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Journalismus liefert Informationen für unabhängige Entscheidungen
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Journalismus liefert Informationen für unabhängige Entscheidungen

Gerade, wenn es um den Klimaschutz geht, wird der Journalismus häufig in die Pflicht genommen, noch aktiver Stellung zu nehmen und politisch Haltung zu zeigen. Doch ist das die angemessene Grundlage für eine demokratische Diskurskultur? Tendenz hat Dr. Lutz Kinkel, den früheren Journalisten und heutigen Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit, um einen Kommentar zu dieser Frage gebeten.

Text Lutz Kinkel

Ich bin Aktivist. Als Aktivist werbe ich dafür – und fordere es auch – dass Medienschaffende unseren Themen mehr Aufmerksamkeit widmen. Warum pro­testieren sie nicht 24 Stunden am Tag gegen die Verletzungen der Pressefreiheit? Weshalb attackieren sie nicht unablässig die Orbans, Erdogans und Putins dieser Welt, die die Meinungsfreiheit im Beton ihrer Autokratien versenken? Wo bleibt die Empörung über Desinformation und Meinungsmanipulation, wo die Leidenschaft für Medienkompetenz und demokratischen Diskurs? Warum sind den Medienschaffenden ihre eigenen Arbeitsbedingungen so nebensächlich?

Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit, für das ich arbeite, kämpft für die Verteidigung der Medienfreiheit. Fridays for Future treibt die Politik an, mehr gegen die Klimakatastrophe zu unternehmen. Amnesty International engagiert sich für die Menschenrechte; Brot für die Welt gegen den Hunger, die Liste ließe sich fortsetzen.

Was uns eint: Wir machen Politik außerhalb des Parlaments. Um erfolgreich zu sein, brauchen wir Einfluss. Wir mobilisieren Politik und Öffentlichkeit, schmieden Bündnisse und werben Budgets ein. Dafür müssen unsere Themen sichtbar sein, Betriebswirtschaftler würden „Visibility“ einen KPI (key performance indicator) der NGOs (Nichtregierungsorganisationen) nennen. Wen wundert es, dass wir laufend den Eindruck haben, „unsere“ Themen seien unterrepräsentiert.

Journalismus sollte keine politischen Interessen verfolgen, sondern beobachten

Ich war Journalist, mehr als zwanzig Jahre lang. Ich saß auf der anderen Seite des Schreibtisches und bekam pro Tag zig Mails, Faxe und Einladungen von Interessensgruppen, die ihre Anliegen vortragen. Ich meine, beide Rollen gut vergleichen zu können, die des Journalisten und die des Aktivisten. Wer behauptet, sie seien oder sollten für bestimmte Themen ein und dasselbe sein, ist ein Demagoge.

Meist setzt die Debatte über die Funktion des Journalismus beim Begriff der Objektivität ein, was erstaunlich ist, weil die Fakten so klar auf der Hand liegen. Objektivität im naturwissenschaftlichen Sinn bedeutet: Ich nehme einen Stein in die Hand, öffne die Hand und der Stein fällt zu Boden. Das ist ein objektiver Befund, weil er unter der Bedingung der irdischen Schwerkraft fortlaufend reproduzierbar ist. Stein, Hand, plumps.

Die individuelle menschliche Wahrnehmung ist nicht 1:1 reproduzierbar. Im seriösen Journalismus müssen jedoch die dargestellten Fakten verifizierbar sein. Autorinnen und Autoren fügen sie zu unterschiedlichen Betrachtungen zusammen. Sehr gut lässt sich das auf Pressereisen beobachten, die im Rahmen von Wahl­kämpfen absolviert werden. Fünf Teilnehmende liefern fünf verschiedene journalistische Porträts ab, selbst wenn sie dieselben Auftritte der Kandidierenden verfolgt haben.

