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Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien

Bloss nicht zurücklehnen
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Bloss nicht zurücklehnen

Lokaler Rundfunk steht für die Medienvielfalt in Bayern. Insbesondere der lokale Hörfunk hat Erfolgsgeschichte geschrieben. Sein Programm ist gefragt, sein Geschäftsmodell funktioniert. Doch um die digitale Zukunft zu meistern, müssen die Anbieter ausgetretene Pfade verlassen.

Text Guido Schneider

Wer heute auf die privatwirtschaftliche Rundfunklandschaft in Bayern blickt, der sieht ein wohlbestelltes Feld aus lokalen und regionalen Anbietern, die praktisch jeden Winkel des weiß-blauen Freistaats mit Radio- oder TV-Programmen versorgen, seit Jahrzehnten auf Sendung sind und ein treues Publikum um sich scharen. Diese Vielfalt sucht bundesweit ihresgleichen und ist in mühsamer Kleinarbeit der Veranstalter, der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und des Gesetzgebers entstanden. Dem Start des privatwirtschaftlichen Rundfunks am 1. April 1984 im Rahmen des Münchner Kabelpilotprojekts ging jedoch eine lange Kontroverse um den Einfluss der Politik auf den Rundfunk und das Für und Wider kommerzieller Rundfunkveranstalter voraus. Sie hatte bereits 1972 zu einem Kompromiss geführt, der Bayerns Ausnahmestellung im deutschen Medienmarkt untermauert. Um einen Staatsrundfunk zu vermeiden, wurde 1973 im Artikel 111a der Bayerischen Verfassung festgeschrieben, dass TV- und Radioprogramme im Freistaat nur in öffentlicher Verantwortung und unter öffentlich-rechtlicher Trägerschaft zulässig sind. Die Regelung ließ aber auch Platz für private Anbieter, für welche die BLM und ihr Medienrat seit 1985 die geforderte öffentliche Verantwortung wahrnehmen.

Die ortsnahen Hörfunkstationen behaupten sich mit lokaler Information, populärer Musik, Service und lockerer Moderation bis heute erfolgreich gegen Antenne Bayern und den Bayerischen Rundfunk (BR). „Das Lokalkonzept des Radios funktioniert weiterhin, das ist unglaublich nach so langer Zeit“, beobachtet Georg Dingler. Der Privatfunk-Pionier und Chef von Radio Gong 96,3 in München kennt auch das Erfolgsrezept seines Unternehmens: Die Hörer in München müssen das Gefühl haben, etwas zu verpassen, wenn sie Radio Gong nicht einschalten. Dafür braucht es laut Dingler weiterhin eine innovative Musikgestaltung sowie gut ausgebildete Redakteure und Moderatoren.

Wechselvolle Wachstumsgeschichte

Der Start des Lokalfunks in Bayern verlief aber alles andere als leicht. Zwar schuf die BLM im Juli 1986 mit der Satzung zur Nutzung von drahtlosen Hörfunkfrequenzen gemäß dem Bayerischen Medienerprobungs- und -entwicklungsgesetz (MEG) rasch die Voraussetzungen für den UKW-Start zahlreicher Lokalsender und vergab bis 1988 bereits 41 von 92 geplanten UKW-Frequenzen (siehe Artikel auf Seite 20/21), doch die ortsnahen Programmanbieter mussten mit ihrer oft bescheidenen Sendeleistung erst einmal Reichweite schaffen. Das gelang ihnen mit der Zeit. Laut Funkanalyse Bayern stieg die Tagesreichweite des Lokalfunks von 1,24 Millionen Hörern im Jahr 1989 auf 3,17 Millionen im Jahr 2017. Auch wirtschaftlich stehen die Sender solide da. Nach einer Anlaufphase mit hohen Investitionen erreichten sie 1993 mit einem Kostendeckungsgrad von 104 Prozent erstmals die Gewinnzone. In der Werbekrise 2002 rutschte der Lokalfunk aber in die Verlustzone. Um ihn kostenmäßig zu entlasten, senkte die BLM 2003 die Begrenzung der lokalen Mindestsendezeiten, strukturierte die Zulieferungen des 1991 gegründeten Programmdienstleisters BLR neu und forcierte die Bildung regionaler Funkhäuser. Das erste wurde 1991 für Regensburg genehmigt. Mit diesen Maßnahmen überstand der Lokalfunk die Krise und erreichte 2016 mit 116 Prozent den drittbesten Kostendeckungsgrad seiner Geschichte.

