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Positionen & Reden

Festvortrag von BLM-Präsident Siegfried Schneider zum Thema „Auswirkungen der Digitalisierung auf Wirtschaft und Gesellschaft“ vor dem KDStV Alcimonia am 3. Juni in Eichstätt

06.06.2016 | P&R 2016
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
 
digitale Technologien verändern tiefgreifend unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft. Sie bestimmen die Art und Weise, wie gesellschaftliche Kommunikation gestaltet wird und wie wirtschaftliche Transaktionen durchgeführt werden. Die Digitalisierung erfasst Wirtschaft und Gesellschaft in voller Breite und in allen Sektoren. Durch die wachsende Vernetzung von Personen und Objekten entstehen neue Handlungsräume, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor große Herausforderungen stellen.
Mein Vortrag wird sich mit diesen Veränderungen befassen. Zum Einen unter der Perspektive, was bedeutet das für unsere Wirtschaft und im zweiten Teil unter der Fragestellung, welche Bedeutung haben diese Entwicklungen für die Gesellschaft.
 
Ökonomisch und technologisch gesehen, geht es um die Frage, wo steht Europa, wo Deutschland und wo Bayern im globalen Wettbewerb. Sind wir möglicherweise auf dem Weg, eine digitale Kolonie der USA zu werden?
 
Die derzeitige Dominanz von US-Unternehmen in der gesamten digitalen Wirtschaft und insbesondere das starke Wachstum in der Internetwirtschaft sind je nach Sichtweise bemerkenswert oder erschreckend. Allein die Marktkapitalisierung der US-Internetunter­nehmen war im Jahr 2015 15-mal so groß wie die gesamte Internetwirtschaft in Deutschland, Südkorea und Schweden zusammen. Unternehmen wie Alphabet (Google), Facebook und Amazon sind in den zurückliegenden Jahren extrem schnell gewachsen und haben etablierte Konzerne wie Microsoft mittlerweile überholt. Die drei kapitalstärksten Unternehmen in Deutschland, die auch zentrale Geschäftsaktivitäten in der ITK-Branche haben, sind Siemens, SAP und die Deutsche Telekom. Ihre Wachstumsdynamik ist im Vergleich zu den genannten US-Unternehmen verschwindend gering.
 
Allein der Umsatz von Alphabet übertrifft die aller deutschen Unternehmen in der gesamten digitalen Wirtschaft. Seit 2008 hat Google beispielsweise 22 Mrd. Euro allein mit Android, ihrem Betriebssystem für mobile Geräte erwirtschaftet. Zu den kapital­stärksten Unternehmen der Internetwirtschaft in Deutschland zählen Zalando, United Internet und Axel Springer. Selbst deren Marktkapitalisierung ist im Vergleich zu den jungen US-Unternehmen nur sehr langsam gewachsen. Wir reden schlicht von anderen Dimensionen.
 
Die Dominanz der amerikanischen Internetunternehmen hat viele unterschiedliche Gründe: z.B. eine große Gründungs- und hohe Risikobereitschaft, eine enorme Verfügbarkeit von Risikokapital für die Finanzierung junger Online-Unternehmen, einen großen Online-Binnenmarkt für einen schnellen Markteintritt, eine traditionell enge Bindung zwischen Hochschulen und Unternehmertum, eine Kultur des Experimentierens, eine Selbstverständlichkeit des scheitern Dürfens und eine starke Technologieaffinität. Ein weiterer, wichtiger Aspekt wird dagegen selten in den Diskussionen genannt. Der Aufstieg nicht nur von Silicon Valley hängt eng mit dem amerikanischen Staat und dem amerikanischen Militär zusammen. Von da kamen entscheidende Impulse in Form von Forschungsgeldern und Aufträgen. Nicht zufällig ist das Internet aus dem ARPA-Projekt des US-Militärs entstanden. Es ist auch kein Zufall, dass das Pentagon ein großes Büro im Silicon Valley unterhält. Das Experimentieren mit Ideen war im Silicon Valley also quasi staatlich verordnet und finanziert, deutlich bevor das private Risikokapital zu einem wichtigen Impulsgeber wurde.
 