Geht es professionell zu, zielt kein Porträt darauf ab, den Kandidaten aus rein politischen Gründen zu diskreditieren oder zu bejubeln, ihn aus dem Rennen zu werfen oder über die Ziellinie tragen zu wollen. Es ist nicht die Funktion des Journalismus, politische Interessen zu verfolgen. Er beobachtet Politik vielmehr – und liefert dem Souverän Informationen für unabhängige Entscheidungen.

Professioneller Journalismus lebt von der Exploration

Objektivität ist kein Begriff, der bei der Beurteilung von Journalismus weiterhilft. Ebenso wenig der leichtfertige Gegenentwurf, dass aller Journalismus subjektiv und damit aktivistisch sei. Eine Reihe journalistischer Formate sind subjektiv und entsprechend gekennzeichnet: Kommentar, Rezension, Leitartikel, Kolumne, Reportage. Sie lassen Haltungen und Einstellungen der Schreibenden erkennen.

In anderen Formaten verschwindet die Autorenschaft weitgehend hinter dem Stoff: Nachrichten, Berichte, Investigationen. Gerade letztere prüfen die intellektuelle Unabhängigkeit: Ein Skandal ist ein Skandal, selbst wenn er von Personen, Parteien oder Insti­tutionen verursacht wurde, zu denen die Schreibenden positive Einstellungen haben.

Professioneller Journalismus lebt von der Exploration, nicht von der Unterschlagung von Realität. Davon, den Mächtigen auf die Finger zu sehen, wer immer das auch sei. Haltung? Ja. Die Menschenrechte und berufsethische Prinzipien ernst nehmen, so wie sie im Pressekodex formuliert sind. Aktivismus? Nein.

Journalismus muss jede Interessensgruppe durch seine kritischen Qualitätsfilter laufen lassen. Weshalb die Grenzen dennoch verschwimmen, hat systemische Ursachen. Recherchen sind teuer und ungewiss, die Ergebnisse zunächst oft kleinteilig und nicht ohne Mühe zu verstehen. Meinungen gibt es an jeder Straßenlaterne, sie sind billig und schnell zu produzieren. Sie tapezieren die Weltsicht der Zielgruppe und vermitteln Halt und Orientierung in einer unübersichtlichen Welt.

Ausbeutung von Stimmungslagen

Ganze Sender, wie zum Beispiel Fox News in den USA, sind auf diesem Geschäftsprinzip aufgebaut. Große Plattformen wie Facebook und Youtube dirigieren ihre User mit Hilfe von Algorithmen in den Kaninchenbau von Verschwörung und Fake. Ich würde mich dagegen verwahren, das Aktivismus zu nennen, es ist eher eine kommerzielle Ausbeutung von Stimmungslagen in der globalisierten Welt.

Wer sich auf diesen Pfad begibt, mag Profite sammeln und Zielgruppen stabil halten, Journalismus lässt sich das nicht mehr nennen. In Gesellschaften, die durch solche Medien bereits stark polarisiert sind, verfällt das Vertrauen in den Journalismus allgemein. Der geradezu dystopische Endzustand ist eine Öffentlichkeit, die von den Interessen mächtiger Oligarchen orchestriert wird, die sich Medien als verdeckte PR-Unternehmen halten. Interessierten sei ein Blick nach Bulgarien empfohlen.

In vielen Ländern ist Aktivismus ein Schimpfwort für Journalismus. Es ist mit der Unterstellung verknüpft, einer bestimmten, unausgesprochenen politischen Agenda zu folgen. Tatsächlich folgt Aktivismus einer offen ausgesprochenen, expliziten politischen Agenda. Unabhängiger Journalismus hat diese nicht. Er identifiziert gesellschaftlich relevante Themen und ist Auge und Ohr für uns. Wir müssen alles tun, um die Unversehrtheit und Unabhängigkeit von Journalistinnen und Journalisten zu schützen.


Illustration: rosepistola.de

Bild Lutz Kinkel
Dr. phil. Lutz Kinkel ist Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig. Zwischen 2005 und 2016 arbeitete der Journalist für den stern, zuletzt als Leiter Online des Berliner Büros.
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