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CRM Podcast Mosaik

Opener

Stimme: Himmel, ist das heute deep!

(Musikbett)

Sprecher: CRN, 92.4. Das christliche Radio München mit Lifeline – Mosaik. Moderation: Miri und Nina.

Moderation

Nina: Herzliche Willkommen zu Mosaik mit Miri und Nina. Hier teilen wir mit euch unsere Erfahrungen mit sexueller Gewalt und deren Auswirkungen auf unser Leben. In der heutigen Folge werden wir über Scham, Schuld und Wut sprechen. So schön, dass du wieder dabei bist. Und wir starten auch gleich direkt. Als Einstieg in das Thema Scham haben wir ein richtig gutes Zitat von Britney Brown gefunden, das wie folgt heißt: „Scham ist das äußerst schmerzhafte Gefühl, beziehungsweise die äußerst schmerzhafte Erfahrung zu glauben, dass wir fehlerhaft sind und deshalb keine Liebe und Zugehörigkeit verdienen“. Und ich glaub, dass das ein sehr guter Einstieg in das Thema ist, weil, immer wieder habe ich tatsächlich den Gedanken, ich verdiene keine Liebe und ich muss mich ständig verändern und verbessern, weil ich irgendwie meinen Alltag nicht auf die Reihe bekomme, weil ich Probleme habe, keine Ahnung, irgendwie alle meine alltäglichen Aufgaben hinzu…, hinzubringen usw., besonders in Zeiten, wo es mir nicht so gut geht oder wo ich in Traumatherapie bin. Und da habe ich häufig mit Scham zu kämpfen und habe diesen Gedanken „Ich krieg mein Leben nicht auf die Reihe“, was eigentlich total schwachsinnig ist, weil Überleben ist eigentlich so das wichtigste, was man machen kann. Wie geht es dir damit, Miri?

Miri: Ja, also bei mir ist es auch so, dass ich mit Scham zu kämpfen habe. Ich glaube einmal mit den Situationen an sich, weil ich mich da sehr beschmutzt fühle oder…, oder nicht so rein, wie alle anderen.

Nina: Du meinst mit Situationen quasi die Vergewaltigungen, die du erleben musstest?

Miri: Mhm…

Nina: Okay.

Miri: Also, gerade wenn es um Sex geht, dann fühle ich mich da einfach sehr beschmutzt, gebraucht, benutzt. Also, für mich ist es nichts Schönes. Noch nicht, noch nichts Schönes. Genau, also, darauf bezieht sich das einmal und dann auf das, was du gerade gesagt hast mit den Alltagssituationen. Zum Beispiel, wenn, also, gerade auch bei Panikattacken, wenn ich das Gefühl habe, ich dramatisiert eine Situation gerade, was ich ja nicht tue, aber in meinem Kopf spielt sich das dann so ab und dann kommt voll oft dieses „Man, warum kriege ich das nicht hin?“. Und… Ich hatte zum Beispiel auch eine Phase, wo ich es nicht geschafft habe, männliche Freunde zu umarmen, weil mir das too much war, und ich mich ultra dafür geschämt habe, das auszusprechen und zu sagen „Ja, ich möchte gerade nicht, weil es eine Grenze ist“ und diese Scham für gefühlt: Ich habe es gerade nicht unter Kontrolle, ich habe mich nicht im Griff, ich übertreibe, es ist ja auch schon Jahre zurück. Warum? Warum beschäftigt es mich noch so? Warum löst es noch so viel in mir aus?

Nina: Das ist absolut verständlich. Wie gesagt, es geht mir wirklich auch genauso. Ich mache mir eine To-Do-Liste für den Tag. Ich denke mir, „Okay, ich räume jetzt meine Wohnung auf, ich treffe Freundinnen“ und habe einfach so meinen Plan fürs Leben, sozusagen. Und wie es so schön heißt: Leben ist das, was passiert, wenn man Pläne macht. Wenn ich zum Beispiel in der Arbeit bin und irgendeine ganz kleine Situation passiert, die mich total triggert und ich dann irgendwie komplett aus dem Konzept komme und erst mal eine Stunde brauche, um mich wieder zu beruhigen, zu atmen, mich hinzusetzen und wieder für mich selber zur Ruhe zu kommen und dann aber, so mein gesamter Zeitplan sich total verschiebt. Und dann denke ich mir so: Warum bin ich so? Ich habe immer wieder so Gedanken: Warum bin ich so? Ich bin so komisch, ich bin so anders als alle anderen…

Miri: So schwach.

