Cookie Hinweis

Suche

Grußwort von BLM-Geschäftsführer Martin Gebrande zur Eröffnung des Virtual Reality Cubes am 4. Mai 2017

04.05.2017 | P&R 2017

Sehr geehrter Herr Sponsel,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

das Thema Virtual Reality gehört seit geraumer Zeit zu den meistdiskutierten Themen der Medienbranche. Sowohl bei den klassischen Fernsehsendern als auch bei den Medienkonzernen weltweit laufen Vorbereitungen und erste Anwendungen, um bei dieser neuen Art der Mediennutzung von Anfang an dabei zu sein. Datenbrillen, so scheint es, können die Art, wie wir Medien und deren Inhalte nutzen, grundlegend verändern. Entsprechende Visionen reichen von der Erweiterung klassischer Medien bis hin zu futuristischen Science-Fiction-Fantasien. VR wirkt wie eine neue Dimension, an die sich unser Erkenntnisapparat erst noch gewöhnen muss. Der erforderliche Anpassungsprozess ist umso komplexer, als sich die Grenzen zwischen virtuell und real immer stärker auflösen werden. Was das für uns und die Gesellschaft bedeutet, wird sich erst in Jahren bis Jahrzehnten herausstellen. 

Ohne Zweifel bietet VR phantastische Möglichkeiten u.a. im weiten Feld der Unterhaltung, der Werbung, aber auch für Wissenschaft und Bildung. Als ein wichtiger Bereich wird immer wieder der Dokumentarfilm genannt. Virtuelle Realität hat das Potential, dem Nutzer das Gefühl zu geben, tatsächlich Teil des Geschehens zu sein. Auf diese Weise kann eine weitaus stärkere Empathie gegenüber dem Gegenstand der Berichterstattung entstehen, als das bei herkömmlichen Dokumentationen und Reportagen der Fall ist. Beeindruckende Beispiele dafür werden auch hier im VR Cube gezeigt.

Dennoch wirft VR derzeit vor allem sehr unterschiedliche Fragen auf: Dokumentarfilmer und Journalisten, die mit VR oder 360Grad-Videos arbeiten, müssen über neue Formen des Storytellings nachdenken. Nach hundert Jahren Filmgeschichte sind wir darauf konditioniert, aus zusammengeschnittenen Bildern ein Ganzes, eine Geschichte zu konstruieren. Bei VR-Filmen sind aber klassische dramaturgische Werkzeuge wie schnelle Schnittfolgen mit verschiedenen Kameraeinstellungen nicht möglich, da die Bilder länger stehen müssen, damit sich die Nutzer orientieren können. Der Rhythmus der Bildschnitte und Kameraschwenks wird zum Problem, wenn jede Bewegung mit Datenbrille im Grunde selbst wie ein Schwenk wirkt. Schnelle Schnittfolgen können nicht nur die menschliche Wahrnehmung überfordern, sondern auch Schwindelgefühle erzeugen. Vor diesen Schwierigkeiten stehen fiktionale VR-Filme noch mehr als Dokumentarfilme.

Und VR wirft eine Fülle ethischer Fragen auf: So stellen beispielsweise VR-Games Jugendschützer vor neue Herausforderungen. Üblicherweise achtet der Jugendschutz darauf, in welchen Kontext die dargestellte Gewalt eingebettet ist und ob ein Spieler klar abstrahieren kann, dass es sich lediglich um ein Spiel handelt. Ein VR-Spielerlebnis, das die Illusion erzeugt, tatsächlich mitten im Geschehen zu sein, ist grundsätzlich wesentlich intensiver als eines ohne VR-Brille. Ist das Kindern und Jugendlichen zumutbar? Und wenn ja, ab welchem Alter? – Auch der dokumentarische und journalistische Einsatz von VR muss im Einzelfall aus medienethischer Perspektive zumindest hinterfragt werden. In dem VR-Projekt „Syria“ der Amerikanerin de la Pena erleben die Nutzer unmittelbar einen Bombenangriff in Aleppo mit. Man kennt diese Bilder aus unzähligen Nachrichten­sendungen. Aber es ist eben ein völlig anderes Erleben als Zuschauer direkt Teil des Geschehens zu sein. Als Journalist oder Dokumentarfilmer muss ich mich fragen: Kann ich das dem Publikum zumuten oder besteht hier die Gefahr, dass solche Erfahrungen die Nutzer emotional überfordern? – Und schließlich müssen wir uns auch fragen, was mit denjenigen wird, für die VR eine willkommene Fluchtmöglichkeit aus der realen Welt bietet? Man spricht in Deutschland von derzeit etwa 600.000 Internet-Süchtigen. Zweifellos wird mit VR die Anzahl der Weltflüchtigen noch zunehmen.

Angesichts dieser und weiterer ethischer Fragestellungen ist es nicht überraschend, dass vor etwa einem Jahr die Philosophen Thomas Metzinger und Michael Madary von der Uni Mainz eine Liste ethischer Bedenken erstellt haben, die nach ihrer Ansicht durch die Nutzung von virtuellen Realitäten in der Wissenschaft und im privaten Bereich entstehen können und zugleich Empfehlungen geben, wie diese Risiken minimiert werden können. Sie befürchten vor allem, dass die neuen Möglichkeiten, sich in einer virtuellen Um­gebung fast wie in der realen Welt zu bewegen, ungeahnte Auswirkungen für die Psyche und die Selbstwahrnehmung der Nutzer haben könnte.

Virtual Reality wirft aber nicht nur ethische Fragen auf, sondern auch ganz profane, z.B. nach der Wirtschaftlichkeit: VR-Produktionen sind wesentlich aufwendiger und vor allem um ein Vielfaches teurer als konventionelle Produktionen. Deshalb ist der Aspekt der Refinan­zierung alles andere als ein unwichtiger Gesichtspunkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Technologie und die Experten sind da, aber Virtual Reality ist immer noch ein sehr neues Medium. Wir müssen es erst erforschen, bevor wir es beherrschen können. Und viele müssen es erst einmal kennenlernen. Die Exponate im Cube bieten dafür eine sehr gute Gelegenheit. Darunter sind im Übrigen mit „Notes on Blindness“ von Arte und „Inside Ausschwitz“ vom WDR zwei Projekte, die für den „Grimme Online Award“ nominiert sind.

Auch die BLM beschäftigt sich mit Virtual Reality, deshalb sind wir hier gerne als Partner und Sponsor dabei. VR ist ein Thema im Medialab der Landeszentrale, für das MedienNetzwerk Bayern und unsere Zeitschrift Tendenz ist gerade mit einem Schwerpunktheft Virtual Reality erschienen. Exemplare davon liegen im Cube aus.