Noch bedeutender ist die Rolle des Militärs für den Startup-Hotspot Israel. Israel hat die meisten Startups pro Einwohner, die höchste Dichte an technologieorientierten Unternehmensgründungen, auf die Größe des Landes gesehen das meiste Risikokapitel – gemessen an den USA zweieinhalb Mal so viel - und die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung.
 
Es wäre allerdings ein Fehler, nur die USA und Israel auf der Rechnung zu haben. China hat den Vorteil eines riesigen Binnenmarktes. Auch in Asien ist der Zugang zu Venture Capital, staatlichen Fonds und Kreditfinanzierung deutlich leichter als in Europa. Von den zehn weltweit werthaltigsten Internetunternehmen Ende des vergangenen Jahres kamen sechs aus den USA und bereits vier aus China. Für China sprechen eine Reihe weiterer Fakten: Das Land ist der größte IT-Markt der Welt mit 650 Mio. Internetnutzern. In der ITK-Branche ist China der größte Wachstumsmarkt weltweit. Mit knapp 300 Mrd. US-Dollar lag China im Jahr 2014 hinter den USA an zweiter Stelle bei den Forschungs­ausgaben. Mittlerweile studieren zehntausende chinesischer Informatikstudenten in den USA und schließlich hält der chinesische Staat die großen amerikanischen Unternehmen vom chinesischen Binnenmarkt fern und schützt so die heimischen Firmen.
 
Wo stehen nun Deutschland und Europa bei dieser Entwicklung?
 
Werfen wir einen Blick auf traditionelle deutsche Unternehmen und ihren Umgang mit dem Thema Digitalisierung: Ergebnisse von Befragungen deuten darauf hin, dass etablierte Unternehmen in Deutschland Veränderungen durch digitale Technologien vor allem in der Gesamtwirtschaft erwarten. Dagegen gehen sie lediglich von geringen Auswirkungen auf das eigene Unternehmen aus. Etwa ein Drittel der Unternehmen gibt an, dass es keine Notwendigkeiten für Digitalisierungsaktivitäten sieht und daher keine Investitionen plant. Dabei ist vielen Unternehmen durchaus bewusst, dass sie im Zuge des digitalen Wandels mit neuen Wettbewerbern und einer zunehmenden Abhängigkeit von anderen Unternehmen rechnen müssen, die wie Plattformen eine zentrale Rolle in der Wertschöpfungskette einnehmen werden. Allerdings unterscheiden sich die Branchen hinsichtlich der Nutzung digitaler Technologien zum Teil erheblich voneinander.
 
Besonders wichtige digitale Technologien sind Big Data und Cloud Computing, denen beide eine disruptive Wirkung nachgesagt wird. In diesen beiden Feldern hinken deutsche Unternehmen offenbar der internationalen Entwicklung hinterher. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Nutzung von Big-Data-Ansätzen deutlich hinter andern Ländern. Unternehmen in Indien, den USA, Mexiko oder Großbritannien nutzen Big Data doppelt so häufig wie deutsche Unternehmen. Ähnlich ist es beim Cloud Computing. In vielen anderen europäischen Ländern ist die Nutzung sowohl bei kleinen und mittelständischen Unternehmen als auch bei Großunternehmen wesentlich ausgeprägter.
 
Woran liegen diese Defizite und wie kann der notwendige Aufholprozess gelingen?
 
Wir werden gegen die Konkurrenz aus den USA und Asien nur dann eine Chance haben, wenn wir aus einer europäischen Perspektive agieren. Ich bin überzeugt, dass Europa seine eigene digitale Transformation gestalten und auch im globalen Maßstab erfolgreich sein kann. Wir haben die dafür notwendigen Fähigkeiten. Das was nun verteilt wird, meine Damen und Herren, ist zu groß, um es nur einigen Wenigen zu überlassen.
 
Europa braucht digitale Kompetenzen für alle Bürger als Basis für die Wirtschaft und Gesellschaft von morgen. D.h., z.B. eine Grundlagenausbildung in den Schulen im Hinblick auf digitale Technologien und ein Investitionsprogramm zur Förderung digitaler Kompetenzen in allen Aus- und Weiterbildungssegmenten. Wir benötigen einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen z.B. beim Datenschutz und beim Urheberrecht sowie die Sicherstellung des Prinzips, dass Gewinne dort versteuert werden, wo sie erzeugt werden.
Wir müssen den Zugang von Startups zu den Finanzmärkten verbessern und ein ent­sprechendes Börsensegment in Europa schaffen nach dem Beispiel der amerikanischen Nasdaq, an der die Internetunternehmen gelistet sind.
 
