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Netflix wird deutsch: Es wird dunkel

Erste deutsche Netflix-Originalserie startet 2017


42,5 Milliarden Stunden lang schauten die Kunden von Netflix im vergangenen Jahr Videos. Der On-Demand-Service ist längst ein Global Player - und auch das Fernsehen der Zukunft? Gründer Reed Hastings prophezeit dem linearen TV trotz stabiler Zahlen den unausweichlichen Untergang. Dazu beitragen könnte auch die erste deutsche Netflix-Originalserie „Dark“.
 

20 Uhr abends. Was tun die Deutschen? Klar, sie schauen Nachrichten. Und um 20:15 Uhr? Natürlich einen Film.

Feste Sendezeiten. Wie wirkt dieses Prinzip auf die Menschen? Normal? Oder, wie bei Reed Hastings, furchtbar obsolet?
 
In ein oder zwei Generationen, meint der Netflix-Gründer, würde jeder bei der Vorstellung, er wäre für bestimmten Videocontent an eine bestimmte Zeit gebunden, nur noch verwundert mit der Stirn runzeln. Die jüngere Generation tut dies vermutlich jetzt schon. „Das wird sich so unnatürlich anfühlen“, sagt Hastings. „Es ist eine On-Demand-Welt. Wir leben rund um die Uhr.“

Netflix als einen globalen, vielleicht den globalen TV-Sender zu bezeichnen, kommt der Sache wahrscheinlich ziemlich nahe. Das On-Demand-Portal mit mittlerweile 70 Millionen Kunden wächst in astronomischen Raten. Die vielleicht bekannteste der aufwendig produzierten Netflix-Originalserie ist „House of Cards“. In den letzten Monaten erweiterte das Unternehmen sein Spektrum um lokale Produktionen. Sie spielen in England, Japan, Kolumbien, Frankreich – und nun auch in Deutschland. Wie Netflix bekannt gab, startet 2017 die übernatürliche Familiensaga „Dark“.
 
Für diese engagierte Netflix einige der vielversprechendsten deutschen Filmemacher. Hastings war vom Kinohit „Who am I – kein System ist sicher“ begeistert und engagierte dessen Regisseur Baran bo Odar. Produziert werden wird sie von Max Wiedemann und Quirin Berg, die für „Das Leben der Anderen“ bereits einen Oscar erhielten. Geballtes Filmtalent aus dem eigenen Land könnte also bald schon mit dafür sorgen, dass der Siegeszug von Netflix auch die deutschen Fernsehgewohnheiten nachhaltig verändern wird.
 

 „Jäger“ Netflix und „Beute“ ZDF

Dass traditionelles Fernsehen seiner Meinung nach auch hierzulande schon bald der Vergangenheit angehören wird, stellte Hastings auch auf der Digitalkonferenz DLD (Digital Life Design) in München im Januar klar. Dort war der Milliardär einer der Stargäste. Die Organisatoren wählten als seinen Talkpartner passenderweise einen Grandseigneur des deutschen TV: Claus Kleber vom ZDF. Kleber bezeichnete sich zu Beginn des Talks als die „Beute“, die vom „Jäger“ Hastings vor die Flinte genommen wird. Und gemäß dieser Metapher kreuzten die beiden dann auch verbal die Klingen.
 

„Lineares Fernsehen hat 50 Jahre lang für Durchbrüche gesorgt“, erklärte Hastings, und verglich den Schritt vom „normalen“ TV hin zu Online-Angeboten wie Netflix mit dem vom Kino zum Heim-Gerät. „Das war toll. Aber das, was die Leute wirklich wollen, ist On-Demand-Fernsehen. Sie wollen ihren Content auf jedem Bildschirm anschauen können. Und sie wollen, dass ihr Fernseherlebnis personalisiert ist. Wenn man die Hälfte einer Episode auf einem Gerät anschaut und dann irgendwann auf einem anderen weitermacht, soll es genau zu diesem Zeitpunkt weiter gehen.“ Die Zukunft könne nur Internetfernsehen heißen. Für die klassischen Fernsehanstalten gäbe es nur die Wahl zwischen Anpassen oder Untergehen, meint Hastings. Er riet den TV-Sendern, sich möglichst schnell in Internetplattformen umzuwandeln. Klebers ZDF mit seiner großen Mediathek sei hierbei schon auf einem guten Weg.
 
