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Mission Vielfalt - Was wäre Bayern ohne den privaten Rundfunk?
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Mission Vielfalt - Was wäre Bayern ohne den privaten Rundfunk?

Aufbruchstimmung und der Kampf um Frequenzen kennzeichnen den Start des privaten Rundfunks Mitte der 80er Jahre. Doch die Konzepte zur Realisierung der lokalen Radio- und Fernsehlandschaft unterschieden sich in den Bundesländern erheblich. Für Bayern stand die Mission Vielfalt im Mittelpunkt.

Text: Franziska Mozart

23 Bewerbungen für drei UKW-Frequenzen in München: Ein gutes Beispiel für die Frequenzknappheit zu Beginn der privaten Rundfunkära in Bayern. Denn die lokale Vielfalt war in den ersten Jahren eng mit der technischen Verbreitung verknüpft. Heute ermöglichen digitale Verbreitungswege ein Angebot an Radio- und TV-Sendern, Streaming-Services, Audio- und Video-Formaten, von dem Mitte der 80er Jahre nur geträumt werden konnte.

Viele der Bewerber für die Münchner Frequenzen im Jahr 1985 waren schon davor aktiv und sendeten über Kabel. Die Kabelgesellschaften waren eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung des privaten Rundfunks. Doch über diesen Verbreitungsweg erreichten die Anbieter nur wenige Hundert Zuhörer. Der Umstieg auf UKW versprach erstmals höhere Reichweiten. Das entfachte eine Aufbruchsstimmung in der bayerischen Medienlandschaft. Bis dahin gab es in einigen Landkreisen nahezu monopolartig agierende Verleger, für die das private lokale Radio eine Konkurrenz darstellte. „Radio war Kulturgut“, so Willi Schreiner, später 1. Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Lokalrundfunk (VBL). „Doch es hatte keiner so richtig eine Ahnung, wie privater Rundfunk funktioniert.“

Unvergleichliches Pioniergefühl

Die Anfangszeit des privaten Rundfunks in Bayern war von Pioniergeist, Experimentierfreude und einer gewissen Improvisation geprägt. Studios wurden in Kellern und auf Dachböden eingerichtet, Sendungen oft mit einfachsten Mitteln produziert. Radiomacher mussten sich ihre Technik häufig selbst zusammenstellen. Der Austausch mit den Hörern war direkter und ungefilterter als im etablierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diese lockere Atmosphäre sorgte für ein unvergleichliches Pioniergefühl. Georg Dingler, Pionier der ersten Stunde bei Radio Gong 2000, erinnert sich: „Die Moderatoren haben ihre Platten selbst mitgebracht. Kein Research, keine Vorgabe. Nur die Musikrichtung stand fest. Und wenn der Moderator schlecht drauf war, hat er halt nur Transusen-Musik gespielt. Wenn er gut drauf war, hat's gekracht.“

Die Begeisterung war riesig, obwohl es kaum Erfahrungswerte gab. Besonders junge Talente nutzten die neuen Möglichkeiten, sich kreativ auszuleben. Es entstand eine einzigartige Mischung aus professionellem Anspruch und chaotischer Leidenschaft, die das neue Medium zu einem spannenden Experimentierfeld für Unterhaltung und Information machte. Mit jeder neuen Sendung wuchs das Selbstbewusstsein der Radiomacher, und das Publikum entwickelte eine enge Bindung zu „ihrem“ lokalen Sender.

Für die Frequenzverteilung war die neu gegründete Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) zuständig – sie ist auch heute noch für die Zuweisung von Übertragungskapazitäten verantwortlich. Elf Anbieter durften ab 29. Mai 1985 über UKW in München auf Sendung gehen. Sie teilten sich die Frequenzen 89,0 MHz, 92,4 MHz und 96,3 MHz und hießen Radio M1, Radio 44, Radio Aktiv oder Radio Xanadu. Auch Radio Gong 2000 sendete von Anfang an und ist noch heute als Radio Gong aktiv und bekannt.

Das Teilen der Frequenzen war nicht ganz einfach, vor allem da alle Radiosender eigene Studios, teils in Privatwohnungen, hatten. Und nicht alle Anbieter fanden die anderen auf der gemeinsamen Frequenz gut. Da wurde nach der Übergabe auch mal akustisch die Klospülung betätigt, um die eigene Haltung zur vorhergehenden Sendung zu zeigen. Doch immerhin kamen auf diese Weise die unterschiedlichsten Anbieter zum Zuge. Als der Hörfunk-Frequenzplan 1986 im Medienrat vorgestellt wurde, sprach der erste BLM-Präsident Dr. Rudolf Mühlfenzl von einem „Frequenzwunder“, das sich keiner hätte vorstellen können.

Die Qualität der Sendungen schwankte. Kein Wunder, denn immerhin wuchs hier das Berufsfeld der Radiomoderation und -produktion schlagartig, das zuvor nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk relevant war. Viele Mediengrößen starteten ihre Karrieren im privaten Rundfunk. Helmut Markwort war der erste Senderchef von Radio Gong. Michael „Bully“ Herbig begann in den 90er Jahren mit Auftritten in der Morgenshow.

