Cookie Hinweis

Suche

Tendenz

Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien

Was können wir, was Maschinen nicht beherrschen?
zur Übersicht aller ArtikelAlle Artikel zur Übersicht aller AusgabenAlle Ausgaben

Was können wir, was Maschinen nicht beherrschen?

Künstliche Intelligenz, vor allem der Einsatz generativer KI, wird vieles verändern: Die Diskussion darüber bewegt sich seit der Veröffentlichung von ChatGPT irgendwo zwischen Verklärung und apokalyptischen Szenarien. Welche Potenziale und Risiken birgt KI für die Medienbranche und den Journalismus? Für unseren Autor ist klar: Guter Journalismus wird noch wichtiger werden.

Ein Essay von Simon Hurtz

Gute Texte, so wird es an Journalistenschulen gelehrt, beginnen mit einem Erdbeben. Dann steigern sie sich langsam. Dieser Text beginnt mit einem Schlag in die Magengrube: Künstliche Intelligenz (KI) wird Journalistinnen und Journalisten arbeitslos machen. Nicht alle, aber manche. Vielleicht trifft es auch Menschen, die gerade diese Sätze lesen. Das liegt nicht an der vermeintlichen Überlegenheit der Maschinen. Was generative KI ausspuckt, hat bislang wenig mit Journalismus zu tun. Mal wieder ist das Problem nicht die Technik, sondern Menschen, die Technik instrumentalisieren. In diesem Fall sind es Manager, die Menschen durch Maschinen ersetzen wollen. Für diese Erkenntnis muss man nicht der Glaskugel von Goldman Sachs vertrauen. Mit fragwürdiger Methodik orakeln die Analysten, dass 300 Millionen Jobs wegfallen könnten. Es braucht keine Warnungen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), die vor allem hochqualifizierte Kopfarbeiter bedroht sieht. Das KI-Beben liegt weder in der Zukunft noch in den USA. Es hat bereits begonnen, und zwar bei einem deutschen Digitalunternehmen, das vielen immer noch als Verlag gilt.

Kein Stellenabbau in Redaktionen durch KI? Ein hehres, aber unrealistisches Ziel

„Journalismus wird durch generative künstliche Intelligenz entweder besser oder zerstört“, so Mathias Döpfner auf einer Veranstaltung im Mai. Einen Monat später wurde klar, dass beim Medienkonzern Axel Springer massiv Stellen abgebaut werden sollen. Man müsse sich leider von Kollegen trennen, deren Aufgaben durch KI und andere digitale Prozesse ersetzt würden, schrieb Döpfner in einer internen E-Mail. „Das klingt brutal, und das ist es auch“, sagte Bild-Chefin Marion Horn.

In der Medienbranche gibt es bislang keine vergleichbaren Fälle. Gewerkschaften, Verbände und Verlage sind sich ausnahmsweise einig: KI darf Redakteurinnen und Redakteure nicht ersetzen. Das ist ein hehres Ziel, aber leider unrealistisch. Es wird nicht lange dauern, bis andere Medienhäuser nachahmen, was Springer, IBM oder British Telecom vorgemacht haben. Sie werden ohnehin geplante Sparmaßnahmen als „KI-Offensive“ verkaufen. Noch nie konnte man Stellen abbauen und dabei gleichzeitig so modern wirken. Den Betroffenen dürfte es egal sein, warum sie ihren Job verlieren.

Potenziale und Grenzen von KI

Für einen realistischen Blick auf das Potenzial und die Grenzen von KI in der Medienwelt ist es wichtig, genauer hinzusehen. Kein Sprachmodell kann so gut und zuverlässig recherchieren, schreiben oder layouten wie ein Mensch, weder heute noch in fünf Jahren. Dafür hat KI aus Sicht der Manager einen anderen Vorteil: Sie streikt nicht, gründet keine Betriebsräte und arbeitet rund um die Uhr. Maschinen müssen Menschen nicht gleichwertig ersetzen, sie müssen nur gut genug sein, damit das Ergebnis mit Journalismus verwechselt werden kann.

Wo Medienunternehmen diese Schmerzgrenze ziehen, wird die Zukunft der gesamten Branche prägen. Dabei geht es nicht nur um Ökonomie, sondern auch um Moral. Technologischer Fortschritt trifft auf eine Branche, die fürchtet, mal wieder den Anschluss zu verpassen. Gerade viele Verlage haben zu spät erkannt, wie stark das Internet ihr Geschäftsmodell bedroht. Dann kamen Soziale Medien: Manche hielten Facebook für die Rettung des Journalismus, nur Mark Zuckerberg hatte andere Ziele. Jetzt rollt die dritte Welle, und diesmal wollen alle mitsurfen.

