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Positionen & Reden

Grußwort von BLM-Präsident Siegfried Schneider zur Eröffnung des 7. Social-TV-Summit am 21.06.2018 im Literaturhaus München

21.06.2018 | P&R 2018

Anrede,

seit einer Woche ist Deutschland wieder im WM-Fieber. Schon 2014, als sich die deutsche Mannschaft den vierten Pokal sicherte, hat die Weltmeisterschaft alle Rekorde gebrochen – im linearen Fernsehen und im Social TV. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass vor allem der Social Buzz heuer bestimmt noch einmal übertroffen wird…

Alles in Ordnung also? Business as usual bei Social TV? Nicht wirklich – wie auch der Titel des diesjährigen Social-TV-Summit, zu dem ich Sie alle ganz herzlich begrüße, andeutet: Im verflixten siebten Jahr haben wir unsere Veranstaltung unter das Motto „Social Reboot“ gestellt. Und ein „Neustart“ ist bekanntlich dann nötig, wenn das System abgestürzt ist. Oder zumindest eine Aktualisierung dringend nötig hat.

Tatsache ist: Social Media befindet sich im Umbruch. Die Frage ist schon lange nicht mehr, ob man Social Media macht, sondern wie man Social Media macht. Neue Entwicklungen sind eine ständige Herausforderung für Sender und Produzenten. Sie müssen ihre Social-Media-Aktivitäten immer wieder reflektieren, neu konzipieren und nicht selten auch mehr investieren. Wie solche Ansätze von Pay-to-play bis Originals aussehen können und was Erfolg verspricht – dazu gibt es gleich viel Input.

Was sind die Hintergründe für den „Reboot“ von Social TV?

Spätestens seit dem Datenskandal um Cambridge Analytica steht Facebook als intransparent und manipulierbar in der Kritik: Es verhelfe fragwürdigen Inhalten zu Reichweite, soll sogar zur Wahlmanipulation genutzt worden sein. Kritik, auf die Facebook – und auch andere große Plattformen – mit einschneidenden Änderungen reagieren. So beauftragen sie einerseits Shows und Formate, die eigens für sie produziert werden und ihnen ein neues, positives Image geben sollen. Gleichzeitig beschränken sie durch neue Algorithmen die Sichtbarkeit anderer Medieninhalte. Seit Anfang des Jahres hat Facebook die Reichweiten für Marken- und Unternehmensseiten zurückgefahren.

Die traditionellen TV-Konzerne stehen also unter Handlungsdruck. Um den Anschluss nicht zu verpassen, müssen sie sich in alle Richtungen weiterentwickeln:

  • Sie müssen ihr Engagement im nichtlinearen Bewegtbildmarkt (Mediatheken) ausbauen, um sich gegen Netflix und Co. zu behaupten.
  • Sie sollten aber gleichzeitig ihr lineares Stammgeschäft nicht vernachlässigen. Schließlich erwirtschaften sie dort nach wie vor die Gewinne.
  • Außerdem dürfen sie die Zusammenarbeit mit mächtigen Plattformen wie YouTube und Facebook nicht einstellen. Das würde wichtige Wege zu den Menschen, die ihre Inhalte mögen, versperren.

Die gute Nachricht ist trotz allem: Die globale Medienindustrie wächst. Dabei sollen die digitalen Erlöse – so eine aktuelle Prognose der Wirtschaftsberater PwC [Global Entertainment & Media Outlook 2018-22 vom 6. Juni 2018]– schon heuer die analogen Erlöse überholen. Zeitgleich naht laut PwC der „Mobile First“-Moment: Der durchschnittliche Nutzer wird bereits in zwei Jahren mehr Daten auf dem Smartphone verbrauchen als mit Breitband-Internet. PwC zieht daraus folgendes Fazit – ich zitiere:

„Wollen klassische Medienunternehmen nicht zu bloßen Content-Produzenten degradiert werden, müssen sie sich sehr viel stärker als bislang auf die Bedürfnisse des digitalen Endkunden einstellen. Dazu gehört, die eigenen Inhalte jederzeit genau dorthin zu bringen, wo der User sie gerade abrufen will – sei es am Fernseher, am Desktop oder eben immer öfter am Smartphone.“ [Zitat Ende]

Das ist erstmal nicht überraschend. Doch ich glaube, die klassischen Medienunternehmen sollten die Kernbotschaft noch stärker verinnerlichen: Sie müssen sich besser auf die Bedürfnisse des digitalen Endkunden einstellen!

Die neuen Player nämlich überlegen sich ständig etwas Neues. Und wildern dabei ganz selbstverständlich auf dem Terrain des klassischen Fernsehens. „The Voice US“ beispielsweise wird für Snapchat neu interpretiert. Anbieter wie HQ Trivia oder The Q, die Live-Quizshows mit Hunderttausenden von Spielern in eigenen Apps veranstalten, gehen noch weiter: [Zitat] „Wir wollen die Zukunft des Fernsehens bauen“, proklamierte Rus Yusupov, einer der Macher von HQ Trivia, selbstbewusst Ende letzten Jahres in der New York Times. Yusupov, seinerzeit Mitgründer der Kurzvideo-Plattform Vine, launchte sein jüngstes Baby, HQ Trivia, erst vergangenen Oktober. Und löste mit der App, die einen Livestream mit Echtzeit-Komponenten verknüpft, einen neuen Game-Hype aus.