Kleber, selbst Netflix-Kunde, sprang für seine Zunft in die Bresche und hielt Hastings den gesellschaftlichen Wert klassischen, allumfassenden TV-Angebots vor. Die Nachrichten profitieren von der Anziehungskraft der Unterhaltung, andersherum verleihen die Nachrichten der Unterhaltung Relevanz, meint er.
 
Ein Konzept, das ausgedient hat? Netflix hält sich von Nachrichten und Sport fern, hat sein Angebot aber mittlerweile um Dokumentationen erweitert. „Es gibt eine Tendenz, die Vergangenheit zu romantisieren“, meinte Hastings dazu nur. Sein Programm habe gar nicht den Anspruch, allumfassend zu sein. Es reiche ihm, wenn die Leute ihre zehn Dollar im Monat zahlen und mit dem, was sie dafür bekommen, zufrieden sind. Auch traditionelle Probleme wie Einschaltquoten sind in der neuen Fernsehwelt von Netflix nicht mehr von Relevanz. Das Unternehmen veröffentlicht keine spezifischen Zahlen zu seinen Formaten und kann so alle seine Serien als Erfolge vermarkten. Nur die generellen Nutzerzahlen gibt es preis. Im letzten Jahr schauten Netflix-Kunden 42,4 Milliarden Stunden Videomaterial und damit sagenhafte 13,5 Milliarden mehr als im Vorjahr.

 

Disruption auch in der Produktion


Reed Hastings
Reed Hastings
Die Disruption findet nicht nur auf Konsumentenseite statt. Netflix verdient sein meistes Geld zwar immer noch als Distributor, aber wird auch immer mehr zum Produzenten. Sein verdientes Geld steckt Hastings in weitere eigene Serien und Dokus. Die New York Times verglich Netflix mit einem unaufhaltsamen Schwungrad, denn mehr Serien sorgen wiederum für mehr Abos und mehr Geld, das wiederum in noch mehr Serien fließt. Diese Entscheidungen machen durchaus Sinn: Eigener Content ist billiger und schafft Alleinstellungsmerkmale. Wobei “billig” ein relativer Begriff ist. Zwei Staffeln „House of Cards“ zu produzieren, kostet nicht weniger als einhundert Millionen Dollar.


Dass Netflix mit seinen Produktionen aber meist ins Schwarze trifft, ist kein Zufall, sondern dem größten Trumpf zu verdanken, den die Firma im Ärmel hat: Die Nutzerdaten. Der intelligente Algorithmus des Portals wertet diese ständig und vollautomatisch aus, gibt persönliche Empfehlungen. Anhand des Verhaltens der Konsumenten produziert Netflix dann wiederum auch neue Serien.


Reed Hastings, Netflix-Gründer  Quelle: Netflix

 

Deutsche TV-Zahlen stabil


In den USA ist schon deutlich zu spüren, dass Netflix das Fernsehen der Zukunft sein könnte. Dort ist der Anteil des im TV konsumierten Videocontents von 2008 bis heute um 30 Prozent gefallen. In Deutschland ist der von Hastings prognostizierte Wandel allerdings noch nicht abzusehen. Seit 2010 bleibt die durchschnittliche TV-Sehdauer nach einer Studie der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung auf einem stabil hohen Niveau. 2013 und 2014 lag sie bei 221 Minuten pro Tag, 2015 wuchs sie auf 223. Auch die TV-Verweildauer stieg im selben Zeitraum von 325 auf 331 Minuten pro Tag.


Muss man sich als deutscher Sender vor dem „Jäger“ Netflix also doch noch keine Sorgen machen? Doch, meint Hastings. Aber dieser Wandel trete nicht von heute auf morgen ein. „Das Mobiltelefon hat über die letzten 30 Jahre das Festnetztelefon abgelöst. Ein paar Prozente jedes Jahr. Das gleiche sehen wir beim Internetfernsehen und beim linearen Fernsehen. Es dauert eine Generation.“ Aktuell gibt es in Deutschland und Frankreich zusammen erst zwei Millionen Netflix-Abonnenten. In vier Jahren will Hastings nicht weniger ein Drittel der deutschen Bevölkerung als Netflix-Kunden haben. Mit einer Erfolgsstory wie der seinen ist dieses Ziel vielleicht gar nicht zu ambitioniert.