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„Wir halten den Atem an, wenn es echt wird.“
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„Wir halten den Atem an, wenn es echt wird.“

Future of Content:  Mit Glaubwürdigkeit und Authentizität überzeugen

Was tun, wenn man die Zukunft vor Augen hat, aber noch Jahre von der Gegenwart leben muss? Wenn man mit einem Bein in der neuen Welt steht, aber mit dem Rest noch in der alten festhängt? Die deutschen Medienunternehmen befinden sich im Transformationsprozess. Denn alles, was sie bisher über die Produktion und Distribution von Inhalten wussten, wird im KI-Zeitalter auf den Kopf gestellt. 

Text: Cathrin Hegner

Als Journalist würde Meinolf Ellers „den Begriff Content am liebsten auf den Index“ setzen. Content sei „genau das, was der Algorithmus braucht, die Maschinen-Verarbeitbarkeit von Inhalten“, sagt Ellers, der seit 40 Jahren bei der dpa arbeitet und heute den Bereich Business Development leitet. Authentizität, Vertrauenswürdigkeit und Ehrlichkeit würden im KI-Zeitalter zur „unschätzbar wertvollen Ressource“. Das alles müsse man „verteidigen bis zum Allerletzten“. Dass dies eine Herausforderung wird, ist inzwischen allen Medienmachern klar, die noch in der alten Welt groß geworden sind. Dabei sind die Textgeneratoren nur ein Teil des Problems. Die lineare Nutzung, die Basis der Refinanzierung von Video und Audio, schwindet. Die Aufmerksamkeit der Massen, die Werbungtreibende brauchen, um Produkte zu verkaufen, verteilt sich auf immer mehr Plattformen, Anbieter und Formate. „Content ist das neue Öl – nur, dass heute jeder seinen eigenen Bohrturm hat“, sagt Thorsten Decker, Chief Strategy Officer der Omnicom Media Group (OMG). „Was früher exklusiv Journalistinnen und Journalisten, Kreativen und Medienhäusern vorbehalten war, kann heute jeder mit einem Smartphone und einer KI-Textmaschine in der Tasche: Inhalte in Masse produzieren.“ Klingt nach Creator-Economy – haben wir das nicht alles schon einmal gehört? Ja, aber diesmal wird es wirklich viel, viel mehr, was da in naher Zukunft auf uns zukommt. Die Art und Weise wie Inhalte entstehen, verarbeitet und verbreitet werden, wird dank Künstlicher Intelligenz (KI) effizienter, günstiger und schneller als jeder Mensch, weshalb es Mediaexperten wie Decker bereits vor „algorithmischer Einheitssoße unter dem Label Vielfalt“ graut. „Was passiert“, fragt er, „wenn die Quantität plötzlich die Qualität überrollt?“  

Die Branche sucht nach Antworten

Das lineare Fernsehen kämpft an mehreren Fronten: In den vergangenen zehn Jahren haben die Sender fast 40 Prozent Sehdauer bei den 20- bis 59-Jährigen verloren. Die Jüngeren gucken weniger fern, und sie kehren – anders als man lange dachte – auch nicht zum Fernsehen zurück, wenn sie älter werden. Der Werbemarkt steht aufgrund der andauernden Wirtschaftsflaute unter Druck, Streamingdienste und weitere Tech-Riesen aus Übersee graben den Sendern das Wasser ab. Die deutschen TV-Anbieter halten mit eigenen Streamingdiensten und konvergenten Formaten dagegen. Inhalte und Protagonisten werden in derselben Markenwelt über mehrere Plattformen gespielt. „Im Rahmen unserer CrossOver-Evolution treiben wir seit 2022 unsere Lösungen in Richtung Konvergenz, weichen Gattungsgrenzen auf“, erklärt Carsten Schwecke, Chief Commercial, Technology & Data Officer RTL Deutschland. „Unsere Antwort: ein Angebot, eine Buchung, eine Abrechnung, ein Reporting, ein Preis – und am Ende Wirkung.“ Man denke „Formate nicht als Einzelprojekt, sondern als Content-Welten: Shows, die sich weiterentwickeln, Zielgruppen differenzieren und Marken binden“, sagt Schwecke. Als Beispiel für kanalübergreifendes Weiterdenken nennt er „Let’s Dance“. Schwecke: „Wenn SelfieSandra das Studio entert, wird aus Social-Reichweite ein TV-Moment.“ Inzwischen moderiert die Influencerin „Make Love Fake Love“ auf RTL+.   Bei seinem Streamer setzt RTL Deutschland auf ein hauptsächlich abofinanziertes Modell (vgl. S. 22-24). Mit der geplanten Übernahme von Sky DACH könnten die Kölner ihren Kosmos um zahlungskräftige Sport-Abonnenten und den Sky-Streamer Wow erweitern. „Zwei DNA-Stränge, die man klug verweben kann“, betont Schwecke. „Wenn das gelingt, eröffnet sich ein völlig neues Spielfeld für Reichweite und Plattformlogik.“

