Den Journalismus retten. Ganz so explizit hatten es Georg Dahm und Denis Dilba vom Hamburger „Substanz“-Magazin ihr Ziel nicht formuliert, aber eines war klar: Ihr Startup sollte höchsten Ansprüchen genügen. „Hintergründiger, unkonventioneller, aufwändig aufgemachter Journalismus“, so beschreibt Dahm Substanz immer noch. Das digitale Wissenschaftsmagazin heimste Vorschusslorbeeren und Auszeichnungen ein. Was fehlte, waren die Abonnenten. Und damit das Geld - trotz 37.000 Euro aus dem Crowdfunding (vgl. auch die Kampagne des vom media.lab geförderten Projekts https://www.startnext.com/derkontext). Seit Juli liegt Substanz deshalb auf Eis.
Dahm gibt sich selbstkritisch. Schließlich ist er ein gebranntes Kind: Er war dabei, als die Financial Times Deutschland und der New Scientist dichtmachten. Nun droht seinem eigenen Projekt dasselbe Schicksal. Fail Better Media heißt Dahms Firma. Und getreu diesem Prinzip soll es auch weitergehen.
„So doof es ist, dass wir im ersten Anlauf an die Wand gefahren sind, haben wir doch sehr viel daraus gelernt. In gewisser Hinsicht hat uns das sogar gerettet.“
Wie, das verrät Dahm im Gespräch mit media.fwd. Denn eins ist klar: Das Experiment Substanz ist noch nicht beendet.
- Herr Dahm, warum hat es mit Substanz nicht geklappt?
Zusammenfassen lässt sich das mit dem sehr weisen Spruch: „Es dauert immer länger, und es wird immer teurer, als man denkt.“ Das hat sich bei uns in mehrfacher Hinsicht bewahrheitet. Zum einen, was die technische Entwicklung angeht. Die war sehr viel aufwändiger und damit teurer als erwartet. Wir haben deswegen auch später gelauncht als gedacht. Dadurch haben uns eingeplante Einnahmen gefehlt, was uns nach hinten hin sehr unter Druck gesetzt hat. Das zweite große Thema war Marketing und Vertrieb. Wir wollten das mit der bestehenden Mannschaft abdecken, doch dafür hatten wir viel zu viel zu tun. Auch nach dem Launch. Das ist zum einen eine Zeit- und Ressourcenfrage. Zum anderen hätten gelernte Vertriebsleute so etwas mit einer ganz anderen Effizienz umgesetzt. Unsere Stärken liegen ja mehr im redaktionell-kreativen Bereich. Insgesamt hat diese Gemengelage dazu geführt, dass nach dem Start ein wahnsinnig enges Finanzkorsett hatten. Wir waren auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass die Abo-Kurve genauso abgeht wie geplant. Da war kein Puffer, kein Spielraum mehr. Das haben wir einfach nicht umgesetzt bekommen.
- Stimmt es, dass das unzureichende Marketing sogar ein Vorteil für einen Neustart sein kann? Dass Substanz noch nicht „verbrannt“ ist?
Auf jeden Fall. Wir haben 680 registrierte Kunden in der Datenbank. Das ist nur ein verschwindend geringer Anteil des potenziellen Marktes, den wir sehen.
- Wie sehen die Strategien für den Neustart aus?
Da sind wir gerade am Schrauben. Es ist wichtig, dass wir uns nicht wieder unter diesen enormen Kostendruck setzen, sondern dass wir das Ganze ein bisschen langsamer hochfahren können. Jetzt könnte ich die ganzen beliebten Vokabeln wie „Lean Startup Effectuation“ oder „Minimum Viable Product“ bringen. Salopp gesagt: Kleiner anfangen, und dann langsam hochskalieren, wenn man es sich leisten kann.
- Welche Schritte unternehmen Sie im Moment genau?
Es passiert gerade ziemlich viel. Wir haben eine Umfrage am Laufen. Sowohl bei Lesern, als auch bei denen, die Substanz noch nicht gelesen haben. Was sie gut fanden, was nicht, was sie sich wünschen würden. Durch unsere bisherige Bekanntheit haben wir über die Abonnenten und soziale Medien immerhin schon eine ganz gute Datenbasis, um solche Sachen abzufragen. So arbeiten wir uns Stück für Stück hoch. Wir sprechen auch mit verschiedenen Partnern, wie wir eine Finanzierung hinkriegen können.
Es geht weiter: Macht mit bei unserer Umfrage und gestaltet den Relaunch von Substanz. https://t.co/YBS3ZPOHMf pic.twitter.com/gh91Ms6EuX
— Substanz (@Substanzmagazin) 17. Dezember 2015
- Gibt es schon einen Zeitplan?
