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"50 Jahre Fernsehen: "Ein Medium mit multipler Persönlichkeitsstruktur

04.02.2003 | 4 2003
"Fernsehen ist eines der großen Wunder unserer Zeit. Aber auch Wunder verlieren ihren Glanz, wenn sie sich ins Alltägliche verflüchtigen. Gerade darum lohnt es sich, ... dass wir uns das Außerordentliche dieser Möglichkeit bewusst machen, jederzeit die Welt in unser Wohnzimmer holen zu können." Einen bewundernden, aber auch kritischen Blick zurück auf das deutsche Fernsehen seit 1952, dieses Medium "mit multipler Persönlichkeitsstruktur", warf der Film- und Fernsehproduzent Prof. Dr. Günter Rohrbach zum Auftakt des Symposiums "50 Jahre Fernsehen", zu dem die BLM gemeinsam mit dem Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität München am 3. Februar eingeladen hatte. In den restaurativen fünfziger Jahren, so Rohrbach, sei Fernsehen nichts anderes als ein Unterhaltungsmedium gewesen. Zwischen 1960 und 1970 hätte es sich zum neuen Leitmedium entwickelt, begleitet von einer allmählichen Politisierung, die in den siebziger Jahren in ein konfrontatives, teils agressives Redakteursfernsehen mündete. Den überhitzten 70er Jahren folgte die allmähliche Entpolitisierung des Fernsehens, die sich heute darin ausdrücke, "dass irgendwie alles Unterhaltung ist". Selbst die Politik müsse sich an ihrem Unterhaltungswert messen lassen. Rohrbachs Prognose für die Zukunft: Nachdem die privaten Sender den Rundfunkanstalten "zumindest in Teilen auch einen Qualitätswettbewerb abverlangt" hätten (Beispiel: TV-Movie), sei nun zu fürchten, dass sich "in den großen Sendern die Programme weiter banalisieren werden". Während die Programmgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland die Funktion des Fernsehens als Spiegel der Gesellschaft verdeutlicht, konzentrierte sich Prof. Dr. Hans-Bernd Brosius in seinem Überblick zu "50 Jahren Fernsehforschung" vor allem auf die Folgen bzw. Wirkungen des Fernsehens für die Gesellschaft. Als wirkungstheoretischen Ansatz mit dem größten Potenzial in Bezug auf das Fernsehen bezeichnete Brosius die Kultivierungshypothese (George Gerbner). Danach richten Menschen, die viel Unterhaltung sehen, ihre Realitätssicht so aus, wie sie im Fernsehen dargestellt wird. Man dürfe, so Brosius, die subtilen Wirkungen des Fernsehens nicht unterschätzen: "Es wäre falsch zu glauben, dass wir wehrlose Opfer von manipulierenden Fernsehjournalisten sind; falsch ist aber auch, dass Fernsehen keine Wirkungen hat, gerade im Unterhaltungsbereich." Wie aus der schwarz-weißen Zauberkiste, auf die der damalige Bundestagspräsident Hermann Ehlers am liebsten noch geschossen hätte, in 50 Jahren ein technisch hoch entwickeltes Massenmedium wurde, erläuterte Prof. Dr.-Ing. Frank Müller-Römer. Kabel und Satellit hätten die Versorgung der Bevölkerung mit einem vielfältigen Programmangebot ermöglicht, doch durch die Digitaltechnik gebe es mittlerweile auch außerhalb des Fernsehens eine Fülle von Bewegtbildangeboten, zum Beispiel im Internet. Die Prognose von Müller-Römer: Fernsehtechnik werde künftig ein Teil der Datentechnik sein, "mit zentralen Servern, dezentralen PC's und unterschiedlicher Konfiguration und mit genau definierten Transportkriterien". Stoff für die spätere medienpolitische Diskussion lieferte Prof. Dr. Heinz-Werner Stuiber mit seiner Zusammenfassung von 50 Jahren Rundfunkpolitik. Seine Kritik an den gesetzlichen Grundlagen für das duale Rundfunksystem: Das private Rundfunkunternehmen unterliege einer doppelten Leistungskontrolle, einerseits durch Märkte, andererseits durch Bürokratien. Die Erwartungen beider wären jedoch nicht kompatibel. Der publizistische Leistungsbeitrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dagegen wäre nur begrenzt einer Außenkontrolle unterstellt, seine "wirtschaftliche Existenz dennoch weitgehend gesichert". Um eine klarere Trennung zwischen den öffentlich-rechtlichen und privaten Wettbewerbern durch eindeutige Finanzierungslösungen ging es anschließend auch in der Podiumsdiskussion, die sich in großen Teilen mit der derzeitigen Schieflage im dualen Rundfunksystem beschäftigte. Die rückläufigen Werbeeinnahmen wären nicht die Ursache dieser Schieflage, betonte VPRT-Präsident Jürgen Doetz, sondern diese Situation verschärfe nur den Blick auf die Ursachen. Sein Vorwurf an die Adresse der Öffentlich-Rechtlichen: "Sie schielen kommerziell nach unserer Zielgruppe." Und das mit der Sicherheit der Gebührengelder im Hintergrund, was zu einer eindeutigen Wettbewerbsverzerrung führe. BLM-Präsident Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring sieht die Wettbewerbsverzerrung momentan vor allem durch die starken Internet-Aktivitäten der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten und dessen - mit Gebührengeldern gesicherten - Vorsprung bei der Digitalisierung gegeben. Deshalb forderte er: "Wir müssen der Strukturproblematik, die sich durch die derzeit schlechte wirtschaftliche Lage ergeben hat, unbedingt entgegenwirken." In Bezug auf die digitale Entwicklung müsse man über eine systemübergreifende Gebührenfinanzierung nachdenken. Auch Prof. Dr. Jo Groebel, Direktor des Europäischen Medieninstituts, bestätigte, dass der deutsche Fernsehmarkt im internationalen Vergleich ein "öffentlich-rechtliches Paradies" sei. Dem steten Gejammer über Schieflagen stünde gegenüber, dass das duale System in Deutschland - retrospektiv betrachtet - vor allem Vorteile gebracht hätte, nämlich eine herausragende Programmqualität durch Wettbewerb. Vorbildfunktion für Europa attestierte Ruth Hieronymi, Mitglied des Europäischen Parlaments, dem dualen Rundfunksystem in Deutschland. Aber auf die Frage des Moderators Hans-Jürgen Jakobs (SZ) nach einem erhöhten Gebührenbedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der nächsten Gebührenrunde, erklärte Hieronymi: "Wir müssen genau hinschauen, inwieweit eine Gebührenerhöhung in der derzeitigen Situation überhaupt möglich ist." Aus dem "öffentlich-rechtlichen Paradies" Mainz eingereist, wehrte sich Dr. Gottfried Langenstein, Direktor der Europäischen Satellitenprogramme beim ZDF, gegen die teils harsche Kritik des Podiums am Finanzgebaren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem Appell, dass in Europa jetzt alle aufgefordert wären, viel mehr medienwirtschaftlich zu denken und dies hätten zumindest die von ihm verantworteten Programme (3sat/ARTE) auch bereits umgesetzt. Eine klare Trennung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk durch Gebührenfinanzierung einerseits contra Werbefinanzierung andererseits gehöre jedoch "auf den Wunschzettel für das Christkind."