Bei Radio gong 96.3 in München hat Stephan Schmitter seine Laufbahn begonnen. Nun ist er Head of Audio der Mediengruppe RTL Deutschland und CEO von RTL Radio Deutschland. Damit verantwortet er auch die neue Audio Alliance: Das Kompetenzzentrum der Bertelsmann Content Alliance zeigt, wie sich die Audiowelt gewandelt hat. Damit verbunden sind neue Anforderungen an den Nachwuchs. Das "One-Trick-Pony" hat ausgedient.
Interview Bettina Pregel
Tendenz: Von Podcasts bis zu Inhalten für Smartspeaker: Radiosender machen längst mehr als Programm. Welche Aufgabe hat die Audio Alliance der RTL-Gruppe angesichts dieses Wandels?
Stephan Schmitter: Die Audio Alliance ist sozusagen das Kompetenz-Zentrum, nicht nur der Mediengruppe RTL oder von RTL Radio, sondern der ganzen Bertelsmann Content Alliance. Das Kernteam besteht aus Produktionsspezialisten und Podcast-Redaktionen, arbeitet aber immer im Sparring mit den Kolleginnen und Kollegen in den jeweiligen Häusern. So können wir auf die starken Marken, Talente und Geschichten der Unternehmen zurückgreifen, große Podcasts aufbauen und unsere eigene Plattform „Audio now“ weiter ausbauen. Die dezentrale Struktur der Audio Alliance ermöglicht kurze Dienstwege und fördert ein gegenseitiges Lernen, indem sich die Blickwinkel von Print, TV und Audio gegenseitig bereichern. Ein Beispiel dafür ist unser Morning Podcast „heute wichtig“: Daran arbeitet eine komplett mobile Redaktion, bestehend aus Redaktionsmitgliedern der Stern RTL news und ntv sowie der Audio Alliance.
Inwiefern berücksichtigen Medienunternehmen die Ausbildung angesichts dieser Veränderungen in der Audiowelt und was unternimmt die Audio Alliance konkret in dieser Hinsicht?
Der offensichtlichste Punkt sind neue Aufnahmemöglichkeiten. Es muss nicht immer im voll ausgestatteten Tonstudio aufgenommen werden – und noch nicht einmal mehr am selben Ort. Auch die Art, Inhalte aufzubereiten, ist im Podcast anders als in anderen Gattungen. Das Medium befindet sich in stetiger Entwicklung. Hierbei hilft es, sich mit anderen Disziplinen, wie TV oder Print, auszutauschen – und genau dieser Austausch ist in der Audio Alliance bereits angelegt. Journalistenschulen wie die RTL Journalistenschule und die Henri Nannen Schule haben Podcast auf ihrem Lehrplan und sind dazu auch im Austausch mit der Audio Alliance.
Radio und Podcast unter einem Dach: Welche Erfahrungen sind hier in puncto Audioproduktion gesammelt worden?
Zum einen, dass es weniger Gemeinsamkeiten gibt, als man auf den ersten Blick denkt: weder in der Produktion noch in der Nutzung. Podcasts werden häufig am Abend gehört, während beim Radio morgens die Prime Time ist. Podcasts wollen Authentizität. Perfektion ist weniger wichtig, nicht jeder Atmer muss weggeschnitten werden, Pausen sind erlaubt, genauso wie gelegentlich auch einmal Hintergrundgeräusche. Das Radio ist ein anderes Format. Hier sollten Moderationen auf den Punkt sein, der Ton immer klar, Stille nur in Ausnahmefällen. Radio und Podcast teilen das grundlegende Handwerk, sind aber unterschiedlichere Medien, als viele annehmen.
Reicht es, den journalistischen Nachwuchs heute nur für die Radioarbeit auszubilden? Was sollten sie noch alles beherrschen?
Natürlich ist Spezialwissen wie Produktion, Moderation, Musik- oder Nachrichtenredaktion nach wie vor gefragt. Und der Einstieg über eine klassische Grundausbildung in Form eines Volontariats, das umfangreiches Grundwissen auf vielen Ebenen vermittelt, ist nach wie vor empfehlenswert. Aber das “One-Trick-Pony“ hat ausgedient, denn Radioarbeit umfasst heute nicht mehr nur die klassischen redaktionellen Tätigkeiten.
Inzwischen ist die Verlängerung in Soziale Netzwerke Standard und es werden Grundkenntnisse und Engagement erwartet, ausgebildet und gefördert: Facebook-Posts mit Verlinkungen zur Webpage absetzen, mit Instagram-Algorithmen umgehen, Inhalte twittern, bei Jugendformaten auch Twitch und Youtube befüllen, die Erstellung von begleitenden Videobildern zum UKW-Programm und vieles mehr.
In diesem Zusammenhang ist es für den Nachwuchs wichtig, die Trennung und Kennzeichnung (was gilt als redaktioneller Beitrag, was ist eine werbliche Aussage?) in sozialen Netzwerken zu beherrschen. Insgesamt sind Radiomacherinnen und Radiomacher mit dem 360 Grad-Blick gefragt: einen Beitrag für das Programm recherchieren, O-Töne einholen, aber ebenso Videoschnitt, -grafik und -bilder für Social-Media-Plattformen orchestrieren, um den Beitrag auf allen Plattformen des Senders ausspielen zu können: Terrestrik, Homepage, App und Social Media. Enorm gestiegen ist im redaktionellen Bereich die Bedeutung der fundierten Recherche und Quellenanalyse: Fake News von „echten“ News zu unterscheiden. ist uns natürlich ein großes Anliegen.