Nina: Ich fühle mich extrem schwach. Ich fühle mich, als wäre ich nichts wert. Genauso, wie dieses Zitat gesagt hat, dieses „Ich verdiene keine Liebe“, weil im Grunde genommen geht es in meinem Kopf ja viel um verdienen. Ich muss mir was verdienen, weil mir was weggenommen wurde. Mir wurde vieles weggenommen, mir wurde viel von meiner Identität genommen. Ich fühle mich manchmal nicht mehr ganz. Ich weiß, manchmal habe ich das Gefühl gar nicht, wer ich bin so wirklich oder was mir Freude macht im Alltag. Und genau dafür schäme ich mich, weil ich denke, dass ich nicht normal bin. Und ich glaube, dass das größte Problem bei dem Ganzen ist: Für das, was wir erlebt haben, sind solche Reaktionen total normal. Also für uns bedeutet das das Leben, so wie wir es gerade leben und manchmal einfach so das Überleben an sich. Also, einfach nur der Alltag. Vielleicht mit aufstehen, in die Arbeit gehen, was essen, hinlegen und schlafen. Das sind schon die größten Herausforderungen manchmal. Aber wir denken, also, ich vergleiche mich dann immer mit anderen Leuten und denke mir so okay, keine Ahnung: Meine beste Freundin, zum Beispiel, kriegt so viel mehr hin oder kriegt so viel mehr auf die Reihe oder schafft so viel mehr. Wie sagt man To-Dos in der Woche? Also, das ist so mein…, mein Empfinden und ich denke mir, ich schaff das alles gar nicht. Aber ich vergleiche mich dann immer mit ihr und deswegen schäme ich mich, weil ich nicht so viel schaffe.

Miri: Ja… Ich schäme mich auch teilweise, dass es immer noch Thema ist. Also, weil manche Freunde das sich echt seit Jahren anhören, also wirklich Jahre, anhören müssen. Und ich manchmal immer noch die gleichen Dinge fühle oder denke oder ähnliche, sind auch nicht komplett identisch, stimmt nicht, aber ähnliche Struggles habe. Und, ja…

Nina: Man denkt sich dann halt: Warum ist es noch nicht vorbei? Warum ist noch nicht durch? Also, ich habe zum Beispiel herausgefunden mit, ich glaub ich war 20 Jahre alt, also ich bin jetzt 25, ich habe mit 20 Jahren, also sprich vor fünf Jahren herausgefunden, dass ich mit ca. sechs Jahren sexuell missbraucht worden bin. Das heißt, es ist eine Zeitspanne von 20 Jahren, wo ich davon nichts wusste. Und jetzt mache ich schon fünf Jahre immer wieder mal Traumatherapie und setze mich mit dem Thema auseinander. Und als das Ganze jetzt wieder hochkam, habe ich mir auch gedacht: Warum ist es noch nicht vorbei? Warum, warum? Warum ist es noch nicht rum? Warum schaffe ich das nicht? Warum? Warum?

Miri: Mhm…

Nina: Das ist häufig aber die Frage, die ich mir stelle. In diesem ganzen Scham Thema habe ich tatsächlich gemerkt, auch, wenn es eine unfassbare Überwindung ist. Das, was am besten gegen Scham hilft, ist tatsächlich bewusst darüber reden. Ich habe die Miri angerufen, gesagt „Ich krieg nichts mehr auf die Reihe, es ist alles so kacke ist“.

Miri: Nicht so schlimm!

Nina: Ich krieg überhaupt nichts hin. Und schon mal das habe ich mir vorgenommen. Ich schaff‘s nicht mal mehr, meine Wohnung aufzuräumen. Ich schaff‘s nicht mal mehr, mein Geschirr, das sich stapelt, in meinem Waschbecken aufzuräumen. Das ist… Eigentlich würd‘s mir gut tun. Und das, was du gesagt hattest war ein „Hey, Nina. Ich versteh das. Schau mal, du..., du kannst gerade nichts mehr. Du hast gerade so viel schon in dir, also, so viel ist schon in dir los an Emotionen usw. , die du alle verarbeiten muss, den ganzen Tag über. Das ist doch normal, dass du das nicht hinkriegst. Und da habe ich einfach gemerkt, immer wieder, je mehr ich mit Freundinnen mit…, mit auch meinem Freund drüber geredet habe, dass dieses Schamgefühl immer weniger wird, weil ich ganz häufig oder eigentlich fast immer Support bekomme, also, Ermutigung. Und da habe ich gemerkt, wird‘s tatsächlich immer besser und das Schamgefühl wird immer weniger.

