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Weltweit erste Studie zur Gewalt im Web 2.0 - Erste Präsentation der Ergebnisse auf den Medientagen München

31.10.2008 | 07 2008
BLM beteiligt an der Studie „Gewalt im Web 2.0 – Wie gewalthaltige Internetangebote Heranwachsende beeinflussen“ von Prof. Dr. Petra Grimm
Das Internet ist das neue Leitmedium von Jugendlichen. Laut der aktuellen JIM-Studie 2008 ist erstmals seit 10 Jahren der Anteil der Jugendlichen, die einen eigenen Computer besitzen deutlich höher als derjenigen mit einem eigenen Fernseher. Dieser Trend war Grund für die BLM gemeinsam mit fünf weiteren Landesmedienanstalten (NLM, LMK, MAHSH, MSA, TLM) einen Forschungsauftrag zu vergeben, der sich mit dem Umgang Jugendlicher mit gewalthaltigen Inhalten und Cyber-Mobbing sowie der rechtlichen Einordnung der Problematik beschäftigt. Das Münchner Institut für Medienwissenschaft und Content befragte über 800 Jugendliche von 12 bis 19 Jahren im Zeitraum von September bis Oktober 2007.
 
Ergebnis der quantitativen Befragung ist, dass ein Viertel der 12- bis 19-Jährigen, die das Internet nutzen, schon einmal Gewalt im Netz gesehen haben. 48 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben Freunde oder Mitschüler, denen gewalthaltige Seiten bekannt sind. Davon sind die meisten mit fiktionaler Gewalt, wie Bilder aus Horrorfilmen (82 %), Gewalt in Spielfilmen (73 %) oder nachgestellter extremer Gewalt (67 %), konfrontiert worden. Vor dem Hintergrund, dass reale bzw. rea­listische Gewaltdarstellungen ein höheres Wirkungsrisiko für Kinder und Jugend­liche haben, ist der relativ hohe Anteil der Befragten, die Prügelvideos (51 %), Fotos bzw. Videos mit Krieg, Folter und/oder Hinrichtungen (42 %) sowie Darstellungen von echter extremer/brutaler Gewalt (41 %) gesehen haben, als problematisch einzus­tufen.
 
Die Kinder und Jugendlichen beziehen ihre Information über solche Seiten vor allem von Freunden oder von der Clique. Gewaltdarstellungen werden haupt­sächlich Peer to Peer verbreitet. Jungen haben insgesamt eher als Mädchen mit Gewalt im Internet zu tun. Je älter die Kinder und Jugendlichen sind, desto häufiger kennen sie gewalthaltige Internetseiten.
 
Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass immerhin mehr als ein Drittel der 12- bis 19-Jährigen immer alleine ins Internet geht. 68 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren wird gar nicht oder nur selten von ihren Eltern hinsichtlich der Dauer der Internetnutzung kontrolliert. Was den Inhalt des Internets betrifft, sagen sogar 80 Prozent der Minderjährigen, dass ihre Eltern sie nie oder selten danach fragen. Mehr als die Hälfte der unter 18-Jährigen kann alle Seiten ohne Sperrung anklicken. Die meisten Eltern beaufsichtigen also den Internet­konsum sowohl hinsichtlich der Dauer als auch der Inhalte nie oder nur selten.
 
Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die im Internet schon einmal unangenehme Erfahrungen gemacht haben, ist mit einem Drittel relativ hoch. Hauptsächlich genannt werden dabei sexuelle Anspielungen/Belästigungen. Es sind vor allem die Mädchen, die von unangenehmen Erfahrungen berichten. Mehr als jedes fünfte Mädchen, das das Internet nutzt, ist dort schon einmal sexuell belästigt worden.
 
Die anschließende qualitative Befragung (November 2007 bis Juni 2008) der Jugendlichen zeigt, dass diese das Gewaltprofil im Internet als unzensiert sowie drastischer und echter als im Fernsehen einstufen. Als wichtiges Unterscheidungs­merkmal für die Gewalt im Internet im Gegensatz zum Fernsehen nennen die Jugendlichen einen höheren Grad an Gewalthaltigkeit – in ihren Worten: „heftiger“, „krasser“ bzw. „brutaler“. Als weiteres relevantes Unterscheidungskriterium wird die Unzensiertheit der Filme genannt. Ebenso wird die Gewalt im Internet als „echter“ eingestuft.
 
