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Positionen & Reden

Grußwort von Siegfried Schneider zur Veranstaltung "Das neue Fernsehen" am 11. Mai 2015 (Dok.fest München 2015)

13.05.2015 | P&R 2015
Sehr geehrter Herr Sponsel,
sehr geehrte Frau Wick,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
 
herzlich willkommen zur BLM-Veranstaltung „Das neue Fernsehen“ im Rahmen des Internationalen Dok-Fests München. Wenn man regelmäßig die Meldungen aus unserer Branche verfolgt, drängt sich der Eindruck auf, dass das Thema Bewegtbild in unterschiedlichen Facetten derzeit die aktuellen Diskussionen mehr als jedes andere Thema bestimmt: Vor ca. fünf Wochen wurde gemeldet, dass YouTube ein neues Video-Abo-Angebot plant, das ungefähr zehn Dollar im Monat kosten soll, dafür aber werbefrei sein wird. Etwa zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass der französische Medienkonzern Vivendi den YouTube-Konkurrenten Dailymotion für 237 Mio. Euro übernehmen will und zudem ging das Gerücht um, dass Vivendi Interesse habe an dem britischen Pay-TV-Anbieter Sky, zu dem mittlerweile auch Sky Deutschland und Sky Italia gehören. Auf der South by Southwest Mitte März in Austin war die Livestreaming-App Meerkat in aller Munde. Fast zeitgleich hat Twitter den Meerkat-Konkurrenten Periscope gekauft. Vor einigen Wochen wurde gemeldet, dass die Burda Programmzeitschrift TV Spielfilm noch in diesem Jahr ein eigenes Live-TV-Angebot mit etwa 80 Programmen starten wird. Apple meldet, dass es in absehbarer Zeit ein neues Streaming-Angebot in den Markt bringen wird. Und das ist nur eine Auswahl an Meldungen zu diesem Thema. Daran, dass wir regelmäßig von neuen Rekordzahlen für die Video-on-Demand-Nutzung und die mobile Bewegtbild­nutzung lesen, haben wir uns bereits gewöhnt. Es ist also sicher die Feststellung gerechtfertigt: Soviel attraktiven Bewegtbildcontent gab es nie zuvor auf allen Kanälen, zu jeder Zeit und an jedem Ort.
 
Es liegt aber in der Natur der Sache, dass wir uns auch in diesem Zusammenhang fragen und diese Frage wird uns bestimmt auch in der folgenden Diskussion beschäftigen: Wer sind die Gewinner und wer sind die Verlierer dieser Entwicklung? Ohne der Diskussion vorgreifen zu wollen, kann man mit Sicherheit eines sagen: Gewinner sind auf alle Fälle die Nutzer. Sie profitieren von der großen Konkurrenz, die den Bewegtbildmarkt bestimmt. Der Nutzer kann heute sehr viel gezielter von ihm gewünschten Content auswählen als jemals zuvor.
 
Die Geschichte und das sog. Riepl‚sche Gesetz lehren uns, dass kein neues Medium ein bereits Bestehendes verdrängt. Wolfgang Riepl, der Altphilologe und Chefredakteur der Nürnberger Zeitung war, formulierte diesen Grundsatz bereits 1913, also vor gut hundert Jahren in seiner Dissertation „Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer“. Heute wird das Riepl‚sche Gesetz allerdings durch die digitale Medienentwicklung mehr denn je in Frage gestellt. Wir alle hier in diesem Raum kennen die Einschätzung mancher Experten, dass das klassische Fernsehen tot ist, wenn nicht heute, dann spätestens in zehn Jahren. Das Gleiche haben wir vor fünf Jahren über Print gehört. Wenn es möglich ist, alle Sendungen, Filme, Serien usw. unabhängig von festen Sendezeiten jederzeit und an jedem Ort über ein mobiles Gerät zu sehen, warum sollte sich noch irgendwer klassisches Fernsehen antun, bei dem dem Nutzer all das fest vorgegeben wird? Aber wird es wirklich so kommen? Von den Experten wird immer das ganz junge Publikum als Kronzeuge für ihre These benannt. Die Erfahrungen der letzten Jahre im Printbereich zeigen, dass die Entwicklungen doch meist deutlich langsamer verlaufen, als das von zukunftseuphorisierten Experten vorhergesagt wird. Zwar gehen die Printauflagen von Zeitungen zurück, dafür gewinnen sie neue Leser im Netz. Wir erleben geradezu einen Boom von teilweise sehr erfolgreichen Zeitschriftenneu­gründungen und eine Wochenzeitung wie die ZEIT hat heute mehr Leser ihrer Print­ausgabe, die zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, als jemals zuvor.
 
