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Medienrat: Berichte des Vorsitzenden / des Präsidenten

Bericht des Präsidenten

16.05.2002 | 5R 9

Inzwischen liegt uns ein Diskussionsentwurf der Länder für einen Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag - JMStV) vor. Diesen Entwurf halte ich, um dies gleich vorweg zu sagen, in seiner jetzigen Grundstruktur und in seiner prinzipiellen Veränderung, gegenüber der heutigen Rundfunkaufsicht unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Jugendschutzes nicht für akzeptabel. Aus einer Reihe von Gesprächen weiß ich, dass bei entscheidenden Grundsatzfragen des zukünftigen Jugendmedienschutz-Staatsvertrages eine feinsinnige, tiefschürfende und juristische Interpretationsdiskussion stattfindet, die in einem krassen Gegensatz zur Notwendigkeit steht, klare Jugendschutzregelungen zu treffen. Wir haben von Anfang an die Reformabsicht der Politik so verstanden, dass angesichts der Konvergenz der Medien, Stichwort "Einbeziehung des Internets", mehr Effizienz im Jugendschutz gewährleistet sein muss und dass dies die Idee des Reformvorhabens ist. Wenn man sich nun die vorliegenden Texte genau anschaut, wird nach unserer festen Überzeugung dieses Ziel nicht erreicht. Dabei erinnere ich nochmals an den hohen Stellenwert, den der Jugendschutz in unserer Verfassung genießt. Jugendschutz ist eine Staatsaufgabe von Verfassungsrang. Eine Verlagerung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Staatsaufgabe Jugendmedienschutz, weg von den Landesmedienanstalten mit ihren gruppenpluralen Entscheidungsgremien hin zu privatrechtlich organisierten Stellen, ist in einer so weitgehenden Form, wie das der neueste Text tut, in jedem Fall auch verfassungsrechtlich problematisch. Gerade die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend sind nach Artikel 5 Abs. 2 Grundgesetz zulässige Schranken der Rundfunkfreiheit, also der Veranstalterfreiheit und ihrer Programmgestaltungsfreiheit. Die im Diskussionsentwurf vorgesehenen freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen sind privatrechtlich organisiert und werden von den privaten Ver-anstaltern finanziert. Damit ihre Entscheidungen Bindungswirkung erhalten, bedürfen Sie zwar der Anerkennung durch die neue Kommission Jugendmedienschutz (KJM) - ich habe bereits darüber berichtet - unterliegen aber ausdrücklich keiner (ständigen) Aufsicht. Der Entwurf sieht zwar bestimmte Anforderungen an Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle vor, zum Beispiel eine Zertifizierung, das ändert aber nichts daran, dass die Freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen der privaten Sphäre verhaftet und organisationsrechtlich prinzipiell dem Bereich der Veranstalter zurechenbar bleiben.

Das im Diskussionsentwurf vorgesehene Aufsichtsmodell unterscheidet sich prinzipiell von der heutigen Aufsichtsstruktur für das Leitmedium Fernsehen, die durch staatsvertragliche Regelungen im Laufe der Jahre entwickelt worden ist. Es findet ein Paradigmenwechsel im Jugendmedienschutz statt, der folgende Auswirkungen hat:

Anders als bisher entscheiden zukünftig die Sender selbst über Sendezeiten bei bestimmten Altersfreigaben durch die FSK.

  • Bisher müssen Ausnahmen von Altersfreigaben durch die Landesmedienanstalten genehmigt werden. Das sind etwa 300-400 Filme pro Jahr.
  • Im neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag wollen die Länder zukünftig keinerlei Zeitgrenzen für vorgesperrte Sendungen mehr aufrecht erhalten.

Dabei haben die Ergebnisse im Praxistest II belegt, dass die Jugendschutzeignung der Vorsperre noch nicht sicher bejaht werden kann und dass es deshalb nach wie vor notwendig ist, so wie es heute durch Satzung der Landesmedienanstalten möglich ist, je nach Erfolgsergebnissen und technischen Entwicklungen steuernd einzugreifen. Wir wissen, dass 20 % der 14- und 15-Jährigen den Pin-Code also den Code zur Entsperrung der Vorsperre kennen. Ganz praktisch bedeutet das, dass diese Kinder künftig auch schwer jugendgefährdende und indizierte Filme im Tagesprogramm sehen können.

  • Über die Ausstrahlung indizierter Filme entscheiden zukünftig die Veranstalter selbst im Zusammenwirken mit einer freiwilligen Selbstkontrolleinrichtung. Zur Zeit gibt es Ausnahmen vom generellen Ausstrahlungsverbot nur durch Entscheidung der Landesmedienanstalten und zwar dann, wenn ein Film nicht schwer jugendgefährdend ist. Im vergangenen Jahr haben verschiedene Fernsehveranstalter Anträge zur Ausstrahlung indizierter Filme gestellt, wie beispielsweise für die Filme "American Fighter III Die blutige Jagd", "Basket Case 2 - da bin ich wieder", "Fist of the North Star" "Steel Frontier, "New Crime City", "Hard to die", "Skinner - Lebend gehäutet".

