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Wenn das Chaos im Kopf zu groß wird - Mediengespräch Regensburg: „Smartphone - Zwischen Helfer und Stressfaktor“

31.01.2018 | 08 2018

Immer unter Strom, abgelenkt und unkonzentriert durch die ständige Reizflut im digitalen Medienalltag: „Chaos im Kopf ist ein typisches Problem in der heutigen Zeit“, warnte Neurologe Dr. Volker Busch gestern Abend beim Mediengespräch Regensburg. Auf den richtigen Umgang mit dem Smartphone kommt es an, so das Fazit der lebhaften Diskussion zum Thema „Smartphone: Zwischen Helfer und Stress­faktor“.

Auf Einladung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und der lokalen Sender TVA Fernsehen für Ostbayern, Radio Charivari und gong fm waren fast 200 Besucher ins Degginger gekommen, um von den Experten aus Wissenschaft, Schule, Medienerziehung und Digitalbranche zu erfahren, welche Wege es aus dem digitalen Alltagsstress gibt. Um das Gehirn aus der Reizflut-Falle zu befreien und wieder leistungsfähiger und kreativer zu werden, empfahl Busch, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie an der Universitätsklinik Regensburg, „smartphonefreie“ Zonen bzw. reizarme Situationen im Berufsleben und in der Freizeit zu schaffen. In unserer Gesellschaft hätten Offline-Zustände mittlerweile Seltenheitswert, „das müssen wir uns mühsam zurückerkämpfen.“

Der größte Feind der Versuche, bewusst „eine tiefe Stunde“ zur Entspannung des reizüberfluteten Gehirns zu schaffen, sind laut Busch wir selbst. Das Smartphone, so BLM-Präsident Siegfried Schneider in seiner Begrüßung, gehöre heute fest zum Alltagsleben der Menschen, die nur ungern auf diese nützlichen Helfer verzichteten. Doch wenn Stress, Abhängigkeit oder auch Cybermobbing als mögliche Folgen der Smartphone-Nutzung jetzt stärker in den Fokus gesellschaftlicher Diskussionen rückten, habe das nichts mit Technikfeindlichkeit zu tun, sondern „ist ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein“.

Dieses Verantwortungsbewusstsein sollten Eltern auch bei der Medien­erziehung zeigen, auch wenn dies teilweise zu sehr anstrengenden Auseinandersetzungen mit ihren Kindern führen würde, betonte Verena Weigand, Bereichsleiterin Medienkompetenz und Jugendschutz bei der BLM. Die Grenzziehung könne nicht den Kindern überlassen werden, die gerade in bestimmten Entwicklungsphasen „Dinge im Übermaß tun wollen“. Das Smartphone, so Weigand, gehöre für die Eltern zu den größten Herausforderungen der letzten zehn Jahre.

Grenzen zu setzen und die vom Nachwuchs eingeforderten Verhaltensweisen vorzuleben, empfahl Prof. Dr. Berthold Langguth, Chefarzt der Universitätsklinik Regensburg. Suchtverhalten beginnt für ihn dann, wenn Kontrollverlust, Schlaf­mangel und soziale Isolation zu beobachten sind. Eine reine Zeitbegrenzung für die Smartphone-Nutzung hält Langguth nicht für sinnvoll. Jeder Verzicht sei zunächst einmal stressig: Sowohl Erwachsene als auch Kinder und Jugendliche müssten wieder lernen, Langeweile im medienfreien Raum zu ertragen. Mußezeit bedeute wertvolle Zeit, denn „unser Gehirn braucht Zeit zum Aufräumen“.

Wie schwierig es ist, sich diese Mußezeit zu nehmen und sich Freiraum zu schaffen, musste die Social Media-Managerin Eva Faltermeier erkennen, die offen bekannte, fast „smartphonesüchtig“ gewesen zu sein. Wenn man immer erreichbar und online sein müsse, andererseits aber auch von überall arbeiten könne, dann spiele das Handy eine dominante Rolle im Leben. Irgendwann habe sie sich gefragt, ob sie diesen Job ihr ganzes Leben lang ausüben wolle. Nach einer Sehnenscheiden­entzündung und einem Urlaub in den Bergen folgten der Jobwechsel und die Erkenntnis der jungen Mutter: Ein allzu freier Umgang mit dem Smartphone bringe Kinder und Erwachsene nicht weiter. Deshalb plädierte sie dafür, die Generation der „digital natives“ nicht nur im Elternhaus, sondern auch in der Schule zum mündigen Umgang mit den digitalen Alltagshelfern zu erziehen.

Und wie ist dieses Ziel zu erreichen? Vor allem aber: Wie sieht die Handyzukunft an den bayerischen Schulen aus, für die ein Gesetz zum Handyverbot an Schulen aus dem Jahr 2006 gilt. Danach liegt es im Ermessen jedes einzelnen Lehrers, Handys zu Unterrichtszwecken einzusetzen. Nach Ansicht von Michael Schwägerl ist das ein Gesetz mit Reformbedarf, aber nicht in Richtung Rundum-Einsatz. Der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbandes plädierte in puncto Umgang mit dem Smart­phone in der Schule für ein gemeinsames Abwägen zwischen Pro (Mehrwert des Einsatzes digitaler Geräte) und Contra (Ablenkung, Mobbing etc.). Letztendlich müsse der Klassenraum ein Schutzraum und die Schule ein Schonraum bleiben, in dem auch die private Nutzung von Smartphones in den Pausen nichts zu suchen habe. Seinem Plädoyer, das Gerät und dessen Möglichkeiten weder zu verdammen noch zu euphorisch zu preisen, konnten sich alle Podiumsteilnehmer anschließen. Denn, so Schwägerl: „Wir müssen unsere gestalterischen Möglichkeiten nutzen und sind der Situation nicht hilflos ausgeliefert.“

Weitere Informationen finden Sie unter www.medienkalender.bayern.

Kontakt:
Bettina Pregel
Tel.: (089) 638 08-318
bettina.pregel@blm.de