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Wildnis schafft Wissen

Gewinnerbeitrag unserRadio Passau: Wildnis schafft Wissen, Podcast 4, Kadaver-Ökologie (Kurzfassung)

Moderation: Treml, Schmalfeldt

Opener

(Musikbett, Sounds)

Sprecher: Wildnis schafft Wissen – 50 Jahre Forschung im Nationalpark Bayerischer Wald.

Beitrag

Moderatorin: Also, diese Podcast-Folge wird sicher nichts für schwache Nerven bzw. schwache Mägen. Heute geht es nämlich ins Reich der Toten, wo trotzdem erstaunlich viel Leben ist. Ich muss auch gleich zu Beginn zugeben, ich war bissal skeptisch, als ich den Interviewtermin mit Aasforscher Dr. Christian von Hörmann vereinbart hab. In der Nähe des Felsenwandergebiets bei Neuschönau haben wir uns auf einem bekannten Luderplatz im Schutzgebiet verabredet. Und schon von weitem kann man hier diesen berühmten, süßlichen Verwesungsgeruch wahrnehmen. Und nicht nur das…

Dr. Christian von Hörmann: Die Luderplätze erkennt man immer, weil da viel Knochen rumliegen. Und das ist jetzt der Rehkadaver, der da liegt, der ist auch durch einen Unfall umgekommen. Man sieht da hinten noch den offenen Bruch hier.

Moderatorin: Aber ist nicht mehr viel übrig, das liegt jetzt 16 Tage hier...

Dr. Hörmann: Ja, ging doch schnell, weil man sieht ja die unglaublichen Madenmengen hinten. Und eine Made braucht zwei Gramm Fleisch für die Entwicklung und wenn man dann hochrechnet, das sind ja zigtausend, die die da drinstecken. Und die sind jetzt relativ schnell für die Außentemperatur und das liegt daran, dass die aneinander reiben und unglaublich Hitze produzieren. Also oft 30 Grad über die Umgebungstemperatur.

Moderatorin: Und man kann sie, wenn man genau lauscht, sogar hören. (Sound) So klingt es also, wenn sich tausende Maden an einem Rehkadaver den Bauch vollschlagen und sich dabei aneinander reiben. 16 Tage liegt das tote Reh jetzt schon hier auf dem Luderplatz und schon vom ersten Tag an hat Christian von Hörmann die unterschiedlichen Verwesungsprozesse ganz genau im Blick.

Dr. Hörmann: Ja, am Anfang ist es tatsächlich die Körperzellen selbst. Das heißt die Zellen öffnen sich, das Zytoplasma tritt aus, ist auch die ganze Flüssigkeit, die sich dann im…im Körper befindet. Das merkt man auch, wenn man die Körper dann hebt oder senkt. Manche erschrecken da, weil das so ein bisschen gurgelt. Das heißt man hat schon ziemlich viel Flüssigkeit im Körper. Und dann sind’s natürlich erstmal die Bakterien aus dem Darmtrakt, also die, die fangen natürlich dann an, die bilden sehr viel Gas. Und das ist auch ‘ne Phase, die dann ganz interessant ist für die Schmeißfliegen, also die kommen dann auch relativ schnell, das kann auch Minuten nach dem Tod passieren. Und so, so ein Geschmeiß, drum heißen die auch Schmeißfliegen, sind ungefähr 250 Eier. Und dann kommen die Käfer nach, weil der Kadaver trocknet immer mehr aus. Und manchmal kommen auch andere Besucher, wie der Fuchs, der frisst dann auch einiges weg, oder der Luchs. Und der kann das Ganze dann noch enorm beschleunigen.

Moderatorin: Wie selten sind dann diese Insekten? Gut, Schmeißfliegen natürlich nicht. Aber dann teilweise die Käfer, hast du da auch schon vielleicht den ein oder anderen Sensationsfund gemacht?

Dr. Hörmann: Ja, wir haben ‘nen bissel holprigen Namen, den Necrophilus subterraneus. Und der war in den Šumava Bergen bisher gar nicht bekannt. Und auch der tschechische Bestimmer …(?) wir müssen ihm die Stelle melden und ein Exemplar liefern. Also es sind einige Kandidaten dabei, die schon sehr interessant sind.

Moderatorin: Es ist schon unglaublich, was sich rund um so einen Rehkadaver alles tut und wie viele Tier- und im Übrigen auch Pflanzenarten bei der Zersetzung mithelfen und davon profitieren.