So weit würde ich mich noch nicht aus dem Fenster lehnen. Mit der Journalismus-Initiative Vocer planen wir ein Stipendien-Programm. Und wir reden mit Stiftungen darüber, in welcher Form diese uns unterstützen können. Das Geld muss ja irgendwo herkommen. Stiftungen sind unsere natürlichen Ansprechpartner. Die haben aber auch alle ihre eigenen Zyklen, wann sie Entscheidungen treffen oder wie die Haushaltspläne sind. Da wäre es jetzt unseriös zu sagen, es wird genau dann stattfinden. Es ist klar, dass wir diesen Schwebezustand nicht ad infinitum aufrechterhalten wollen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, würde ich sagen: Erstes Quartal 2016. Aber auf jeden Fall wäre es gut, wenn wir demnächst mal ein bisschen planerisch den Sack zumachen könnten.
- Ihre Firma heißt ja auch Fail Better Media. Ist das Scheitern ein Teil des Startup-seins?
Ja. Am Anfang war diese Namensgebung nur ein Wortspiel. Das Zitat von Samuel Beckett haben uns die Englischen Kollegen vom New Scientist als Trost geschickt, als man uns den deutschen New Scientist zugemacht hat. Der Name passt zum einen sehr gut zum Unternehmertum und dem Risiko, das man trägt, und zum anderen zum Thema Wissenschaft, weil es das Motiv des Experiments ganz gut wiedergibt. Du kriegst ja oft zu hören: „In Amerika gilt man ja erst als richtiger Unternehmer, wenn man einmal gescheitert ist.“ Das hört sich in der Theorie immer ganz schick an. Jetzt haben wir es in der Praxis einmal erlebt, und es ist wirklich was dran. So doof es ist, dass wir im ersten Anlauf an die Wand gefahren sind, muss man wirklich sagen, dass wir sehr viel daraus gelernt haben. In gewisser Hinsicht hat uns das auch gerettet.
- Wie das?
Wir haben das Unternehmen nicht in die Insolvenz rauschen lassen, sondern das Ganze in einem kontrollierten Prozess eingefroren. Wir konnten diese Atempause nutzen, um die ganzen Erfahrungen auszuwerten. Um Ideen zu entwickeln und uns freizuspielen, um wieder kreativ zu werden. Das ist etwas sehr Beglückendes und Bereicherndes. Es war eine sehr schwierige, belastende Zeit. Aber so, wie wir das verdaut haben und weitermachen, sind wir echt daran gereift und gewachsen. Ich bereue nichts.

Einige Cover von Substanz-Stories (© Substanz)
- Am Idealismus ist Ihr Projekt nicht gescheitert: Sie wollten den Journalismus retten. Gehen Sie nun mit etwas mehr Demut an die Sache ran?
Demut ist ein gutes Stichwort und ein Wort, das ich immer gerne benutze, wenn ich von unseren Erfahrungen erzähle. Das eine ist es, anzuerkennen, woran es gelegen hat, wenn irgendetwas nicht klappt. In unserem Metier ist die Neigung da, schnell anderen Leuten die Schuld zu geben: Der doofe Markt, die Leser sind noch nicht reif, die Leute wollen nicht bezahlen. Aber anzuerkennen, dass du es vielleicht selber verkackt hast, weil dein Plan nicht hingehauen hat, ist ganz wichtig. Daraus kann man lernen. Das erfordert, dass man über sein Ego hinwegsteigt. Das andere ist das, was Sie angesprochen haben – „Wir wollen den Journalismus retten.“ So explizit haben wir es nicht gesagt, aber natürlich sind wir mit einem großen Anspruch an die Sache herangetreten. Das ist die Gefahr beim Gründen im Journalismus: Man hat diese Mission und ist total davon überzeugt, dass jeder andere doch sehen und anerkennen muss, wie geil und wichtig die ist. Aber damit erreicht man eben noch keine Kunden. Eine Mission ist noch kein Produkt, und den Kunden interessiert die Mission auch nicht. Den Kunden interessiert auch „der Journalismus“ nicht. Der Kunde freut sich, wenn er etwas vorgelegt bekommt, was ihm Spaß macht. Er honoriert gute Qualität. Er straft unzureichende Qualität ab. Die Herausforderung ist es, sich zu fragen: Wie kriege ich es hin, diese Mission - die auch wichtig ist, weil sie eine innere Richtschnur meines Handelns ist – umzusetzen in ein marktfähiges Produkt? Wer nur eine Mission hat, wird nicht erfolgreich sein. Wer keine Mission hat, wird sich verlieren. Der kann vielleicht trotzdem Serial Entrepreneur werden und heute diese Plattform hochziehen und morgen jene. Aber in unserem Metier muss man diesen Spagat schaffen zwischen einer Mission und Geschäftskompetenz.
- Und wie schafft man den?
