deshalb ganz normal weitergemacht. Die Schulen sind ausgestattet, die Lehrer sind dafür ausgebildet, jedes Kind hat ein eigenes Gerät und eine eigene ID. Die Frage, wie das auf nationalen Servern gespeichert wird, ist geklärt. Da ist also schon ganz viel richtig gemacht worden, was natürlich in einem föderalen System wie unserem viel schwieriger ist. Deshalb ist es auch nur bedingt hilfreich, ins Ausland zu schauen, wie man es macht. Jetzt geht es darum, es hier in Deutschland umzusetzen. Dass wir es machen müssen, darf nicht weiterhin die Fragestellung sein!

Grinbox/Shutterstock.com, rosepistola.de

Bild Bettina Pregel

Bettina Pregel ist stellvertretende Bereichsleiterin Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Technik, Medienwirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit der BLM. Die gelernte Redakteurin und Pressereferentin arbeitete zuvor bei Zeitungen und Fachzeitschriften.

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