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Positionen & Reden

„6 Punkte zur Zukunft von Digitalradio“ - Keynote des DLM-Vorsitzenden Siegfried Schneider auf dem Digitalradiotag im Rahmen der IFA am 5. September 2016 in Berlin

05.09.2016 | P&R 2016
- Es gilt das gesprochene Wort! –
 
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
 
auch ich freue mich sehr, Sie zu unserem Digitalradiotag auf der IFA begrüßen zu dürfen! Bevor uns gleich die aktuellsten Hörfunk-Zahlen aus dem Digitalisierungsbericht und außerdem die Ergebnisse der neuen Pilotstudie zur DAB+-Nutzung präsentiert werden, möchte ich die Position der Medienanstalten zur aktuellen Debatte um DAB+ zusammenfassen. Selbstverständlich möchte ich Sie dabei auch über den Planungsstand bezüglich des zweiten bundesweiten Multiplex informieren – aber dennoch auch etwas weiter ausholen. Hier meine 6 Punkte zur Zukunft von Digitalradio:
 
Punkt 1: Die Zukunft des Radios ist digital.
 
Daran gibt es keinen Zweifel. Die Geister scheiden sich aber in Bezug auf den richtigen Weg. Denn mit DAB+ und dem Internet stehen zwei Verbreitungswege zur Verfügung. Beide haben Vor- und Nachteile für Verbraucher und Anbieter. Aus meiner Sicht ergänzen sie sich gerade deshalb ideal:
 
DAB+ ist nach einer notwendigen Simulcastphase, in der beide Übertragungsstandards noch parallel genutzt werden, deutlich kostengünstiger für die Anbieter als UKW und Internetradio. Für die Hörer bietet es im Vergleich zu UKW eine größere Programmvielfalt, die allerdings nicht annähernd an die Vielfalt des Internets heranreicht. Die Rückkanalfähigkeit des Internets ist bei DAB+ nicht gegeben. Dafür ist DAB+ im Gegensatz zum Netzradio für die Nutzer kostenlos und außerdem problemlos mobil und ohne vertragliche Bindung zu empfangen.
 
DAB+ ist also für Anbieter und Hörer deutlich wirtschaftlicher. Das liegt auch an der längeren Wertschöpfungskette im Internet. Darüber hinaus erscheint es politisch und gesellschaftlich geboten, etwa in Krisensituationen über einen flächendeckenden terrestrischen Kommunikationsweg zu verfügen. Eine Fortführung des heutigen Geschäftsmodells für Hörfunkveranstalter wird über das Internet nur sehr schwer möglich sein. DAB+ dagegen sichert das heutige Geschäftsmodell von UKW auch im digitalen Zeitalter.
 
Terrestrisches Digitalradio erreicht laut unserem neuen Digitalisierungsbericht derzeit etwa ein Siebtel der Deutschen – Tendenz steigend. Analog dazu steigt die Anzahl der Empfangsgeräte kontinuierlich.
 
Doch – und auch das will ich ausdrücklich betonen: Ein Selbstläufer ist DAB+ nicht. Die Medienanstalten, die Privaten, die Öffentlich-Rechtlichen, die Politik - alle müssen mitziehen. Und zwar alle in die gleiche Richtung.
 
Punkt 2: Die Medienanstalten sehen in DAB+ einen wichtigen Weg.
 
Für die Medienanstalten spielt bei der Digitalisierung des Hörfunks die terrestrische Verbreitung weiter eine zentrale Rolle. Das belegen zahlreiche Entscheidungen, die wir in letzter Zeit getroffen haben:

Die Landesmedienanstalten haben die Bereitstellung von Übertragungskapazitäten für einen zweiten bundesweiten DAB+-Multiplex beschlossen. In diesem Zusammenhang haben die Medienanstalten ein umfassendes strukturelles Bedarfskonzept entwickelt, das alle aktuellen Erscheinungsformen des Hörfunks, von lokalen/regionalen Programmen bis zu landes- und bundesweiten Angeboten berücksichtigt und allen Ländern einen quantitativ gleichen Zugang zu Übertragungskapazitäten sichert.
 