Das ist die große Herausforderung. Bei uns war das zum Beispiel ein großes Problem. Denis Dilba und ich haben zu zweit gegründet und wir sind beide Journalisten. Mit einem Geschäftsverständnis zwar, aber das war für uns immer etwas Hinzugenommenes. Wenn dann noch die Zeit knapp wird, wird eben auch schnell die ganze geschäftliche Basis wackelig. Es wäre uns sehr viel besser bekommen, wenn wir von vorneherein noch einen dritten Partner gehabt hätten, der in erster Linie Verkäufer ist. Und wenn man sich noch was hätte wünschen können, dann noch einen vierten Mitgründer, der das Ganze technisch abdeckt. Die Säulen, auf denen ein Medien-Startup ruht - Journalismus, Vertrieb und Technik - müssen idealerweise abgedeckt sein.
- Wird das Team bei einem Neustart also anders aussehen?
Wir gehen nur wieder an den Start, wenn wir die Teamstruktur für tragfähig halten. Und diese dauerhaft finanziert ist, im Idealfall auf drei Jahre. Dann hätten wir die Laufruhe, um etwas richtig Geiles zu entwickeln. Wenn wir das nicht hinbekommen – dann wird sich wirklich irgendwann die Frage stellen, ob wir die schmerzhafte Entscheidung treffen müssen, das Projekt final an den Nagel zu hängen, weil es einfach nicht geht.
- Und dann?
Man kann sich alles Mögliche vorstellen. Wir könnten auch zu zweit einen Newsletter schreiben, um von da aus hochzuskalieren. Wünschenswert wäre natürlich etwas anderes.
- Anfangs wollten Sie beweisen, dass guter Onlinejournalismus auch außerhalb von Verlagen möglich sein kann. Gehen Sie jetzt für die Finanzierung auch auf diese zu?
Wir sprechen auch mit Verlagen und Unternehmen, ja. Bis da aber mal eine Entscheidung getroffen wird, dauert es. Manche winken gleich ab. Manche zeigen Interesse, aber dann passiert trotzdem erstmal gar nichts, bis man wieder nachhakt. Das erfordert eine Menge Geduld. Sagen wir es mal so: Wir haben im Moment viele Termine.
- Die Medienbranche ist im Umbruch. Ist da Experimentierfreudigkeit das probateste Mittel zum Zweck, um neue Formen des Journalismus zu ergründen?
Es ist das einzige Mittel. Es gibt keinen anderen Weg. Es weiß ja keiner, wie es funktionieren kann. Alle probieren aus und ständig werden neue Sachen als der heiße Scheiß gehandelt. Vor zwei Jahren standen Tablets ganz hoch im Kurs. Heute redet kein Mensch mehr von Tablets. Alle sind am Suchen. Ich finde es sehr interessant, dass gerade der „Everybody’s Darling“, bei dem gerade alle abkupfern, Vox Media (zu unserem Portrait über Vox) ist. Und Vox experimentiert ganz systematisch. Ich war bei einem Vortrag von Melissa Bell (Co-Founder von Vox.com, d. Red.). Der Kernpunkt, über den auch alle danach sprachen, war, dass sie zum Beispiel ein und dasselbe Wissenschaftsthema von einem einzigen Autoren aufschreiben lässt als 6000-Zeichen-Stück, und dann noch einmal als Sechs-Absatz-Format „Vox sentences“. Sie haben festgestellt, dass es auf der Seite für beides ein Publikum gibt. Wenn man sich anguckt, wie auf Vox die Inhalte neu gemischt und zusammengestellt werden: Das ist ein ständiges Experimentieren und Datensammeln. Und deswegen gucken alle von denen ab. Bei den meisten Relaunches findet man heute Inspiration von Vox wieder.
- Was lehrt uns Vox also?
Vor allem, dass die Arbeit in diesem Bereich im Moment wahnsinnig viel Spaß macht. Weil so viel geht. Im Umkehrschluss ist auch die Gefahr sehr groß, sich nicht entscheiden zu können, was man denn nun macht und wo man seine Ressourcen reinsteckt. Man kann sich da drin verlieren. Aber es ist auch spannend, wie totgeglaubte Formate eine Renaissance haben. Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass heute alle von E-Mail-Newslettern reden? Oder Podcasts. Podcast-Marketing ist in den USA gerade ein massives Thema. Oder Native Advertising. Da sind wie hier noch am Anfang einer Debatte, die in den USA schon weiter ist. Es geht alles so unfassbar schnell. Man kann nur in Bewegung bleiben. Aber damit komme ich wieder zum Thema Mission. Wie will man in dieser sich ständig verändernden Gemengelage eine Haltung bewahren? Da muss man eine Mission haben und diese bewahren. Sonst verliert man den Halt.
- Welche Erkenntnisse aus der Zeit mit Substanz schätzen Sie als am Wertvollsten ein?
(Überlegt lange) - Es gibt mehr Wege zum Ziel, als du denkst. So würde ich es mal zusammenfassen. Wir hatten uns ja sehr auf einen Weg versteift, verbissen geradezu. Bei der nächsten Gründung oder beim Neuaufbau will ich mir mehr Spielraum vorbehalten, um auch mal die Richtung wechseln zu können. Mehr Leichtfüßigkeit bewahren.
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Posted by Media Lab Bayern on Montag, 21. Dezember 2015