Die mobilen Angebote prägen nicht nur zunehmend, wie Nachrichten die Menschen erreichen, sondern auch, wie die Neuigkeiten konsumiert werden. Wie aber verändern News-Apps den Journalismus?
Text Sandro Schroeder
Bei den meisten Verlagen und Sendern sind& News-Apps Teil ihres Multi-Plattform-Konzeptes. Die Online-Redaktionen beliefern Desktop-Seite, mobile Website sowie ihre Anwendungen für Tablet und Smartphone mit den gleichen Inhalten. Mobile Website und App sind dabei oft nahezu deckungsgleich. Weil die Anbieter auf originäre App-Inhalte verzichten, wirken die meisten News-Apps eher wie installierbare Klone der Websites. Mit dem Konzept »Ein Inhalt für alle Plattformen« arbeitet beispielsweise Spiegel Online. Die kostenlose News-App Spiegel Online – Nachrichten ist eine der wichtigsten Größen auf dem Markt und nach Angaben des Digital News Report 2015 des Reuters Instituts an der Universität Oxford auf 15 Prozent aller Smartphones in Deutschland installiert. Die App hat das typische Spiegel-Online-Design, bestehend aus dem Trio von grauer Dachzeile, roter Überschrift und Bild. Dann folgt ein kurzer Teaser-Text, mitsamt ein bis drei Artikelüberschriften zu weiterführenden Beiträgen zum Thema.
APP ALS SERVICE FÜR STAMMKUNDEN
Die News-App stelle für die Redaktion von Spiegel Online eine der wichtigsten Plattformen dar, erklärt Matthias Streitz, einer der beiden geschäftsführenden Redakteure. Die mobilen Endgeräte und Apps spielen bei uns eine sehr stark wachsende Rolle, zusammengenommen sogar fast die wichtigste«, berichtet Streitz und erklärt, stationäre und mobile Geräte seien inzwischen »nahezu gleich wichtig bei der Nutzung«. Und obwohl App und Mobilseite nahezu identisch sind, ist die App nach Angaben von Streitz dennoch ein unverzichtbarer Service, der vor allem von »Stammkunden« genutzt werde. Sie würden in einer Sitzung auf mehrere Beiträge zugreifen, während die mobile Website eher einmalige, kurze Zugriffe generiere. Eigens für die App erstellte Inhalte will Streitz bei Spiegel Online zwar nicht kategorisch ausschließen. Ob sich der Mehraufwand lohne und ob das überhaupt dem Nutzerinteresse entspreche, sei aber zweifelhaft.
Auch Jochen Wegner, Chefredakteur von Zeit Online, glaubt nicht an exklusive App-Inhalte. Die Nutzer würden schließlich ein konsistentes Angebot für alle Screen-Größen erwarten. In der Berliner Redaktion hat zwar die Bedeutung von Apps und mobilen Geräten zugenommen, jedoch ohne die Relevanz der anderen Plattformen in Frage zu stellen. »Es ist kein Shift, keine Verschiebung von Desktop auf Mobile, die wir sehen, sondern es ist eine Ausweitung der Mediennutzung durch Mobile, von der wir profitieren«, analysiert Wegner. Mobile Anwendungen wie die App Zeit Online sicherten einen immer größeren Anteil der Reichweite: »Wir bewegen uns dabei langsam auf fünfzig Prozent zu.« Auch den Website-Relaunch von Zeit Online im Herbst 2015 hat das stark beeinflusst. Mit dem Restart entstanden neue Beitragsformate: etwa das Multimedia-Kartenformat, das sich auf Touchscreens von Mobilgeräten bequem wischen lässt, oder das Live-Dossier, das komplexe Themen in wenigen Bildschirmlängen zusammenfasst. Obwohl die neuen Formate auf allen Plattformen ausgespielt werden, ist ihre App Veranlagung offensichtlich. Sie verschaffen einen inhaltlichen Überblick über Entwicklungen und reduzieren Themen auf die Quintessenz – alles in aufgeräumter Optik auf jeder Bildschirmgröße. »Wir haben uns die ersten Zahlen angeschaut und sind ziemlich beeindruckt, wie gut die neuen Formate funktionieren. Die Leute scheinen sie zu lieben, und was fast genauso wichtig ist: Die Redaktion liebt sie auch, weil sie damit neue Erzählformate hat«, zeigt sich Wegner zufrieden.