Zum Zeitplan: Die DLM hat noch vor der Sommerpause die Rundfunkreferenten der Länder über diese Absicht in Kenntnis gesetzt und aufgefordert, ihrerseits das Verfahren der Bedarfsanmeldung für einen zweiten bundesweiten Multiplex in Gang zu setzten. Der Zeitplan sieht vor, dass die Rundfunkreferenten der Länder und die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz als Vorsitzland der Rundfunkkommission den Bedarf eines zweiten bundesweiten Multiplex feststellen und bei der Bundesnetzagentur melden.
 
Unter den Bedarfsträgern des Rundfunks erfolgt derzeit eine Einigung dahingehend, dass die gesamte Kapazität des Multiplex den Medienanstalten zur Ausschreibung für die Verbreitung von privaten Hörfunkprogrammen zugeordnet werden kann. Diese Zuordnung bedarf der Zustimmung der Ministerpräsidentenkonferenz, die im Oktober dieses Jahres stattfindet. Die tatsächliche Ausschreibung der Kapazitäten für Hörfunkveranstalter oder Plattformanbieter könnte dann ab November erfolgen, so dass die Gesamtkonferenz der Medienanstalten im März nächsten Jahres entscheiden würde.
 
Wenn wir uns also im nächsten Jahr zu den Digitalisierungszahlen 2017 hier wiedersehen, könnte der zweite bundesweite Multiplex mit weiteren 15 Programmen bereits on Air sein. Auch der zweite bundesweite Multiplex sollte eine Mindestversorgung von 70 Prozent der Bevölkerung erreichen. Die Medienanstalten haben deshalb die Vorgaben in der Bedarfsmeldung an die des ersten Multiplex angeglichen. Das heutige Sendernetz des ersten Multiplex dient als Referenz für die Versorgung des Zweiten.
 
Auch die alljährliche Publikation und Präsentation des Digitalisierungsberichts illustriert natürlich den hohe Bedeutung, die wir DAB+ zuschreiben: Für den Digitalisierungsbericht beauftragen die Medienanstalten in Kooperation mit weiteren Partnern jedes Jahr eine Studie über Stand und Entwicklung der Digitalisierung des Hörfunks in Deutschland.
 
Heuer haben die Landesmedienanstalten zudem eine Pilotstudie initiiert, deren Ziel es ist, erstmals genaue Daten zur Nutzung des Übertragungsweges DAB+ zu ermitteln – vor allem im Vergleich zu UKW. Dieses Wissen ist für uns die Bedingung, um nach der derzeit laufenden Ausbauphase von DAB+ über den Einstieg in eine Migrationsphase entscheiden zu können. Die Ergebnisse beider Studien gibt es nachher – lassen Sie mich nur eines vorwegnehmen: An DAB+ führt kein Weg mehr vorbei.
 
Punkt 3: Internetradio ist eine neue, zusätzliche Verbreitungsmöglichkeit für den Hörfunk.
 
Sicher, die Online-Nutzung des Hörfunks nimmt zu. Das belegt einmal mehr der Digitalisierungsbericht 2016 der Medienanstalten: Demnach wird Internetradio via IP-Radio, PC, Tablet oder Smartphone etwa von einem Drittel der Deutschen zumindest gelegentlich genutzt. Damit können aber noch keine nennenswerten Erlöse erzielt werden. Dennoch ist auch Internet-Radio eine Basis für neue Innovationen, für mehr Vielfalt und für mehr Wachstum auf dem Radiomarkt. Es kann aber die terrestrische Verbreitung von Hörfunk und deren Weiterentwicklung im digitalen Zeitalter nicht ersetzen – wie auch die fortgeschrittene Entwicklung in Vorläuferländern wie Großbritannien und der Schweiz zeigt.
 
Punkt 4: Das Digitalradio braucht einen fairen Wettbewerb.
 