Auffindbarkeit von Inhalten als große Herausforderung

Wettbewerber ProSiebenSat.1 vertraut dagegen auf ein überwiegend werbefinanziertes Modell. „Für einen Streamer wie Joyn ist es essenziell, dass wir für alle Zielgruppen Inhalte anbieten“, erklärt Henrik Pabst, Chief Content Officer der ProSiebenSat.1-Gruppe. Reality-Programme, Live-Sport, US-Fiction und Eigenproduktionen wie „Die Cooking Academy“ sind das Rezept der Münchner. Gemeinsam mit Creatoren wie bei „The Race“ will man die Jungen begeistern. Aktuell punktet „Villa der Versuchung“ sowohl auf Sat.1 als auch auf Joyn. „Das Schaffen von Marken und die Auffindbarkeit von Inhalten werden eine große Herausforderung bleiben“, weiß Pabst. „Das Wechselspiel aus unseren großen linearen Marken wie Sat.1. und ProSieben mit unserem Superstreamer Joyn hilft dabei sehr." Wer weiß, dass die Zukunft im Streaming liegt, aber die Gegenwart noch lange das lineare Fernsehen ist, landet schnell bei konvergenten Content- und Plattformstrategien. Die demografische Entwicklung weist den Weg: So lag der Anteil der GenZ an der Bevölkerung 2024 bei zirka 13 Prozent, ihr Anteil an der Sehdauer aber bei nur vier Prozent. Bei der GenY sieht es ähnlich aus: 41 Prozent Zielgruppenanteil und 26 Prozent Sehdaueranteil. Dabei taucht die Zeit, die den Qualitätsmedien fehlt, nicht nur dort wieder auf, wo man sie quasi im selben Markenreich monetarisieren könnte. Ein wachsender Teil „verpufft“ auf unseren Smartphones – zum Beispiel bei der Nutzung von KI-Apps wie ChatGPT.  

„Es fehlt an Geld, aber auch an Mut und Leidenschaft“

„Das lineare Fernsehen ist nicht tot“, sagt Ute Biernat, die sich in diesem Herbst nach 25 Jahren Ufa Show & Factual in den „Vorruhestand“ verabschiedet: „Aber es hat sich in Teilen kaputtgespart.“ Man versuche mit alten Rezepten Neues zu kreieren, so Biernat. „Es fehlt an Geld, mittlerweile jedoch auch an Mut und Leidenschaft.“ Die Produzenten verstünden die Zwänge, die durch den Kostendruck entstehen, erklärt Biernat. „Aber wir reden oftmals nur noch über Geld und viel zu wenig über Inhalte.“ (vgl. S. 12-14) Ein weiteres Problem begleitet die TV-Branche seit Jahren: Wenn ein Format gut funktioniert, wird so lange kopiert und weitergedreht, bis es keiner mehr sehen will. „Zu erkennen, wann das Fass überläuft, ist keine Stärke der Senderverantwortlichen“, weiß die erfahrene Produzentin. „Das war schon bei Talk so, bei Scripted Reality und es wird auch bei Reality so kommen.“ Man habe aufgrund von Überproduktion mittlerweile auch ein „Glaubwürdigkeitsproblem“.

Hat das klassische Fernsehen ausgedient?