Getrieben von der Sorge, dass Deutschland und Europa immer weiter in der Internet- und Digitalwirtschaft vor allem von den USA abgehängt werden, haben führende deutsche Internetunternehmer Mitte April in Berlin die „Internet-Economy-Foundation“ gegründet. Diese Stiftungsgründung wurde flankiert durch eine Studie von Roland Berger mit dem Titel „Deutschland digital. Sieben Schritte in die Zukunft“. Darin wird u.a. gefordert, in Deutschland umgehend ein Förderprogramm in Höhe von 50 Mrd. Euro aufzulegen, um junge Unternehmen zu fördern, marktbeherrschende Plattformbetreiber auf EU-Ebene so zu regulieren, dass die Bürger eine echte Wahlfreiheit erhalten und europäische Unternehmen nicht diskriminiert werden, eine europäische Datencloud zu schaffen und unklare Verantwortlichkeiten in der deutschen Politik (Zuständigkeiten in vier Ministerien) im Hinblick auf die digitale Transformation zu beseitigen.
 
Auch wenn wir hier von einem sehr großen, globalen Thema sprechen, von Wett­bewerbern, die über unglaubliche finanzielle Mittel und damit Möglichkeiten verfügen, muss auch Bayern seine Anstrengungen weiterführen und ausbauen.
 
Wir haben das Programm der Staatsregierung „Bayern Digital“ mit dem großen Förder­volumen von 1,5 Mrd. Euro vor allem zum Ausbau der digitalen Infrastruktur; dazu kommen zusätzliche 300 Mio. für das „Zentrum Digitalisierung Bayern“ mit der Bünde­lung von Kompetenzen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Gründern sowie 20 neuen Professuren an bayerischen Hochschulen. Es gibt die Aktivitäten des WERK1 Bayern und die geplanten regionalen IT-Zentren, kurz BayernLabs.
 
Höchst bedeutsam ist auch, dass IBM München zur weltweiten Zentrale des neuen IBM Geschäftsbereichs Watson IoT und gleichzeitig zum Standort für das erste europäische Watson Innovation Center gewählt hat. Ziel ist es, vernetzte Geräte, Systeme und Sensoren intelligent zu machen und neue Marktchancen zu erschließen. Rund 1.000 IBM-Entwickler, -Berater, -Forscher und -Designer arbeiten zukünftig in München. Zudem hat Google Anfang April das neue Entwicklerzentrum für 800 Mitarbeiter in München eröffnet.
 
Bayern und da besonders der Standort München haben eine hervorragende Ausgangs­position auf dem Weg in eine digitale Gesellschaft, die alle wesentlichen Bereiche wie Mobilität, Energie, Finanzen und Versicherungen, Gesundheit und Ernährung und natürlich die Medien und Kommunikation umfasst. Die Digitalisierung weiter gedacht, verlangt nach einem international wettbewerbsfähigen bayerischen Innovations-Ökosystem, für das es aufbauend auf den Maßnahmen der Staatsregierung beste Voraussetzungen gibt.
 
Lassen Sie mich im Folgenden einen Blick auf die gesellschaftlichen Aspekte der Digitalisierung werfen. Wie jede andere technisch basierte Entwicklung beinhaltet auch die digitale Transformation einerseits vielfältige neue Möglichkeiten und Chancen und kann zu einer Bereicherung und Vereinfachung des Lebens führen. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber auch die Frage stellen: Beherrschen wir die Technik oder beherrscht die Technik uns? Die Digitalisierung verwandelt unser ganzes Leben, unseren Alltag, unsere Arbeit, unsere Freizeit. Alles was wir tun und sagen, kann überwacht und vermessen werden, einfach dadurch, dass wir unser Smartphone einschalten. Ein Gerät, das erst seit zehn Jahren auf dem Markt ist und mit dem wir uns laut einer aktuellen Studie der Berliner Humboldt-Universität täglich im Durchschnitt zwei Stunden und 57 Minuten beschäftigen. Das ist nur eine gute halbe Stunde weniger als die Zeit, die wir durchschnittlich vor dem Fernsehgerät verbringen.
 