Was die Wirkungen von Gewaltvideos im Web 2.0 betrifft, ist ersichtlich, dass für die Jugendlichen besonders solche Videos schwer verdaulich sind, die Darstellun­gen von extremer realer Gewalt (z. B. Enthauptungen, Tötungen, Selbstverstümme­lungen) und extremen realen Verletzungen zeigen. Ebenso belastend sind für die Jugendlichen Szenen, bei denen sie sich mit dem gezeigten Opfer oder der dargestellten Gewaltsituation stark identifizieren. Sie berichten in den Interviews angesichts dieser größtenteils sehr drastischen Videos und Fotos glaubwürdig von starken emotionalen Reaktionen wie Ekel, Schock und Angst, die bei ihren Schilderungen richtiggehend noch einmal aufleben. Zum Teil berichten sie auch von Alpträumen und länger anhaltenden körperlichen Reaktionen (wie z.B.  Ausschlag oder Herpes).
 
Zu finden sind die gewalthaltigen Internetinhalte auf Video- oder Fotoportalen: zum Teil auf den gängigen und meistgenutzten Seiten youtube.com, myspace.de oder clipfish.de, zum Teil auf Seiten, die für entsprechende gewalthaltige Inhalte und extreme Darstellungen bekannt sind. In den meisten Fällen bekamen die Jugendlichen einen Link von Freunden oder Bekannten zugesandt. Häufig führen auch Linkangebote von eigentlich nicht violenten Homepages zu gewalthaltigen Seiten. Die Jugendlichen gelangten außerdem über Funktionen wie „ähnliche Videos“ auf Seiten wie youtube oder myvideo zu gewalthaltigen Inhalten. Dabei war es für die Jugendlichen nicht unbedingt ersichtlich, dass der Link sie zu einer Seite mit gewalthaltigen Inhalten führen würde. Die meisten der Jugendlichen scheinen relativ unvorsichtig und unkritisch zu sein, wenn ihnen Links zugesandt werden oder sie auf Webseiten die Möglichkeit zum Weiterklicken erhalten: Insbesondere wenn der Link von Freunden oder Bekannten kommt, wird er geöffnet.
Während die Jugendlichen, die gewalthaltige Inhalte nutzen, beim gemeinsamen Anschauen der auch für sie oft schwer verdaulichen Bilder über die Inhalte sprechen, sie gemeinsam verarbeiten oder sich zumindest über das gemeinsame Herumalbern emotional davon distanzieren können, ist für diejenigen, die eher zufällig und überraschend auf drastische Inhalte stoßen, ein Gespräch über das Gesehene nicht selbstverständlich. Die Eltern werden von den Jugendlichen generell nicht als Ansprechpartner in Erwägung gezogen, weil befürchtet wird, dass diese dann das Internet womöglich ungerechtfertigt im Ganzen „verteufeln“.
 
Die interviewten Jugendlichen sind regelmäßig mit der Situation des Fotografiert- und Gefilmtwerdens und der Möglichkeit, dass diese Bilder veröffentlicht werden, konfrontiert. Sowohl Jungen als auch Mädchen berichten, dass von ihnen Bilder oder Clips online sind, in denen sie in unvorteilhaften oder peinlichen Situationen zu sehen sind. Auffällig ist, dass die Jugendlichen die Beispiele, bei denen sie selbst betroffen waren, nicht unbedingt als problematisch einstufen.
 
Alle interviewten Mädchen berichten von Situationen im Chat, in denen sie sexuell belästigt wurden. Zum Teil wurden sie aufgefordert, vor der Webcam zu strippen, zum Teil wurden ihn eindeutige Angebote gemacht. Für die Jungen stehen eher Beleidigungen, Beschimpfungen (sog. Flaming) oder Cyberthreats, d.h. Online-Drohungen, bei denen Übergriffe auf sie angekündigt werden, im Vordergrund.