DAB+ ist also in Zukunft nicht das einzige System, über das Digitalradio verbreitet wird. Damit DAB+ eine wichtige Rolle bei der digitalen Verbreitung von Hörfunkprogrammen spielen kann, braucht es einen fairen Wettbewerb im dualen System:
 
Tatsache ist, dass es eine völlig unterschiedliche Ausgangslage für die beiden Seiten des dualen Systems gibt. Während die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) den Landesrundfunkanstalten 89,4 Millionen Euro und Deutschlandradio 63,6 Millionen Euro in der Beitragsperiode zwischen 2017 und 2020 für die Weiterentwicklung von DAB+ zur Verfügung stellt, müssen die privaten Anbieter die Kosten für eine unbestimmt lange Simulcastphase aus ihren Werbeeinnahmen finanzieren.
 
Der private Hörfunk braucht für die Einführungsphase Unterstützung, damit dieser Zeitraum so kurz wie möglich wird. Auch wenn die Verbreitungskosten in den Hörfunkunternehmen eine eher nachrangige Größe darstellen, so sind diese Zusatzkosten gerade im lokalen/regionalen Bereich eine sehr hohe Finanzierungshürde.
 
Die Förderung könnte aus der Versteigerung der Rundfunkfrequenzen im vergangenen Jahr (Digitale Dividende II) zur Verfügung gestellt werden. Hier haben Bund und Länder insgesamt 1,33 Milliarden Euro Gesamterlöse erzielt und sich darauf verständigt, dass die Mittel für Breitbandausbau und Digitalisierung eingesetzt werden sollen. Es wäre also naheliegend, aus diesen Erlösen die privaten Anbieter zeitlich begrenzt zu fördern: So lange, bis eine Hörfunknutzung auf DAB+ erreicht ist, die eine realistische Möglichkeit bietet, die privaten Programme erfolgreich vermarkten zu können. Schließlich kommen die kleineren und mittelständischen Rundfunkanbieter, die alle auch im Netz Präsenz zeigen müssen, schon damit an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten.
 
Auf europäischer Ebene muss im Rahmen der Diskussion zur Universaldienste-Richtlinie eine verpflichtende Ausstattung von Audio-Empfangsgeräten mit Multinorm-Empfangschips erreicht werden. Neue Radios müssen UKW-, DAB+- und Internetempfang anbieten. Die Automobilbranche sollte verpflichtet werden, dass jedes angebotene neue Autoradio sowohl UKW als auch DAB+ empfangen kann. Die Politik sollte verbindlich festlegen, dass Multinormchips auch in Smartphones eingebaut werden. Auf allen Geräten, mit denen man Radiohören kann, muss das technologieneutral möglich sein.
 
Aus diesem Grund habe ich vergangene Woche auch sehr die Digitalradio-Initiative der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin und Vorsitzenden der Rundfunkkommission der Länder, Malu Dreyer, begrüßt: Sie will die Hersteller von Radios verpflichten, bei allen neuen Geräten auch den Empfang von digitalen DAB+-Programmen zu ermöglichen. Solche technischen Vorgaben der Politik halte ich für ungleich zielführender als einen Termin für eine UKW-Abschaltung festzulegen. Denn es ist keine Frage: Die Hörfunkverbreitung über UKW muss für die privaten Anbieter so lange gegeben sein, so lange sie UKW für eine erfolgreiche Vermarktung benötigen. Folglich müssen Unternehmen den Abschalttermin selbst bestimmen dürfen. Andersherum muss aber klar sein, dass UKW-Frequenzen, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk abschaltet, nicht weiter im Hörfunk verwendet werden.
 
Punkt 5: Der private Rundfunk muss sich engagieren.
 
Die privaten Hörfunkveranstalter verlieren ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn sie sich der digitalen Weiterentwicklung ihres Hauptverbreitungsweges verweigern.
 
