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Überlebenskünstler*innen

Gewinnerbeitrag Medienwerkstatt Franken: Überlebenskünstler*innen

(Menschen unterschiedlichen Alters wie auch Nationalität mit einer Stempelbezeichnung  auf der Stirn, z.B. Gazelle, Platzwart oder Leitwolf)

Aue: Hallo und guten Abend.

Gesellschaftlicher Druck,
Gewalt in der Familie,

Drogensucht oder
einfach nur der Wunsch

nach mehr Freiheit,
einem anderen Leben.

Die Gründe, warum junge
Menschen obdachlos werden,

sind ganz unterschiedlich.

Unsere Autorin Bianca Schwarz

hat einige von ihnen hier in
Nürnberg mit der Kamera begleitet

und mit ihnen über ihre
Lebensgeschichten gesprochen.

Sehen Sie jetzt unseren Beitrag
„Überlebenskünstler*innen“.

(Eine Brücke spiegelt sich in einer schwarzen Pfütze.)

Männerstimme: Ich
bin kälter geworden.

Also, ich gebe jetzt nicht mehr so
viel, wie ich damals gegeben habe,

weil ich habe die dunklen
Seiten der Straße gesehen.

Frauenstimme: Man sammelt auf
jeden Fall auch viele Erfahrungen,

die dich verändern.

Man sieht Sachen, die
dich verändern. (lacht verhalten)

Man verändert sich
charakterlich auf jeden Fall, ja.

Man hört irgendwie,
ich weiß nicht …

Man muss aufpassen,
dass man nicht kalt wird.

(Eine mit Graffiti besprayte Mauer unter einer Brücke.)

2. Männerstimme: Na ja, du
wirst unter der Brücke wach,

total verklascht vom Vortag,

packst deinen Rucksack

und unterm Strich ...

gehst du halt dann Schnorren oder
irgendwie Geld organisieren, dass du Drogen

also eigentlich gehst du
nur Drogen organisieren,

weil alles andere ist total wurscht.

So. Du brauchst einfach deinen Rausch.

Das ist die Essenz vom Tag.
Du willst einfach nur Rausch haben.

(Eine junge Frau sitzt auf einem Plastikstuhl unter einer Brücke. Im Hintergrund stehen Zelte.)

Linn: Bin Linn. Bin 19 Jahre alt.

Wohne hier unter der Brücke. (lacht)

Ja. (lacht)

Wurde mir allgemein
aber zu viel..

Zuhause. (lacht)

Dann natürlich auch
Drogenprobleme und so,

wo ich dann aber raus
wollte irgendwie, ja.(lacht)

Kam einfach nicht klar..

und ja, (lacht) musste raus.

(Zwei Männer spielen mit einem Ball unter einer Brücke.)

Na ja, also anfangs war
es natürlich irgendwie so:

Ich wollte die Freiheit erleben, ich
wollte einfach raus aus dem Alltag,

wollte nicht arbeiten gehen,

nicht mit der Gesellschaft
mitlaufen und so was.

Kevin: Ich heiße Kevin
und bin 18 seit 3 Wochen.

Mein Stiefvater und ich
konnten uns noch nie leiden

und das hat sich halt
dann hochgeschaukelt,

so weit, dass ich halt dann
aus der Wohnung geflogen bin.

Und dann war ich 3 Jahre auf der
Straße und habe im Zelt gewohnt. (lacht)

Jetzt habe ich nen Fernseher,
aber auch noch nicht lange.

Männerstimme: Mir ging
es halt auch echt nicht gut.

Ich hatte dann eine Wohnung
weiterhin. Ich habe dann in der Zeit,

wo das alles so kaputtgegangen
ist bei mir, sehr viel gesoffen.

Ich habe halt pro Nacht am Schluss,

glaube ich, echt 2 oder 3
Flaschen Whiskey gesoffen

und war nervlich echt
am Ende und habe gesagt:

„So, jetzt muss ich irgendetwas
machen. Ich kann nicht verdümpeln.

Ich kann...geht nicht, ich bin alleine
in der Stadt, ich kenne niemanden,

es geht gerade alles wieder
bergab und bin dann auf die Straße

Und hatte aber die Wohnung noch
und bin dann wieder in die Punkerszene,

die ich aus Heimzeiten her schon
kannte, da kenne ich mich aus.

