Digitale Sprachassistenten revolutionieren die Audio- und Hörfunknutzung. Sind bei Smart Speakern entsprechende Anwendungen, sogenannte Skills oder Actions, installiert, reicht ein kurzer Sprachbefehl, um einzelne Radioprogramme, Musiktitel oder Nachrichten abzurufen.
Text Nora Frerichmann
Neulich bei einer Geburtstagsfeier: Es läuft Musik. Plötzlich ruft ein Gast übermütig: „Alexa, bitte bestell tausend Kilogramm Hundefutter!“ Der Gastgeber kommt panisch aus dem Nebenraum gerannt: „Nein, Alexa, nein!“ Diese Situation taugt nicht nur zur amüsanten Anekdote, sie illustriert auch zwei zentrale Eigenschaften digitaler Sprachassistenten: ihre intuitive und niedrigschwellige Bedienung. Für Systeme wie Google Home oder Amazons Alexa braucht es keine flinken Finger wie beim Touchscreen und nach der Systemeinrichtung kaum mehr Tech-Verständnis. Es ging wohl nie zuvor so einfach, den Lieblingssender zu starten oder Songs, Nachrichten und Verkehrsmeldungen abzufragen: per Sprachbefehl. So kommt eine Nutzung auch für alte Menschen und kleine Kinder in Frage.
(Kauf-)Impulse für den Audio-Markt
Ausgeschöpft ist der Markt noch lange nicht. Trotz des Smart-Speaker-Hypes sind die kleinen Boxen im Alltag der meisten Deutschen noch nicht angekommen. Eine Studie der Deutschen TV-Plattform ergab zwar, dass die Mehrheit der Befragten Amazons Alexa (91%), Apples Siri (79%) und Google Assistant (76%) kennen. Die Nutzung lag mit 13 Prozent bei Alexa, 16 Prozent bei Siri und 15 Prozent bei Google allerdings noch relativ niedrig. Nach Angaben des Radiovermarkters RMS nutzten im November 2018 elf Millionen Deutsche einen Smart Speaker, sechs Millionen weitere planten innerhalb eines halben Jahres einen Kauf.
Für die Radio-Branche bietet das neue Interface verschiedene Chancen: Laut RMS geben 63 Prozent der Nutzer, die über einen Smart Speaker verfügen, an, wieder mehr Audio-Inhalte zu nutzen. Am beliebtesten seien dabei Streaming-Dienste, Radioprogramme und Podcasts. Auch könnte die steigende Beliebtheit des Wohnzimmers als Nutzungsort zu einem bewussteren Hören führen. Die Entwicklungen deuten außerdem darauf hin, dass sich die Radionutzung mit den Smart Speakern weiter fragmentieren wird. Wetter, Verkehr, verschiedene Musikstile, Nachrichten und Podcasts: Alles kann einzeln und on Demand abgerufen werden. Im Kölner Institut für Wirtschaftsinformatik erwarten die Experten jedoch nicht, dass das lineare Programm komplett kannibalisiert wird. „Wir sehen eine große Chance darin, das lineare Programm personalisierbarer zu machen“, sagt Doktorandin Vanessa Beule. An ihrem Institut werde aktuell ein Algorithmus entwickelt, der einzelne Elemente des Programms individualisierbar gestalten soll: etwa bei Musikrichtungen, Moderationsanteil, Themen der Wortbeiträge oder News-Umfang.
Mehr Vielfalt, mehr Wettbewerb
Die Ergebnisse der britischen Studie Everybody’s Talking deuten auf wachsende Konkurrenz hin: Zwar hören Nutzer mit Smart Speakern deutlich mehr Musik als zuvor, allerdings verwenden sie dafür verstärkt Streaming-Dienste wie Spotify. 39 Prozent der Befragten gaben an, dass Musikstreaming den Radiokonsum ersetze. Hinzu kommt die Konkurrenz durch Verlage und andere Anbieter, die eigene Skills und Podcasts anbieten. Über die internetbasierte Nutzung wird auch die durch den terrestrischen Empfang bedingte technische Bindung an regionale Radioprogramme reduziert.
Malte Kosub, Mitgründer und Geschäftsführer des Entwicklers Future of Voice, sieht in den Veränderungen dennoch eher Chance als Gefahr: „Radioprogrammanbieter haben hier einen großen Vorsprung, weil sie jahrzehntelange Erfahrung damit haben, schnell qualitativ hochwertige Audios zu produzieren.“ Am Ende gehe es um die Kundenerlebnisse: Wer die besten schaffe, werde genutzt, erklärt Kosub, dessen junges Unternehmen unter anderem Skills für den Bayerischen Rundfunk entwickelt.
Zu denen, die schon früh auf Smart Speaker setzten, gehört Antenne Bayern: Mit dem Skill Affenbeste Freunde können Kinder sich zum Beispiel personalisierte Gute-Nacht-Geschichten vorlesen lassen. Vor Weihnachten gab es einen interaktiven Adventskalender. Andere agieren vorsichtiger: „Bisher sind die Veränderungen auf dem Markt noch zu schnell und zu groß gewesen, als dass sich der Einstieg für uns gelohnt hätte“, sagt Christian Bollert, Mitgründer und Geschäftsführer des Webradios und Podcast-Labels detektor.fm. Nischen zu finden, die den eigenen Kompetenzen entsprechen, sei dabei besonders wichtig. Bei detektor.fm gelte das unter anderem für analytischen Journalismus. Entsprechende Skills plant das Team von detektor.fm für das zweite Halbjahr 2019.
Geschäftsmodelle und Gatekeeper
Zunächst einmal geht es vielen Akteuren darum, über den neuen Ausspielweg verfügbar zu sein, Erfahrungen zu sammeln, daraus eigene Konzepte zu entwickeln und zu verfeinern. Welche Erträge sich künftig erwirtschaften lassen, wird auch von großen Playern wie Amazon und Google abhängig sein. Noch ist unklar, inwiefern die großen Player selbst Werbung schalten oder den Zugang zum Kunden monetarisieren werden. Mit den durch Smart Speaker gesammelten Nutzerdaten sollen künftig genaueres Targeting und höhere Werbeerlöse möglich sein. Welche Gegenleistung die neuen Gatekeeper Amazon und Google dafür fordern werden, ist noch unklar.
Auch kostenpflichtige Inhalte wären künftig denkbar. Mit der Einführung entsprechender Tools (In-Skill Purchasing) hat Amazon in den USA die Hürde für eine direkte Bezahlung durch Nutzer deutlich gesenkt. Ein Blick auf Spotify zeigt, dass die Zahlungsbereitschaft für Audio-Inhalte durchaus existiert. Solche Geschäftsmodelle bringen allerdings weitere Abhängigkeiten von Google und Amazon mit sich. Umso wichtiger ist es, dass medienpolitische Regeln für ein diskriminierungsfreies Umfeld, in dem Vielfalt und Transparenz sichergestellt werden, auch für Smart Speaker gelten.
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Porträt Nora Frerichmann: privat