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Positionen & Reden

Grußwort von BLM-Geschäftsführer Martin Gebrande zur 12. Interdisziplinären Tagung „Zwischen Kindheit und Jugend“ am 2. Dezember 2016

02.12.2016 | P&R 2016
Sehr geehrte Frau Dr. Wagner,
sehr geehrter Herr Professor Schorb,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
 
ich freue mich, Sie hier in der BLM zur Interdisziplinären Tagung „Zwischen Kindheit und Jugend“ begrüßen zu dürfen. Seit 12 Jahren findet diese Tagung inzwischen bei uns statt, deren Ziel es ist, durch die interdisziplinäre Perspektive Anregungen für die medien­pädagogische Arbeit in Praxis, Forschung und Aufsicht zu gewinnen. Der große Zuspruch, den diese Tagung seit Beginn an findet, ist ein Beleg dafür, wie wichtig gerade diese interdisziplinäre Betrachtung ist.
 
„Aus Kindern werden Leute“, sagte man früher. Zunächst aber werden aus Kindern einmal Jugendliche. Dieser Übergang erfolgt für den Gesetzgeber mit dem 14. Lebens­jahr. Tatsächlich aber wird die Lebensphase der Kindheit immer kürzer. Schließlich setzt die Pubertät bei den meisten Mädchen und Jungen bereits im Alter von elf oder zwölf Jahren ein. In dieser Lebensphase beginnen Jugendliche damit, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln, indem sie sich von Familie und Eltern abgrenzen. Dabei spielen Massen­medien, aber auch die Peergroup sowie die mediale Vernetzung mit gleichaltrigen Jugendlichen – zum Beispiel durch Facebook, Snapchat oder WhatsApp – eine entscheidende Rolle.
 
Das Leben von Kindern und Jugendlichen wird zunehmend durch ein breites Spektrum von Medien geprägt. Bei etwa der Hälfte aller 6- bis 13-Jährigen zählt inzwischen das Handy oder Smartphone ebenso zur Geräteausstattung wie Spielkonsole, CD- oder MP3-Player. Bereits etwa ein Fünftel dieser Altersgruppe verfügt über Laptop oder PC und Internetanschluss. So lauten Ergebnisse der letzten KIM-Studie („Kinder und Medien“) des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest von 2014.
 
In einem Punkt scheint sich bei der Mediennutzung in den vergangenen zwei Jahrzehnten kaum etwas geändert zu haben: Fernsehen gehört bereits für die 6- bis 13-Jährigen zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten. Vier von fünf Kindern sitzen täglich vor dem TV-Bildschirm. Der durchschnittliche TV-Konsum dieser Altersgruppe liegt seit Jahren bei täglich knapp achtzig Minuten. Zum Vergleich: Das Radio wird durchschnittlich nur von einem Viertel der Mädchen und Jungen täglich eingeschaltet, ein Buch nur von jedem sechsten Kind gelesen.
 
Natürlich gibt es auch bei den jungen Mediennutzern bereits geschlechtsspezifische Unterschiede. Grundsätzlich, so zeigt der Trend der KIM-Langzeitstudie, nennen Jungen als ihre liebsten Freizeitaktivitäten eher Computer- oder Videospiele, während bei Mädchen das Hören von Musik, die Nutzung von Handy oder Smartphone, aber auch das Lesen von Büchern beliebter ist als bei Jungen. Das Internet hingegen wird von Mädchen und Jungen gleich intensiv genutzt. Allerdings bevorzugen Mädchen eher kommunikative Tätigkeiten wie das Chatten oder das aktive Suchen nach Inhalten, während Jungen häufiger Online-Spiele und -Videos nutzen.
 
Mit zunehmendem Alter verändert sich die Mediennutzung. Während die Bindung an das Medium Fernsehen – trotz steigender Nutzung – nachlässt, werden Computer, Laptop und Internet, vor allem aber Handy oder Smartphone immer wichtiger. In der Gruppe der 12- bis 13-Jährigen besitzt längst mehr als die Hälfte der Digital Natives ein eigenes Smartphone.
 
Und wenn die jungen Nutzer älter werden? Daten über den Medienumgang von Jugend­lichen und Heranwachsenden im Alter zwischen 12 und 19 Jahren bietet seit Jahren die JIM-Studie („Jugend, Information, (Multi-)Media“) des Medienpädagogischen Forschungs­verbundes Südwest. Bei den älteren Jugendlichen gehören Smartphone und Internet­zugang für fast alle zum Medienalltag und dominieren die Freizeit. Fernsehen und Hörfunk werden hingegen nur von etwa der Hälfte der 12- bis 19-Jährigen täglich genutzt. Social-Media-Kontakte – zum Beispiel via Facebook, Snapchat oder WhatsApp – sind in dieser Lebensphase deutlich wichtiger als die klassischen Massenmedien. Smartphone und Internet mutieren für die Always-online-Generation zur multioptionalen Schnittstelle zur Außenwelt. Das Handy bietet Telefonie- und Messenger-Funktion, ist Fotoapparat und Videokamera, ersetzt den MP3-Player samt Radio, verschafft Zugang zum Internet, ist Wecker, Taschenlampe und Terminkalender.
 