Das Prinzip dürfte jedem Fernsehmacher bekannt vorkommen: Die kostenlose App, die übrigens im deutschen Markt „Cash Show“ heißt, stellt 12 Wissens-Fragen. Wer alle Fragen in je 10 Sekunden richtig beantwortet, gewinnt. Das Preisgeld – meist nur ganz kleine Summen – wird unter den Gewinnern aufgeteilt. Der besondere Kick an der App ist übrigens ihre Linearität: Die Show gibt es nur zweimal am Tag zu festen Uhrzeiten. Vor Beginn jeder Runde laufen Hunderte von Mitspieler-Kommentaren über den Screen. Und der Moderator blendet Fotos ein, die ihm per Facebook oder Twitter geschickt wurden und Fans des Spiels an allen möglichen und unmöglichen Orten mit dem Spiel zeigen...

Interaktion in Echtzeit, auf Augenhöhe und von unterwegs aus – das sind die ganz wesentlichen Treiber von Social TV. Vor allem die Digital Natives, die mit den mobilen Geräten groß geworden sind, wollen und werden darauf nicht mehr verzichten.

Oder etwa doch? Ich bin sehr gespannt, welche Überlegungen wir dazu gleich in der Keynote von James Williams hören. Er ist ehemaliger Google-Mitarbeiter und Mitgründer der Initiative „Time Well Spent“. Williams kritisiert die [Zitat] „psychologische Manipulation“ von Social Media: Das Geschäftsmodell der Plattformen gründe sich darauf, die Psyche ihrer Nutzer mit Tricks so zu beeinflussen, dass sie möglichst lange bei dem Medium bleiben, um möglichst viel Werbung zu verkaufen... Das Projekt ruft daher zu einem verantwortungsvollen und zurückhaltenden Umgang mit den Social-Media-Kanälen auf.

Ich freue mich sehr, dass Sie heute hier sind, Mr. Williams! Ihre Thesen versprechen einen interessanten Auftakt unseres 7. Social-TV-Summit, auf dem es ja prinzipiell um die Chancen von Social Media geht. Doch es ist nicht von der Hand zu weisen: Auf die digitale Euphorie folgt gerade weltweit ein Stück Ernüchterung, neudeutsch „Techlash“ genannt. Das habe ich selbst Ende April/Anfang Mai auf einer USA-Reise deutlich gespürt. Auf der „Collision“, einer riesigen Start-up-Konferenz, standen Themen wie Privatsphäre und Verantwortung ganz oben auf der Prioritätenliste.

Denn Vorfälle von Datenmissbrauch, Meinungsmanipulation/Fake News oder Hypertransparenz, die seit dem Wahlkampf von Donald Trump verstärkt in die öffentliche Aufmerksamkeit geraten sind und in der Anhörung von Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden haben, lassen sich nicht wegdiskutieren. Es muss etwas dagegen unternommen werden!

Verantwortung im Sinne der Mediennutzer in der digitalen Welt zu übernehmen war, ist und bleibt Antrieb der Landeszentrale. Deshalb fördert die BLM nicht nur über das Media Lab Bayern junge Gründerinnen und Gründer wie David Streit von Shelfd, der heute auch hier ist. Wir initiieren auf der anderen Seite zahlreiche Medienkompetenz-Projekte, damit Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene die Chancen der Digitalisierung wahrnehmen können und für ihre Risiken sensibilisiert sind. Weil wir nicht nur den rechtlichen, sondern auch den gesellschaftlichen Rahmen in der konvergenten Medienwelt neu abstecken müssen. Das schließt eine Debatte über die Rolle der sozialen Netzwerke mit ein.

Auch für die klassischen Medien ist diese Debatte wichtig. Sie müssen die Rolle der sozialen Netzwerke bezogen auf ihr Geschäftsmodell neu justieren: Es muss darum gehen, wie das Unternehmen die digitalen Plattformen selbstbewusst für sich nutzen kann.

Ein kleines, kreatives Beispiel dafür ist die Gong 96.3-Zock-WM auf Twitch. Der Münchner Sender launchte zum Start der Fußball-WM einen Kanal auf dem erfolgreichen Live-Streaming-Videoportal. Bei der Zock-WM, die mit Studenten der Hochschule Macromedia München und der BLM entwickelt wurde, können sich Hörer online registrieren, gegen das Sender-Team auf der Playstation antreten und die WM-Spiele zocken. Über Twitch können alle Interessierten live dabei sein. Ein Experiment, das die Marke Gong in die digitale Welt verlängert.

Meine Damen und Herren, ich freue ich mich nun darauf, im Lauf des Tages von vielen weiteren spannenden Experimenten zu hören. Denn klar ist: Das berühmte TV-Lagerfeuer leuchtet zwar zu Public-Viewing-Events wie der WM hell wie eh und je. Doch auf die Millionen (Smartphone-)Lichter, die es möglich machen, bewegte Bilder heute überall zu konsumieren und zu kommentieren, darf heute keiner mehr verzichten. Nutzen Sie dieses Potenzial von Social TV für Ihr Geschäftsmodell! Vielen Dank.