Miri: Ja, voll. Also, ich merk‘s ja auch bei der Radiosendung und dem Podcast, den wir jetzt auch aufnehmen. Die…, die zweite Folge war wirklich eine Folge, also meine Folge praktisch, wo ich mich ultra für geschämt habe, weil es viele Dinge offenbart, die mich halt in schwach, also, für mich schwach zeigen und Dinge, die nicht laufen oder absolut nicht laufen. Und darüber zu sprechen und das, was man innerlich alles hat, das nach außen zu tragen, natürlich auch in einem gewissen Rahmen, also, ich erwarte nicht, dass jeder einen Podcast macht, aber wirklich darüber zu sprechen, wie du gesagt hast, und dem den Raum zu nehmen und die Macht und Kraft auch über dich und dem entgegenzutreten, und sagen: Boah, und ich steh trotzdem zu mir oder gerade deswegen stehe ich zu mir. Das hilft mega. Und wenn dann eine gute Reaktion kommt, also eine gute Reaktion im Sinne von Verständnis oder einfach Respekt, dann ist es ultra hilfreich. Also…

Nina: Ja. Ich mein, Scham will ja eigentlich, dass wir schweigen. Scham will, dass wir nichts erzählen. Und das, was eben da so das Gegenmittel ist, ist wirklich das zu erzählen.

Miri: Wir machen hier jetzt eine Mosaic-Podcast Pause von zehn Sekunden. Wenn du aber länger Pause brauchst oder einfach Zeit, um kurz nachzudenken, kurz zu reflektieren, dann bist du herzlich eingeladen, einfach mal auf Pause zu drücken.

(10 Sekunden Pause)

Nina: Gerade haben wir über Scham gesprochen und warum sexuelle Gewalt für uns ein schambehaftetes Thema ist. Ich weiß nicht, Miri, wie es dir geht, aber ich fühle häufig nicht nur Scham, sondern auch Schuld, was für Außenstehende vielleicht im ersten Moment nicht verständlich ist, warum man sich schuldig fühlt, wenn man sexuell missbraucht oder auch vergewaltigt wurde bzw. sexuelle Gewalt erlebt hat. Wieso fühlst du dich schuldig, Miri, und wie gehst du damit um?

Miri: Das versteht glaube ich kaum jemand. Das ist immer so „Hä, aber du hast doch gar nichts gemacht, der andere ist doch Täter gewesen“. Und tatsächlich habe ich mich sehr lange als Täterin gefühlt, weil ich mir ständig die Fragen gestellt habe: Was habe ich gemacht, dass ich denjenigen dazu gebracht habe, das mit mir zu tun? Also, zum Beispiel: Habe ich zu viel gelächelt, habe ich falsch gelächelt? War ich zu freundlich? Was hatte ich an? Habe ich dir irgendwelche Signale geschickt von „Boah ja, das kannst du mit mir machen“ oder „Darauf habe ich Bock“, oder… Also, irgendwas, was ihn dazu animiert hat zu sagen „Ja, ich gehe jetzt auf sie los“, oder wie auch immer das dann war. Auf jeden Fall „Ich zieh sie aus und schlaf mit ihr, auch wenn sie das nicht will“. Und das ist, glaube ich, bis heute noch so. Also, ich weiß von meinem Verstand kann ich dir sagen: Nein, ich habe keine Schuld. Er hat Schuld. Aber… Das merke ich jetzt schon, ich mag diese Schuldfrage nicht, weil sie für mich immer noch so: „Ja, aber habe ich keine Teilschuld, hätte ich nicht irgendwas Anderes machen müssen?“. Ähm, ja. Also, Schuld ist für mich schon noch ein Riesenthema.

Nina: Wie gehst du dann mit diesen Fragen um?

Miri: Mhm… Wenn diese Gedanken hochkommen von: “Ich bin an den Taten schuld“, dann habe ich ehrlich gesagt einfach nur gelernt, sie zu unterbrechen und zu sagen: Nein, das stimmt nicht. Selbst wenn ich Ihn angelächelt habe, auf welche Weise auch immer, wenn ich es einfach nur freundlich gemeint habe, dann gibt es ihm ja nicht das Recht, so mit ihr umzugehen. Also, egal was ich gemacht habe, egal was, es rechtfertigt es nicht. Punkt.