Was verändert die Digitalisierung konkret? Beispielsweise unsere alltäglichen sozialen Beziehungen durch Smartphone, Facebook und WhatsApp, der Umgang mit Wissen über Google, das Einkaufen durch Amazon oder Zalando, aber auch die Prozesse an unseren Arbeitsplätzen und unsere Freizeitgestaltung. Unternehmen organisieren sich anders, die politischen Parteien greifen die neuen Möglichkeiten auf, die Polizei recherchiert über Facebook und auch der Staat bietet seine Dienste zunehmend über das Netz an. Unter dem Stichwort Medienkompetenz wird darüber nachgedacht, wie die Schulen sinnvoll auf ein Leben in einer digitalen Gesellschaft vorbereiten können. Die Gesellschaft ändert sich insgesamt: die Ökonomie, die Art, wie Kriege geführt werden oder das, was wir als Kultur bezeichnen.
 
Computer verändern nicht nur die Kommunikation zwischen den Menschen, vielmehr bilden sie Netze und kommunizieren untereinander, indem sie Daten sammeln, aus­werten und damit Aktionen einleiten. Da ist der Bremsassistent im Auto, der einen Bremsvorgang durch den Fahrer unterstützt, aber auch bremst, wenn er eine Gefahr bemerkt, auf die der Fahrer nicht reagiert. Da sind Sensoren in altengerechten Zimmern, die feststellen können, ob ein Mensch im Bett oder auf dem Boden liegt und ggf. Pflegekräfte zu Hilfe ruft. Da sind die Instrumente zur Gesundheitsüberwachung mit Sensoren für Schrittzähler oder Erinnerungsprogramme für die Medikamenteneinnahme, die gleichzeitig den Blutdruck und die Sauerstoffversorgung überwachen und notfalls den Arzt alarmieren. Und da ist der oft zitierte computergesteuerte Kühlschrank, der selbstständig Lebensmittel nachbestellt und die Waschmaschine, die die in der Wäsche enthaltenen Chips liest und danach ihr Waschprogramm wählt.
 
Die zentrale Idee des „Internets der Dinge“ ist es, dass mehr oder weniger alle Gegenstände in unserer Umgebung „smart“ werden sollen, d.h., ein Abbild im Netz haben werden, über das die Gegenstände gesteuert werden. Es ist offensichtlich, dass diese Vernetzung der materiellen Umwelt des Menschen viele Verbesserungen bringen wird. Aber auch, dass dies viele Fragen aufwirft, die fundamental mit dem Menschsein verbunden sind. Manche sehen nur die konkreten Möglichkeiten und ignorieren weitgehend, die dahinter ablaufenden Prozesse. Beispielsweise laden fast alle Besitzer von Smartphones zahlreiche Apps auf ihr Gerät, ohne weiter zur Kenntnis zu nehmen, was diese dann sonst so auf ihrem Handy anstellen – an Datensammlung und Daten­weiterleitung, an Werbevermittlung und anderem.
 
Im Jahr 2014 haben beispielsweise Datenschutzexperten 1.500 Webseiten und Apps geprüft. Das Ergebnis: Mehr als zwei Drittel sammeln persönliche Informationen, auch wenn sie in ihren Datenschutzhinweisen das Gegenteil behaupten. Außerdem hat die Hälfte der untersuchten Angebote personenbezogene Daten an Dritte weitergegeben.
 