Ich weiß, wer ich bin.

Auf der Straße habe ich mich schon
immer ein bisschen mehr ausgekannt.

...und...

Da bin ich dann wieder zurück und habe
dann auch unter der Brücke geschlafen

und ja, Friede, Freude, Eierkuchen,
schnorren gehen, Drogen nehmen,

unter der Brücke pennen, einfach
irgendwie wieder ansatzweise ein Leben,

wo man sich auskennt, wo
man ein bisschen Plan von hat,

das hat mich auch ein bisschen
aufgefangen in dem Moment,

auch wenn es auf lange Sicht sinnfrei
war, den Schritt zu gehen, irgendwie.

Aber...

ich konnte nicht
in der Wohnung sein,

aber ich habe die behalten,
solange wie es ging.

Irgendwann bin ich dann Richtung
München zu einer Freundin gefahren,

dachte mir nichts Böses, kam
nach dem Wochenende wieder zurück

und wollte meine Post checken.

und wollte nur meine
Sachen in die Wohnung bringen

und dann denke ich
mir im Hausflur schon:

„Irgendetwas stimmt hier nicht,
irgendwas ist hier gar nicht cool.“

Dann war es am Schluss so,
dass ich einen Wasserschaden hatte,

dass bei mir das Abwasser
durch die Wohnung,

durch die Toilette hoch gedrückt hat

und die komplette
Wohnung unter Wasser stand

und Abwasser ist halt
nochmal echt ekelig.

Ich hatte dann die
Kündigung im Briefkasten.

So habe ich die Wohnung verloren und
war dann direkt komplett auf der Straße.

Habe alles stehen und liegen lassen
müssen und bin dann auf die Straße.

(Der Mann kommt mit dem Fahrrad zu seiner Unterkunft: Zu einem als Wohnung umgebauten Lastwagen.)

Bin 25

und ich wohne hier auf
einem Wagenplatz mittlerweile.

Mache eine Ausbildung
zum Kinderpfleger

und bin jetzt voll der
Streber geworden, ja.

Ich kenne meinen
leiblichen Vater nicht.

Meine Mom ist damals bei
meinen Großeltern abgehauen

und hat einfach versucht,
ihr Ding durchzuziehen,

genauso wie ich einfach versucht habe,

irgendwann mein eigenes
Ding durchzuziehen.

Hat nicht so geklappt.

Sie hatte halt einen Vorteil: Sie hat
sich halt einen Typen geangelt

und hat halt...ja...heiraten, kinderkriegen,
so bin ich dann entstanden.

Scheidung war dann
auch relativ früh wieder.

Das war... Boah!

Ich kenne meinen Vater halt
nicht, weil das schon alles so früh war.

Dann war sie eine lange,
lange Zeit alleinerziehend.

Ich war viel bei meinen Großeltern,

eigentlich mehr bei meinen
Großeltern als bei meiner Mom.

Wenn ich bei meiner Mom war, die
hat bei einer Wäscherei gearbeitet

und da waren wir immer
nur mit dem Auto unterwegs.

Also, ich bin so ein
Autokind oder Großelternkind.

Mehr gab es in meiner
Kindheit irgendwie nicht.

Dann hat sie dadurch über den Job
auch meinen Stiefvater kennengelernt.

Ja und dann irgendwann
sind wir halt zu dem gezogen

und das war dann schon irgendwie ätzend.

Also, da ging die
ganze Kacke eigentlich los.

Jeden Tag verprügelt worden,

im alten Kuhstall in einer kleinen
Kammer eingesperrt worden,

im Wald ausgesetzt worden,
auch schon alles passiert.

Ja und es ging ein paar Jährchen so

und dann irgendwann hat meine
Mom auch keinen Bock mehr gehabt.

Irgendwann haben sie dann
selber das Jugendamt eingeschaltet,

was ich echt strange finde.

So nach dem Motto: „Wir
können ihn nicht vergraulen,

der geht nicht von alleine. Den
müssen wir halt so irgendwie.“

Ich weiß nicht, was die
sich dabei gedacht haben

und, ja..

dann kam die Heimzeit.