Doch die Wucht, mit der die KI-Flut heranrauscht, könnte manche Medien unter sich begraben. Wodurch unterscheiden sie sich noch von Textautomaten wie ChatGPT, die in Sekundenbruchteilen ganze Überschriften, Meldungen und Essays ausspucken? Wer bezahlt Geld für Inhalte, wenn Chatbots auf fast jede Frage eine Antwort wissen, die zumindest überzeugend klingt? Wie und wo suchen Menschen künftig nach Nachrichten und Informationen? Wie wird deren Wahrheitsgehalt überprüft? Und vor allem: Wie lange werden Medienhäuser der Versuchung widerstehen, journalistische Kernaufgaben an KI auszulagern? Eines ist sicher: Künstliche Intelligenz wird die Gesellschaft transformieren, vor allem die Art und Weise, wie wir arbeiten (vgl.Interview).

Leitlinien für den Einsatz von KI erforderlich

Wer nicht mitgerissen werden möchte mit der KI-Flut, muss Staudämme bauen, Leitlinien für den Einsatz von KI im Journalismus (vgl. Leitlinien des BLM-Medienrats, S.29). Einige Verlage halten das nicht für nötig. Auf dem US-Portal CNET erschienen Anfang des Jahres Dutzende Ratgeber zu Finanzthemen, die mehrere Gemeinsamkeiten hatten: Sie waren voller Fehler und Plagiate und wurden angeblich vom „CNET Money Team“ verfasst – tatsächlich aber von einer KI geschrieben. Weitere US-Medien wie BuzzFeed und Gizmodo experimentieren ebenfalls mit Inhalten, bei denen KI nicht nur unterstützt, sondern den gesamten Text liefert. Die Kennzeichnung ist bestenfalls klein oder fehlt ganz, der Protest der Redaktionen fällt umso größer aus. Denn letztlich steht der Verlust der Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Der Einsatz von KI muss keine Bankrotterklärung sein, im Gegenteil: Medien und Journalismus können davon profitieren.

Automatisierung muss nicht schlecht sein, das entlastet Redaktionen und schafft Raum für Recherche (vgl. "Kollegin KI"). Die entscheidende Frage lautet: Welche Tätigkeiten können automatisiert werden, ohne dass die Qualität leidet? Alle suchen nach Antworten, und zwar nicht erst, seit die Veröffentlichung von ChatGPT den aktuellen KI-Hype auslöste. Vor mehr als zehn Jahren begannen Redaktionen, Interviews mithilfe von KI transkribieren zu lassen. Etwas später wurde die Textproduktion ausgelagert. Allerdings ging es nur um stark strukturierte und standardisierte Formen wie kurze Sportberichte. KI filtert seit Jahren Spam und beleidigende Kommentare, unterstützt bei investigativen Recherchen, durchsucht riesige Datenmengen und kann helfen, Geschichten in Dokumenten zu finden, nach denen Menschen Jahre suchen müssten.

Neue Ära: KI-generierte Inhalte fluten das Netz

Was jedoch seit Anfang des Jahres geschieht, läutet eine neue Ära ein. Medien setzen KI nicht nur zur Unterstützung ein. Sie lassen Sprachmodelle und Bildgeneratoren Inhalte produzieren, die sie kaum oder gar nicht bearbeitet veröffentlichen. Man könnte sagen: Na und? Viele Ratgeber, Rezepte und Rezensionen werden doch sowieso nur geschrieben, um auf Google gefunden zu werden. Das klingt auch jetzt schon so, als hätte sie eine Maschine verfasst. Wäre es so schlimm, wenn künftig KI erklärt, wie und wo man ein Sportereignis im Fernsehen anschauen kann?

Leider ist es komplizierter, denn die KI-Revolution beschränkt sich nicht darauf, ein paar Service-Texte zu automatisieren. In den vergangenen Monaten sind Hunderte Portale entstanden, die mehr Artikel veröffentlichen, als Menschen schreiben können.

Diese Content-Schleudern lassen ChatGPT und andere Modelle belanglose Texte und gefälschte Bilder generieren, um das Netz damit zu fluten. Manche verbreiten Propaganda, die meisten wollen schlicht Geld verdienen. Sie stopfen die Texte mit programmatischer Werbung voll – auch diese Anzeigen werden automatisiert und mithilfe von KI geschaltet – und setzen darauf, dass ein paar Bots und Menschen darauf klicken.

Wer sich auf dieses „Race to the bottom“ einlässt, kann nur verlieren. Es wird immer jemanden geben, der noch weniger Skrupel hat und alles von KI produzieren lässt. Anzeigenpreise werden weiter sinken, Reichweite wird bald kein tragbares Geschäftsmodell mehr sein. Das betrifft auch das Publikum. Hochwertiger Journalismus könnte sich zunehmend verlagern - hinter Bezahlschranken. Wer sich das nicht leisten kann oder will, muss sein Medienmenü mit bloßen News oder KI-generierten Banalitäten füllen.