Dr. Hörmann: Also, wir haben mal so 200 gezählt, davon ist natürlich der große Anteil die Insekten, also mit 139 Arten. Dann hatten wir allein 44 Pflanzenarten in dieser, in unserer Vegetationsanalyse. Und auch 17 große Aasfresser. Und große heißt eben sowas wie Luchs, Wildkatze, Seeadler. Und das sind auch 17 Arten, ganz erstaunlich, die wir eben durch diese Zufütterung, kann man ja auch sagen, eben im System halten.

Moderatorin: Christian schaut nicht nur auf die Prozesse bei der Zersetzung, die für unser menschliches Auge sichtbar sind. Auch was im Bereich der Bakterien passiert wird regelmäßig überprüft, unter anderem mit der Hilfe von Abstrichen.

Dr. Hörmann: Das ist eigentlich hier relativ simpel. (Geräusche) Also dreimal unten und dreimal oben, paar Maden kommen auch mit. Und jetzt hat man den Bakterien- und Pilz-Ist-Zustand in dem Epi.

Moderatorin: Auf was für Bakterien schaut ihr da jetzt genau? Oder was wird jetzt da genau dann untersucht später im Labor?

Dr. Hörmann: Also es sind genau die Bakterien, also man spricht auch vom Necrobiom, die eben auf dem Kadaver gedeihen und die da florieren. Und es ist auch so, dass, also wir machen auch das Maul, ist auch nicht zufällig, dass wir da beproben. Also es ist erstmal das von innen raus kommt aus dem Magen-Darm-Trakt. Das was wir auch zu Lebzeiten natürlich schon in uns tragen oder das Reh. Und dann wird’s ganz interessant, so über die Zeit vermischt sich das dann mit der Außensituation. Das heißt es kommen auch natürlich die Bakterien und Pilze von außen dazu.

Moderatorin: Ist dann das Landeskriminalamt vielleicht auch schon auf dich zugekommen, wenn’s…

Dr. Hörmann: Ja, mit denen kooperieren wir auch. Und die sind zum Beispiel auch immer an der Wärmesignatur interessiert. Also, so ein Tier ist ja, ist ja kalt wenn’s stirbt. Dann wird’s plötzlich wieder warm, was ja keine irgendwelche übersinnlichen Phänomene sind, sondern es wird halt tatsächlich durch die Madenreibung warm und sieht dann aus als ob’s wieder leben würde. Und dann kann man’s aus der Luft auch wiederfinden. Und da ist natürlich, sind natürlich die Kriminalämter auch interessiert. Also, grad für Vermisstensuche oder Leute, die eben in den Wäldern liegen, dass man die eben effizient finden kann.

Moderatorin: Wie reagieren die Leute, wenn…, wenn du sagst, ja okay, du bist im Nationalpark Aasforscher? Was ist so die erste Reaktion, die du auf deine Forschungsarbeit hier bekommst?

Dr. Hörmann: Ja, die erste vielleicht was Aasforschung überhaupt sein soll. Und man erklärt halt dann, dass man hier, hier tote Tiere …(?). Und dann kommt natürlich zuerst mal „Kann man das überhaupt riechen?“, „Wie schlimm ist das anzusehen?“ und…manchmal sag ich so spaßeshalber, wir wissen was nach dem Tod passiert, weil wir beobachten ja genau die Prozesse. Und das nimmt auch teilweise die…, die Angst oder auch den Abstand. Also bei Besuchergruppen oder Führungen ist es oft so, dass die Leute sehr weit weg sind am Anfang. Dann kommen sie immer näher, weil ich dann plötzlich was Interessantes entdecke und rufe: „Das müsst ihr euch unbedingt anschauen!“. Und dann ist auch die Hemmung weg. Und je mehr Details man eigentlich kennt umso weniger abstrus und seltsam wird das Ganze. Und dann schlägt’s eher in Begeisterung um.

Moderatorin: Ja, wenn man Christian von Hörmann so reden hört, dann kann man seine Begeisterung auch richtig spüren. Wieder ein tolles und wegweisendes Forschungsgebiet hier im Nationalpark Bayerischer Wald. Und mein Tipp: Christian hält dazu auch regelmäßig Vorträge und bietet vereinzelt auch Führungen zu den Luderplätzen an. Für alle, die sich ebenfalls vom Thema Kadaver-Ökologie von ihm begeistern lassen wollen.

Closer

Sprecher: Wildnis schafft Wissen (Sounds, Musikbett) – 50 Jahre Forschung im Nationalpark Bayerischer Wald. Als Podcast auch in voller Länge auf unserradio.de und auf der Homepage des Nationalparks Bayerischer Wald.