SCHNELLER ÜBERBLICK FÜR ZWISCHENDURCH
Außer dem häufig angewandten App-Konzept, Eins-zu-Eins-Abbildungen der News-Website zu bieten, gibt es eine weitere Herangehensweise: Reduktion auf das Wesentliche. Die Macher haben es dabei stärker auf die mobil typische Nutzung abgesehen: Arbeitswege, Wartezeiten und andere »Zwischen-durch-Situationen«, in denen sich Nutzer nur kurz einen Nachrichtenüberblick verschaffen wollen. Auf dieses Bedürfnis nach kompakter Übersicht setzt beispielsweise die kostenpflichtige App NOZ kompakt der Neuen Osnabrücker Zeitung. Sie bietet dem Nutzer acht Beiträge an – jeweils vormittags, mittags und abends. Das Rezept: kein Endlos-Scrollen, kein vollständiges Abbild der Website, stattdessen ein »snackbarer« Überblick – »News to go« drei Mal täglich.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bietet mit der App Der Tag ebenfalls eine kompakte Alternative zur mobilen FAZ.net -Anwendung. Statt dem gewohnten Website-Layout mit Dachzeile, Überschrift, Bild und Teaser-Text offeriert die FAZ-App eine Kombination aus starken, Display-füllenden Bildern und Überschriften. So kann der Touchscreen-Nutzer, Bildschirm für Bildschirm, schnell über die Übersicht »Das Wichtigste der letzten 24 Stunden« wischen und auf Wunsch die dazugehörigen Texte aufrufen. Matthias Streitz von Spiegel Online sieht bei solchen Kompakt-Apps das Risiko, dass Redaktionen sich mit den App-Ausgründungen eventuell selbst kannibalisieren, also die eigene Nutzergruppe immer stärker fragmentieren. Bei der App von Spiegel Online existiert deshalb eine optionale Kompaktansicht, die nur mit Überschriften und Bildern arbeitet. Noch kürzer ist die chronologische Newsticker -Ansicht. Das Team von Streitz will lieber solche Features und das Design der Haupt-App weiter verbessern, statt mehrere Anwendungen anzubieten. Bei Zeit Online hingegen wird das Angebot weiter ausdifferenziert. »Wir planen ein, zwei Apps in diesem Jahr, die sehr populäre Features von Zeit Online ausgründen und ein sehr reduziertes, fokussiertes Angebot zusätzlich anbieten«, verrät Jochen Wegner. Als Königsdisziplin der Reduktion gilt derzeit die App-Aufbereitung für die Apple Watch. Ein Jahr nach dem Marktstart haben viele Redaktionen ihre News-App auch für das kleine Display der Smartwatch angepasst. Hier müssen Überschrift, Bild und verkürzter Teaser für den schnellen Blick auf dem Handgelenk reichen. Durch diese Begrenzungen spielen Push-Benachrichtigungen auf der Smartwatch automatisch eine größere Rolle als das aktive Ansteuern von Inhalten durch die Nutzer.
PUSH DIENSTE UND PERSONALISIERUNG
Die Push-Technologie hilft dabei, jeden Nutzer jederzeit mit dem Weltgeschehen zu synchronisieren: Die kurzen optischen Hinweise sind das Exklusive, das Alleinstellungsmerkmal, die Stärke der mobilen Anwendungen im Multi -Plattform-Universum. Sie erscheinen wahlweise mit Vibration oder Ton auf dem Bildschirm von Smartphone oder Smartwatch und fordern den Nutzer zur Interaktion auf. Während die Tagesschau-App gut zwanzig Benachrichtigungen pro Woche verschickt, feuert die App Focus Online – Nachrichten im selben Zeitraum weit über fünfzig ab. »Es ist sehr verlockend für uns als Publisher, dieses Instrument zu benutzen, weil wir sofort sehen können, wie die App-Nutzung nach einem Push steigt«, erklärt Matthias Streitz von Spiegel Online. Die Sofortbenachrichtigungen sind aber ein zweischneidiges Schwert, weil sie das Risiko bergen, Nutzer mit zu vielen Alarmen zu verärgern. Viele Smartphone-Besitzer stellen dann die Push-Funktion entweder komplett ab oder löschen gar die dazugehörige App. Push-Funktionen müssen möglichst intelligent eingesetzt werden. Das ist eine teils redaktionelle, teils technische Aufgabe, an der nicht nur bei Spiegel Online gearbeitet wird. Bei der App von Zeit Online können Nutzer derzeit zwischen zwei Benachrichtigungskanälen wählen: » Das eine ist tatsächlich die klassische Eilmeldung, und daneben gibt es einen zweiten Push-Feed namens ‘Wichtige Nachrichten’. Das sind keine sekundenaktuellen, eilpflichtigen Nachrichten, aber das kann beispielsweise ein sehr tolles Hintergrundstück sein«, erläutert Jochen Wegner. Zurzeit arbeitet seine Redaktion an besser zugeschnittenen Benachrichtigungen: »Wir sitzen an einem größeren Projekt, wo es tatsächlich um Individualisierung geht.« Wegner berichtet von einem »individuellen Push-Abo«, mit dem man auf mehreren Kanälen steuern könne, wie man mit dem Angebot von Zeit Online kommuniziert.
