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Gefährliches Gift aus der Grauzone
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Gefährliches Gift aus der Grauzone

Es ist nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Online-Nutzerinnen und Nutzer, der aber ist sehr laut: Pöbler und Hassprediger machen im Internet eine kleine, aber oft gut organisierte Minderheit aus, die es immer wieder schafft, öffentliche Debatten zu prägen.

Text Nora Frerichmann

Hate Speech ist in Deutschland kein eigenständiger Straftatbestand. Menschenverachtende Äußerungen gegen Einzelne oder Gruppen, die im Internet wegen Eigenschaften wie ihrer Herkunft, Hautfarbe, oder Sexualität, ihres Geschlechts oder Alters, ihrer Behinderung, Religion oder politischen Haltung verbal angegriffen werden, sind nicht immer justiziabel. Dafür müssen die Postings straf- oder zivilrechtlich relevant sein, etwa wegen Volksverhetzung, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten, Beleidigung, Verleumdung, Nötigung oder Bedrohung. Jenseits davon existiert eine gefährliche Grauzone für vieles, das öffentliche Meinungsbildung vergiften kann.

Fragile Balance

In vielen Fällen führen Äußerungen im Internet zu einem schwierigen Spagat, einer Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Straftaten auf der einen und Meinungsfreiheit auf der anderen Seite. Die Balance ist wichtig, kann wegen der durch die digitale Kommunikation sichtbaren Masse an Hass und Hetze aber auch dazu führen, dass Menschen sich eingeschüchtert fühlen und aus dem Diskurs zurückziehen. Laut einer Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena (IDZ) bringen mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) wegen Hate Speech oder aus Angst davor seltener ihre politische Meinung in Online-Diskussionen ein. Die Meinungsfreiheit der einen schränkt damit gewissermaßen die Freiheit anderer ein.

Betroffene kritisieren, dass juristische Verfahren noch zu oft ohne Konsequenzen für die Täter bleiben. Diese Erfahrung hat auch der Journalist und Autor Hasnain Kazim gemacht. Die Verfahren aufgrund seiner bisher gestellten Strafanzeigen wurden alle eingestellt, weil entweder der Verfasser nicht ermittelt werden konnte oder weil die Verdächtigen ihre Schuld mit Verweis auf eine Mehrfachnutzung des Computers zurückwiesen. Wenn Betroffene gegen Hass vorgehen, müssen sie oft Gerichtskosten vorstrecken und Anwaltskosten zahlen. Dieses Risiko können und wollen viele nicht eingehen. „Im November und Dezember habe ich etwa 15 Morddrohungen am Tag bekommen“, sagt Hasnain Kazim und rechnet vor: „Das wären ja an die 60.000 Euro pro Tag, die ich vorstrecken müsste für zivilrechtliche Prozesskosten. Woher soll ich das nehmen?“

Gesetz gegen Hasskriminalität

Das Bundeskabinett reagierte Ende 2019 mit dem Entwurf eines Gesetzespaketes zur Ahndung von Hasskriminalität. Während das 2017 verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz dafür sorgen soll, dass rechtswidrige Inhalte gelöscht werden, sieht der Entwurf für die neuen Regelungen beispielsweise vor, Beleidigungen im Internet als öffentlich anzusehen, Strafen etwas zu verschärfen und die Verfolgung Verdächtiger zu vereinfachen. Facebook & Co. sollen strafbare Postings künftig nicht mehr nur löschen, sondern in schweren Fällen auch dem Bundeskriminalamt (BKA) melden. Der Bundesrat setzt sich zudem dafür ein, Anbieter sozialer Online-Netzwerke zu verpflichten, Strafverfolgungsbehörden Auskünfte über Urheber von Hass-Postings zu geben.