Natürlich ändern sich die Zeiten. Die Printauflagen der Zeitungen gehen zurück und vor allem die Werbeeinnahmen sinken. Beim Fernsehen ist das immer noch deutlich anders. Die Nutzungszeiten sind in der Summe noch weitgehend stabil und die Werbeeinnahmen steigen seit fünf Jahren. Sie haben mittlerweile in etwa wieder das Niveau erreicht wie vor dem großen Einbruch im Jahr 2009. D.h., das Geschäftsmodell des klassischen werbefinanzierten Fernsehens funktioniert hierzulande und es funktioniert bis auf den heutigen Tag besser als das der Konkurrenten. Es liegt zwar ein Vorteil darin, die Werbung individuell ausspielen zu können, wie das bei Multichannel- und Streaming-Anbieter der Fall ist, aber man darf eben auch die Stärken der klassischen Werbung nicht aus den Augen verlieren. So ist es zum Beispiel für den Aufbau einer Marke nach wie vor wichtig, ein möglichst breites Publikum zu erreichen.
 
Richtig ist, dass der Bewegtbildmarkt wie kaum ein anderer Medienmarkt in Bewegung ist. Das Nutzungsverhalten ändert sich in vielerlei Hinsicht, es wird vor allem individueller und mobiler. Das klassische Fernsehen hat in den letzten Jahren zunehmend Konkurrenz aus dem Internet bekommen. Kostenfreie und entgeltpflichtige Bewegtbildangebote in Mediatheken, Onlinevideotheken und Videoplattformen konkurrieren um die Aufmerk­samkeit des Publikums. Man muss nicht so weit gehen wie Apple-Chef Tim Cook, der bereits im vergangenen Herbst sagte:“ Wenn wir mal ehrlich sind, dann sitzt das Fernsehen in den Siebzigerjahren fest. Fernsehen fühlt sich an, als würde man eine Zeitmaschine betreten und rückwärts reisen.“ (zitiert nach SZ, 24.03.2015, S. 19).
 
Tatsache ist, dass Video-on Demand weiterhin rasch an Attraktivität gewinnt. Nach einer Erhebung von Goldmedia vom Februar 2015 nutzen bereits 35 % aller Deutschen, die über einen Internet-Anschluss verfügen VoD-Angebote. Im September 2014 waren es noch rund 20 Prozent.
 
Eine sehr ernst zu nehmende Konkurrenz sowohl für klassische Fernsehanbieter als auch für Streaming-Dienste ist YouTube. Wiederum laut Goldmedia waren Anfang dieses Jahres 40 Prozent der 18- bis 29-Jährigen deutschen Onliner täglich auf YouTube unterwegs. Bei den 30- bis 49-Jährigen waren es 16 Prozent und bei den über 50-Jährigen immer noch acht Prozent. Die wöchentliche Nutzung lag bei allen Altersgruppen im Durchschnitt bereits bei über 50 Prozent. Es ist also ein nachvollziehbares Fazit, wenn Goldmedia auf Grundlage dieser Untersuchung zu dem Ergebnis kommt: YouTube wird bzw. ist Alltagsmedium.
 
Laut einer aktuellen Nielsen-Studie mit dem martialischen Namen „Screen wars“ geben 46 Prozent der Deutschen an, dass zeitunabhängiges Fernsehen für sie interessant ist, weil es besser in den Tagesablauf passt. Dennoch bleibt das klassische, vorgegebene TV-Programm mit 53 Prozent weiterhin am beliebtesten.
 
Vieles ist derzeit in Bewegung mit offenem Ausgang: Vor gut drei Wochen habe ich selbst den YouTube Space und die Maker Studios in Los Angeles besucht. Im YouTube Space lernen YouTuber mit mindestens 10.000 Abonnenten kostenfrei, wie man Videos professionell produziert; für Leute, deren Beiträge mehr als 100.000 Klicks erzielen, werden entsprechend großzügigere Produktionsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Das Unternehmen Maker Studios bietet ein ähnliches Konzept, das durch eine Vermarktung der entsprechenden Künstler ergänzt wird. Die deutsche Dependance von YouTube wird in Berlin, die der Maker Studios in Köln angesiedelt sein. Wie erleben hier also eine weiter fortschreitende Professionalisierung, denn natürlich weiß YouTube bzw. Google: der Weg zu mehr Werbeeinnahmen führt vor allem auch über professionellere Inhalte. Nicht nur Google geht diesen Weg, viele andere lassen z.B. derzeit Webserien produzieren, neue, gewagtere Formate für ein junges Publikum.
 
Wie sich das heute junge Publikum in 10 bis 15 Jahren verhalten wird, wissen wir nicht. Die Fernsehverantwortlichen haben jedenfalls die Hoffnung, dass die heutigen YouTube-Nutzer, sobald sie älter werden, arbeiten, Kinder haben und einen geregelten Tagesablauf zum linearen Fernsehen zurückkehren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
 
vor uns liegen eineinhalb Stunden, in denen über eines der spannendsten Themen diskutiert wird, das die Branche derzeit bewegt. Ich freue mich auf diese Diskussion und darf das Mikrofon an Daniel Sponsel, den Leiter des Internationalen DokFest übergeben.