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Lokaler Content: Sozialer Kitt und Anwalt der Region
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Lokaler Content: Sozialer Kitt und Anwalt der Region

Bedeutung des Lokaljournalismus für die Demokratie

Welche Rolle spielt Lokaljournalismus für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Für Prof. Dr. Leyla Dogruel hat er eine wichtige Integrationsfunktion, stärkt die Gemeinschaft und kann so als „Anwalt der Region“ wirken. Sie empfiehlt eine noch stärkere Konzentration auf die lokalen Geschichten, die einen zentralen Beitrag zur Identität einer Region leisten und Beteiligungsmöglichkeiten bieten.

Interview: Bettina Pregel 
 

Tendenz: „Lokaljournalismus ist die Lebensversicherung der Demokratie“ hat Katja Ilnizki kürzlich in einem Gastbeitrag für die Tendenz geschrieben. Wie relevant sind lokale Medien Ihrer Einschätzung nach für die Demokratie?

Leyla Dogruel: Dass Lokaljournalismus wichtig ist für demokratische Prozesse, haben die Folgen sogenannter „News Deserts“ in den USA deutlich belegt: Das Verschwinden von Lokalmedien hat hier über die Zeit hinweg zu einem Rückgang an politischem Wissen und Wahlbeteiligung geführt. Ebenso hat das Fehlen einer Kritik- und Kontrollfunktion negative Folgen für das Gemeinwohl. Lokaljournalismus kommen somit zentrale Funktionen zu, die nicht durch andere Medien und Informationsquellen zu ersetzen sind.
Im Gegensatz zu Formen direkter Kommunikation durch lokale Organisationen, politische Akteure sowie Bürgerinnen und Bürger, die eigene Interessen und Themen in den Vordergrund stellen, hat Lokaljournalismus die Aufgabe, über lokale Themen und Menschen aus der Region zu berichten, Interessen zu bündeln, Politik und wirtschaftliches Handeln kritisch zu beobachten und damit zur Meinungsbildung beizutragen. Er wirkt aber nicht nur in die lokale Gemeinschaft hinein, sondern kann auch eine Rolle als „Anwalt der Region“ einnehmen und die lokalen und regionalen Interessen in die weitere (nationale) Öffentlichkeit tragen. Zudem hat Journalismus im Lokalen aber auch eine Integrationsfunktion – wirkt als sozialer Kitt. Durch die Berichterstattung über das, was lokal passiert, trägt er zum Zusammenhalt bei und leistet einen zentralen Beitrag zur Identität einer Region bzw. eines Ortes.

Lokaljournalismus stärkt die Gemeinschaft

Tendenz: Wie lässt sich diese Relevanz wissenschaftlich belegen?  In welchen Studien ist das bereits geschehen?

Die meisten Studien, die sich mit dem Zusammenhang von Lokaljournalismus auf die Demokratie befassen, konzentrieren sich auf die USA und die negativen Folgen des (vollständigen) Verschwindens von Lokalzeitungen. Hier lassen sich über die Zeit hinweg diese deutlichen Effekte auf aggregierter Ebene beobachten. Auch wenn in Deutschland ein Ausdünnen lokaler Medien und dort tätiger Journalistinnen und Journalisten zu beobachten ist, kann ein Verschwinden von Lokaljournalismus hier glücklicherweise nicht beobachtet werden. Zudem gibt es kaum Studien, die kausale (positive) Zusammenhänge aus der Nutzung von Lokaljournalismus belegen. Der Effekt ist also auf gesellschaftlicher Ebene zu beobachten und lässt sich nicht direkt auf die Nutzung von Lokalmedien zurückführen. Zudem gibt es kaum Studien (und Daten), die die kausalen Effekte von Lokaljournalismus auf die soziale Integration und die Teilhabe von Menschen am Ort belegen. In der GIM-Studie „Lokaljournalismus und Demokratie“, die Prof. Dr. Wiebke Möhring und ich im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) wissenschaftlich begleitet haben, geht es um die Bedeutung des Lokaljournalismus für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Ein zentrales Ergebnis: Lokaljournalismus stiftet Orientierung, schafft Vertrauen, kann Dinge in Bewegung bringen und stärkt die Gemeinschaft (vgl. Kasten).

Mehr Interaktionsmöglichkeiten schaffen

Tendenz: Was können die lokalen Medien mit Blick auf einen digitalen, modernen Aufritt noch verbessern?

Leyla Dogruel: Community-bezogene Funktionen zu nutzen und Nutzende mehr einzubinden und – da ist sicher noch Luft nach oben. Beteiligungsmöglichkeiten für User, die auch selbst Inhalte und Beobachtungen beisteuern können, und interaktive Elemente, um etwa Datenjournalismus auf der (hyper)lokalen Ebene sichtbar zu machen (wie sieht es in meiner Straße/Nachbarschaft aus?), sind einige Elemente, die von Lokalredaktionen noch eher selten eingesetzt werden.