Nina: Ja…

Miri: Das musste ich mir auch heute noch richtig krass antrainieren, das…, sofort dagegen zu gehen und die Wahrheit darüber zu proklamieren und meine Gedanken zu stoppen und dem gar nicht Raum zu geben, das weiter auszudenken oder mir weiter Vorwürfe zu machen, sondern einfach zu sagen „Nein, ich bin nicht schuldig“. Dann gibt es ja auch noch andere Sachen, wo ich mich für mich schuldig gemacht habe. Das, was auch in dieser zweiten Folge eben da erwähnt wird, mit dem, ähm, wo ich da mit meinem Exfreund geschlafen habe und viele Sachen nicht liefen, oder ich mich sehr als Täter danach gefühlt habe, weil ich… Ähm, ja, ihn verletzt hab…

Nina: Brauchst du eine kurze Pause?

Miri: Warte… Wo ich ihn verletzt hab, ähm, ja… Wo ich ihn verletzt hab und wo sehr, sehr viel Schuld einfach in mir ist oder viele Schuldgefühle und es ist schon auch ein Prozess, der über Jahre geht, wo ich mir das selber vergeben darf und es loslassen darf und vor allem nicht mehr ständig hochhole und sag „Guck mal, so und so warst du, das hast du gemacht. Wie kannst du nur?“. Und da habe ich auch wahnsinnige Angst davor, dass es noch mal passiert und dass ich noch mal zu so einem, für mich, Monster werde.

Nina: Klar, diese Schuldfrage von „Bin ich schuld?“ kommt hoch. Ich glaube, in meinem Fall ist es noch mal ein bisschen was Anderes. Ich war sechs Jahre alt. Ich habe noch gar keine Ahnung von Sexualität an sich gehabt und trotzdem kommt in mir diese Schuldfrage hoch. Und was ich auch heftig finde immer wieder, ist, dass ich mir früher die Frage gestellt habe und auch jetzt immer wieder: Wenn ich keine Frau wäre, wäre mir das nicht passiert. Und manchmal macht mich das auch wütend, weil ich mir denke so, ich bin eine Frau, ich kann nichts dafür; sozusagen. Und ich liebe es mittlerweile immer mehr, eine Frau zu sein. Und es ist nicht meine Schuld, dass das passiert ist, nur weil ich eine Frau bin. Also, das steht quasi nicht im Zusammenhang in dem Sinne. Es passiert auch Männern. Leider glaube ich statistisch gesehen auch viel häufiger Frauen in diesem Zusammenhang. Aber diese Schuldfrage… Eigentlich darf’s die nicht geben. Also, zumindest für mich oder für dich nicht.

Miri: Teilweise wird ja auch suggeriert „Ja, wenn du halt schön bist, dann ist es ja normal, dass dich Männer angaffen, dass sie dich berühren aus dem Nichts oder dass sie eben übergriffig werden“. Und da habe ich mich auch, das ist auch so eine Mischung aus Schuld und Scham, sehr oft dafür, mich geschämt, wenn ich zu schön bin, wenn ich gemerkt habe: Okay, ich krieg zu viel Aufmerksamkeit für mein Aussehen. Und dann kommt auch dieses Schuldgefühl wieder hoch. Von „Ja, klar, wenn ich ein Kleid anhabe, was übel eng ist oder geschminkt bin oder irgendwas in dieser Richtung halt, was die Schönheit fördert oder irgendwie, äh, markiert, dann…

Nina: Hervorhebt, quasi.

Miri: …hervorhebt, genau. Dann, dann bin ich ja schuld.