Neue Programme und Plattformen

Mit der fortschreitenden Digitalisierung ändert sich nun aber das Umfeld des lokalen Hörfunks. Neben UKW ist DAB+ zu einem relevanten Verbreitungsweg geworden. Die Lokalprogramme sind aber auch via Livestream online verfügbar. Und Anbieter wie Radio Gong haben inzwischen sogar einen eigenen Skill für Amazons Sprachbox Echo programmiert. Denn der Wettbewerb nimmt zu: Im Internet konkurrieren die örtlichen Stationen mit unzähligen User Generated Radios, reinen Webradios, Podcasts und Musikdiensten wie Spotify, Apple Music oder Amazon Music, die eine On-Demand-Kultur des Hörens etabliert haben. Hinzu kommt ein fragmentierter Werbemarkt, in dem immer mehr Audiospots online in Echtzeit und angereichert mit zusätzlichen Daten ausgespielt werden. Das so genannte Programmatic Advertising hat inzwischen auch in der UKW-Welt Einzug gehalten.

Um die Zukunft zu meistern, plädieren die Akteure im lokalen Rundfunk für einen Mix aus alten Stärken und neuem Denken. „Wir müssen alles dafür tun, damit uns die Menschen überall hören können. Vor allem aber müssen wir weiter Radio machen“, fordert Dingler und kritisiert die Zurückhaltung der Eigentümer: „Es wird insgesamt zu wenig investiert in Privatradio.“ Felix Kovac ist damit nicht gemeint. Die Augsburger Allgemeine, zu der die von ihm geleitete rt1. Media Group (Hitradio rt.1, a.tv) gehört, hat vor einiger Zeit die Beteiligungen der SV Teleradio erworben und ein Drittel der Anteile bei Dinglers Radio Gong übernommen. Kovac will gemeinsam mit anderen Akteuren nun Verbünde bilden, damit die örtlichen Rundfunkstationen mehr Schlagkraft im Kampf gegen Spotify, Amazon und Co. erreichen. „Wirtschaftlich gesehen hat ein lokaler Anbieter überhaupt keine Chance gegen die Tech-Giganten aus den USA“, glaubt er. Doch publizistisch sei er ihnen schon gewachsen. „Unsere lokalen, journalistischen Inhalte lassen sich nicht aus dem Silicon Valley erstellen, allenfalls abschreiben“, argumentiert Kovac. „Wir sind deshalb alle gefordert, die Qualität unserer Angebote zu verbessern.“ Dazu gehören für ihn neue Geschäftsmodelle neben dem klassischen Rundfunk, die sich auch digital monetarisieren lassen.

Lokales als Unique Selling Point

Noch aber hat der klassische Hörfunk kaum erfolgreiche Online-Projekte vorzuweisen, und ein nichtlineares Musikangebot à la Spotify wird es von Lokalsendern so bald wohl auch nicht geben. „Einen solchen Streaming-Dienst zu starten, kann sich kein lokales Rundfunkunternehmen dieser Welt leisten. Wenn, dann überhaupt nur in Verbünden“, ist sich Kovac sicher. Naheliegender ist, dass die lokalen Radiostationen ihre Vermarktung im Internet ausbauen, wo sich nach Angaben der Studie Wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2016/17 im Jahr 2016 nur etwa ein Prozent ihrer Erträge erzielten. Mit personalisierter Werbung will Kovac diesen Anteil deutlich erhöhen. Dabei handelt es sich um Spots, die mit Daten angereichert und via Targeting personalisiert ausgespielt werden und für die Werbekunden höhere Preise zahlen sollen.

Bei den Verbreitungswegen hält Kovac außer UKW und Internet auch DAB+ für wichtig. Das digitale Antennenradio stelle aber nur eine „Übergangstechnologie“ dar, die in fünf bis zehn Jahren durch die schnelle Broadcast-Übertragung via 5G abgelöst werde. Dadurch werde dann auch die Verbreitung personalisierter Werbung erleichtert. Mischa Salzmann, Geschäftsführer von Radio Bamberg, hält DAB+ hingegen für „die beste verfügbare digitale Technik“, weil der Lokalfunk sein Verbreitungsgebiet damit besser versorgen könne und weil es bei den DAB-Kapazitäten kein Ungleichgewicht wie bei UKW gebe, wo speziell der BR über mehr Sendeleistung verfügt als das Lokalradio. Angst vor digitalen Mitbewerbern wie Spotify, Google, Amazon oder Facebook hat Salzmann nicht. Das Medium Hörfunk mit seinen etablierten Marken hält er für schneller und besser verankert im lokalen Markt. „Wir bieten den Hörern eine Wundertüte.“ Daraus lässt sich in der digitalen Welt noch mehr machen, glaubt Salzmann: „Unsere besten Tage kommen erst noch.“

