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Leicht verständliche Texte auf Knopfdruck

Das preisgekrönte Münchner Startup SUMM AI hat ein KI-gestütztes Tool entwickelt, das schwer verständliche Texte sofort in Leichte Sprache übersetzt. Diese Anwendung zeigt, wie Künstliche Intelligenz einen greifbaren gesellschaftlichen Nutzen haben kann.
 

Text: Bernd Oswald


Behördentexte zu lesen, ist meistens nicht vergnügungssteuerpflichtig. Die Lektüre kann harte Arbeit sein, selbst für Leute mit akademischem Hintergrund. Aber wie ist das erst, wenn man den nicht hat - und vielleicht noch durch eine Behinderung eingeschränkt ist? So wie die Tante von Flora Geske. Sie hatte regelmäßig Probleme, Texte auf der Website ihres Rathauses zu verstehen. Personen mit körperlicher oder geistiger Behinderung, Migrationshintergrund oder einer Lernschwäche haben bei komplizierten Texten besonders große Verständnisschwierigkeiten.

Für sie gibt es zwar die Leichte Sprache, ein Regelwerk für eine leichter zu lesende Sprache: kurze Sätze, einfache Wörter, Bilder. Doch es ist aufwändig, Texte in Leichter Sprache zu erstellen. Das machen meistens speziell geschulte Übersetzer und Übersetzerinnen. Und weil es davon nicht viele gibt, gibt es auch noch nicht so viele Texte in Leichter Sprache.

Ein klassisches Beispiel für Natural Language Processing

Das brachte Flora Geske auf die Idee, ein Tool zu erfinden, das automatisch Texte von schwer verständlicher in Leichte Sprache übersetzt. Schon im Studium des Finanz- und Informationsmanagements an der Technischen Universität (TU) München hatte sie sich mit Natural Language Processing, kurz NLP, befasst: Einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, das sich mit der automatischen Verarbeitung von natürlicher Sprache beschäftigt. Zusammen mit ihren Studienkollegen Vanessa Theel und Nicholas Wolf gründete sie im April 2022 das Startup SUMM AI. Es richtet sich vor allem an Behörden und Unternehmen, die Barrierefreiheit umsetzen und Leichte Sprache anbieten möchten, um inklusiv und verständlich zu kommunizieren. Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) beispielsweise bietet die Texte auf ihrer Website in Leichter Sprache an.

Kernprodukt ist ein Tool, in das man einen komplizierten Text hineinkopiert und auf Knopfdruck eine Version in Leichter Sprache erhält. SUMM verwendet dabei vorhandene Sprachmodelle von Anbietern wie Bloom, Aleph Alpha oder Open AI. Darauf wird ein Layer für Leichte Sprache aufgesetzt. Diesen Layer füttern die Leichte-Sprache-Experten von SUMM mit Hunderten schwer verständlicher Textbeispiele. Und zwar jeweils für den Bereich, aus dem Texte in Leichte Sprache übersetzt werden sollen, also zum Beispiel zu den sozialen Hilfsangeboten einer Stadt. Und zwar so lange, bis das Ergebnis “robust“ ist, also ständig gute Ergebnisse liefert.

„Wir machen die digitale Welt barrierefrei“

Die Kunden brauchen dann ihre Texte nur noch ins Eingabefeld kopieren und auf “Übersetzen“ klicken und erhalten binnen Sekunden eine Version in Leichter Sprache. Aus dem Satz “Die Erteilung der Gewerbeauskunft erfolgt nach Entrichtung der Gebühren“ macht das SUMM-Tool: “Sie wollen die Gewerbeauskunft? Dann müssen Sie Geld bezahlen.“

Eine auf Leichte-Sprache spezialisierte Übersetzung würde ein Vielfaches an Zeit kosten. Und: Je länger der Text, desto größer die Zeitersparnis. Hier gibt es also einen ganz klaren Skalierungsfaktor. Diese Entwicklung fand nicht nur die BLM-Tochter Media Lab Bayern überzeugend und nahm das Startup in das Förderprogramm Media Startup Fellowship auf. Im Sommer 2023 hat das Team zudem als „Digitalpionier“ den mit 10.000 Euro dotierten bayerischen Digitalpreis „B. DiGiTAL“ gewonnen.

