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Im Internet entscheiden zunehmend sogenannte Informationsintermediäre wie Google oder Facebook darüber, wer wann und wie welche Nachrichten erhält. Bedeutet das eine Gefahr für Informationsgesellschaft und Meinungsvielfalt?

Text Matthias Kurp

Printmedien und klassisches Fernsehen – oder gar Radiosendungen? Für viele Rezipienten aus der Generation der Digital Natives und Millennials sind das Museumsstücke einer analogen Medienepoche, die sich ihrem Ende zuneigt. Nachrichten und Informationen, die nicht per Facebook oder Twitter, WhatsApp oder Snapchat publiziert, geteilt, weitergeleitet oder kommentiert werden, können die Zielgruppe junger Nutzer kaum noch erreichen. Die sogenannte Generation Y, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurde, informiert sich überwiegend online. Wirklichkeit wird so zum Konstrukt dessen, was über das Internet via Smartphone, Tablet oder Computer-Display an Realität vermittelt wird.

Wie aber werden Nachrichten und Informationen eigentlich online verbreitet? Die meisten News erreichen uns im Internet nicht direkt vom Urheber – also von Verlagen oder Journalisten –, sondern werden vermittelt, sortiert, kuratiert oder gefiltert: per Suchmaschine oder Social Network. Vor allem Google und Facebook haben sich im weltweiten Informationsstrom zu Schleusenwärtern entwickelt. Kommunikationswissenschaftler beschreiben diese Rolle als die von Gatekeepern oder Informationsintermediären. Der Begriff Intermediär stammt vom lateinischen Wort intermedius, was so viel bedeutet wie „der Dazwischenliegende“. Wirtschaftlich betrachtet vermitteln Intermediäre bestimmte Leistungen zwischen (Tausch-)Partnern. Besteht beispielsweise bei Suchmaschinen-Nutzern eine Nachfrage nach Inhalten und bei Zeitungsverlagen (und der Werbewirtschaft) eine Nachfrage nach Kundenbeziehungen, kann Google zwischen beiden Seiten vermitteln. Informationsintermediäre stellen online Informationen für Rezipienten zur Verfügung. Die Anbieter dieser Informationen erhalten im Gegenzug Werbekontakte. Solche Prozesse funktionieren in der Internetökonomie nicht nur für Suchmaschinen, sondern auch für Anbieter von sozialen Online-Netzwerken oder News-Apps.

ZWEISEITIGE MÄRKTE

Informationsintermediäre machen gleich auf zwei Märkten Umsatz: So erzielen etwa Facebook und Google Erlöse einerseits durch die Vermarktung eigener Werbung und erhalten andererseits Geld, weil sie an den Werbeeinnahmen fremder Inhalte (zum Beispiel bei Instant Articles) beteiligt werden oder diese vermarkten (zum Beispiel bei Google AdWords). Zugleich verändern Intermediäre zurzeit systematisch die Rollenverteilung der Informationsgesellschaft: Klassische Medienanbieter sind nämlich darauf angewiesen, mit Google oder Facebook zusammenzuarbeiten, wollen sie im Internet Reichweiten erzielen, die befriedigende Werbeeinnahmen sichern.

Für viele Medienunternehmen könnten Intermediäre die Erosion klassischer Geschäftsmodelle forcieren. Während etwa Zeitungen mit ihren Papierausgaben Einnahmen sowohl auf dem Lesermarkt (Abonnement, Kiosk) als auch auf dem Werbemarkt erzielen, bleiben im Internet für die meisten Verlage nur Werbeeinnahmen und der wirtschaftliche Druck, mit Intermediären zusammenzuarbeiten. Entsprechende Umsätze müssen etwa im Fall von Facebooks Service Instant Articles auch noch mit dem Anbieter des weltweit größten sozialen Online-Netzwerkes geteilt werden. Der Intermediär verdient so an fremden Inhalten, muss keine eigenen publizistischen Beiträge finanzieren und kann obendrein die Nutzerdaten sammeln, während viele Anbieter journalistischer Online-Angebote ihre direkten Kunden-Beziehungen und damit wertvolle Nutzerdaten verlieren.

FILTER BUBBLE UND ECHO-KAMMER?

Informationsintermediäre aber verschieben nicht nur die wirtschaftliche Tektonik der Medienbranche. Sie verändern auch die Art, in der sich Menschen informieren und eine Meinung bilden. Im Internet gilt nämlich, dass sehr viele Nutzer kaum aktiv nach aktuellen Informationen suchen, sondern vor allem das wahrnehmen, was ihnen die News-App aufs Display schickt, was Facebook in die Timeline integriert oder was Google ganz oben im Page-Rank-System platziert. Vor allem Google und Facebook servieren mit ihren Algorithmen zunehmend einen personalisierten News-Cocktail, dessen Zutaten zwar von klassischen Medienanbietern stammen. Doch auf das Angebot der digitalen Nachrichtenmenüs, das die Leser erreicht, haben die Urheber journalistischer Inhalte immer weniger Einfluss. Die Folge: Öffentliche Agenda und öffentliche Meinung werden weniger von dem geprägt, was Journalisten aufgrund von professionellen Nachrichtenfaktoren für relevant halten, sondern von dem, was Filter-Algorithmen den Nutzern anbieten. Problematisch dabei ist, dass beispielsweise Facebook nicht etwa das öffentliche Interesse als Maßstab für die Selektion von Nachrichten betrachtet. Vielmehr basiert der Algorithmus auf einer ökonomischen Logik, die vor allem viele Klicks zum Ziel hat.