Einige Beispiele dafür, was da passiert: Im Jahr 2009 hat das Soziale Netzwerk Facebook den „Gefällt mir“-Button eingeführt. Jeder, der etwas auf Facebook postete, konnte sich jetzt ganz einfach eine positive Rückmeldung des Publikums in Form eines hochgereckten Daumens abholen. Eine britische Forschergruppe hat bereits im Jahr 2014 dokumentiert, dass sie folgende Eigenschaften eines Nutzers nur aus dem Einsatz des „Gefällt mir“-Buttons ableiten kann: zu 88 Prozent, ob eine Person hetero- oder homosexuell ist, zu 93 Prozent, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, zu 95 Prozent, ob es sich um eine weiße oder eine farbige Person handelt, zu 85 Prozent die Parteipräferenz, zu 65 Prozent, ob die Person Drogen nimmt und zu 60 Prozent, ob es sich um ein Scheidungs­kind handelt. Sehr zuverlässig konnten alleine aus der Nutzung des „Gefällt mir“-Buttons auch die IQ-Punkte vorausgesagt werden, die man in einem anerkannten IQ-Test erzielen würde. Die Forscher haben die Daten abgeleitet aus einer dreijährigen Nutzung von Facebook. Was ist dann erst möglich, wenn man Daten zur Verfügung hat, die bereits in der Kindheit der Nutzer einsetzen? Von Google weiß man beispielsweise, dass etwa 60 Prozent der gestellten Suchanfragen ausgewertet und daraus persönliche Profile generiert werden.
 
Viele von uns schätzen mittlerweile die komfortable Vernetzung über das Internet. Die Vernetzung mit Freunden über soziale Netzwerke, mit Streamingdiensten für Musik und Videos oder einfach, indem wir unsere Interessen über Anfragen an Suchmaschinen dokumentieren. Die meisten dieser Angebote sind kostenlos. Und doch wieder nicht. Denn der Preis sind unsere Daten. Google und Facebook verdienen vor allem Geld damit, dass sie jedem von uns zielgenau „Empfehlungen“ bzw. schlicht Werbung einspielen.
 
Ein zweiter Trend besteht darin, dass Nutzer vermehrt Aggregatoren wie Facebook oder Google nutzen, die von Medien mit Nachrichten beliefert werden. Dadurch wissen diese viel besser über das Medienverhalten der Nutzer Bescheid als einzelne Medien. Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche Effekte: Durch das Wissen über die Identität des Nutzers kann man sehr effektiv Werbung zuspielen und es werden dem Nutzer nur noch Artikel angeboten, die ihn interessieren, also z.B. viel Fußball, wenig Politik. Der Nutzer wird so in einer Wohlfühlzone gehalten, die mit der Realität möglicherweise wenig zu tun hat.
 
Es sind Algorithmen, die unsere Suchanfragen, Kommentare, „Gefällt mir“-Buttons und Kaufentscheidungen bei Online-Portalen auswerten und uns daraufhin z.B. Wünsche suggerieren, denen wir uns selber oft gar nicht bewusst sind. Damit lässt sich der Kundenservice verbessern, gleichzeitig wird aber unsere Willensfreiheit eingeschränkt. Wenn die Algorithmen personalisiert sind, passen sie sich dem Nutzer im Laufe der Zeit immer mehr an, d.h., nachdem die Algorithmen die Daten vorgefiltert haben, sortieren sie die Ergebnisse nach unseren vermeintlich persönlichen Präferenzen.
Studien haben gezeigt, dass wir uns von den gezeigten Ergebnissen stark beeinflussen lassen und z.B. Rankings schnell für objektiv halten, selbst wenn sie stark eine von zwei möglichen Meinungen präferieren.
 
Facebook z.B. sortiert mittlerweile die Einträge im News Feed seiner Nutzer nach der Wahrscheinlichkeit, dass ein Nutzer diesen Beitrag weit oben haben will, weil er für ihn relevant ist. Dabei hat Facebook, folgt man seinem CEO Mark Zuckerberg, eine sehr eigene Definition von Relevanz. Zitat: „A squirrel dying in front of your house, may be more relevant to your interests, than people dying in Africa“.
 
Es geht also um Algorithmen und dabei um Fragen wie: Sind Algorithmen neutral? Kann man Algorithmen nach ethischen Gesichtspunkten programmieren? Gibt es Fragestellun­gen, in denen Algorithmen nicht eingesetzt werden sollten? Bedrohen Algorithmen das Prinzip der Selbstbestimmung? Und letztlich auch: Sind Algorithmen eine Gefahr für unsere Demokratie? Es gibt durchaus namhafte Experten, die Letzteres bejahen. So sagt die emeritierte Professorin der Havard Business School, Shoshanna Zuboff: „Algorithmen beinhalten die Möglichkeit der vollständigen Überwachung und des vollständigen Konsums. Im Ergebnis bringt der Überwachungskapitalismus eine zutiefst antidemo­kratische Macht hervor, die einem Putsch nahekommt, der nicht dem Staat, sondern den Menschen ihre Souveränität nimmt.“ (zitiert nach FAZ, 3. März 2016, „Wie wir Sklaven von Google wurden“, Seite 11 ff).
 