Guter Journalismus kostet Geld und vor allem Zeit. KI kann helfen, sich auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren. Sie birgt aber auch Risiken, die über den Glaubwürdigkeitsverlust hinausgehen, der denjenigen droht, die Journalismus für komplett automatisierbar halten.

KI-Kompetenz und Autonomie statt Abhängigkeit

Die erste Gefahr betrifft die Medien selbst. Das vergangene Jahrzehnt hat eindrücklich gezeigt, dass Tech-Konzerne wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse und Befindlichkeiten von Verlagen und anderen Medienhäusern nehmen. All die hippen Medien-Startups, die ihre Hoffnungen einst auf Facebook setzten, sind heute pleite oder darben vor sich hin. Es wäre fatal, den Fehler zu wiederholen. Unternehmen wie OpenAI und Google suchen aktuell die Kooperation mit Verlagen, haben aber in erster Linie nur ein Interesse: Geld zu verdienen. Das ist legitim, man sollte sich nur keine Illusionen machen.

Zwischen abgehängt werden und abhängig werden verläuft ein schmaler Grat. Natürlich müssen Medien die neue Technik ausprobieren, sie dürfen sich ihr aber nicht ausliefern. Wenn Geschäftsmodelle auf den guten Willen des Silicon Valley angewiesen sind, sind sie erfahrungsgemäß nicht allzu lang tragfähig. Medien wie Bloomberg entwickeln bereits eigene Modelle, trainiert mit speziellen Datensätzen, zugeschnitten auf spezielle Einsatzzwecke. Das kann und sollte ein Vorbild für andere sein: KI-Kompetenz und Autonomie statt Abhängigkeit.

Medienproduzenten haben dabei einen Vorteil auf ihrer Seite. Die Entwickler von Sprachmodellen sind ihrerseits auf journalistische Inhalte angewiesen. Sie brauchen möglichst viele, möglichst hochwertige Texte, um die KI damit zu füttern. Dazu zählen Wikipedia, wissenschaftliche Paper – und alles, was Medien ins Netz stellen. Bislang haben sich die Konzerne das Trainingsmaterial gratis einverleibt, allmählich beginnen die Verteilungskämpfe. In den USA laufen bereits Klagen. Neben Drehbuchautorinnen und Schriftstellerverbänden wollen auch Verlage für ihre Inhalte entlohnt werden.

Die zweite Gefahr, für die sich Medien wappnen müssen, ist größer als sie selbst. Generative KI ist ein mächtiges Werkzeug, und in den falschen Händen wird es bedrohlich. So ziemlich jeder, der in der Lage ist, ein Smartphone oder einen Computer zu bedienen, wird bald mit geringem Aufwand täuschend echte Fälschungen erzeugen können.

Lügen von Fakten trennen: Guter Journalismus wird noch wichtiger

Der Einfluss solcher Desinformation wird eher überschätzt. Trotz Photoshop und Deepfakes lässt das oft prognostizierte Chaos (noch) auf sich warten. Doch selbst, wenn Menschen nicht reihenweise auf Manipulationen hereinfallen, sind bereits die Täuschungsversuche gefährlich. Wenn die Fälschungen optisch nicht mehr von der Wirklichkeit zu unterscheiden sind, sinkt das Vertrauen in authentische Aufnahmen und Inhalte. Man muss ständig auf der Hut sein: Jedes Bild, jede Meldung könnte gefälscht sein. Dieses Misstrauen werden auch jene spüren, die es sich zum Beruf gemacht haben, zu dokumentieren, was ist: Journalistinnen und Journalisten. Gleichzeitig wird guter Journalismus noch wichtiger werden. Je undurchsichtiger der Informationsdschungel, desto dringender braucht es Menschen, die den Überblick behalten und Lügen von Fakten trennen. Dabei können neue Technologien helfen. Recherche und Reportage, Analyse und Einordnung werden aber weiter Journalistinnen und Journalisten leisten müssen.

Sprachmodelle bauen kein Vertrauen zu Informanten auf, berichten nicht aus Kriegs- und Krisengebieten und schreiben keine empathischen Porträts. Sie setzen bekannte Fakten zusammen, schaffen aber keine neue Erkenntnis. KI mag schneller Wörter aneinanderreihen als Menschen und halbwegs sinnvolle Sätze formen. Medien mit journalistischem Anspruch müssen sich davon abgrenzen, indem sie sich fragen: Was können wir, was Maschinen nicht beherrschen? 

Bild Simon Hurtz

Simon Hurtz ist Journalist, Dozent (Deutsche Journalistenschule und Henri-Nannen-Schule) und Speaker. Von Berlin aus arbeitet der Journalist als Autor im Digital-Team der Süddeutschen Zeitung.

zur Übersicht aller AusgabenAlle Ausgaben zur Übersicht aller ArtikelAlle Artikel

Artikel teilen

Aufnahme in den Verteiler

TENDENZ als pdf

  • TENDENZ 2/23
  • (PDF, 5 MB)

Info

Bildnachweis 1/23