Bewegte Zeiten für Bewegtbild

Lokal-TV in Bayern sollte sich besser in die Social-Media-Welt einfügen

Bayern war früh dran mit dem Start seiner lokalen Fernsehprogramme. Nur wenige Monate nach der Privat-TV-Premiere in Ludwigshafen ging am 1. April 1984 das Münchner Kabelpilotprojekt mit zwanzig überwiegend lokalen Fernseh- und 28 Hörfunkprogrammen in einem Versuchsgebiet mit 500 Haushalten auf Sendung. Heute senden 16 Regional- und Lokal-TV-Stationen, welche die Bürger mit Information, Unterhaltung und Kultur versorgen und durchaus ankommen. Laut Funkanalyse Bayern hat sich zwischen 1992 und 2017 die Tagesreichweite der lokalen TV-Programme an Werktagen mehr als verdoppelt und lag zuletzt recht konstant bei 870.000.

Trotz großer Beliebtheit ist Lokal-TV ein schwieriges Geschäft geblieben. Anfangs litten die Anbieter unter hohen Produktionskosten und der geringen Zahl an Kabel-Haushalten, die ihnen nur niedrige Werbeerlöse bescherten. Um die Lage der Branche zu verbessern, führte der Gesetzgeber 1986 das sogenannte Teilnehmerentgelt („Kabelgroschen“) ein, das Inhaber von Kabelanschlüssen zahlen mussten und das 2005 vom Bundesverfassungsgericht untersagt wurde. Seither erhalten die Lokal-TV-Anbieter für die Verbreitung und Programmherstellung Fördergeld aus dem Bayerischen Staatshaushalt und von der BLM. Hinzu kommen Zuwendungen der bundesweiten TV-Programmanbieter für Fensterprogramme. All diese Mittel machten 2016 fast ein Drittel der Lokal-TV-Erträge aus und trugen maßgeblich zur Stabilisierung der Branche bei, die seit Mitte der 2000er-Jahre überwiegend kostendeckend arbeitet.

Auch für lokale TV-Programmanbieter hat sich im Zuge der Digitalisierung viel verändert. Sie müssen sich heute auch gegen Video-on-Demand-Dienste wie Netflix sowie gegen Youtube und Facebook durchsetzen. „Die Faszination TV wurde leider durch die Faszination Social Media abgelöst“, bedauert Thomas Eckl. Der Geschäftsführer von IsarTV fordert deshalb, dass sich seine Zunft vom reinen TV-Anbieter zum Content-Produzenten wandelt. Dazu braucht sie weiterhin den Bezug zur Heimat, untermauert durch qualitativ hochwertige Berichterstattung, aber auch eine wahrnehmbare Präsenz in den Angeboten der US-Digital-Riesen. Zusätzliche Reichweite sollen die Plattform Entertain der Deutschen Telekom und die Lokal-TV-App für Android und iOS gewährleisten, die 2015 im Auftrag der BLM entwickelt wurde. Zudem müssen lokale Programmanbieter sich beim überregionalen Werbezeitenverkauf und der Online-Video-Vermarktung verbessern. Potenzial sei da, versichert Eckl: „Unsere Social-Media-Kanäle eignen sich sehr gut zur Integration von Werbekunden.“ Youtube und Co. sind also nicht nur Konkurrenten. Sie sollen dem Lokal-TV auch auf dem Weg in die Zukunft helfen

Tagesreichweite bayerischer Lokal-TV-Programme

Tagesreichweite bayerischer Lokalfunk-Programme

Grafik: rosepistola.de
Shutterstock.com: kotoffei, Best_Vector_Icon
Porträt Guido Schneider: Jaytee

Bild Guido Schneider
Guido Schneider ist freier Medienfachjournalist und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Themen aus den Bereichen Hörfunk, Bewegtbild und Marketing. Er schreibt für Fachdienste wie "Horizont" und "kress pro".

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