Da sind die Creatorinnen und Creator schon beherzter unterwegs. Sie probieren Neues aus, laden hoch, die Zuschauer übernehmen, drehen und teilen weiter, kostengünstig und teilweise hochprofessionell. „Authentisch, schnell und lustvoll werden Inhalte produziert und transferiert, oft ohne große Settings“, sagt Biernat. Das Fernsehen könne sich da ruhig etwas abschauen. Und nicht nur das Fernsehen, weiß dpa-Mann Ellers. Text sei für die künftigen Generationen nicht mehr das präferierte Format. „Wir müssen überlegen, wie wir Inhalte in Audio- und Videoformaten transportieren.“ Der Journalismus könne viel von den Erfolgsrezepten der Content-Creatoren lernen. Das sieht auch Oliver Pocher so, für den das klassische Fernsehen ausgedient hat. Mit dem Pocher.Club betreibt der Comedian eine eigene Fan- und Streaming-Plattform. Er wolle sich unabhängiger von Auftraggebern und Social-Media-Algorithmen machen, hat er im Branchenmagazin „DWDL.de“ verkündet. Der Vollständigkeit halber muss man erwähnen, dass zur Refinanzierung von Inhalten neben Emotionalität und Authentizität auch noch Reichweite gehört. „Wir halten den Atem an, wenn es echt wird“, beschreibt Mediamanager Decker die Spannung, die Inhalte erfolgreich und relevant werden lässt.  „Wenn das Tor in der letzten Minute fällt. Wenn der Creator plötzlich live geht und etwas sagt, das keiner erwartet. Live-Content entfessele genau diese Emotionen. „Nicht perfekt und nicht kontrollierbar, sondern roh, unberechenbar und unwiderstehlich.“  

Mit Podcasts Geld verdienen

Und wie sieht es bei den Audio-Inhalten aus? Interessant ist die Entwicklung der Online-Audio-Angebote (Musikstreaming, Webradio, Podcasts und Hörbücher). Laut dem Online-Audio-Monitor 2025 festigenPodcasts ihre Rolle als Informationsmedium mit spezifischen Stärken. Politik & Gesellschaft sind mit Abstand das beliebteste Podcast-Thema.  „Podcasts sind längst kein Nischenmedium mehr, sondern ein pulsierendes Wachstumsfeld“, erklärt Alexander Krawczyk, Senior Vice President von Seven.One Audio. Emotionales und Authentisches funktioniert am besten, der Trend zum jungen, weiblichen Publikum hält an. „Gefragt sind Inhalte, die in einer komplexen Welt Kontext schaffen, also nicht nur informieren, sondern auch einordnen und inspirieren.“ Dazu gehören True Crime- und Personality-Podcasts wie „Kaulitz Hills“. Die Brüder führen mit ihrem „Senf aus Hollywood“ im Juli auch das Spotify-Ranking an. Ebenfalls regelmäßig in den Top-Ten: „Gemischtes Hack“, „Fest & Flauschig“, „Mord auf Ex“ sowie „Lanz & Precht“. Die Radioanbieter kombinieren die zielgerichtete Ansprache des Podcast mit den Reichweiten der linearen Sender. „Relevante Audioinhalte verbinden Reichweite mit echter Nähe und Glaubwürdigkeit“, betont Stefan Mölling, CEO des Audiovermarkters RMS, „journalistisch kuratiert, lokal verankert, emotional erzählt – ob im Radio, Podcast oder innovativen digitalen Audioformaten“.  Das Privatradio kämpft ebenfalls mit den veränderten Rahmenbedingungen der Content-Produktion und Verbreitung. Der Wettbewerb mit US-Techfirmen und Streamingdiensten wie Spotify und Co. sei „hart und nicht fair“, erklärt Mölling. „Plattformen wachsen nach anderen Spielregeln, während sich das Privatradio allein über Werbung finanziert.“