Kevin: Das erste Mal, als ich ins
Heim kam, war ich, glaube ich,

10.

Ich wurde von der 4.
auf die 3. zurückgestuft,

weil ich zu langsam geschrieben habe

und dann hatte ich...

2017 einen Unfall,

und musste dann wiederholen

und wegen diesem Unfall konnte
ich nichts mehr für die Schule machen.

Da wurde ich vom
Einserschüler zu nem Fünferschüler.

Kevin: Es war ein Suizidversuch.
Ich bin vom 5m-Dach gesprungen.

(Schlafraum und Flur der Einrichtung „SleepIn“ Notschlafstelle für wohnungslose Jugendliche und junge Erwachsene.)

Kawaletz: So verschieden
unsere Jugendlichen alle sind,

eine Gemeinsamkeit haben
fast alle oder ein Großteil wirklich,

dass sie aus sehr brüchigen
Elternhäusern kommen.

Im Elternhaus gab es Gewalt,
Missbrauch, Eltern waren getrennt.

Also, wir haben kaum Leute,
wo die Eltern noch zusammen sind,

es gab häufig wechselnde
Partnerschaften bei den Eltern.

Psychische Erkrankungen bei den Eltern.

Wirklich sehr, sehr fragiles,
brüchiges Elternhaus

mit einem sehr frühen
Eintritt in die Jugendhilfe.

Die Basis unserer Arbeit ist die
Sicherstellung der Grundversorgung,

D.h. die Leute können hier schlafen,
können sich etwas zu essen machen,

können ihre Wäsche
waschen, können duschen.

Wir wollen so eine Art...

Basiscamp für die Leute sein,

also die können sich von
der Straße her ausruhen,

können einfach nur da sein,
ohne irgendwas groß zu müssen,

können sich hier sortieren

und von hier aus dann
schauen, wie geht es weiter.

Kevin: Da kannst du 6
Nächte im Monat schlafen

und dann musst du halt
schauen, wo du hingehst.

Nach den 6 Nächten bin ich, also...

meistens habe ich da so 2 Nächte geschlafen.

Dann bin ich in mein Zelt..

bis Mitte des Monats,

dann bin ich wieder
2 Nächte ins SleepIn und dann halt

Ende des Monats nochmal.

Also, ich habe es mir halt aufgeteilt.

Es ist Gewöhnungssache.

Am Anfang ist es schon schwer,

du musst dir halt viele Sachen
zusammensammeln sozusagen.

Im SleepIn habe ich mir immer so
Bundeswehrdecken geholt,

die sind zwar nicht dick,

aber wenn du davon viele hast, dann
werden die weich und warm...

   auf Dauer.

Und du musst halt einen Platz finden,
wo du dein Zelt aufschlagen kannst.

Draußen hatte ich meinen Fleck

und den kannte eigentlich keiner

außer halt meine Leute.

Irgendwann hat es halt anscheinend
irgendeiner herausposaunt

wo mein Zelt steht,
und als ich dann im Arrest war,

war dann mein Zelt
kaputt, als ich rauskam.

Lag dann irgendwo im Wald.

Schnüre wurden durchgeschnitten,
es wurde reingestochen,

es wurde zertrampelt, es wurde
eine Matratze darauf geworfen,

warum auch immer,

aber zum zweiten Mal schon.

Linn: Viele sagen, man
gewöhnt sich daran,

aber ich würde nicht sagen, dass
man sich daran gewöhnt,

sondern eher daran gewöhnt,
dass man damit klarkommen muss.

Wenn es zu kalt ist, na ja, kann man
natürlich immer wieder zu Freunden gehen,

aber man will denen natürlich
nicht auf den Sack gehen jeden Tag.

Letzten Winter war
es auch ziemlich...

krass, da hatte ich
auch ein undichtes Zelt.

Es war nicht so ganz
cool, war ziemlich kalt, ja,

aber ansonsten steht man das schon
irgendwie durch mit vielen Decken. (lacht)

Also Anfangs, wo ich bei
meinen Eltern raus bin,

(Linn sitzt unter der Brücke und streichelt einen Hund.)

habe ich schon komplett
draußen geschlafen.