    Die Ausstrahlung all dieser Filme wurde von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) befürwortet, von den Landesmedienanstalten wegen überaus brutaler Ge-waltdarstellungen aber nicht zugelassen. Mit den neuen Regelungen können diese Filme im Fernsehen erst einmal ausgestrahlt werden.

Über eine Reihe von Jahren war die Politik der Auffassung, das hat sich in verschiedenen Novellierungen der Rundfunkstaatsvertrages niedergeschlagen, dass ein wichtiges Sanktionsinstrument, um die Sender zur Einhaltung des Jugendschutzes zu veranlassen, die Androhung von Bußgeldern ist. Gerade erst in der letzten Novellierung, die vor zwei Jahren wirksam geworden ist, wurde der Rahmen für Bußgelder auf heute 500.000 Euro erhöht. Die jetzt vorgesehene einschlägige Bestimmung lautet, ich zitiere: "Hat sich ein Anbieter einer anerkannten Einrichtung der Selbstkontrolle angeschlossen und deren Vorgaben beachtet, so ist die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit ausgeschlossen." Damit wird dieses Instrumentarium eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens praktisch beseitigt, obwohl wir in der rechtspolitischen Diskussion immer wieder darauf hingewiesen haben, dass es zur Durchsetzung von Bußgeldern rechtlicher Nachbesserungen bedarf.

Wie ein roter Faden zieht sich durch die gesamten Regelungen die völlige Gleichstellung der zukünftigen Aufsichtsinstanz KJM mit den Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle. Letztlich können diese Entscheidungen der Freiwilligen Selbstkontrolle nicht mehr umfassend überprüft und inhaltlich anders gesehen werden, sondern es gibt eine weitgehende Bindungswirkung der KJM an die Entscheidungen der Freiwilligen Selbstkontrolle. So wird auch eine Beanstandung im Einzelfall bei einer vorliegenden anders lautenden Entscheidung der Freiwilligen Selbstkontrolle durch die KJM kaum noch möglich sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte dies nochmals auf den Punkt bringen: Es geschieht ein Paradigmenwechsel, Veranstalter entscheiden mit Freiwilliger Selbstkontrolle zusammen. Es wird dann zunächst einmal auch in problematischen Fällen , - das ist zu erwarten nach unseren praktischen Erfahrungen -, gesendet. Bußgelder können dann nicht mehr verhängt werden, wenn die Freiwillige Selbstkontrolle einbezogen ist. Und ein umfassendes Beanstandungsrecht mit einer eigenen inhaltlichen Bewertung durch die KJM möglicherweise in Abweichung von Entscheidungen der Selbstregulierung ist ebenfalls ausgeschlossen. Die KJM kann im wesentlichen nur eine formale Prüfung übernehmen, aber nicht abweichend inhaltlich in die Bewertung einsteigen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass man so den Jugendschutz für das Fernsehen nicht effizient regeln wird, und dass es hier ein hohes Risiko gibt für die Durchsetzung des Jugendschutzes im Fernsehen. Die Erweiterung und Ausdehnung der Aufsicht auf das Internet kann doch im Ergebnis nicht dazu führen, dass die Aufsicht im Fernsehen prinzipiell verkürzt und um ihre Effizienz gebracht wird. Dabei ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die Länder mit einer erweiterten Aufsicht den neuen Gefährdungspotenzialen für den Jugendschutz Rechnung tragen wollen. Ich begrüße auch ausdrücklich, dass die Entscheidung des Bundeskabinetts zur Neuregelung des Jugendschutzgesetzes eine enge Verzahnung zwischen der Bundesprüfstelle, die gestärkt wird, und der zukünftigen KJM vorsieht. Ich denke hier ist man auf dem richtigen Weg.

Die Sorgen über die jetzt erfolgte problematische Weichenstellung beim Fernsehen haben nicht nur wir hier in der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, sondern es gibt eine Reihe von Resolutionen der Landesmedienanstalten zu diesem neuen Entwurf, die alle gemeinsam davon ausgehen, dass der Paradigmenwechsel von der staatlichen Aufsicht hin zur privaten Selbstkontrolle in dieser Form nicht zu akzeptieren ist. Solche Resolutionen haben die Landesmedienanstalten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie die unabhängige Landesmedienanstalt für das Rundfunkwesen in Schleswig Holstein gefaßt. Sie sehen, die Sorgen um die Zukunft des Jugendschutzes weit über die bayerische Bewertung hinaus, hat viele erfaßt. Ich appelliere dringend an die Politik die notwendigen Veränderun-gen an dem vorgelegten Entwurf vorzunehmen, um das hohe Rechtsgut Jugendschutz nicht zu gefährden.