Nina: Ja… Es gibt auch irgendwelche Videos auf YouTube oder Werbungen, die genau sagen, nur weil du eine Frau bist und der was engeres anziehst, gibt es anderen Männern das Recht, dich einfach anzuschauen und tun und zu lassen, was du willst. Und genau so ist es eben nicht. Und sich schuldig fühlen kenne ich auch sehr, mittlerweile gar nicht mehr „Bin ich schuld, dass es passiert ist“ oder „Fühle ich mich schuldig, dass es passiert ist?“… Mittlerweile ist es eher ein „Ich fühle mich schuldig der Reaktionen, die ich habe“. Also, zum Beispiel eine wahnsinnige Angst, mich zurückziehen zu wollen. Angst zu haben vor Nähe, vor, vor emotionaler und vor körperlicher Nähe zu meinem Freund. Und wenn ich ihm dann sagt „Boah, ich, ich schafft das gerade nicht. Ich…“. Also, das war am Anfang der Beziehung so, dass ich auch mal gesagt hatte „Ich kann dich gerade nicht küssen“, habe ich mich so schuldig gefühlt, weil ich mir dachte: Das kann doch jetzt nicht sein. Also, ich habe mich schuldig gefühlt, dass ich ihn vielleicht damit verletze. Also, er wusste das und er kann auch damit umgehen. Aber häufig fühle ich mich schuldig, eben, weil ich unnormale Reaktionen habe. Wenn ich sie jetzt, ich sage mal mit dem Durchschnitt, mit Menschen, die so was nicht erlebt haben oder sich nicht so verhalten, quasi vergleiche. Und wie ich damit umgehe, ist wirklich auch häufig genau da wieder, entweder mit meiner Therapeutin drüber reden, mit meinen Freundinnen drüber reden und sagen so: Hey, da fühle ich mich schuldig. Ganz häufig spielen sich diese Schuldgedanken in meinem Kopf ab und dann mache ich mir selbst Vorwürfe und klage mich selber an und denke mir: Wie kannst du nur? Und du bist so schlecht. Und jetzt bist du doch diejenige, die sich total kacke verhält und das kannst du doch nicht machen. Und wenn ich aber anfange drüber zu reden und das erkläre, dann kommt ganz häufig eine Rückmeldung im Sinne von: Aber schau mal, das ist doch normal. Guck mal, du hast einfach nur Angst.

Miri: Und selbst wenn sie das nicht sagen. sich selber zu vergeben ist eine Entscheidung. Und das los zu lassen ist auch eine Entscheidung. Weil manchmal hilft es mir nicht, wenn mir 10.000 Menschen sagen: Ja, das macht doch alles so viel Sinn, bla bla. Und ich denke mir so: Ja, aber, hä… Ich fühl mich trotzdem schuldig und voller Scham. Und dann ist das eine Entscheidung, es loszulassen und zu sagen: Okay, es regiert mich jetzt nicht mehr.

Nina: Absolut. Schuld und Scham haben wir jetzt beide abgehakt.

Miri: Das war jetzt geil: „Im wahrsten Sinne des Wortes, wir haben einen Haken drangesetzt, wir machen das nicht mehr. Nein, wir entscheiden uns gegen Scham und gegen Schuld. Punkt“.

(Nina lacht)

Wir machen weiter mit unserem dritten Baustein: Der Wut. Wut ist für uns, glaube ich, mit eine der herausforderndsten Emotionen und wenn ihr jetzt Nina‘s Gesichtsausdruck sehen können, dann würdet ihr das jetzt auch wissen.

Nina: Ja. (lacht)

Miri: Nina, wie war das denn für dich? Hattest du von Anfang an Wut in dir?

Nina: Also, um ehrlich zu sein, wirklich Wut habe ich nicht von Anfang an empfinden können, also spüren, empfinden können. Und ich habe Wut auch immer als was total Negatives gesehen. Ähm, Wut auf, ich sag jetzt mal, den Täter, der mich sexuell missbraucht hat oder auf das Ereignis an sich, weil es einfach ungerecht ist, was da passiert ist, ist eigentlich was vollkommen Normales.

Miri: Und das ist nicht nur normal, sondern auch extrem wichtig. Und das muss man wirklich lernen.

Nina: Wut zu empfinden?

Miri: Ja…

Nina: …und dass vor allem Wut was Wichtiges ist.

Miri: Ja.

Nina: Darauf kommen wir gleich zu sprechen.

Miri: Ja, Entschuldigung.