Tendenz: Ist der Einsatz von Social Media  und mehr Interaktion die Lösung, um attraktiv für junge Menschen zu sein? Wenn ja, welche Inhalte eignen sich dafür?

Leyla Dogruel: Ja und nein. Junge Menschen sind in Social Media unterwegs (wie viele „Ältere“ aber auch). Dort präsent zu sein, ist wichtig. Gleichzeitig sieht man auch, dass andere Formate, wie Podcasts oder Newsletter-Journalismus, (auch) junge Menschen ansprechen und ein gezieltes und intensiveres Rezipieren von Lokaljournalismus ermöglichen. 

Tendenz: Wie sieht die Zukunft des Content für den Lokaljournalismus aus? Welche Rolle spielt die gesellschaftliche Relevanz dieser Inhalte?

Leyla Dogruel: Ich denke eigentlich nicht, dass der Lokaljournalismus sich thematisch neu aufstellen muss. Im Gegenteil: Eine stärkere Konzentration auf die lokalen Geschichten, sei es über Personen, Veranstaltungen, Entwicklungen, das, was am Ort bewegt, sollte Kern der Berichterstattung sein. Gerade im Hinblick auf die sozialen Funktionen der Lokalmedien.

Was KI im Lokalen nicht leisten kann

Tendenz: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz kann Lokalredaktionen entlasten, aber nicht ersetzen? Warum?

Das Nadelöhr, die Kernfunktion von Lokaljournalismus ist es, lokale Themen, Menschen, Geschichten zu erfassen und zu erzählen. Die müssen aber erstmal entdeckt, recherchiert, eingefangen werden. Und das kann (vermutlich noch sehr lange) keine KI leisten. Gerade im Lokalen kann das nicht ersetzt oder aus anderen Quellen substituiert werden. Da müssten schon KI-Roboter durch die Gegend laufen und erstmal Themen einfangen, ein Gespür für die Menschen und den Ort entwickeln, um diese dann zu verarbeiten.

KI-Moderation: Wenn jeglicher Journalismus wegfällt, fehlt was

Tendenz: Es gibt ja bereits KI-moderierte Radioprogramme. Ist das im Lokalen, wo die Nähe zum Menschen der große Pluspunkt ist, vorstellbar?

Leyla Dogruel: Nachts, wenn kaum Menschen einschalten, ist das vermutlich denkbar. In Programmen, die Menschen im Alltag begleiten und Orientierung bieten, sicher nicht. Genau die persönliche Komponente, eine Person mit „local-skills“, die Stimmungen und Kultur und Vibes versteht, erfüllt die Funktionen, die Menschen beim Lokalrundfunk suchen. Tendenz: Inwiefern hätte das Auswirkungen auf die Demokratierelevanz von Lokaljournalismus? Beim Abspielen von Musiktiteln eher weniger. Wenn aber jeglicher Journalismus – sowohl in der Aufbereitung von Themen, Informationen und Interaktion mit dem Publikum wegfällt – dann fehlt etwas. Wollen Sie an einem Ort leben, der es nicht mal mehr wert ist, im Radio Moderatorinnen und Moderatoren zu haben?

Tendenz: Lokale Medien haben immer stärkere wirtschaftliche Probleme. In Bayern wird die lokale Vielfalt auf unterschiedliche Weise gefördert. Für welche Art der Förderung von lokaler Vielfalt plädieren Sie?

Leyla Dogruel: Das ist vermutlich keine Überraschung: Ich würde mich klar für eine Förderung der journalistischen Leistungserbringung aussprechen. Was zählt, ist der Lokaljournalismus, der bereitgestellt wird und ankommt.

Tendenz: Wenn Sie von Ihrem Nutzungsverhalten lokaler Medien ausgehen: Was ist dabei für Sie besonders wichtig? Und was könnte man verbessern?

Leyla Dogruel:Ich persönlich schätze lokalen Newsletterjournalismus. Format, „Ton“ und Themen passen da für mich gut zusammen. 


Zur Person: Prof. Dr. Leyla Droguel ist Professorin für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Soziale Kommunikation an der Universität Erfurt. Ihre Forschung untersucht, wie sich die Bedingungen gesellschaftlicher Kommunikation im Kontext von Digitalisierung und Automatisierung verändern. Im Bereich Journalismus konzentriert sich ihre Forschung auf (lokale) Medienmärkte. Gemeinsam mit Prof. Dr. Wiebke Möhring hat sie die GIM-Studie „Lokaljournalismus und Demokratie“ im Auftrag der BLM wissenschaftlich begleitet. Publiziert werden die Ergebnisse im Oktober 2025 zu den Medientagen München.
 

Bild Bettina Pregel
Bettina Pregel ist stv. Pressesprecherin und Redakteurin der Tendenz in der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. Die Pressereferentin arbeitete zuvor bei Tageszeitungen und Fachzeitschriften.
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