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Positionen & Reden

Grußwort zum 4. Social-TV-Summit von BLM-Präsident Siegfried Schneider am 7. Juli 2015

07.07.2015 | P&R 2015
- Es gilt das gesprochene Wort! -

Sehr geehrte Damen und Herren,
 
ich heiße Sie hier im Literaturhaus ganz herzlich willkommen zu unserem 4. Deutschen Social TV Summit – in diesem Jahr unter dem Motto „All in“. Längst spielt das Medium Bewegtbild für Social Media eine zentrale Rolle: In den USA macht Facebook bei den Videoabrufen YouTube bereits erfolgreich Konkurrenz. Lautet die Devise in der Print-Branche bei vielen Verlagen „Online First“, so gilt für TV-Programmanbieter immer häufiger die Formel „All Social“ oder auch „Social First“. Kaum eine wichtige Fernseh-sendung findet noch ausschließlich auf dem TV-Bildschirm statt – ohne dass parallel darüber auf einem Second Screen kommuniziert wird.
 
Bewegtbilder sind längst nicht mehr nur dem klassischen Fernsehen oder Videoportalen vorbehalten. Live-Streaming-Apps wie Meerkat oder Periscope sorgen mittlerweile dafür, dass Video-Inhalte in Echtzeit zum Bestandteil sozialer Online-Netzwerke werden – auch dies könnte man als eine neue Form von Social TV sehen. Vorläufer dieser Entwicklung war das Video-Netzwerk Vine. Wohin die Reise gehen wird, lassen Angebote wie YouNow nur erahnen. Auch Snapchat und Instagram entwickeln eigene Bewegtbild-Darstellungs­formen.
 
Klassisch gilt Social TV als ein System, das es Zuschauern erlaubt, sich vor, während oder nach der Ausstrahlung von Fernsehprogrammen mit Hilfe von sozialen Online-Netzwerken über einzelne Sendungen auszutauschen. Zugleich können sich Programmanbieter an die Zuschauer wenden, und das Publikum erhält eine Möglichkeit, um den Veranstaltern von Rundfunk ein Feedback zu geben. Social TV ist aber auch jenseits des linearen Fernsehens möglich, zum Beispiel in Bezug auf Video on Demand, Live-Streaming-Apps oder die Inhalte von Mediatheken. Im Grunde ist Social TV alles, was die Elemente Bewegtbild und soziale Interaktion miteinander verbindet, also die digital vermittelte Kommunikation über Bewegtbildinhalte.
 
Wir leben in einer ausdifferenzierten Medienlandschaft mit einem fragmentierten Publikum. Unterschiedliche Lebensstile, Bedürfnisse und Wertvorstellungen sorgen dafür, dass sich jeder Nutzer individuell aus einem riesigen Angebot von TV-Sendungen und Online-Videos bedient. Oft sind es nur wenige Bild-Sequenzen, die darüber entscheiden, ob ein Zuschauer beim Zappen plötzlich bei einem Film hängen bleibt oder eben umschaltet.
 
Und immer mehr Zuschauer wollen sich aktiv am Geschehen auf ihrem Flatscreen beteiligen können: zum Beispiel mit Kommentaren oder per Televoting. Zugleich ermöglichen Second-Screen-Angebote in Zeiten, in denen das Fernsehen seine Lagerfeuer-Qualität einzubüßen beginnt, eine neue Form des virtuellen Miteinanders. So lässt sich auch bei einem dispersen und fragmentierten Publikum Gemeinschaft erleben.
 
Ich habe bereits im vergangenen Jahr bei der Eröffnung des 3. Social TV Summit darauf hingewiesen: Wer via Social TV online Sendungen kommentiert oder empfiehlt, der erweitert das soziale Erlebnis Fernsehen über die räumlichen und zeitlichen Grenzen der konkreten Empfangssituation hinaus. Dies vergrößert den Spielraum für Rezeption und Reflexion, Kommunikation und soziale Interaktion. Kein Wunder, dass Social TV längst auf dem Weg zum selbstverständlichen Bestandteil einer Kommunikationskultur ist, die Elemente von Massen- und Individualkommunikation miteinander verbindet.
 
Insbesondere Sendungen und Formate, die auf dem TV-Bildschirm durch ein großes Maß an Aktualität und Emotionalität gekennzeichnet sind, sind geeignet, sich darüber mit anderen via Social TV auszutauschen. So ist etwa das Finale des Eurovision Song Contest vom 23. Mai bislang das TV-Event des Jahres, das in Deutschland für den stärksten Social-Media-Widerhall sorgte: Das Ranking des MediaCom Social TV Buzz wies mehr als 306.000 Tweets und Facebook-Posts aus – gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um etwa ein Viertel. Verglichen mit der Zahl der 8,1 Millionen ESC-TV-Zuschauer, ergibt sich also eine Posting-Quote von knapp vier Prozent: Im Durchschnitt kommt also etwa ein Posting auf 25 Zuschauer.
 