Nina: Alles gut. Was ich nämlich gemerkt hab, ist, dass mir in diesem Erlebnis oder in dem Ereignis des sexuellen Missbrauchs vermittelt wurde, dass es normal ist. Also, dass es jetzt vollkommen normal ist, dass ich sechs Jahre alt bin, dass eine Person etwas mit mir macht, was einfach nicht normal ist. Aber das wurde mir als vollkommen normal suggeriert. Ich meine, ich wusste das damals nicht anders, ich war ein Kind. Also, ich hätte es ja nicht wissen können. Und weil es für mich als etwas Normales dargestellt wurde, kam ich gar nicht auf den Gedanken, dass es ungerecht war oder unnormal war für mich. Und deswegen konnte ich Wut nicht empfinden. Was ich gelernt habe oder lernen durfte, ist, dass Wut eine Emotion ist, die unfassbar wichtig und sogar überlebensnotwendig ist, weil sie innere Grenzen, ähm, herausbringt und einem innere Grenzen aufzeigt. Zum Beispiel jetzt du, Miri, würdest jetzt irgendwas sagen, was mich total verletzt. Ich spür, das berührt mich und eigentlich verletzt mich das total, aber ich darf ja keine Wut empfinden, ich darf nicht wütend sein. Aber die normale Reaktion, wenn mich jemand verletzt oder…, oder ungerecht mich behandelt, ist eigentlich: Ich bin wütend und denk mir so wie kannst du nur so über mich reden? Wie kannst du nur so was sagen? Und das ist ja eigentlich diese Wut, die eine innere Grenze aufzeigt, von, da ist mir jemand zu nahegekommen und das mag ich nicht. Also, im Grunde genommen definiert das, wenn jemand etwas macht oder etwas sagt oder etwas tut, was ich nicht möchte. Ich hatte da einmal eine Situation, das war total spannend. Ich saß mit einer Freundin hier in München an der Hacker Brücke und mein Fuß ist runter gehängt, oder… hing so runter. Dann kam von hinten ein Typ, ungefähr in meinem Alter, und hat einfach beim Vorbeigehen so meinen Fuß gestreichelt und ich war total irritiert und hab mir so gedacht: Hä? Meine erste Reaktion war, ich war geschockt und war fassungslos. Die Freundin schaut mich so an und die weiß von meinem Erlebnis in der Kindheit und hat so ein bisschen abgewartet, wie ich reagiere. Und ich habe auf einmal total angefangen zu weinen und war richtig verzweifelt und wusste gar nicht, was jetzt in mir vorgeht. Und auf einmal habe ich so Wut gespürt und mir gedacht: Wieso berührt der mich und kennt mich nicht? Also, das war eine Situation, wo ich gemerkt habe, da empfinde ich Wut. Aber ich konnte das ganz lange Zeit nicht empfinden, weil ich dachte, ich darf‘s nicht. Und über solche Situationen bin ich zum Beispiel wütend, wenn jemand meine Grenze überschreitet oder etwas tut, was ich nicht mag oder was mir zu vieles oder wo ich sage: Ne, das finde ich nicht in Ordnung. Und Grenzen sind für jeden anders. Also jeder hat andere Grenzen und das ist ganz wichtig für sich herauszufinden, was mag ich, was mag ich nicht, wo ist stop. Und die dann auch ganz klar zu kommunizieren, weil das ist wichtig, das zu machen. Wie geht‘s dir damit?

Miri: Mit Grenzen setzen oder mit Wut?

Nina: Beides. (lacht)

Miri: Ich war, ähnlich wie du, jahrelang nicht wütend. Ich weiß auch noch, wo ich in der Traumatherapie damals saß und sie mich gefragt hat, ob ich Wut empfinde. Und ich war völlig: Ne, gar nicht. Soll ich das fühlen?

Nina: Wieso sollte ich wütend sein?

Miri: Weil ich ja…, weil ich ja, was wir ja vorhin hatten, weil ich voll diese Schuldgefühle hatte und war so: Okay, aber dann kann ich doch nicht wütend sein, wenn ich doch schuld bin. Und das hat man mir ja auch suggeriert die ganzen Jahre. Bei mir war es auch noch so, dass es ja jährlich vorgekommen ist zwischen 13 und 19 und ich das dachte: Okay, das ist anscheinend die Art und Weise, wie man mit mir umzugehen hat, weil das habe ich anscheinend ja auch verdient. Auch mal unabhängig von diesen ganzen Vergewaltigungsthemen gab es noch genug andere Situationen, wo ich das Gefühl hatte, das ist die Art und Weise, wie man mit mir umgeht, das ist alles normal, auch Grenzen zu überschreiten, respektlos zu werden in sämtlichen Formen. Ohne jetzt detailliert noch auf die anderen Situationen einzugehen, auf jeden Fall gab es genug Situationen, wo ich hätte wütend werden müssen, sein sollen, wie auch immer, und nicht war.

Nina: Dürfen!

Miri: Dürfen, genau. Dürfen, ja. Wo ich Jahre später gemerkt hab: Okay, das war echt sehr, sehr blöd von der Person oder von den Personen. Und dann hat es bei mir nämlich so einen Switch gegeben zu „Boah, jetzt bin ich auf alle wütend, vor allem auf alle Männer. Und wenn sie einen Fehler machen, dann, ich kill die innerlich.

