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Paradigmenwechsel bei Gewaltdarstellungen im TV: Präsentation und Diskussion der Studie „Gewalt zwischen Fakten & Fiktionen“ auf Einladung von NLM und BLM

25.02.2005 | 11 2005

Die Anfang der 90erJahre prognostizierte „Abrüstung“ im Fernsehen hat nicht stattgefunden. Es zeichnet sich eher ein Paradigmenwechsel ab: „Im Fernsehen wird inzwischen realitätsnahe bzw. faktische Gewalt häufiger gezeigt als realitätsferne Gewalt“, so ein zentrales Ergebnis der Studie „Gewalt zwischen Fakten & Fiktionen“, die am 24. Februar 2005 in der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) in München vorgestellt und diskutiert wurde.
 
Mit dem Einzug neuer Formate wie Psycho-Shows, Crime-Dokus, Gerichts-Shows und Reality-Soaps haben sich Qualität und Quantität der Gewaltdarstellungen im Fernsehen wesentlich verändert. Dieser Wandel wirke sich auf die Aufsichtspraxis der Landesmedienanstalten aus und müsse bei der Programmbeobachtung berück­sichtigt werden, so der BLM-Geschäftsführer Martin Gebrande in seinem Grußwort. Die Studie von Prof. Dr. Petra Grimm, Katja Kirste und Jutta Weiß geht der Frage nach, wie Gewalt in den Fernsehformaten präsen­tiert und in welchem Kontext sie dargestellt wird. Dafür sind zwischen Oktober 2002 und Januar 2003 insgesamt 1.162 Programmstunden von ARD, ZDF, RTL, Sat.1, ProSieben, RTL2, Vox, Kabel 1, KiKa und Super RTL ausgewertet worden. Folgen­de Ergebnisse dieser Inhalts­analyse spielen für den Jugendschutz eine wichtige Rolle:
 
- Gewalt gehört im Fernsehen weitgehend zum festen Bestandteil einer männlichen Welt, womit Jungen stereotype Konfliktlösungsmuster offeriert werden.
- Unterhaltungsformate zeigen Gewalt häufig im Kontext von „Alltag und Familie“ sowie „Ehe und Beziehung“. Es ist nicht auszuschließen, dass jüngere Zuschauer die mediale Gewalt im privaten Bereich auf ihre eigene Lebenswelt beziehen und möglicherweise mit Angst reagieren.
- Gewalt wird selten kritisiert. Es bleibt den Zuschauern überlassen, wie sie die Gewalt zu bewerten haben. Unter dem Aspekt der Wertebildung kann dies für jüngere Zuschauer problematisch sein, weil sie bei der Bewertung von Gewalt allein gelassen werden.
- Die Vermischung von Fakten und Fiktionen bei Gewaltdarstellungen ist kritisch zu bewerten: Fiktionale Gewaltdarstellungen können von jungen Zuschauern als Abbild realer Gewalt missverstanden werden, da schwer zu erkennen ist, was inszeniert oder authentisch ist. Durch Emotionalisierung und Dramatisierung von realer Gewalt erhöht sich das negative Wirkungspotenzial.
 
Die Auftraggeber der Untersuchung, die Niedersächsische Landesmedien­anstalt (NLM) und die BLM, wollen die Untersuchungsergebnisse für die Aufsichtspraxis im Jugendschutz nützen. Reinhold Albert, Direktor der NLM, wertet die Studie als Bestandaufnahme, „die wegführt von der unergiebigen numerischen Erfassung von Morden im Fernsehen. Sie soll für alle Senderverantwortlichen Anlass geben für Selbstbeschränkung bei Gewaltdarstellungen, die unterhalb der Schwelle von Gesetzesverstößen liegen." Die „differenzierte Betrachtungsweise“, so Verena Weigand, Jugendschutzreferentin der BLM, sei für die Aufsichtspraxis der Landes­medien­anstalten sehr hilfreich. Sie regte an, die Ergebnisse der Inhaltsanalyse mit der Rezipientenforschung zu koppeln.
 
Eine Aufforderung, für die nach Ansicht der Sendervertreter kein Anlass besteht. Die Studie betrachte ein Fernsehen, das heute so nicht mehr existiere, kritisierte der Unternehmenssprecher von ProSieben, Christoph Körfer. Im Gegenteil, Gerichtsshows würden von Polizeistellen sogar als Instrumente zur Prävention angefordert. Camille Zubayr, Leiter der ARD-Medienforschung, monierte, dass die Untersuchung nicht ausreichend zwischen den einzelnen Sendern unterscheide.
 
Diese Aussagen stießen bei Dr. Helga Theunert, wissenschaftliche Direktorin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, eher auf Unverständ­nis. Die Studie sei nicht der Versuchung erlegen, Gewalt im Fernsehen nur als „physische Verletzung“ zu definieren. Sie habe auch subtilere Formen einbezogen wie verbale oder „psychische“ Gewalt, z.B. in Gerichtsshows. Gerade Kinder, so Theunert, könnten nicht immer klar zwischen realer und fiktionaler Darstellung unterscheiden. Deshalb wäre es wichtig, Gewaltdarstellungen auch im Kontext zu betrachten. Im Übrigen seien die untersuchten Formate bis heute im Programm.
 
Die Studie „Gewalt zwischen Fakten & Fiktionen“ ist als Band 18 der Schriftenreihe der NLM im Vistas Verlag Berlin (ISBN 3-89158-401-6) erschienen.

Kontakt bei Rückfragen: Bettina Pregel, Tel.: 089/63 808 318