Also, Parkhäuser
oder so etwas in der Art,

aber ja dann bin ich halt auf die Platte
gekommen und seitdem bin ich hier.

Ja.

Ist auf jeden Fall besser, nicht das
ganze Zeug ständig mitzuschleppen

und irgendwie...

jeden Tag schauen zu
müssen, wo man schläft

und so etwas ist schon
anstrengend auf jeden Fall.

(Die Männer zeigen ihre Unterkunft unter der Brücke.)

Männerstimme: Also.
Erstens: Ich stelle vor:

2. Männerstimme:
Das Hundebett.

1. Männerstimme: Das Hundebett. Genau.

(Der Mann zeigt auf den Boden, wo einige Decken aufeinandergelegt wurden und als Hundebett fungieren.)

Um genau zu sein.

Hier unser Esstisch.

(Zeigt auf einen Bierbanktisch auf dem Flaschen stehen.)

Da Tisch.

Anderer Sessel ist dahinten.

Ja.

Bitte kommen Sie weiter.

2. Männerstimme: Hier
ist unser Leitungswasservorrat.

(Es sind einige Rotweinflaschen, die ordentlich in zwei Reihen aufgestellt sind.)

Das füllen wir in der Früh immer
in einer öffentlichen Toilette auf.

1. Männerstimme: Hier schlafen
Menschen, da schlafen Menschen,

überall schlafen Menschen.

(Mehrere Zelte stehen dicht nebeneinander. Um die Zelte herum liegen Rucksäcke und andere Habseligkeiten. Ein paar Schuhe stehen sehr ordentlich nebeneinander. Auf dem Boden vor den Zelten liegen Teppiche aus.)

Wenn Sie da schlafen möchten..., ja,

können Sie auch gerne da schlafen.

Kameramann: Kannst
Du gerne da schlafen.

2. Männerstimme: Unser
Wohnzimmer, Feuerstelle, Gästebett.

(Auf einer dreckigen Matratze liegt ein Schlafsack, mehrere Decken und ein Kissen. Daneben lagert das Feuerholz ordentlich gestapelt. Neben der Matratze steht ein Holztisch.)

1. Männerstimme:
Schon mal so was gesehen?

Hast du schon mal ein Wohnzimmer,
ja, mit einer Feuerstelle gesehen?

(Auf dem Boden neben der Matratze steht eine Feuerschale.)

2. Männerstimme: Nennt sich Kamin.

Haben ganz viele reiche Leute.

1. Männerstimme: Da siehst
du, dass wir reich sind.

Eigentlich. Rein theoretisch.
Theopraktisch. (lacht)

(lacht weiter)

Ach komm, ich hatte
immer eine Eins ins Deutsch. (lacht)

(Unter der Brücke steht auch ein Bücherregal mit vielen unterschiedlichen Büchern. Viele davon sind Romane.)

Linn: Irgendwie haben die
Leute ja auch schon Recht,

aber ich finde nicht alle,
besonders nicht alle Punks

trinken nur oder gehen nicht arbeiten.

Es gibt auch viele, die studieren gehen

oder irgendwie gar nichts
nehmen oder trinken.

So, also, das sind echt Vorurteile
meiner Meinung nach.

Ich meine, alle in eine
Schublade stecken,

sollte eigentlich nicht so sein. (lacht.)

Ja, auch wenn wir alle
gleich aussehen. (lacht.)

Kawaletz: Was ich selber als junger
Mensch vielleicht auch gedacht habe,

es war eher so ein romantisierendes
Bild von Straßenkarrieren,

dass es Leute sind, die freiwillig
aus dem Elternhaus gehen,

sagen „Ich habe keine Lust mehr,
keinen Bock mehr auf ein spießiges,

bürgerliches Leben und ich
lebe jetzt so eine Alternative

zu dieser spießigen Gesellschaft.“

Eher so frei gewählt und mit
einem Weltbild so im Hintergrund.