Gesetzesverschärfungen allein bieten nach Ansicht von Tobias Gostomzyk allerdings keine Lösung. Er warnt vor Überregulierung: „Das Recht ist letztlich kein Allheilmittel gegen Hassrede“, sagt der Medienrechtsprofessor von der TU Dortmund. Stattdessen schlägt er vor, verschiedene Online-Kommunikationsräume stärker zu trennen. Der Eindruck einer allgegenwärtigen Hassrede entstehe auch durch eine unübersichtliche digitale Öffentlichkeit.

Einen Ansatzpunkt sieht er darin, unterschiedliche Standards für einzelne digitale Öffentlichkeitsräume und deren Kommunikationsarten einzuführen. „Je nachdem, ob es sich zum Beispiel um journalistische, wissenschaftliche oder private Kommunikation oder einen Rotlichtbezirk handelt, sind abgestufte Regeln sinnvoll“, erklärt Gostomzyk. So könne, wie im analogen Leben, auch online wieder stärker zwischen privater und Massenkommunikation getrennt werden, statt das ganze Internet strenger zu regulieren.  

Medienanstalten mit Initiativen gegen Hate Speech

Um das World Wide Web mit seinen aktuellen Regeln nicht den Hetzern zu überlassen, haben sich verschiedene Initiativen gebildet. So unterstützt HateAid Opfer von Hate Speech seit Sommer 2019 rechtlich und psychologisch. Die Organisation klagt Schadenersatz und Schmerzensgeld ein, trägt die Kosten für Anwälte und das Prozessrisiko, etwa im vielbeachteten Fall von Renate Künast. Die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen war mit ihren Klagen gegen Beschimpfungen wie „perverse Drecksau“ oder „Stück Scheiße“ zunächst juristisch gescheitert. Mittlerweile haben Land- und Kammergericht Berlin die Entscheidung in zwölf Fällen geändert und sie als Beleidigung eingestuft.

Initiativen gegen Hassrede verfolgen auch verschiedene Medienanstalten, zum Beispiel mit Projekten wie Verfolgen statt nur löschen (Landesanstalt für Medien NRW und mabb), Verfolgen und Löschen (Medienanstalt Rheinland-Pfalz), Resignation ist keine Option (Brema), Doppeleinhorn (LMS) oder Justiz und Medien – konsequent gegen Hass (BLM und Bayerisches Justizministerium). Die BLM-Initiative richtet sich bewusst an Medienhäuser. Sie soll Redaktionen helfen, Hassrede unkompliziert an Staatsanwaltschaften zu melden. In Bayern beteiligen sich laut Justizministerium etwa 65 Unternehmen aktiv daran. Bislang konnten bereits mehr als hundert Prüf- und Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Eine erste Evaluation des Projekts ist für Sommer 2020 geplant.

Wenig Gegenwehr

Neben juristischer Verfolgung spielen aber auch Medienkompetenz und Engagement der digitalen Gesellschaft eine Rolle. Laut einer Umfrage der Landesanstalt für Medien-Nordrhein-Westfalen von 2019 positioniert sich lediglich ein Viertel (24 Prozent) der Befragten kritisch gegen Hate Speech und antwortet auch darauf. „Viele sagen noch nichts, weil sie sich nicht trauen, weil sie Angst haben oder weil sie nicht wissen wie“, sagt Hasnain Kazim, der sich seit Jahren öffentlich gegen Angriffe wehrt (siehe Interview „Ein hoher Preis, den man zahlt“): „Denen möchte ich einen Impuls geben, den Mund aufzumachen.“

Artwork: rose pistola
Unsplash.com: Dmitriyi, Nathan Dumlao; iStock.com/South_agency, koya979/Shutterstock.com
Porträt Nora Frerichmann: privat

Bild Nora Frerichmann

Nora Frerichmann ist Medienjournalistin in Köln. Sie arbeitet unter anderem für die Medienkolumne »Altpapier«, den MDR und die Nachrichtenagentur epd. Sie studierte Journalistik und Amerikanistik an der TU Dortmund.

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