Nina: Freunde, das könnt ihr euch nicht vorstellen. (lacht)

Miri: Ja, da bin ich sehr, sehr durchgegangen. Also, auch gegenüber Führungskräften, männlichen, war ich dann… Wenn die einen Fehler gemacht haben, oder mich geduzt haben, ohne mich das zu fragen, ob man das machen darf, dann bin ich innerlich wirklich eskaliert. Also, auch so Kleinigkeiten, wo man einfach hätte sagen können: Äh, Sie, das finde ich nicht so gut, wir bleiben beim Sie. Ich möchte meine persönlichen Grenzen hier ja ganz klar markieren und damit fühle ich mich wohler. Da bin ich halt innerlich echt direkt eskaliert und war so: Boah ja, und die Männer sind schon immer so gewesen und waren schon immer scheiße und bla bla bla. Und da kam tatsächlich der Glaube für mich dann ins Spiel, dass Gott mir vorher gezeigt hat Das geht so nicht. Da fällt mir ein, wo ich einen Typen gedatet habe und dann sich herausgestellt hat, dass er parallel gedatet hat und damit der anderen zusammen war. Und so weiter und so fort. Und ich hatte so viel Wut in mir, in die Männerwelt, wieder einmal. Man kann sich nie auf sie verlassen und Hauptsache ihre Bedürfnisse wieder befriedigt, ob lang oder kurzfristig gesehen. Und dann hatte ich so voll den Eindruck von Gott, hatte das Gefühl, Ruf ihn an und entschuldige dich für diese Gedanken. Und ich habe mir gedacht äh, nein, sicher nicht. Nein, sicher nicht. Warum soll ich mich jetzt entschuldigen dafür, dass ich irgendetwas gedacht habe in meinem Gehirn? Was ja auch gar nicht so verkehrt ist, weil es war wirklich blöd. Dann hab ich das aber gemacht und hab gemerkt. Es ich meine Wut innerlich, die ich so habe, krass lernen muss zu kontrollieren und dem nicht mich frei hinzugeben. Es ist mir wichtig, das zu fühlen, aber als ich begonnen habe, es zu fühlen, ist es dann irgendwann ins Extreme abgewandert und da musste ich mich wieder zurück und sagen Girl Skill, übernimm auch Verantwortung für deine Denkweisen, für dein Handeln. Und das habe ich in den letzten Jahren auf jeden Fall wieder gelernt, das wieder so ein bisschen runter zu brechen. Und auch wenn Männer Fehler machen, nicht sofort zu eskalieren, sondern mich auch zu zügeln, sagen Menschen. Und auch ich habe Fehler. Ich mache auch selbst Fehler und ich darf wütend sein, aber in einem gewissen Rahmen, wo es angebracht ist. Ja, also ich glaube, allgemein kann man auf jeden Fall sagen, Wut zu empfinden ist was Gutes und was wichtig ist, ist es die Frage vor allem, wie man damit umgeht. Genauso wie mit jeder anderen Emotion auch, lasse ich der Wut jetzt einfach total den Raum und fange an Sachen zu zerstören oder Menschen zu beschuldigen. Das ist nicht die richtige Art und Weise damit umzugehen, aber auch nicht das einfach total zu unterdrücken, sondern auch erst mal wahrzunehmen. Und das ist ein Prozess, der für mich und ich glaube auch für dich lange gedauert hat und den einfach jeder, der so was erlebt hat, vermutlich einfach auch ein Stück weit gehen darf. Und ganz allgemein wirklich Emotionen anzuerkennen, sich nicht selbst zu unterdrücken oder die ganze Zeit alles irgendwo in eine Schublade zu stecken und sich zu denken Ach ja, ne, betrifft mich eh nicht. Sondern Emotionen wahrzunehmen, diesen Prozess anzugehen und zu merken Wut ist was wichtiges, was deine Grenzen setzt und markiert. Zusammenfassend lässt sich also festhalten über das Thema Schuld, Scham und Wut, dass Schuldgefühle normal sind, auch wenn sie vielleicht nicht sofort nachvollziehbar sind oder vielleicht auch im ersten Moment keinen Sinn machen. Also so logisch betrachtet genau. Es sind halt auch Gefühle und Gefühle folgen nicht immer. Logik habe ich auch gemerkt und mir wurde einfach jahrelang suggeriert, dass es die Art und Weise, wie man mit ihr umgeht, das Intimste, was man hat als Mensch ist Sexualität. Und wenn da jemand so mit ihr umgeht, dann denke ich nicht als erstes Ah ja, das ist jetzt doof. Sondern die Gefühle sagen da eher Aha, guck mal, das ist