Ein bisschen romantisiert so
der Ausreißer / die Ausreißerin

und das erlebe ich hier ganz
anders. Gibt es vielleicht in Teilen,

(Zwischen zwei Zelten brennt eine weitere Feuerstelle. Daneben steht eine Couch auf der ein Mann liegt. Brennholz liegt ordentlich gestapelt neben dem Feuer.)

aber wirklich ganz gering, obwohl
ich auch nicht unbedingt mehr glaube,

dass alle Punks mit einer großen,

alle Straßenpunks mit
einem großen

philosophischen oder
gesellschaftsveränderten Ansatz

in die Obdachlosigkeit gehen,
sondern auch aus einer Not heraus.

(Zwei Frauen betteln auf der Straße.)

Linn: Man kann schon mal an
die 60-80, sag ich mal, verdienen.

Wenn es gut läuft, aber es
kann beschissener laufen.

Ja.

Kommt echt auf den Tag darauf an.

Kevin: Also, ich bin ein Mensch, der
kommt gut mit wenig Geld zurecht.

Mit viel Geld sieht es anders aus,

aber halt hauptsächlich nur, weil
ich sehr lange Zeit wenig Geld hatte.

Deswegen...ja...

Ich komme auch einen
Monat mit, sagen wir mal, 5 € klar.

Hole mir halt die wichtigen Sachen,
die ich brauche: Essen, Trinken

und zur Not gehe ich mal Schnorren.

(Auf der Straße sind Becher zum Geldsammeln aufgestellt).

Es fällt mir zwar schwer, aber
wenn es sein muss, muss es sein.

Ich habe eigentlich immer Geld.

Wenn nicht viel,

dann halt ein bisschen,
aber ich bin eigentlich nie pleite.

Ich habe immer mindestens
einen Cent bei mir.

(Ein Mann spielt Basketball  unter der Obdachlosenbrücke.)

2. Männerstimme: Ja, in den Schränken

lagern wir im Winter unser Essen.

(Ein Holzschrank ohne Tür, eine Art Vorratsschrank.)

Im Winter kommen die Ratten,
sind aktiver und klauen unser Essen.

Deswegen...

(Auf einer Mauer stehen Ketchupflaschen, Salz und andere Gewürze.)

und viele Gewürze.

Wenn wir genug Geld beim
Schnorren zusammenbekommen,

dann ernähren wir uns auch gesund.

Ab und zu kommen Leute vorbei

und schenken uns
irgendwelches Dosenfutter halt.

Ich meine, Essen in
Dosen oder billiges Brot,

aber das essen wir
nur, wenn es sein muss.

Kawaletz: Ich gebe dir jetzt
die Wurstsemmel und die isst,

ob du da grad Bock darauf hast oder nicht.

Das ist auch so ein großes Thema,

wo man den Leuten die Würde nimmt,
ein bisschen und die Selbstbestimmung.

„Ich will gerade gar
keine drei im Weckle

sondern ein Bier oder

keine Ahnung, Schokocroissant.“

(Ein/e Obdachloser/e holt mit einer kleinen Gabel aus der verbrannten Alufolie ein Stück gegrilltes Fleisch heraus.)

das nicht gut geworden ist,

(Mehrere Obdachlose draußen im Dunkeln. Im Hintergrund ein Lagerfeuer.)

dann weiß ich auch nicht.

Linn: Ich finde, man muss mit
sich selbst im Reinen bleiben.

Also, wenn man die Straße an
sich, wenn das alles zu viel wird,

greift man natürlich eher
zu Alkohol und Drogen,

weil man dann einfach
nicht mehr klarkommt.

Alkohol trinke
ich schon noch, ja.

Drogen, mit denen habe
ich aufgehört mittlerweile.

Bin ich auch froh darüber.

Ungefähr...

glaube ich, ein halbes,
dreivierteltes Jahr

habe ich jetzt nichts
mehr genommen. Ja

War auf jeden Fall schwer, damit
aufzuhören, aber es hat funktioniert.

Entweder man hört auf
oder stirbt irgendwann.

Ja, geht sonst nicht mehr.

Kevin: Also, ich war mal 3
Jahre lang spiceabhängig,

aber davon bin ich jetzt weg.

Alkohol trinke ich hin und wieder
zu besonderen Anlässen oder so

oder wenn es mir mal
richtig scheiße geht,

dann hole ich mir meinen Bacardi,

aber sonst rauche
ich hauptsächlich Gras.

Spice ist eigentlich Gras,
ist nur 10 oder 20x stärker.