Für die Meinungsbildung in der Demokratie könnten Informationsintermediäre aus zwei Gründen zum Risiko werden: Einerseits droht eine Priorisierung bestimmter Inhalte oder Anbieter, während andere diskriminiert werden. Andererseits stellen die Algorithmen von Suchmaschinen oder Social Media immer diejenigen Informationen in den Vordergrund, von denen vermutet wird, dass sie für bestimmte Nutzer am relevantesten sind. Dabei wird die Relevanz von den Inhalten oder Kontakten abgeleitet, die von Rezipienten zuvor genutzt wurden. Die mögliche Folge: Die eigene Perspektive jedes Nutzers wird verstärkt, während zugleich andere Perspektiven ausgeblendet werden. Solche Filter-Bubble- oder Echokammer-Effekte schränken die Medien- und Meinungsvielfalt ein, verhindern einen gesellschaftlichen Diskurs und verzerren die Wahrnehmung. Schließlich machen solche Entwicklungen die Kommunikationsgesellschaft anfällig für Verschwörungstheorien und Fake News.

MANIPULIERTES MEINUNGSKLIMA

Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Kantar TNS ermittelte 2016 im Auftrag der Landesmedienanstalten, dass täglich 57 Prozent aller Online-Nutzer in Deutschland mindestens einen Intermediär nutzen, um sich über das aktuelle Zeitgeschehen in den Bereichen Politik, Wirtschaft oder Kultur zu informieren. Dafür werden Suchmaschinen am häufigsten eingesetzt (40 %), gefolgt von sozialen Online-Netzwerken (30 %), Videoportalen und Instant Messengern (je ca. 9 %). Kommunikationsforscher stehen bei der Bewertung der Folgen von Informationsintermediären noch ganz am Anfang. Zwar gewinnen Facebook, Google, YouTube & Co. an Bedeutung. Doch spielen beim Meinungsbildungsprozess zahlreiche weitere Faktoren – von Persönlichkeitsmerkmalen über das soziale Umfeld bis zu unbewusst ablaufenden psychischen Wirkungsprozessen – eine Rolle, sodass die gefürchteten Filterblasen leicht zerstochen werden können. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kamen Medienforscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bei einer Studie, die im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) erstellt wurde.

Auch wenn Facebook die Vermeidung der Wahrnehmung kontroverser Standpunkte erleichtere, seien „Voraussetzungen für Filterblasen nicht gegeben“, urteilten die Wissenschaftler und bezeichneten den Anteil algorithmisch gesteuerter Informationen am gesamten Informationsrepertoire als „überschaubar“. Allerdings zeigte sich im Rahmen der Studie auch, dass bei Facebook gruppendynamische Kommunikationsprozesse auftreten, die dazu führen können, dass ein als allgemein angenommenes Meinungsklima falsch beurteilt wird. Mögliche Gefahren dieser von Social Bots und Falschmeldungen flankierten Entwicklung: ein „Nährboden für Echokammer-Effekte“ und „interessengeleitete Desinformation“.

GOOGLES GROSSE MEDIENMACHT

Und was ist mit Google? Angesichts eines Marktanteils von mehr als neunzig Prozent prägt der Suchmaschinen-Marktführer als Vermittler von Inhalten zumindest indirekt die öffentliche Meinung. Welche Nachrichten wem nach welchen Kriterien offeriert werden, entzieht sich jeglicher öffentlichen Kontrolle. Der Suchalgorithmus von Google basiert nach Angaben des Unternehmens auf etwa 200 Kriterien, die etwa 18.000 Mal pro Jahr modifiziert werden. Empirische Daten belegen, dass das erste von einer Suchmaschine aufgeführte Ergebnis etwa doppelt so oft angeklickt wird wie das zweite. Das dritte Ergebnis in Googles Page-Rank-System erreicht nur noch ein Drittel so viele Klicks wie das erste. Alle anderen Suchergebnisse werden fast gar nicht mehr wahrgenommen. Angesichts solcher Erkenntnisse wird die oft beschworene Vielfalt im Internet schnell zu einer bloß theoretischen Größe.

Dass die Algorithmen der Informationsintermediäre einen wachsenden Einfluss auf die Herstellung von Öffentlichkeit, auf die Konstruktion von Medienrealität und auf unsere soziale Wirklichkeit haben, ist evident. In dem Maße, in dem Intermediäre Informationen personalisieren, selektieren und indexieren sowie Relevanz-Bezüge aufweisen, werden sie zu aktiv Beteiligten am Prozess öffentlicher Meinungsbildung – auch wenn sie (noch?) keine eigenen journalistischen Inhalte anbieten. Für die Medienregulierung in einer offenen Gesellschaft bedeutet das eine besondere Herausforderung.


In|ter|me|di|är
Substantiv [der]
Vermittler zwischen wirtschaftlichen Akteuren. Im Online-Bereich filtern, sortieren und verteilen Informationsintermediäre Nachrichten so, dass Nutzer personalisierte Informationen erhalten und Inhalteanbieter größere Reichweiten und damit höhere Werbeerlöse erzielen.

Fil|ter Bub|ble
Substantiv [die]
Vom Internetaktivisten Eli Pariser eingeführter Begriff, der den Effekt einer Filterblase beschreibt, wenn Nutzer im Internet aufgrund von Algorithmen auf gleichartige Informationen stoßen (Echokammer-Effekt). Dadurch werden Perspektiven ausgeblendet, die vermeintlich nicht zu den Ansichten einzelner Nutzer passen.


Foto: rosepistola.de
Doggygraph/Shutterstock.com
Porträt: Uwe Völkner/FOX

Bild Matthias Kurp
Dr. Matthias Kurp ist Professor im Fachbereich Journalismus/Kommunikation der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln. Zuvor arbeitete er freiberuflich als Medienforscher und Journalist (Print, Online, TV, Hörfunk).
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