Das Smartphone wird zum ultimativen Sozialisationsinstrument. Jugendliche nutzen es, um mit und in ihrer Peergroup zu kommunizieren, um nach Informationen und Unterhaltung zu suchen, um die eigene Position in der sozialen Umwelt zu finden, um sich abzugrenzen und um eine eigene Identität zu entwickeln. Je älter Jugendliche werden, desto mehr gilt, dass beim Umgang mit dem Smartphone die interpersonale Kommunikation wichtiger ist als Massenkommunikation.
 
Und die klassischen Massenmedien? Im Fernsehen werden am liebsten Serien und Comedy-Formate geschaut. Hinzu kommen Online-Videos, vor allem YouTube. Wird die Bewegtbild-Welt von Kindern noch durch den Kinderkanal oder Super RTL geprägt, gewinnen mit wachsendem Lebensalter Streaming- und Video-on-Demand-Angebote an Bedeutung – ganz nach der Devise „Online killed the TV Star“.
 
Doch die schöne neue Online-Welt hat auch ihren Preis. Immer mehr Jugendliche erkennen die Gefahren von mangelndem Datenschutz und fehlender Datensicherheit, wissen um urheberrechtliche Grauzonen und bekommen die negativen Folgen von Cybermobbing, Sexting oder Hate Speech zu spüren. Viele junge Nutzer sind verunsichert. Zugleich klagen Eltern über eine Art Abhängigkeit ihrer Kinder, die nicht mehr auf ihr Smartphone verzichten könnten. An solchen Symptomen leidet inzwischen allerdings auch mancher Erwachsene.
 
Mit steigendem Alter wird das Handy immer relevanter und zu einem Teil der Heran­wachsenden selbst. Die Furcht, etwas Wichtiges zu verpassen – inzwischen als „Fear of Missing out“ bekannt – fördert bei Jugendlichen eine oft unkontrollierte und risikoreiche Nutzung von Online-Anwendungen.
 
Als die Sozialwissenschaftler im vergangenen Jahr im Auftrag der Nordrhein-West­fälischen Landesmedienanstalt 8- bis 14-Jährige befragten, gaben fast vierzig Prozent an, sie hätten schon Mobbing-Fälle erlebt. Jeweils 11 Prozent seien selbst Opfer oder Täter von Cyber-Bullying oder Cyber-Mobbing gewesen. 13 Prozent berichteten, schon einmal intime Bilder erhalten zu haben, und etwa 4 Prozent gaben zu, sie selbst hätten bereits Sexting-Bilder verschickt. Bei solchen Kommunikationsprozessen spielt die Peergroup eine zentrale Rolle. Zugleich sinkt mit zunehmendem Alter der Jugendlichen der Einfluss, den Eltern haben. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass Kinder in der digitalen Welt ihren Erziehungsberechtigten in punkto technischer Medienkompetenz weit voraus sind.
 
Die angesprochene Untersuchung zeigte auch, dass 15 Prozent der befragten Eltern auf jegliche Handy-Erziehung verzichteten. Meist beschränke sich die Medienpädagogik in Familien auf Verbote oder Höchstgrenzen für die Smartphone-Nutzung, urteilten die Wissenschaftler. In den wenigsten Fällen erfolge eine aktive Erziehung. Außerdem kämen viel zu selten technische Vorkehrungen wie beispielsweise Jugendschutzfilter zum Einsatz, um Jugendlichen vor den Risiken der Online-Welt zu schützen.
 
Nur wenn Eltern eine enge Bindung zu ihren Kindern haben und sich mit deren Smart­phone-Nutzung aktiv auseinandersetzen, lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen positiv beeinflussen.
 
Der Slogan „Always online“ darf zwischen Kindheit und Jugend nicht „online allein“ bedeuten. Es wäre fahrlässig, Kinder und Jugendliche in der Online-Welt alleine zu lassen. Um dies zu verhindern, haben die Landesmedienanstalten eine Reihe von Medienkompetenz-Initiativen gestartet und in diesem Jahr erstmals einen Medien­kompetenzbericht als Buch veröffentlicht.
 
Das von den Landesmedienanstalten herausgegebene Material eignet sich auch hervor­ragend für den Einsatz im Schulunterricht, oder ist wie der Medienführerschein hier in Bayern speziell dafür konzipiert. Gerade weil es bei vielen Eltern an technischem Wissen und an Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien fehlt, kommt den Schulen in diesem Bereich eine große Bedeutung zu. Schließlich ist Medienkompetenz eine wichtige Kern­kompetenz in unserem Informationszeitalter.
 
Meine sehr geehrte Damen und Herren,
 
ich wünsche mir, dass wir gemeinsam bei dieser interdisziplinären Fachtagung nach Wegweisern und Verkehrsregeln suchen, die jungen Mediennutzern helfen, souverän, selbstkritisch und selbstbestimmt mit digitalen Medien umzugehen.
 
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!