Und es gibt auch schon Leute,
die sind darauf abgespackt

oder gestorben, wie
mein bester Freund.

Der ist auf Spice gestorben
wegen einer Überdosis.

Männerstimme: Stell dir mal vor,
du bist auf einmal auf der Straße

und musst unter der Brücke schlafen
und allein die ganzen Gedanken,

die dir durch den Kopf gehen, die
zermürben dich. Die machen dich tot.

Die bringen dich, glaube ich,
echt an den Rand deiner Existenz

und wenn du aber daran
einfach nicht denken musst,

weil du einfach so auf Sendung bist, so
weg geschossen mit sämtlichen Sachen,

dass es dir einfach egal ist, dass
du nachts unter der Brücke schläfst,

dann bist du froh, wenn du
nachts unter deine Brücke kommst,

da dein Bett vorbereitet
ist und pennen gehst.

Das ist einfach nur,
damit es dir scheißegal ist,

du ertränkst damit einfach,

du betäubst einfach sämtliche
Feelings, die du nicht haben möchtest.

Das, was die Drogen
damals gemacht haben,

erst mal nichts denken zu
müssen, ist heute mein Rennrad, ja.

Ich bin sehr viel mit
Fahrrädern beschäftigt,

ich habe ein 4-rädriges Fahrrad gebaut.

Ich fahre Rennrad, ich hatte
teilweise 10 Fahrräder,

jetzt habe ich, weiß gar nicht, wie
viele Fahrräder gerade aktuell habe,

Ich baue mir mein eigenen Wagen..

also, handwerklich …
komplett, nicht komplett,

aber zum größten
Teil aus Holz gebaut.

Das ist auch so ein bisschen mein
Hobby, einfach zu werkeln und, ja,

es muss bloß jeder sein Ding finden.

Seine Ersatzdroge, seine legale
Ersatzdroge muss man finden.

Wenn es für den Einen Klettern
ist, wo er da abschalten kann,

ist es für den Nächsten,
keine Ahnung, ja meinetwegen,

sitzt da und popelst in der
Nase, wenn das dein Hirn freimacht,

dann mache es.

Finde etwas für dich,
was für dich richtig ist.

Irgendetwas, was dir
Spaß macht, wo du merkst:

„Da habe ich gerade keinen
Gedanken an irgendetwas verschwendet,

sondern kann einfach gerade nur sein.“

Ja.

Kevin: Fußballspielen und Zocken,

aber bei Fußball hauptsächlich im
Tor, weil ich habe keine Ausdauer.

Deswegen, wenn ich als Feldspieler
spiele, eigentlich meistens Abwehr.

Ich kann zwar gut
schießen und gut zielen,

aber für das Feld habe
ich zu wenig Ausdauer.

Was auch noch ein Hobby
von mir ist, Longboard fahren,

aber ich habe zurzeit keines,
muss ich mir erst noch zulegen.

Linn: Konzerte gehören
auf jeden Fall dazu.

Gehe ich gerne hin. (lacht.)

Weiß nicht, bin mit Freunden
unterwegs, gehe etwas Trinken,

wenn Hund, dann
Wiese oder so. Ja. (lacht)

♪ romantische Musik ♪

(Innenstadt voll mit Menschen und einem Mann der am Klavier spielt.)
Ein orangener Müllwagen ist zu sehen, weil die Mitarbeiter der Stadtreinigung ihrer Arbeit nachgehen.)

Männerstimme: Ja, ich habe das auch
noch nie so nah an mich herangelassen,

jemand hat zu mir gesagt:
„Dann gehe halt arbeiten.“

Ja, wie gern ich ja gern arbeiten
gehen würde, ich habe keine Bude,

ich habe gar nichts, weil
ich so viele Probleme habe,

dass Arbeit grade,

das geringste Übel ist,

aber gib mir die Möglichkeit,
ich würde etwas tun.

Linn: Ich meine, ich
habe schon gearbeitet,

ich habe mal gekellnert und
so etwas, aber auch nicht lange.

Ich weiß nicht, ich bekomme
irgendwann eine Blockade nach ein,

zwei Monaten, wo ich
dann nicht mehr kann,

weil es zu viel wird, zu stressig
wird von der Psyche auch her,

und wenn ich weiter
mache, dann na ja …

Ich glaube, das endet nicht
gut von der Psyche her.