Ihr Anspruch, den Geske im Gespräch mit dem Media Lab Bayern schildert: „Wir machen die digitale Welt barrierefrei. Informationen müssen für jeden zugänglich sein. In zwei Jahren möchten wir die etablierte Lösung für einfach verständliche, deutsche Texte sein und ein funktionierendes Tool auch für besonders komplexe Texte, z.B. im Bereich Recht oder Wissenschaft, anbieten.“

Zu den Kunden zählen derzeit vor allem Behörden


Abgerechnet wird über ein Lizenzmodell. Es gibt Pakete mit unterschiedlichem Zeichenvolumen pro Monat: “Wenn man die Lizenz auf die genutzten Seiten umrechnen würde, ist SUMM um mindestens 90 Prozent günstiger als ein Übersetzer“, sagt Flora Geske. Zu den Kunden zählen derzeit vor allem Behörden: Aschaffenburg übersetzt seine Pressemitteilungen mit dem Web-Interface von SUMM, Hamburg hat sogar die SUMM-Programmierschnittstelle in sein Content Management System eingebunden und bietet inzwischen eine ganze Reihe von Texten auf seiner Website in Leichter Sprache an. Dafür haben die Hansestadt und SUMM gerade eine Auszeichnung beim Ideenwettbewerb “Gemeinsam wird es KI“ des Bundesarbeitsministeriums bekommen.

Das Feedback der Kunden sei sehr gut, berichtet Geske: “Wir bekommen oft die Rückmeldung, dass unser Tool sehr gut funktioniert, um Barrierefreiheit zu gewährleisten und so ein riesengroßes Problem löst“. Das Münchner Startup ist auch in Gesprächen mit Medienhäusern. Hier ist es aber etwas schwieriger als bei Behörden. “Ich habe das Gefühl, dass Journalistinnen und Journalisten mehr an ihren Texten hängen“, vermutet Geske.

Seit der Gründung vor 15 Monaten hat das Startup mehr als 40 Kunden gewonnen. In der Gründungsphase profitierte es stark vom Media Startup Fellowship: “Das Fellowship des Media Lab Bayern ist das beste Förderprogramm, das wir mitgemacht haben. Es gab einen allumfassenden Support. Auch die Vernetzungsmöglichkeiten sind super“, so Geske. Beim weiteren Wachstum hilft das Grow Fellowship des Media Labs. Das größte Problem sei gerade, so Geske, Marketing-Experten und -Expertinnen zu finden. Denn hier gebe es mit den großen Playern wie Google oder Microsoft starke Konkurrenz.

Für die Zukunft haben Geske, Theel und Wolf schon Expansionsideen: So wollen sie auch Privatunternehmen als Kunden gewinnen. Dabei kommt SUMM das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zugute, das 2025 in Kraft treten soll. Danach werden auch Unternehmen dazu verpflichtet, Texte in Leichter Sprache anzubieten. Und schließlich ist Leichte Sprache ja kein deutsches Phänomen, sondern auch in anderen Sprachen notwendig. Englisch und Französisch stehen auf der SUMM-Roadmap ganz oben. 


STECKBRIEF
Name: SUMM AI
Claim: Leichte Sprache - Leicht gemacht.
Website: https://summ-ai.com/
Gegründet von: Flora Geske, Vanessa Theel, Nicholas Wolf im April 2022
Rechtsform: GmbH
Förderung durch das Media Lab: Media Startup Fellowship, Batch 11; Media Grow Fellowship
Um was geht es? Textübersetzung in Leichte (barrierefreie) Sprache
Was bringt das? Menschen mit Verständnisproblemen können Texte verstehen, ihre digitale Teilhabe wird gestärkt. Organisationen und Medien, die das Tool verwenden, können ihre Zielgruppe erweitern.

Illustration: rosepistola.de 

Bild Bernd Oswald
Bernd Oswald ist freier Journalist für Themen an den Schnittstellen von Medien, Technologie und Politik, unter anderem im Netzwelt-Ressort von BR24. Für Start Into Media betreute er die Studie „Fachkräfte für die Medien – was braucht die Branche“.
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