Wie so ein individualisierbares Modell aussehen kann, zeigt die Welt.de-Redaktion mit ihrer kostenpflichtigen App Welt News – Aktuelle Nachrichten. Dabei können sich Nutzer einen »persönlichen Report« per Push -Benachrichtigung schicken lassen. Themenauswahl, genaue Uhrzeit und Wochentage können frei gewählt werden.
Noch detaillierter anpassen lässt sich die App BR24 des Bayerischen Rundfunks. Sie ermöglicht ihren Nutzern, sich einen eigenen Nachrichtenstrom zu selbst gewählten Themen, Stichwörtern und Personen zusammenzustellen. Für alle Bestandteile wird eine Push-Benachrichtigung angeboten.
Den Mehraufwand einer per Hand vorgenommenen Personalisierung soll die App Bild Buzz den Nutzern sogar ganz abnehmen. Sie soll mit der Zeit eigenständig »lernen«, welche Benachrichtigungen geöffnet werden, also den Nutzer interessieren, um anschließend noch effektiver zu funktionieren. Mit Erfolg: »Ein durchschnittlicher Nutzer nutzt die App mehr als dreimal täglich – insgesamt mehr als zehn Minuten pro Tag. Bild Buzz ist nach Facebook und Google der drittgrößte Referrer für unser Mobilportal«, berichtet bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt. Der Trend zur individuellen Anpassung setzt sich auch bei den Inhalten fort, vorangetrieben von Technik-Unternehmen. News- Aggregatoren wie Apple News, Upday (eine Kooperation von Samsung und Axel Springer SE), Google News oder News Republic sammeln News aus einer breiten Auswahl von Nachrichtenquellen und bündeln sie in einer App. Teils legen dabei die Nutzer einzelne Publisher oder Themenfelder selbst fest, teils optimieren die Aggregatoren selbst ständig auf Basis des Nutzerverhaltens.
(K)E I NE (R)EVOLUTION
Und das Fazit? News-Apps haben Journalismus und Redaktionen bisher nicht radikal revolutioniert, auch wenn ihre Bedeutung rasant wächst. Vielmehr haben die mobilen Anwendungen für eine kontinuierliche Evolution der bestehenden Angebote geführt. Neue Beitragsformate wie bei Zeit Online zeigen, dass ein »App-Denken« in den Redaktionen nicht nur den mobilen Anwendungen selbst nützen, sondern das gesamte Digitalangebot bereichern kann. Unverändert bleiben dabei journalistische Kernkompetenzen gefragt, werden teils sogar stärker denn je gefordert. Für die Apps müssen komplexe Themen und Hintergründe kurz und prägnant erklärt, Entwicklungen zusammengefasst, ein Überblick geboten werden. Die Aufbereitung für die mobilen Endgeräte ist dabei eine Herausforderung, die Redaktion, Grafiker und Techniker gemeinsam angehen müssen. Zudem drängen Technik-Unternehmen und Personalisierungs - Spezialisten wie Apple und Samsung auf den News-Markt, während Traffic -Lieferanten wie Google und Facebook mit darüber entscheiden, ob ihre Nutzer auf den mobilen Seiten oder in den News-Apps landen. Letztlich können die Redaktionen ihren Stammkunden mit Apps eine Plattform bieten, die sich zukünftig noch stärker an den Wünschen der Nutzer ausrichten wird und muss – sei es bei Interaktionsmöglichkeiten oder Inhalten.