Den zweiten Platz im Mai-Ranking des MediaCom Social TV Buzz belegte das Live-Finale von Germany's Next Topmodel (14.05.2015), das von ProSieben wegen einer Bomben-drohung abgebrochen werden musste und mehr als 261.000 Social-Media-Postings auslöste. Als Bild-Reporter Daniel Cremer Twitters Livestreaming-App Periscope nutzte, um in Echtzeit bewegte Bilder vom Abbruch der Show zu präsentieren, konnten dies mehr als 3.000 Twitter-Nutzer live miterleben. Die Videosequenz war am nächsten Tag auch auf vielen TV-Kanälen zu sehen. – Auch wenn es für viele von Ihnen eigenartig klingen mag, müssen sich die Landesmedienanstalten die Frage stellen, ist das was Daniel Cremer gemacht hat Rundfunk und hätte er dafür einer rundfunkrechtlichen Genehmigung bedurft? Wenn er oder andere in einer gewissen Regelmäßigkeit mit Periscope redaktionelle Inhalte übertragen und dabei mehr als 500 Nutzer erreichen können, ist das Rundfunk nach dem derzeit gültigen Rundfunkstaatsvertrag. Ich will das hier nicht weiter ausführen. Das Beispiel zeigt m.E. vor allem, wie reformbedürftig der Rundfunkstaatsvertrag ist.
 
Zur digitalen Metamorphose des Fernsehens gehört es mittlerweile, dass Social-TV-Angebote mit ihrer transmedialen Kommunikation integraler Bestandteil vieler TV-Formate sind. Ganz gleich ob Deutschland den Superstar oder Europa den Sieger des European Song Contest sucht, ob beim Tatort ein Mörder oder beim Fernsehquiz die richtige Lösung gesucht wird: Facebook und Twitter bieten für all das längst eine riesige Echowand und mehr.
 
Content Marketing Software von Anbietern wie Never.No, Scribble Live oder Mass Relevance hilft TV-Programmplanern, rund um einzelne Formate entsprechende Social-Media-Kampagnen zu organisieren. Werden Fernsehprogramme – etwa während einer Fußball-Weltmeisterschaft – zum Event, kuratieren Social-Media-Netzwerke häufig auch von sich aus begleitende Zusatzangebote. Social Media und TV-Programme leben von der Interaktion. Es geht darum, Nutzer an bestimmte Plattformen oder Inhalte zu binden – und natürlich auch darum, mehr über die Vorlieben und Interessen von Rezipienten und Konsumenten in Erfahrung zu bringen. So lassen sich einerseits Inhalte besser auf das Publikum abstimmen, aber auch wichtige Daten für die Marktforschung und Werbung gewinnen.
 
In Zeiten, in denen der Video-on-Demand-Anbieter Netflix das Nutzungsverhalten seiner Kunden minutiös analysiert, bietet Social TV dem linearen Fernsehen die Chance, ebenfalls Daten über die Bedürfnisse von Zuschauern zu aggregieren, die über die einfache Reichweitenforschung hinausgehen. Bei Netflix lesen etwa 800 IT-Experten aus Millionen von Streams heraus, welche Themen, Handlungen und Einzelszenen wen besonders bewegen. So entsteht eine Erfolgsformel für künftige Serien-Erfolge.
 
Klassische TV-Programmanbieter können von solch detaillierten Kenntnissen des Publikums und seiner Bedürfnisse nur träumen. Der sogenannte Feedback-Loop des Social TV aber könnte dazu beitragen, fehlende Nutzungsdaten zu kompensieren, indem TV-Programmanbieter aus der Interaktion mit dem Publikum lernen, um Formate und Programme kontinuierlich zu verbessern. So lässt sich quantitative Rezeptionsforschung durch qualitative sinnvoll ergänzen.

Meine Damen und Herren,
 
das Thema Social TV hat viele Facetten. Ich habe einige der aktuellen Trends skizziert. Nun gilt es, gemeinsam auszuloten, welche Auswirkungen die beschriebenen Ent­wicklungen auf die TV-Branche haben.
 
Fiktionale Stoffe müssen künftig neu und anders erzählt, Nachrichten, Online-Inhalte und Kommentarfunktionen besser aufeinander abgestimmt werden. Schließlich geht es auch um die Frage, wie die TV-Branche ihre Inhalte via Social Media verbreitet. Werden Facebook und ähnliche Plattformen am Ende selbst zu einer Art virtuellen Videothek, die allein aus fremden Inhalten gespeist wird? Ist das Prinzip „All In“ wirklich eine zukunfts­weisende Option für die Fernsehmacher – oder verbauen sich TV-Programmanbieter ihre Zukunft, wenn sie Inhalte an Social Networks abgeben?
Liebe Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, ich habe das komplexe Thema Social TV an dieser Stelle nur anreißen können. Nun sind Sie an der Reihe: Ich wünsche uns allen beim 4. Deutschen Social TV Summit spannende Präsentationen und aufschlussreiche Diskussionen.