anscheinend die Art und Weise, wie du Liebe verdient hat in der Form mit Gewalt. Ja, genau. Und ich meine, wir haben jetzt einfach geteilt, was für uns schuld ist, was für uns Scham ist, was für uns Wut ist, wie wir versuchen damit umzugehen. Wir haben einfach versucht, so ehrlich jetzt dir zu erklären, wie wir uns damit fühlen, wie wir damit umgehen und dass wir so was haben. Und wir wollen bewirken, dass du als Hörerin oder als Hörer einfach merkst, du bist nicht die oder der einzige. Und vor allem diese Emotionen sind normal in so einem Zusammenhang. Und auch hier ist es wieder einfach eine Ermutigung an dich, mit deinen Gefühlen, mit deinen Gedanken, mit deinen Emotionen. Du bist nicht alleine. Wende dich entweder an Hilfe, such dir einen Therapeuten, eine Therapeutin, such dir Freunde, die dich unterstützen, die für dich da sind, die versuchen dich zu verstehen. Du kannst dir auch Fachbücher kaufen und dich informieren, weil ich glaube, das Wichtigste in solchen Sachen ist zu verstehen, warum man so reagiert. Und das alleine ist schon so der halbe Weg zur Besserung und zur Heilung. Wichtige Telefonnummern sind zum Beispiel das Hilfe Telefon bei Gewalt an Männern. Die Nummer ist die 08001239900 08001239900 Das hilfe Telefon bei Gewalt gegen Frauen ist die 080011611 60800116116 und die Telefonseelsorge erreicht man unter der 08003 mal die 103 mal die eins oder unter der 08003 mal die 103 mal die zwei. Und aus unserem Gespräch merke ich wieder mal im Rückblick bei mir mit Schuld, Scham und Wut umzugehen ist ein Prozess und es ist von Jahr zu Jahr besser geworden. Es gibt auch wieder mal Momente, wo ich mir denke ist schon wieder da und jetzt braucht es schon wieder seine Zeit usw aber es wird besser und es gibt Hoffnung. Und besonders auch für Partner in Beziehungen. Es ist so schön und wertvoll, gerade auch bei dem Thema Sexualität und man über Scham spricht. Wenn dann der Partner feinfühlig reagiert, verständnisvoll oder ihm einfach Raum gibt, ist es so schön und liegt so was besonderes drin. Man darf das nicht unterschätzen. Das ist sehr, sehr, sehr wertvoll. Also vielen Dank an alle, die das schon tun. Ja, vielen Dank. Das ist herausfordernd. Ja, und wir sind langsam auch am Ende unserer Podcastfolge von heute. Wir danken dir fürs Zuhören. Fürs mit dabei bleiben. Und auch hier gilt wieder Wenn du Fragen hast, dann schreib gerne eine Email an Podcast minus Mosaik ad Christliches Radio PD Wir freuen uns auf deine Nachrichten und wir hören uns in zwei Wochen wieder. Bis dann. Bis dann. Den Podcast Mosaik findest du auf Spotify, dieser und vielen weiteren Plattformen, über die man Podcasts hören kann oder über die Webadresse Mosaik. Punkt. Let's cast Punkt FM Mosaik. Punkt. Let's cast Punkt FM. Die nächste Podcastfolge erscheint schon in zwei Wochen, am 19. April. Und wenn du auf dem Laufenden bleiben möchtest, dann folgt den beiden doch gerne auf Instagram unter dem Account Mosaik. Zustande gekommen ist dieser Name durch die Anfangsbuchstaben von Miri und Nina EM und N plus Mosaik. Und rausgekommen ist dabei ein Mosaik.

Du hörtest eine Sendung des Christlichen Radios München. Das CRM ist ein Arbeits zweig des eingetragenen gemeinnützigen Vereins Christliche Medien München. Erster Vorsitzender ist Dietmar Baier und Redaktionsleiterin Annika Eller. Unsere Sendezeiten sind im UKW. Auf 92 fiel Montag bis Freitag von 14 bis 15 mit einer Wiederholung von 0 bis 1 Uhr und Sonntag von 9 bis 10 und von 13 bis 14 Uhr. Über das Digitalradio DAB plus empfängst du uns montags bis freitags von 16 bis 18 und von 0 bis 1 uhr. Unser CRM 92 vier findest du uns bei allen Podcast Anbietern. Auf unserer Homepage gibt es mehr Informationen zum Programm www. Christliches Radio de Unsere Postadresse lautet Christliches Radio München Mai Straße 5980337 München Die christlichen Medien München senden auch bei München TV sonntags um 10:30. Wir wünschen gute Impulse und Gottes Segen. Durch unser Programm.