Ja.

Das wird mir zu viel, wenn ich
irgendwie in der Früh aufstehen muss

und es Pflicht ist, (lacht).

Pack ich nicht.

(Eingang des Jugendamtes der Stadt Nürnberg und der SleepIn Einrichtung.)

Kawaletz: Ich habe
die Erfahrung gemacht

oder wir haben die Erfahrung gemacht,

dass schon allein dieses
„Nur-hier-sein-können“

den Jugendlichen sehr viel bedeutet
und sie da wieder Kraft sammeln können

auch oder die Möglichkeit, neue
Ideen zu entwickeln, wie es weitergeht.

(Ein Raum mit einer großen Sofalandschaft und vielen Schließfächern.)

Viele Sachen können wir nicht leisten.

Wir können keine
Drogentherapie anbieten.

Wir können nicht länger
die Nächte anbieten hier.

Wir können ja nicht in die
Schuldenberatung direkt einsteigen

und da braucht man gute
Kooperationspartner, die das übernehmen,

und wo es eine gute Verbindung gibt

und eine gute Durchlässigkeit
in alle Richtungen.

(Eine Wand mit vielen unterschiedlichen Prospekten der Kooperationspartner.)

In Nürnberg sind wir
eigentlich ganz gut aufgestellt.

Es gibt seit ein paar
Jahren einen von Don Bosco,

also Träger ist dann Don Bosco,

ein sehr gutes Projekt,
das sich „Stellwerk" nennt,

das wirklich von
Übernachtungsmöglichkeiten

bis zu ambulanten Tagesaufenthalten

Vermittlungen Richtung Arbeit
auf eine niederschwellige Art und Weise,

ziemlich viel Angebot hat und
das unsere Arbeit sehr erleichtert.

Ansonsten gibt es ja noch den
„Rampe e. V:“, Streetworker,

die Straßenambulanz,

also wir sind schon
relativ gut vernetzt.

(Kevin im „Offenen Treffbüro“ von Don Bosco.)

Kevin: Im Don, da kannst du
tagsüber hingehen bis abends

um 8...

und am Wochenende
kann man da bis 4 hin.

Dann kannst du auch deine Zeit
vertreiben, da wird dir geholfen,

z. B. Abschluss nachholen
oder wie es bei mir gemacht wird:

Ich bin in der 6. K-Maßnahme, da
lässt mich das Jobcenter in Ruhe

für ein halbes Jahr, aber somit
habe ich dann Luft für den Abschluss,

weil ich habe noch keinen
Abschluss und ich brauche den.

Habe ich jetzt eingesehen.

(Ein weiterer Raum/ Küche der SleepIn Einrichtung.)

Männerstimme: Den
„Place-To-Be“, das war erst mal ...

ich konnte in der Früh um 8 unter der
Brücke aufstehen und konnte da hingehen,

konnte Frühstücken, konnte Mittagessen

und konnte da meine Wäsche
waschen und konnte da duschen gehen.

Hatte da Leute, die sich mit
mir auseinandergesetzt haben,

und da geht es nicht nur um
diesen ganzen rechtlichen Scheiß,

sondern auch einfach bloß

um dich als Mensch.

(Der Mann sitzt draußen auf einem Sofa vor seinem umgebauten Lastwagen.)

Da kannst du als
Mensch einfach mal sein

und da hast du auch mal einen Spot,
wo du einfach mal dich ausruhen kannst.

Da kannst du deinen
fetten Rucksack ablegen

und kannst einfach da sein

und dann,

ja, Fahrradwerkstatt,
Fahrradschrauben

irgendwie beschäftigen, Boxen
gehen, das war echt ganz cool.

Ich habe dann echt
teilweise Tage gehabt,

wo ich 7 Stunden am Boxsack stand

und die Scheiße einfach
hinaus geprügelt habe,

die sich über die Jahre einfach
irgendwie in meinem Kopf eingenistet hat.

Linn: Ich habe mein Essen hier.

Von der Schnorrkohle her passt
es so, reicht vollkommen aus.