Deshalb müssen sich die privaten Anbieter für DAB+ engagieren. Sie werden das auch tun, wenn die Nutzung von DAB+ in den kommenden Jahren beispielsweise die Zwanzig-Prozent-Grenze überschreitet. Diese Marke erscheint – vor dem Hintergrund der Entwicklung in den zurückliegenden Jahren und den positiven Zahlen im neuen Digitalisierungsbericht – durchaus realistisch. Dabei bietet DAB+ die Chance, die technischen Nachteile und Versorgungsprobleme vor allem von lokalen und regionalen UKW-Radios zu beheben und damit Chancengleichheit in der Versorgung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk, aber auch innerhalb des privaten Rundfunks herzustellen.
 
Punkt 6: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss seinen Beitrag leisten.
 
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte vor allem auf Frequenzwechsel von bisher rein digitalen Programmen auf das analoge UKW verzichten. Wir haben ein solches Vorgehen vom Hessischen Rundfunk erlebt mit „You FM“, vom Südwest Rundfunk mit „Das Ding“, jetzt von Radio Bremen mit „Next“ und auch vom Bayerischen Rundfunk wurden entsprechende Pläne für das Jugendprogramm Puls vom Rundfunkrat genehmigt. Ein solches Vorgehen ist kontraproduktiv. Es schadet einem gemeinsamen Aufschlag pro DAB+ und es verstößt gegen den Rundfunkstaatsvertrag. Außerdem schmälert es die wirtschaftlichen Möglichkeiten von Privatprogrammen erheblich und verhindert notwendige Investitionen in die digitale Zukunft.

Nicht zuletzt muss in jeder Rundfunkanstalt die Möglichkeit der Bereitstellung kostengünstiger Sendeplätze für lokale und landesweite private Angebote auf den DAB-Multiplexen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geprüft werden. So könnten die privaten Anbieter ihre Programme zu kalkulierbaren Fixpreisen verbreiten. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde das zu keinen zusätzlichen Kosten führen. Die Netze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind ja bereits von allen Rundfunkteilnehmern durch ihre Beiträge finanziert. Sie sollten daher auch privaten Marktteilnehmern zumindest für eine Übergangsphase zur Verfügung stehen.

Zum Schluss ein Appell an alle Beteiligten: Lassen Sie uns in der Debatte um die Zukunft des Digitalradios weniger polarisieren! Wir sollten künftig gemeinsam alles dafür tun, dass sich das Digitalradio weiterentwickeln kann, anstatt Energie in die Suche nach einem nicht vorhandenen Königsweg stecken. Wie gut das funktionieren kann, wenn alle Beteiligten auf einer Linie liegen, zeigen etwa die aktuellen Entwicklungen in der Schweiz. Dort hat das Digitalradio nach nur fünf Jahren im Frühjahr erstmals UKW überholt: So ist die Nutzung der beiden digitalen Empfangsarten (DAB+ und Internet) in der Schweiz im Frühjahr 2016 um jeweils vier Prozent auf insgesamt 53 Prozent (von 45 Prozent im Frühjahr 2015) gestiegen. Das analoge UKW verliert parallel dazu weiter an Bedeutung – ganz so, wie es übrigens vor mehr als 50 Jahren gelaufen ist, als UKW die Mittelwelle ablöste.

Auch in Deutschland zeigt sich übrigens laut unserer neuen Nutzungsstudie: In Ländern, wo sich private wie öffentlich-rechtliche Sender engagieren, ist die Verbreitung von DAB+ größer. Und: Die Privaten liegen in diesen Ländern in Sachen DAB+ gleichauf mit den Öffentlich-Rechtlichen – das ist beispielsweise in Bayern und Hessen der Fall, ganz im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen. Helfen könnte in dem Zusammenhang folgendes Bewusstsein: DAB+ ist kein neues Geschäftsmodell. Es setzt das heutige Geschäftsmodell von UKW fort und sichert es auch im digitalen Zeitalter. Mit 85 Prozent terrestrischer Nutzung in Deutschland müssen wir uns um deren Weiterentwicklung kümmern. Die Medienanstalten tun das –nicht zuletzt mit der heutigen Veranstaltung. Ich wünsche uns allen neue Erkenntnisse und fruchtbaren Austausch! Vielen Dank.