Welche neuen Berufsbilder in der Audiowelt gibt es rund um den Journalismus und in welchen bildet RTL Radio aus?
Unsere Moderatorinnen und Moderatoren sind zum Teil als Influencer auf Sozialen Medien unterwegs, wir bilden aber auch speziell für die Social Media-Redaktion aus, die unsere journalistischen Inhalte über diverse Plattformern erstellt und verbreitet. Auch das Berufsbild der Musikredaktion hat sich gewandelt. Heute kuratieren sie Online-Channels, programmieren und implementieren diese technisch.
Der Generation Z wird häufig eine Überbetonung des Work-Life-Balance-Aspektes nachgesagt. Wie schwer ist es, engagierten Nachwuchs zu finden?
Ich denke, den Jüngeren kommt es vor allem darauf an, eine höhere Flexibilität in Hinblick auf Ort und Zeit des Arbeitens zu haben. Erfahrungen, dass sie weniger engagiert oder motiviert sind, haben wir nicht gemacht – im Gegenteil.
Wir generieren auch heute noch Nachwuchs über Praktikanten-Stellen: Es gab immer schon engagierte junge Menschen, die unbedingt zum Radio wollen und sich nichts anderes vorstellen können. Dies ist auch immer noch so. Allerdings gibt es spürbar weniger Bewerbungen auf Volontariate oder Stellenausschreibungen. Diejenigen, die jedoch zum Radio wollen und die Magie von Audio spüren, sind hochmotiviert und brennen für den Job.
Welche neuen Wege geht RTL Radio bei der Nachwuchssuche?
Gute Erfahrungen haben wir mit dem – gemeinsam mit der mabb im Jahr 2019 durchgeführten Projekt – „Radio Talent Class“ gemacht: 20 Schülerinnen und Schüler im Alter von 14-18 Jahren erlernen in einem einwöchigen Seminar die Grundlagen des Radiomachens in den Räumlichkeiten des RTL Audio Center Berlin. Die Bewerbung und Talentsuche lief über Trailer im Programm und Schulbesuche mit Flyern. Die Resonanz war so groß, dass wir in der Folge ein Auswahlverfahren durchführen mussten. Die jungen Menschen haben sich in der Woche sehr engagiert gezeigt. Ihren Abschluss fand die Woche in einer Live-Radio-Sendung mit eigens vorbereiteten Inhalten.
Solche Aktionen braucht es, damit wir zeigen können, dass Radio noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Auch der Girls Day und der Boys Day – eine Initiative vom Bund – lädt regelmäßig Schülerinnen und Schüler in das RTL Audio Center Berlin ein, um alle möglichen Berufe innerhalb des Hauses vorzustellen. Das Programm wird von unseren Auszubildenden ausgerichtet. Außerdem besteht zur Nachwuchsgewinnung ein regelmäßiger Austausch mit Studierenden über Kooperationen mit verschiedenen Hochschulen.
Die Pandemie hat gezeigt, dass Radio selbst aus dem Homeoffice gemacht werden kann. Welche Erfahrungen haben Sie damit gesammelt?
Diese außergewöhnliche Situation hat einen wahnsinnigen Teamspirit und Zusammenhalt bei den Kolleginnen und Kolllegen erzeugt! Das klingt erstmal paradox, denn das Programm z.B. von 104.6 RTL Berlins Hitradio wird derzeit verteilt auf zig verschiedene Standorte überall in Berlin und Brandenburg produziert. Alle arbeiten Corona-bedingt nach wie vor bis auf Weiteres von zuhause aus. Musikredaktion, Technik, Online, Dispo, Produktion, Redaktion, Moderation: Alle sind eingespielt, hochprofessionell und engagiert. Derzeit sehen wir uns weiterhin nur in Videokonferenzen und telefonieren sehr viel miteinander.
Glücklicherweise haben wir schon lange vor Beginn der Corona-Pandemie die Rahmenbedingungen geschaffen, um dem zunehmenden Anspruch an Flexibilität und Mobilität der Belegschaft gerecht zu werden. Mit der Errichtung des neuen RTL Audio Center Berlin haben wir Radio- und Audioproduktion neu gedacht und den Kolleginnen und Kollegen eine New Work-Fläche gestaltet, in der sie sich rund um die Uhr wohlfühlen können und die ihnen maximale Flexibilität ermöglicht.
Und was bedeuten diese Erfahrungen für die Entwicklung der Arbeitswelt: Was wird sich künftig aus Sicht der Medienunternehmen und ihrer Mitarbeiter/innen ändern?
Wir alle haben gelernt, dass es wichtig ist, kreativ und schnell auf neue Herausforderungen reagieren zu können und Lösungen zu finden, um neue Wege zu gehen. Wir haben trotz des Lockdowns und der Kontaktbeschränkungen gelernt, was es heißt, ein Team zu sein und können für uns festhalten, dass wir uns mit diesen Erfahrungen gut gerüstet sehen für die Zukunft.
Artwork: rosepistola.de unter Verwendung von unsplash.com: Aditya Chinchure
Portrait Stefan Schmitter: RTL News GmbH