Wenn ich Hilfe brauche mit
irgendwelchen Arbeitsamtsgeschichten

oder sonstiges gehe ich
zur Unterstützung hin,

aber...

ansonsten nein. (lacht.)

Kevin: Eigentlich ist mein Plan,
KFZ-Mechatroniker zu werden,

und da recht gut Geld verdienen,

um dann meiner Mom

und meiner Familie
eine Wohnung zu mieten,

aber das ist gar nicht so leicht.

(Kevin sitzt am Schreibtisch vor einem Computer.)

Erst mal eine Schule suchen,
erst mal will ich hier einziehen,

dass ich halt dann nicht
immer um 12 aufstehe,

sondern ich auch hier geweckt werde,

dass ich zur Schule gehen kann
und meinen Abschluss nachholen kann.

Männerstimme: Ich habe jetzt da
eine 20-Stunden-Stelle bei Don Bosco.

Ich war der Trottel, der unter
der Brücke geschlafen hat

und ich arbeite jetzt da.

Mein Eigenheim baue ich gerade, einen
Baum habe ich auch schon gepflanzt.

Erst mal Schule fertigmachen
Kinderpflege fertigmachen,

Erzieher fertigmachen.

Das ist erst mal so das
Wichtige für mich.

Ja, Irgendwann mal eine klasse
Frau kennenlernen und Kinder kriegen.

So, das ist so das Ziel.

Ich will irgendwann alt sein und
auf meiner Terrasse hocken

so auf einem alten abgefuckten
Sofa oder auf einem Schaukelstuhl

und da einfach meinen Enkeln
beim Spielen zugucken können.

Das ist irgendwie so der Traum,
der wird jetzt radikal verfolgt und

aber so die nächsten Schritte sind
erst mal die Ausbildung fertigmachen,

hier mein Eigenheim fertigmachen,

vielleicht meinen Baum
mal ein bisschen umtopfen.

Ja, aber dann.

Kawaletz: Jede politische
oder gesellschaftliche Bewegung

oder Handlung in Richtung
mehr sozialer Gerechtigkeit

und in Richtung Abbau
sozialer Ungleichheit

würde auch Obdachlosigkeit und
auch Jugendobdachlosigkeit ...

verringern.

Da spielen Dinge eine Rolle,

wie Wohnungsbau, sozialer Wohnungsbau

oder einfach ein Wohnrecht
für alle die Möglichkeit,

einen bezahlbareren
Wohnraum zu schaffen.

Man kann sich überlegen, ob so
ein System wie Hartz IV Sinn macht

oder unterstützend wirkt.

Das sind, denke ich,
Themen. Schule, ist ein Thema.

Ist das Schulsystem noch
zeitgemäß oder selektiert`s eher?

Das sind alles Themen,
wenn man die angehen würde,

und da mehr
Chancengleichheit

herstellt,

dann kommt es auch weniger zu
solchen Konflikten oder Situationen,

die dann wiederum zu
einem Bruch mit dem System

und somit zur
Obdachlosigkeit führen.

(Linn sitzt mit anderen Obdachlosen draußen im Dunkeln um ein Lagerfeuer herum.)

Linn: Ich will auf jeden Fall
erst mal so weiterleben, ja,

wie es jetzt so ist.

Mir geht es gut soweit. (lacht)

(leise Musik im Hintergrund.)

Jeder hat so sein eigenes ...

Ziel im Leben und seine
eigenen Vorstellungen

und deswegen, mir geht es so
gut soweit, wenn ich nicht arbeite.

Ich glaube, Arbeit würde mich
kaputtmachen, mich stressen

und ja.

Ich will mein Leben leben, wenn
ich schon auf der Welt bin, so. Lacht.

Aue: Ja, liebe Zuschauer*innen,

das war es schon wieder für
heute von der Medienwerkstatt.

Diesen und viele
andere Beiträge von uns

können Sie auch in
unserer Mediathek sehen

und wir sehen uns an dieser
Stelle dann wieder, hoffentlich

wie immer am kommenden
Sonntag um 19:00 und 21:00 Uhr.

Bis dahin also einen
schönen Abend noch.

Kommen Sie gut durch die Woche
und vor allem bleiben Sie gesund.

Videodeskription: Pfennigparade
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