Sehen wir uns die Algorithmen näher an: Ganz allgemein gesagt, ist ein Algorithmus ein Rezept, nachdem ein Computer Daten verarbeitet. Und das tut ein Algorithmus deutlich exakter als ein Mensch und er tut es objektiv, im Sinne seiner Programmierung. Heißt das, dass ein Algorithmus neutral ist? Nein, denn Entscheidungen, die beim Programmieren getroffen werden, werden von Menschen getroffen. Einem Algorithmus liegt das Menschenbild seines Programmierers bzw. dessen Auftraggebers zugrunde. Allerdings gilt auch, solange ein Algorithmus eine Blackbox ist, von der man nicht genau weiß, was sie tut, ist es schwer zu belegen, dass Diskriminierungen im Programmier­konzept begründet sind. Wichtig ist auch, dass Algorithmen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz lernfähig sind, indem sie in riesigen Datenmengen nach Mustern suchen und die gefundenen Muster mit neuen Daten abgleichen. Dazu kommt, dass viele Algorithmen mittlerweile so komplex sind, dass nicht einmal deren Erbauer genau wissen, wie sie sich verhalten werden. Wir müssen ihnen dabei zuschauen, wie sie arbeiten, um sie wirklich zu verstehen.
 
Daraus folgt, dass wir schnell einen Konsens darüber brauchen, wo wir Algorithmen überhaupt einsetzen wollen. Es gibt Situationen, wo sie objektiver als Menschen sind, und solche, wo sie nur scheinbar objektiv sind und Menschen diskriminieren können nach nicht nachvollziehbaren Kriterien. Es gibt eine ganze Reihe von Fragestellungen, die prinzipiell nicht von Algorithmen gelöst werden sollten. Dazu gehört beispielsweise die Frage nach dem Strafmaß in Gerichtsprozessen. Wir brauchen eine Ethik und eine Transparenz für Algorithmen, da bei algorithmischen Analysen viele problematischen Aspekte zusammenkommen: Machtungleichgewichte, vermeintliche Autorität durch Computer berechnete Ergebnisse, mangelnde Einsicht des Menschen in die Ergebnisse insbesondere von lernenden Algorithmen und eine große Wahrscheinlichkeit von ungewollten Nebenwirkungen. Das heißt, Prozesse algorithmischer Entscheidungsfindung müssen nachvollziehbar sein, damit sie demokratisch kontrolliert werden können. Demokratische Gesellschaften müssen diese Nachvollziehbarkeit herzustellen: durch eine Kombination aus Ethik, Technologien, Regulierung und geeigneten Aufsichtsinstitutionen.
 
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch zwei Fragen anschneiden, die mit lernenden Algorithmen, d.h. mit Künstlicher Intelligenz zu tun haben. Punkt 1: Künstliche Intelligenz trifft Entscheidungen. Aber was passiert, wenn etwas schiefgeht? Auch selbstfahrende Autos basieren auf künstlicher Intelligenz. Juristisch stellt sich die hochinteressante Frage, wem man Unfälle von selbstfahrenden Autos anlastet, die durch Künstliche Intelligenz gesteuert werden? Ist der Fahrzeughalter haftbar zu machen? Der Programmierer? Oder der Hersteller? Und wer ist schuld, wenn ein Pflegeroboter einen Patienten verletzt? Und wie würden wir reagieren, wenn wir unsere Enkel morgens nicht in die Hände einer kompetenten Erzieherin, sondern in die Arme eines Erziehungs­roboters geben müssten? Die Beispiele zeigen, dass wir eine Diskussion anstoßen müssen, in der die neuen Gestaltungsspielräume, die sich durch die digitalen Techno­logien ergeben, auch rechtlich ausgelotet und definiert werden.
 
