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„Vom Testbild zum Second Screen“ - 23. Fachtagung des Forums Medienpädagogik der BLM über das Fernsehen im Wandel und Herausforderungen für die Medienpädagogik

10.11.2017 | 94 2017

Lehrer haben eine neue Konkurrenz – im Netz. Zum Beispiel den „Simple Club“, eine Online-Lernplattform, die bei YouTube läuft. „Danke. Ihr habt meine Klausur gerettet“, kommentiert ein Nutzer das Angebot. Es ist eines der vielen Fallbeispiele, die Prof. Dr. Karsten Wolf zur Fachtagung des Forums Medienpädagogik der BLM mitbrachte, auf der er den 170 Teilnehmern einen Bildungsraum der Zukunft vorstellte. „80 Prozent der Schüler bereiten sich mit Erklärvideos auf Klausuren vor“, sagte der Professor für Medienpädagogik und Didaktik im Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften an der Universität Bremen. Wenn sich Lernstrategien ins Digitale verlagern und Jugendliche Tutorials moderieren, verwandelt sich die Bedeutung von Fernsehen, meinte Wolf. „Früher hat man einen Sender eingeschaltet. Heute hat dieser Sender einen Namen. Er lautet ´Interesse´.“

Wenig Auswahl, feste Zeiten, ein paar Knöpfe am Gerät und nachts das Testbild – so simpel war Fernsehen früher. Heute hat sich, insbesondere beim Nachwuchs, das Mediennutzungsverhalten verändert. Jeder Dritte der 14- bis 29-Jährigen verwendet bereits einen Second Screen und tauscht sich während einer Sendung mit anderen via WhatsApp oder Twitter aus. Das zeigt die ARD/ZDF-Onlinestudie von 2016.

Wie wirkt sich das auf den Lebensalltag der jungen Menschen aus? Was bedeutet das für den Jugend- und Datenschutz? Wie müssen Eltern und pädagogisch Tätige darauf reagieren? Die Fachtagung des Forums Medienpädagogik mit dem Titel „Vom Testbild zum Second Screen: Fernsehen heute und Herausforderungen für die Medienpädagogik“  lieferte dazu einen Einblick. Moderiert wurde die Veranstaltung von Michael Voss, dem Vorsitzenden des Medienkompetenz-Ausschusses des BLM-Medienrats.

Mit der Erfindung des Buchdrucks verglich Kommunikationswissenschaftler Dr. Dominik Rudolph von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster die Veränderung der Sehgewohnheiten. Bis zu vier Stunden täglich sitzen die Deutschen vor der Glotze. Fernsehen sei immer noch die wichtigste Freizeit­aktivität. Doch vor allem bei den Jüngeren verlagere sich das Schauen zunehmend ins Netz. „Je jünger die Nutzer, desto seltener wird klassisches Fernsehen rezipiert.“ Die Marktmacht von YouTube mit vier Milliarden Videoaufrufen am Tag ist Rudolph zufolge gigantisch: „Vielleicht sehen wir hier das Fernsehen der Zukunft.“ Massive Wachstumsraten hätte auch Video on Demand (VoD), wie es etwa Netflix oder Amazon Prime Video bieten. „Deutschland steht da am Anfang der Entwicklung.“

Vom Anfang sprechen, um in die Zukunft zu schauen: Dieser Aufgabe stellten sich Tilmann P. Gangloff und Dr. Gerd Hallenberger. Gemeinsam unternahmen der Medienjournalist und der Medienwissenschaftler einen Parforceritt durch die Fernsehgeschichte. Ihr Fazit: „Alles wie immer – und doch alles ganz anders“, sagte Hallenberger. „Programmformate wie Tatort oder die Fußball-WM sind heute so populär wie vor 50 Jahren.“ Radikal geändert habe sich die Sehsituation: Schneller muss alles sein. Interaktiver. Bunter. Und dramatischer.

Wo der emotionale Ausnahmezustand Normalität ist, wird es aus pädagogischer Sicht schwierig, warnte Michael Gurt, beim JFF verantwortlicher Redakteur des FLIMMO. Harte Jurys, hämische Kommentare und Aggression bei Sendungen wie „Germany´s next Topmodel“ liefern Gurt zufolge Vorbilder, an denen sich Jugendliche orientieren: „Das ist kritikwürdig.“ Denn viel zu oft nehmen junge Fans fiktionale Geschichten ernst oder orientieren sich an YouTube-Vorbildern. Den anwesenden Pädagogen riet Gurt deshalb: „Ist es ein realistisches Berufsziel, YouTube-Star zu werden? Das sollte man im Unterricht thematisieren.“

Ob YouTube, Netflix oder Amazon Prime Video: Wenn Inhalte ständig verfügbar sind, verlagert sich die Verantwortung für die Einhaltung des Kinder- und Jugendschutzes stärker ins Private. Und wenn keine Sendezeitgrenzen für das Fernsehen mehr greifen, weil über VoD geschaut wird, sind Eltern noch mehr als bisher gefordert.  Hier kann die Software jugendschutzprogramm.de helfen, die Kinder vor nicht altersgerechten Programmen im Netz schützt.

Ein weiteres Problem ist der Datenschutz. Was soll man zum Beispiel tun, wenn der Zugriff auf Kamera und Mikrofon des Laptops verlangt wird? Für Dr. Kristina Hopf, Referatsleiterin im Bereich Medienkompetenz und Jugendschutz der BLM, ist die neue Welt des audiovisuellen Sehens für Eltern ein Kosmos voller Unklarheiten. „Bei jeder Nutzung von Streaming-Portalen und anderen Netzdiensten werden Unmengen an Daten erhoben – was damit passiert, weiß keiner.“

Gewidmet war die Fachtagung dem langjährigen Vorsitzenden des BLM-Medienrats, Dr. Erich Jooß, der kurz zuvor gestorben war. Verena Weigand, Bereichsleiterin für Jugendschutz und Medienkompetenz der BLM, erinnerte bei ihrer Begrüßung an den Mitbegründer der Stiftung Medienpädagogik Bayern: „Mit herausragendem Engagement hat sich Dr. Jooß dafür eingesetzt, Kinder und Jugendliche für einen kritischen Umgang mit Medien zu sensibilisieren“, sagte Weigand.

Parallel zur Tagung ist die Broschüre „Alles auf Empfang? Familie und Fernsehen – Informationen für Eltern“ in neuer Auflage erschienen. Erstmals in den 1990er-Jahren veröffentlicht, wurde der Ratgeber der BLM und der Aktion Jugendschutz Bayern seither stetig nachgefragt. Die Broschüre richtet sich an Eltern und Erziehende von Kindern bis etwa 12 Jahren und gibt praktische Tipps zum Fernsehalltag in der Familie, in der aktuellen Auflage auch zum Online-Fernsehen und Jugendschutz im Internet. Sie steht unter www.blm.de zum Download zur Verfügung.