Vielfalt als treibende Kraft des privaten Rundfunks

Damals wurde in Bayern der Grundstein gelegt für eine Vielfalt in der lokalen Radio- und Fernsehlandschaft, die ihresgleichen sucht. „Basis für die Vielfalt war der Freiraum, den die Politik der BLM zur Realisierung des lokalen Hörfunk- und Fernsehkonzepts eingeräumt hat. Das ist nur dank des starken Medienrats, eines guten Konzeptes und des Einsatzes der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelungen“, erinnert sich Mühlfenzls Nachfolger als BLM-Präsident, Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring.

Nach dem Start entwickelte sich die Branche schnell weiter. Die Hörfunkanbieter traten bald unter gemeinsamen Frequenznamen auf, auch wenn sie sich die Frequenz teilten. Das versprach eine bessere Position gegenüber Werbekunden. Und es blieb nicht beim Radio. Schon 1986 folgte mit Kanal 4 das erste private TV-Programm per Antenne.

Von Anfang an setzten die privaten Anbieter auf Vielfalt. Im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk boten sie neue Formate, kreative Sendungen und eine bürgernahe Berichterstattung. Dieser Innovationsgeist wirkte sich auf das gesamte Mediensystem aus: Das private Radio war die „Brutstätte“ für neue Formate, Technik und Moderationspersönlichkeiten. Formatierte Sendungen mit Jingles als Verbindungsstücke, Selbstfahrerstudios, in denen die Moderatoren die Technik selbst bedienten – das alles entstand im privaten Rundfunk und sorgte für qualitativ hochwertigere Programme.

Im Laufe der Jahre schaffte es die bayerische Radiolandschaft, den UKW-Flickenteppich immer weiter zu knüpfen und das Sendernetz im Sinne der lokalen Betreiber immer weiter zu spinnen. Mit der Einführung von DAB+ stiegen die Vielfalt und Übertragungsqualität noch weiter an. Auch deshalb ist die Bedeutung des Lokalfunks für die Medienvielfalt heute noch immens.

„Gerade in Zeiten der Digitalisierung und zunehmender Medienkonzentration sind lokale Radiosender eine wichtige Säule für unabhängigen Journalismus“, so BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege. „Durch ihre Nähe zum Publikum können sie auf lokale Anliegen eingehen und sorgen für einen direkten Austausch zwischen Bürgern und Medienschaffenden“.

In vielen ländlichen Regionen Bayerns sind private Lokalprogramme mittlerweile die einzige verbliebene Nachrichtenquelle, nachdem sich Printmedien zurückgezogen haben. Sie garantieren, dass auch kleinere Gemeinden eine Stimme in der Berichterstattung behalten. Darüber hinaus sind sie ein wichtiger Faktor für kulturelle Identität und Heimatverbundenheit und spiegeln die Vielfalt Bayerns wider.

Journalistische Qualität und wirtschaftliche Solidarität: Privater Rundfunk bedeutet nicht nur Wettbewerb, sondern auch Qualitätssicherung. Um hervorragende journalistische Leistungen zu prämieren, wurde bereits 1988 der erste BLM-Hörfunkpreis verliehen. Später kamen die BLM-Fernsehpreise dazu.

Doch auch die Wirtschaftlichkeit ist ein Thema für den Lokalrundfunk. Um die Zersplitterung der nationalen Werbung zu beseitigen, schlossen sich 1992 die lokalen Radiosender auf Empfehlung der BLM zum ­Bayern Funkpaket zusammen und vermarkten seitdem ihre Programme gemeinsam. Inzwischen sind 62 Lokalradiostationen unter diesem Dach gebündelt und sichern damit ihre wirtschaftliche Basis ab.

Blick nach vorn: Starker Lokaljournalismus entscheidend

40 Jahre nach dem Start der ersten privaten Sender steht die Branche erneut vor großen Herausforderungen. Künstliche Intelligenz, digitale Transformation und der Wettbewerb mit internationalen Tech-Konzernen stellen neue Anforderungen an Medienanbieter. Dennoch bleibt der private Rundfunk unverzichtbar, um bayerische Identität und Vielfalt zu erhalten. „Technisch wird sich noch einiges tun“, so Willi Schreiner. „Der Wettbewerb wird härter, wir haben in manchen Gebieten um die 100 Sender in der Luft.“

Neben klassischen Radio- und TV-Formaten nimmt die Bedeutung von Podcasts und personalisierten On-Demand-Angeboten weiter zu. Doch ein starker Lokaljournalismus wird auch weiterhin entscheidend sein, um unabhängige Berichterstattung nachhaltig zu sichern und eine authentische Stimme für Bayern zu bleiben. 

Bild Franziska Mozart
Franziska Mozart ist freie Journalistin, Strategin und Ghostwriterin. Sie hat u.a für das Magazin Werben & Verkaufen und für die Handelsblatt Media Group gearbeitet und ist Co-Autorin des Buches "Superpower Sustainable Marketing". Ihre Lieblingsthemen sind Kommunikation, Technologie und Nachhaltigkeit.
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