Online-Videoangebote fristen schon lange kein Nischendasein mehr. Der Bewegtbildmarkt im Internet ist ungemein vielfältig und entwickelt sich mit großer Dynamik. Eine Studie, die diese Entwicklungen und Trends systematisch abbildet, ist der Web-TV-Monitor. TEXT Mathias Birkel
Die Online-Videobranche hat längst ihren eigenen Medien-Award: Schon zum fünften Mal wurde 2015 der deutsche Webvideopreis vergeben. Unter den Gewinnern waren zuletzt auch die Macher von Rocket Beans TV. Der deutschsprachige Livestreaming-Kanal sendet rund um die Uhr Beiträge über Gaming, Popkultur und Nerd-Themen im Internet. Er zeigt, wie innovativ und professionell der Web-Videomarkt mittlerweile ist. Dafür bastelt ein 34-köpfiges Team an Formaten wie Let’s Plays, Talk- oder Gameshows und schickt immer mehr Content ins Netz. Rocket Beans TV nutzt für sein Live-Programm und für aufgezeichnete Sendungen außer der eigenen Website vor allem die Streaming-Plattform Twitch sowie YouTube für den Abruf von Videos on Demand.2015 wurde von der Beratungs- und Forschungsgruppe Goldmedia mit dem Web-TV-Monitor zum vierten Mal Deutschlands umfangreichste Analyse des Web-TV-Marktes erstellt. Die Studie erfasst seit 2010 Marktdaten zur Verbreitung und Nutzung, zu Werbeformen, Reichweiten und Leistungswerten der Web-TV-Branche. Auftraggeber waren die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) und die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK). Basis ist eine sehr umfangreiche Primärdatenerhebung: Alle deutschen Online-Videoanbieter (insgesamt 8.997, davon 7.953 bei YouTube) wurden für die Befragung angeschrieben, darunter erstmals auch die größten You-Tube-Kanäle in Deutschland, über die es bislang keine vergleichbare Analyse gibt.
YOUTUBE ALS DOMINIERENDE PLATTFORM
YouTube-Videos erreichen Monat für Monat Millionen von Abrufen und Abonnenten auf ihren Kanälen. Die erfolgreichsten Macher dieser Videos sind in ihrer zumeist sehr jungen Zielgruppe bereits Stars. Top-YouTube-Angebote wie BibisBeautyPalace oder Dner erreichen dreißig bis vierzig Millionen Abrufe pro Monat, Musikkanäle wie DigsterPop von Universal Music oder Kontor-TV sogar bis zu sechzig Millionen. Fast alle Web-Videosender bieten ihren Nutzern Inhalte on Demand. Die allermeisten Anbieter (92 Prozent der in der Studie Befragten mit Abruf-Angebot) setzen dafür auf YouTube als Plattform. Aber auch Facebook hat für die Videodistribution an Bedeutung gewonnen und wird inzwischen von 61 Prozent der Anbieter genutzt. Parallel wächst ein anderes Phänomen: Live-Angebote nehmen deutlich zu. Sie sind laut Analyse inzwischen bei zwölf Prozent der Angebote im Einsatz. Die eigene Website ist dafür aktuell die wichtigste Distributionsplattform, da sich dort bislang noch kein externes Portal als Standardplattform durchsetzen konnte, wie es bei YouTube für Videos auf Abruf der Fall ist. Beim Livestreaming teilen sich bislang neben YouTube sehr unterschiedliche Angebote den Markt: zum Beispiel Social-Video-Gaming-Plattformen wie Twitch, mobile Angebote wie Periscope (von Twitter) oder Video-Chat-Portale wie YouNow.
EIGENPRODUKTIONEN IM TREND
Der inhaltliche Anspruch der Anbieter ist häufig ambitioniert: Der größte Teil der befragten Web-TV-Sender (86 Prozent) setzt auf Eigenproduktionen. Aktuelle Informationen sind dabei der wichtigste Content-Bereich vor Unterhaltung und Service. Die beliebtesten Formate bei YouTube sind Tutorial/Kurzanleitung (How-to), Videoblog/Follow me around und Comedy. Ein großer Teil der Online-Videonutzung erfolgt – vor allem bei YouTube – über mobile Endgeräte. So kamen 2015 nach Angabe der befragten YouTube-Macher schon 52 Prozent der Abrufe auf mobilem Wege, vor allem via Smartphone und Tablet. Über PC waren es nur noch 38 Prozent. Bis zum Jahr 2020 erwarten die YouTuber fast drei Viertel (74 Prozent) mobile Abrufe.
Der hohe Nutzerzuspruch beim Web-TV kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wirtschaftlichkeit vieler Angebote immer noch gering ist – mehr als die Hälfte der Anbieter arbeitet nicht kostendeckend. Nur 16 Prozent der Befragten gaben an, dass sie einen Gewinn erwirtschaften. Gegenüber 2015 rechnen die Befragten für 2016 mit einer Steigerung der Abrufzahlen um rund achtzig Prozent. Für die nächsten fünf Jahre erwarten sie sogar eine Versiebenfachung. Dass die Stimmung im Markt positiv ist, signalisiert auch das Werbewachstum.
Goldmedia prognostiziert, dass die Nettowerbeumsätze deutscher Online-Video angebote von 356 Millionen Euro (2015) auf rund 465 Millionen Euro bis Ende 2016 steigen – ein Plus von 31 Prozent. Bis 2021 soll das Volumen des Online-Video-Werbemarktes auf 963 Millionen Euro wachsen.
WEB-TV IST DAS NEUE FERNSEHEN
Bei der Frage nach dem wichtigsten Entwicklungsfaktor wünschen sich die meisten der befragten Anbieter (82 Prozent) leistungsfähigere Breitbandnetze – vor allem im Festnetz (DSL, Kabel, Glasfaser). Als größtes Problem nennen 62 Prozent die begrenzten Datenvolumina der Mobilfunkverträge. Dennoch sind sich viele Marktteilnehmer sicher, dass sich die Gattung Online-Video schnell als neue Fernsehform etablieren wird: Mehr als die Hälfte der befragten Anbieter des Web-TV-Monitor 2015 (58 Prozent) stimmte der These zu, dass Online-Videos dem klassischen Fernsehen bis 2020 den Rang ablaufen werden. Ob dies so kommt, bleibt abzuwarten. Sicher aber ist: Eine ernstzunehmende Ergänzung zum klassischen, linearen TV sind Online-Videoangebote schon heute – und vor allem für junge Zielgruppen häufig jetzt schon wichtiger.
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