Das letzte Beispiel verweist auf die äußerst wichtige und spannende Frage, wie sich die fortschreitende Digitalisierung auf unsere Arbeitswelt auswirken wird. Wie stark sind einzelne Berufe gefährdet, demnächst von Computern bzw. von computergesteuerten Robotern übernommen zu werden? In einer vielfach diskutierten amerikanischen Studie von 2013 prognostizieren die Autoren, dass 47 Prozent der Beschäftigten in den USA in den nächsten 10 bis 20 Jahren durch computergesteuerte Maschinen ersetzt werden könnten. Diese Studie wird häufig als Grundlage für die Berechnung von Automati­sierungswahrscheinlichkeiten in Deutschland verwendet. Eine entsprechende Adaption deutscher Forscher von 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass in den nächsten zehn bis 20 Jahren knapp 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland durch Computer bzw. Roboter ersetzt werden könnten. Mit einem etwas anderen methodischen Ansatz kommt ein anderes Forscherteam auf 42 Prozent.
Ebenfalls 2015 gab es eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkts- und Berufsforschung (IAB). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass etwa 15 Prozent der Beschäftigten in Deutschland derzeit mit einem hohen Substituierungspotenzial von mehr als 70 Prozent konfrontiert sind. Dies muss nicht heißen, dass 15 Prozent der Arbeitsplätze wegfallen, da es sich lediglich um Potenziale handelt. Dabei zeigt sich bei Berufen in der Industrieproduktion ein hohes und bei Berufen in den sozialen und kulturellen Dienstleistungen ein eher niedriges Substituierbarkeitspotenzial.
 
Es ist aber auch eine ganz andere Entwicklung denkbar. Die Digitalisierung kann statt zu einem Beschäftigungsabbau auch zu einem Beschäftigungsaufbau führen. Die computergesteuerten Maschinen müssen entwickelt und gebaut werden. Es werden Fachkräfte gebraucht, um die Maschinen zu steuern, zu kontrollieren und zu warten. Fachkräfte, die mit der neuen Technik umgehen können, müssen geschult werden usw.
 
Ganz sicher ist aber: Um das Wissen und Können auf dem neuesten technologischen Stand zu halten, wird Weiterbildung immer wichtiger – nicht nur für Geringqualifizierte, sondern auch für Fachkräfte.
 
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
 
auch wenn es unbefriedigend klingen mag, eigentlich kann derzeit niemand sagen, welche Folgen der digitale Transformationsprozess langfristig für die Formen unseres Zusammenlebens und für Demokratie und Politik haben wird. Insofern leben wir in einem gigantischen Experiment, ohne zu wissen, was dabei herauskommt. Auch was die rechtliche Seite angeht, sind viele Fragen offen, die wir beantworten müssen. Dass wir diese Klärung und entsprechende Regeln dringend brauchen, zeigt ein Zitat von Eric Schmid, dem Vorstandsvorsitzenden von Google, der 2013 geschrieben hat:“ Das digitale Zeitalter ist kaum durch Gesetze beschränkt und daher der größte unregulierte Raum der Welt.“ Das hat sich mittlerweile zum Glück geändert und das registrieren inzwischen auch Google, Facebook, Apple und Microsoft, etwa durch die Verfahren, die von der EU-Kommission gegen die genannten Unternehmen angestrengt wurden.
 
Was können und müssen wir noch tun? Wir brauchen eine individuelle Medienkompetenz, die jedem Menschen eine autonome Gestaltung seines Lebens ermöglicht. Medien­kompetenz funktioniert aber da nicht, wo keine Transparenz gegeben ist. Transparenz als eine Vorbedingung muss durch Gesetze und Regeln formuliert und durchgesetzt werden. Dazu müssen sich Staaten und Parlamente nicht nur gegen mächtige Interessengruppen durchsetzen, sondern auch vorher die zu erwartenden Probleme erkennen. Individuelle Kompetenzen und angemessene und erfolgreich durchgesetzte Regeln und Gesetze können gemeinsam Entwicklungspfade definieren, die einer demokratischen Gesellschaft im digitalen Zeitalter angemessen sind.
 
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!