Öffentlich-rechtlicher Inhalte-Kosmos

Auch ARD und ZDF sollen und wollen für alle Zielgruppen da sein, weshalb auch hier längst plattformübergreifend und in konvergenten Konzepten gedacht wird. Auf dem Mainzer Lerchenberg treibt man die Relevanz in jungen Zielgruppen konsequent voran. Moderatorin Andrea Kiewel – „Manchmal ist man einfach so oldschool, dass es schon wieder cool wird“ (DWDL.de) – feiert mit dem Klassiker „Fernsehgarten“ erstaunliche Erfolge beim jungen Publikum. Das ZDF reagierte mit dem dreiteiligen Twitch-Format „Streamergarten“. Die ARD veranstaltet auf ihrem Twitch-Kanal unter der Marke „Tagesschau together“ virtuelle Watchpartys zu den „Sommerinterviews“ mit Politikerinnen und Politikern. Der Content rund um die traditionellen Gespräche hat laut NDR bereits im Vorjahr rund 30 Millionen Aufrufe erzielt. Sophie Burkhardt, Channel-Managerin ARD Mediathek, geht davon aus, dass „weitere Veränderungen in der Ausspielung und Mediennutzung, zum Beispiel durch KI, zu neuen Formaten und inhaltlichen Aufbereitungen führen werden“. In Zukunft zähle ein „Format-Kosmos“ – starke Marken wie die „Tagesschau“, die über verschiedene Nutzungssituationen erlebt werden könnten. Mit der ARD-Mediathek und der ARD-Audiothek habe man sich eine „sehr gute Ausgangsposition erarbeitet“, weiß Bertram Gugel, Head of Product ARD Online. Im fragmentierten Markt sei die ARD aktuell bei über 50 technischen Partnern mit ihren Apps präsent. Für bessere Auffindbarkeit der Inhalte solle das gemeinsam mit dem ZDF ins Leben gerufene Streaming-Netzwerk sorgen, „indem wir einen öffentlich-rechtlichen Inhalte-Kosmos aufbauen und unsere Inhalte schrankenlos verfügbar machen“. Weitere Partner aufzunehmen, vergrößere die Attraktivität insgesamt. „Statt einer zentralen Plattform sehen wir ein Ökosystem aus Partnern, das sich über Vernetzung, schrankenlose Verfügbarkeit, gemeinsame Systeme, Standards und Kooperation im Markt behauptet.“   Doch in der privaten Medienwirtschaft gibt es Zweifel, ob das Projekt unter dem Namen Streaming OS wirklich allen offensteht. OS steht für „Operating System“ aber auch für „Open Source“. Das heißt: Andere Medienhäuser könnten sich an der Software bedienen. Ein Nukleus also einer deutschen Content-Plattform als Gegengewicht zu den US-Techriesen? Man fürchte eher eine „Hegemonie“, sagt ein deutscher TV-Manager, der nicht namentlich auftauchen möchte: „Die Öffentlich-Rechtlichen setzen den Standard. Mehr als koproduzierter Content wird auf dieser Plattform schon wegen ungeklärter Lizenzrechte nicht möglich sein“, so seine Befürchtung.

Mehrwert durch Glaubwürdigkeit

Dabei wäre der Zusammenhalt von privaten und öffentlich-rechtlichen Qualitätsmedien gerade jetzt wichtig, um antidemokratischen Strömungen, Medienskepis und Nachrichtenverdruss gemeinsam etwas entgegenzusetzen. „Was wir brauchen, ist ein fairer Zugang für alle, damit starke Markenbindung und inhaltliche Vielfalt auch in Zukunft nebeneinander bestehen und voneinander profitieren können“,  sagt RMS-Chef Mölling. Vielfalt sei eben „nicht nur eine Frage der Menge, sondern der Perspektiven und der Glaubwürdigkeit“, ergänzt OMG-Mediastratege Decker. Die Zukunft des Contents werde „nicht von Technologie allein entschieden, sondern davon, wie wir sie nutzen“. Dass sich Qualität und wirtschaftlicher Erfolg nicht ausschließen, weiß Rainer Esser, Geschäftsführer der ZEIT Verlagsgruppe und erfolgreicher Transformator: „Zwischen Fake News, Clickbait und oberflächlichen Trends sehnen sich die Menschen nach Verlässlichem.“ Inhalte, die für echte Orientierung sorgten, würden zur gefragten Ressource. Gedruckt und digital, über TikTok, Instagram und YouTube, mit Podcasts, Magazinen und Veranstaltungen erreicht die ZEIT laut Esser monatlich rund 20 Millionen Menschen. „Wir Qualitätsmedien müssen die Menschen täglich aufs Neue mit unseren Inhalten überzeugen und ihnen immer neue Kanäle, Formate und Bühnen bieten, die Spaß machen.“ 

Cathrin Hegner
Cathrin Hegner arbeitet seit 2008 als freie Journalistin und Moderatorin in München. Sie schreibt seit vielen Jahren über Medien und Marketing. Ihre berufliche Laufbahn startete sie beim Fachmagazin W & V.
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